Die Deportation der rumänischen Rom:nja war das Ergebnis einer Reihe von Entscheidungen, die rumänische Regierungsbehörden im Frühjahr 1942 trafen. Richtlinien wurden erstellt, auf deren Grundlage die Verwaltung die Deportationen nach Transnistrien durchführen sollte. Das Verfahren, mit dem die zur Deportation bestimmten Rom:nja kategorisiert wurden, wurde erstmals im Zusammenhang mit einer geheimen Volkszählung vom 25. Mai 1942 umgesetzt.
Kategorisierung
Am 1. Mai 1942 beauftragte das Militärkabinett des Präsidenten des Ministerrates das Innenministerium mit der Ausarbeitung eines Plans zur Durchführung der Deportation der „țiganii nomazi” [„nomadischen Zigeuner”]. Am 17. Mai wies das Kabinett des Innenministeriums die Generalinspektion der Gendarmerie an, eine detaillierte Volkszählung aller „Zigeuner” durchzuführen und dabei zwei Kategorien anzuwenden: (1) „țiganii nomazi”, (2) „țiganii stabili“ [„sesshafte Zigeuner”]. Zu letzteren sollten insbesondere diejenigen gezählt werden, die gemäß der Verordnung „nicht migrierend“ waren und keine Existenzgrundlage oder feste Anstellung hatten oder als Gefahr für die öffentliche Ordnung angesehen wurden. Es wurde betont, dass alle Familienmitglieder registriert werden sollten.1Arhivele Naționale Istorice Centrale [Zentrale Nationalhistorische Archive Rumäniens] (ANIC), Fond Inspectoratul Regional de Jandarmi [Regionalinspektion der Gendarmerie] (IRJ), Dosar 258, f. 6–6v, Schreiben Nr. 33.911, Kabinett des Innenministeriums an die Generalinspektion der Gendarmerie, 21. Mai 1942, veröffentlicht in: Viorel, Documente privind deportarea ţiganilor în Transnistria, Band I, 5 f.
Die für die Deportationen nach Transnistrien zuständigen Behörden verwendeten diese beiden Kategorien im Juni und September 1942, um die zu deportierenden Personen auszuwählen und die Durchführung in zeitlicher und räumlicher Hinsicht zu planen. In einer späteren Phase des Registrierungsprozesses ersetzte der Begriff „țiganii nenomazi” [„nicht nomadische Zigeuner”] den Begriff „țiganii stabili”.
Die Verordnung vom 17. Mai sah außerdem vor, dass die Polizeibehörden nach diesen beiden Kategorien geordnete Namenslisten in zweifacher Ausfertigung zu erstellen hatten. Die Listen sollten folgende Angaben enthalten: sălaș [Reisegruppe], Nachname und Vorname (d. h. Name und Vorname des Familienoberhaupts), Männer / Frauen / Kinder, Tiere, Wagen, Berufe. Die ursprünglich für den 31. Mai geplante Zählung wurde auf den 25. Mai vorverlegt.2ANIC, Fond Direcţia Generală a Poliţiei [Generaldirektion der Polizei] (DGP), Dosar 187/1942, f. 10, Schreiben Nr. 1020 vom Kabinett des Staatssekretärs des Innenministeriums an die Generaldirektion der Polizei, 21. Mai 1942, veröffentlicht in Ebd., 8 f.
Durchführung
Für die Volkszählung wurden erhebliche polizeiliche Ressourcen mobilisiert. In Băcau beispielsweise stellte die Stadtpolizei 27 Gruppen mit jeweils zwei oder drei Beamten zusammen, die die Volkszählung am 25. Mai tagsüber gleichzeitig in den verschiedenen Bezirken durchführten. Nach der Erfassung wurden die als „țiganii nomazi” registrierten Rom:nja unter polizeiliche Aufsicht gestellt und am 1. Juni zu Fuß nach Transnistrien deportiert.
Die Ergebnisse der Volkszählung wurden von der Generalinspektion der Gendarmerie zusammengestellt. Insgesamt wurden 8 905 Personen in der ersten Kategorie „nomazi” und 31 438 Personen in der zweiten Kategorie „nenomazi” erfasst. Die Volkszählungslisten wurden nicht an die Zentralverwaltung weitergeleitet, nur wenige sind in den Archiven erhalten geblieben. Die Namenslisten der als „nenomazi” erfassten Rom:nja dienten den Gendarmerieregionen im Juli 1942 dazu, die Personen auszuwählen, die im September 1942 deportiert werden sollten.
Das Problem der ethnischen Zugehörigkeit
Aus den Unterlagen geht nicht eindeutig hervor, wie die Verwaltung die ethnische Zugehörigkeit der registrierten und anschließend deportierten Personen auffasste. Die ethnische Zugehörigkeit „țigan” wurde von der Verwaltung als gegeben und selbsterklärend angesehen. Sie wurde daher in keinem Dokument definiert, erläutert oder gar in Frage gestellt, obwohl keine offiziellen Angaben zur ethnischen Zugehörigkeit oder „Rasse” der betroffenen Personen vorlagen, beispielsweise in den Personenstandsregistern.
