Ferenc Orsós

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Ferenc Orsós
  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 16. Mai 2025

Ferenc Orsós, geboren am 22. August 1879 in Temesvár [heute Timișoara, Rumänien], war ein führender Rassenhygieniker und anerkannter Pathologe im Ungarn der 1910er- bis 1940er-Jahre. Er glaubte an die Aufgabe von Ärzten als „Beschützer der ungarischen Nation und der Rassegegen die „rassische Entartung“. Orsós war ein Befürworter der rassenhygienischen Forschungen von Eugen Fischer (1874–1967) und Robert Ritter (1901–1951), bezeichnete sowohl Juden:Jüdinnenals auch Zigeunerals „minderwertige Rassen“, die eine eugenische Bedrohung für Ungarn darstellten, und hielt die deutschen und österreichischen rassenhygienischen Praktiken, die gegen die als „Zigeuner“ eingestuften Menschen eingeführt wurden, für vorbildlich.

Führende Positionen

Während seiner Zeit als korrespondierendes (1928–1940) und ordentliches Mitglied (1940–1945) der Ungarischen Akademie der Wissenschaften bekleidete Orsós auch mehrere führende medizinisch-wissenschaftliche und politische Positionen, unter anderem in einflussreichen rechtsgerichteten, antisemitischen medizinischen Organisationen in Ungarn. Während seiner Zeit als Leiter der Abteilung für Pathologie an der Universität Debrecen (1918–1935) und des Instituts für Gerichtsmedizin an der Universität Debrecen (1921–1935/36) leitete er den rechtsgerichteten antisemitischen Csaba-Kameradschaftsverein [Csaba Bajtársi Egyesület], der 1921 von Medizinstudenten in Debrecen gegründet worden war. Bald nach seiner Ernennung zum Leiter des Instituts für Gerichtsmedizin an der Medizinischen Universität Budapest (1935/36–1944) wurde er auch Präsident der radikal antisemitischen Nationalen Vereinigung der Ungarischen Ärzte [Magyar Orvosok Nemzeti Egyesülete, MONE, 1937–1944] und Mitglied der Ungarischen Vereinigung zum Schutz der Familie [Magyar Családvédelmi Szövetség], die 1937 als Organisation zur Durchsetzung der antisemitisch und antiziganistisch ausgerichteten rassenhygienisch-pronatalistischen Politik gegründet wurde.

Gesetzentwurf 1941

Orsós konnte seine Position als medizinische Autorität nutzen, um antisemitische und antiziganistische Ideen und Praktiken aktiv zu fördern. Als Abgeordneter des Oberhauses des ungarischen Parlaments (1940–1945) sprach er sich am 18. Juli 1941 für einen Gesetzentwurf zur rassenhygienischen Modifizierung und Änderung des Gesetzes 31 von 1894 über das Eherecht aus. Dieser Gesetzentwurf war als „radikale Maßnahme“ zur „Rassenerhaltung“ gedacht und zielte darauf ab, Eheschließungen mit als „jüdisch“ eingestuften Personen zu unterbinden. Bei der Parlamentsdebatte verteidigte Orsós das Gesetz nicht nur, sondern wollte es auch zur Verhinderung von Ehen zwischen „Zigeunern“ und „Nichtzigeunern“ anwenden. Er führte aus: „Es ist bekannt, dass in den oberen Klassen die Gefahr [der rassischen Entartung] von der Vermischung mit Juden ausgeht, aber wenig bekannt ist die große Gefahr, die in den unteren Klassen von der Vermischung mit Zigeunern ausgeht.“1Orsós, A házassági törvény fajvédelmi kiegészítése [Die rassenhygienische Änderung des Gesetzes], 5. Der Gesetzentwurf wurde ohne die vorgeschlagene Änderung in Bezug auf die Rom:nja angenommen und in Ungarn als das „dritte antijüdische Gesetz“ bekannt.21941. évi XV. törvénycikk a házassági jogról szóló 1894. évi XXXI. törvénycikk kiegészítéséről és módosításáról, valamint az ezzel kapcsolatban szükséges fajvédelmi rendelkezésekről [Gesetz Nr. 15 von 1941 zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes Nr. 31 von 1894 über die ehelichen Rechte und die damit verbundenen notwendigen rassenhygienischen Vorschriften], Netjogtár, https://net.jogtar.hu/getpdf?docid=94100015.TV&targetdate=&printTitle=1941.+%C3%A9vi+XV.+t%C3%B6rv%C3%A9nycikk&referer=1000ev [Zugriff: 08.08.2022]. Als Mitglied der Ungarischen Ärztekammer [Országos Orvosi Kamara] drängte Orsós außerdem wiederholt auf die Entlassung und 1944 auf die Deportation von als „jüdisch“ bezeichneten Ärzt:innen.

Flucht nach Deutschland

Ende 1944 ging Orsós von Ungarn nach Deutschland. Aufgrund seiner entscheidenden Rolle, die er 1943 bei der Identifizierung der Roten Armee als Verantwortlicher für die Ermordung polnischer Offiziere in Katyn gespielt hatte, gelang es ihm, von den amerikanischen Streitkräfte politischen Schutz vor den 1945 von der Sowjetunion eingeleiteten Bemühungen um seine Auslieferung für einen Prozess zu erhalten. 1946 erließ der ungarische Volksgerichtshof einen Haftbefehl gegen ihn als Kriegsverbrecher, doch aufgrund seiner Abwesenheit wurde er nicht verurteilt. In der Zwischenzeit entzog die Ungarische Akademie der Wissenschaften Orsós mit ihrem Beschluss vom 20. Juli 1945 die akademische Mitgliedschaft, da er als „führender Vertreter der deutschen nationalsozialistischen Ideologie“ und als Präsident von MONE eine zentrale Rolle bei der „Vernichtung eines Teils der ungarischen Ärzteschaft“ gespielt habe.

In Deutschland wurde Orsós nicht strafrechtlich verfolgt. Von April 1946 bis zu seinem Tod am 25. Juli 1962 in Mainz hatte er eine Professur für Malerei, Grafik und künstlerische Anatomie an der Universität Mainz inne, wo er 1947 Direktor des Seminars für künstlerische Ausbildung wurde und 1954 die Ehrendoktorwürde erhielt. Er ist auf dem Mainzer Hauptfriedhof begraben.

Einzelnachweise

  • 1
    Orsós, A házassági törvény fajvédelmi kiegészítése [Die rassenhygienische Änderung des Gesetzes], 5.
  • 2
    1941. évi XV. törvénycikk a házassági jogról szóló 1894. évi XXXI. törvénycikk kiegészítéséről és módosításáról, valamint az ezzel kapcsolatban szükséges fajvédelmi rendelkezésekről [Gesetz Nr. 15 von 1941 zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes Nr. 31 von 1894 über die ehelichen Rechte und die damit verbundenen notwendigen rassenhygienischen Vorschriften], Netjogtár, https://net.jogtar.hu/getpdf?docid=94100015.TV&targetdate=&printTitle=1941.+%C3%A9vi+XV.+t%C3%B6rv%C3%A9nycikk&referer=1000ev [Zugriff: 08.08.2022].

Zitierweise

Eszter Varsa: Ferenc Orsós, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 16. Mai 2025.

1941
18. Juli 1941Das ungarische Parlament diskutiert über die Verhinderung von Eheschließungen zwischen Rom:nja und Nicht-Rom:nja.