Der Begriff der ethnischen Gruppe „Țigan” war bereits zum Zeitpunkt der Volkszählung Gegenstand wissenschaftlicher Debatten. So skizzierte beispielsweise Ion Chelcea (1902–1991) in einem 1943 veröffentlichten Artikel3Chelcea, Les „Rudari” de Muscel. die akademische Kontroverse darüber, ob Rudari zur ethnischen Gruppe der „Țigan” gehörten, und argumentierte, dass sie nicht als „Zigeuner” betrachtet werden sollten. Dies verhinderte jedoch nicht die Deportation von Menschen, die während des Registrierungsprozesses als Rudari identifiziert worden waren.
Die rumänische Verwaltung führte auch keine rassistische Bewertung durch, um die zu deportierenden Personen auszuwählen, wie dies beispielsweise in Deutschland der Fall war. Vielmehr erhielten die lokalen Behörden weitreichende Ermessensspielräume, um diejenigen, die sie als unerwünscht betrachteten, auf die Listen der Gendarmerie zu setzen. In zahlreichen Fällen protestierten die Deportierten gegen ihre Einstufung als „Tigan” und betonten in ihren Petitionen, dass sie Rumänen seien.
Einstufung als „nomadisch”
Die zweite operative Grundlage für die Deportationen war die Einstufung als „nomadisch“ oder „nicht-nomadisch“. Wie wurden die „țiganii nomazi“, auf die sich die Anordnungen der Zentralverwaltung bezogen, definiert? Augenscheinlich waren die Kriterien, entweder kein Haus oder Land zu besitzen4United States Holocaust Memorial Museum (USHMM), RG 25.050M, Rolle 16, 117, Der Kommandant der Gendarmerielegion Arges an die Gendarmerielegion Sibiu, Telegramm vom 28. Juni 1942. oder über keinen festen Wohnsitz zu verfügen, für die meisten Gemeinden und Gendarmerieregimenter ausschlaggebend. Da die Verhaftung der Personen jedoch innerhalb weniger Tage nach der Erfassung erfolgte, wurde ihr Vermögensstatus nicht offiziell geprüft. So kam es dazu, dass einige Deportierte den Besitz von Immobilien nachwiesen, obwohl sie sich bereits seit mehreren Wochen auf der Deportationsroute befanden.5Ebd., RG-25.050M, Rolle 56, f. 421, Constantin G. Manea Caldarar an Marechal Antonescu, 12. August 1942.
Zusätzlich präzisierte das Innenministerium in seiner Verordnung vom 17. Mai den Begriff „țiganii nomazi” mit einer Klammerbemerkung, in der „Caldarari, Lingurari…” als Beispiele aufgeführt wurden. Diese ethnisch-beruflichen Einordnungen sorgten in den lokalen Verwaltungen für Verwirrung, wenn sie mit dem Kriterium eines ständigen Wohnsitzes kollidierten. Als beispielsweise im Juli und September 1942 die Listen für die Deportation der „nenomazi” erstellt wurden, sah die Gendarmerie der Region Vâlcea die Aufnahme von „nomazi [Rudari]” oder „nomazi der Kat. II [stabilii]” vor,6Ebd., f. 286–87, Namensliste der Rudari-Zigeuner (Nomaden), die im Umkreis des Postens Rezoiu nicht mobilisiert wurden oder mobilisiert werden konnten [vor dem 29. Juli 1942]. was den Maßgaben der nationalen Behörden bezüglich der beiden zuvor genannten Kategorien widersprach. Umgekehrt äußerte dieselbe Gendarmerie Zweifel an der Aufnahme eines Kesselschmieds [Caldarar] in die Liste, der einen Bauernhof mit Obstgärten besaß.7Ebd., f. 421, Constantin G. Manea Caldarar an Marschall Antonescu, 12. August 1942.
Die Frage der Definition der Kategorie „țiganii nomazi“ wurde schließlich auch in einem Rundschreiben vom 16. September 1942 behandelt. In diesem wurde die Registrierung von „țiganii“ gefordert, die in Hütten [bordei] oder unter „inakzeptablen Überbelegungsbedingungen“ lebten und als „Halbnomaden“ bezeichnet wurden, damit auch sie deportiert werden konnten.8Ebd., RG-25.004M, Rolle 66, Rundschreiben Nr. 41.703 der Generalinspektion der Gendarmerie vom 16. September 1942; Arhiva Serviciului Român de Informații [Archiv des Rumänischen Nachrichtendienstes] (ASRI), FD, Dosar 18844, Band 4, f. 172, veröffentlicht in Achim, Documente privind deportarea ţiganilor în Transnistria, Band I, 210. In dem Rundschreiben heißt es, dass diese Personen in den beiden bisherigen Kategorien nicht berücksichtigt worden seien. Die neue Kategorie ermöglichte es nun, Personen zu deportieren, die zwar über einen festen Wohnsitz verfügten, aber keine Immobilien besaßen. Dies zeigt, dass der Besitz von Immobilien der wesentliche Gradmesser der Gendarmerie dafür war, wer als „țiganii nomazi” galt und wer nicht.
Die Deportationen
Die Deportation der als „nomazi” eingestuften Rom:nja begann unmittelbar nach der geheimen Volkszählung. Die Menschen wurden vom 25. Mai bis zum 1. Juni unter polizeiliche Aufsicht gestellt, danach wurden sie in mehreren Gruppen, zu Fuß und mit ihren Karren, verschleppt. Bei der geheimen Volkszählung wurden 8 905 Rom:nja als „nomazi” erfasst, schließlich aber 11 441 Menschen gemäß dieser Einstufung deportiert.9ANIC, Fond Inspectoratul General al Jandarmeriei [Generalinspektion der Gendarmerie] (IGJ), Akte 126/1942, f. 204–05, Bericht Nr. 43.074 Generalinspektion der Gendarmerie an das Innenministerium, Büro des Staatssekretärs, 9. Oktober 1942, veröffentlicht in ebd., 268–71. Die einzelnen Gruppen wurden von Gendarmeriestation zu Gendarmeriestation in Richtung Osten geführt. Die letzten von ihnen trafen am 15. August 1942 in Transnistrien ein. Diese Rom:nja wurden in Lager im Kreis Golta gebracht, wo sie bis Februar/März 1944 verblieben.
Die Deportation der 31 438 erfassten „țiganii stabili” erfolgte nicht unmittelbar nach der Volkszählung. Am 22. Juli 1942 ordnete Ion Antonescu (1882–1946) ihre Deportation an. Die nationalen Behörden wiesen die Gendarmerie und die Polizei an, namentliche Erhebungen durchzuführen. Nach mehreren Schriftwechseln zwischen den nationalen Behörden und der örtlichen Polizei und Gendarmerie wurden im August die Deportationslisten erstellt. Sie umfassten insgesamt 12 947 Personen. Die Deportation erfolgte vom 12. bis zum 20. September 1942 mit Sonderzügen. Rund 14 000 Menschen wurden in die Lager und Gettos des Kreises Oceacov verschleppt, bevor sie auf die Kreise Oceacov und Berezovca verteilt wurden, wo sie ebenfalls bis Februar/März 1944 verblieben.
Fazit
Die in den Deportationsanweisungen vom Mai 1942 verwendeten Begriffe wie „țigani”, „nomazi”, „stabili”, „Caldarari”, „Lingurari” stellen Zuschreibungen dar, die sich im Laufe der Zeit und je nach Perspektive veränderten. Selbst aus Sicht der damaligen Akteure waren diese Begriffe ungenau, wie die Analyse der Ausführung der Befehle durch die Verwaltungen zeigt. Eben jene Ungenauigkeit ließ den lokalen Behörden und der Gendarmerie bei der Ausführung der Befehle vor Ort einen großen Handlungsspielraum, wie Petre Matei (geb. 1978) zeigt. 10Matei, „Roma Deportations”.
Die geheime Volkszählung vom 25. Mai 1942 war die erste systematische rumänische Volkszählung mit Blick auf die Deportation der Rom:nja. Die zentralen Behörden ließen den lokalen Behörden bei der Form der zu verwendenden Dokumente Handlungsspielraum und gaben nur knapp abgefasste Rückmeldungen. Bei den folgenden Erhebungen, die im Juli und August 1942 im Hinblick auf die Deportation der als „țiganii nenomazi” kategorisierten Rom:nja durchgeführt wurden, stellten die zentralen Behörden jedoch Vorlagen für die Tabellen zur Verfügung und forderten die lokalen Behörden dazu auf, die Listen vollständig ausgefüllt zu übermitteln.
Letztlich führte die geheime Volkszählung vom 25. Mai 1942 zu zwei verschiedenen Verfolgungsabläufen. Die Verhaftung der „țiganii nomazi” erfolgte schon während der Volkszählung; die Erfassung hatte also unmittelbare operative Auswirkungen und fast alle 9 471 mit diesem Status registrierten Personen wurden deportiert. Für die 31 438 Personen, die in der Kategorie „țiganii nenomazi” erfasst wurden, bedeutete sie hingegen zunächst nur den Beginn eines Selektionsprozesses, der zwischen lokalen und nationalen Behörden ausgetragen wurde und bis Ende August 1942 zur Erstellung von Listen mit über 12 947 zu verhaftenden Personen führte. Nicht alle Personen auf den Listen wurden später deportiert, aber andere, die im Mai 1942 nicht erfasst worden waren, wurden schließlich Opfer der Verschleppungen.




