Ab dem 1. Juli 1943 wurde das Reisen in Wohnwagen in den deutsch besetzten Niederlanden auf Anordnung des Leiters der deutschen Polizei und SS (Schutzstaffel) in den Niederlanden, Hanns Albin Rauter (1895–1949), verboten. Diese Festsetzung [trekverbod], die die spätere Verhaftung und Deportation von Sinti:ze und Rom:nja ermöglichte, hatte einen spezifisch niederländischen Hintergrund.
Wohnwagengesetz von 1918
Beim Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert wurden Wohnwagen in den Niederlanden zu einer beliebten Möglichkeit, Arbeit und Wohnen miteinander zu verbinden. Bei einer Volkszählung im Jahr 1889 wurden 93 Wohnwagen gezählt. In der Regel handelte es sich um flache Wagen mit einer Plane darüber. In den folgenden Jahren entwickelten sie sich allmählich von überdachten Wagen zu einfachen Holzkonstruktionen mit Stufen an der Vorderseite. Bei einer erneuten Volkszählung im Jahr 1911 wurden 584 Wohnwagen gezählt, in denen etwa 2 800 Menschen lebten.
Der Staat versuchte nun zunehmend, die Lebensweise der Bewohner:innen von Wohnwagen zu regeln, von denen Sinti:ze und Rom:nja nur einen sehr kleinen Teil ausmachten. Während die frühere Gesetzgebung aus dem Jahr 1849 vor allem darauf abzielte, die Einreise von Menschen mit Wohnwagen zu verhindern, konzentrierte sich das Wohnwagengesetz [Woonwagenwet] vom 26. Juli 1918 auf die Regelung des Reisens innerhalb der Niederlande. Das Gesetz von 1918 legte unter anderem fest, dass alle, die in einem Wohnwagen oder auf einem Boot wohnen wollten, eine Genehmigung und ein Nummernschild benötigten. Die Gemeinden konnten nun Plätze festlegen, auf denen Wohnwagen abgestellt werden sollten. Außerdem durfte sich eine Familie an einem Ort nur noch maximal 48 Stunden aufhalten. Obwohl die Gemeinden oft die unansehnlichsten Plätze als „Wohnwagenplätze“ auswiesen und weiterhin versuchten, die Menschen zu vertreiben, gab es ein gewisses Maß von Freiheit.
Während der Krisenjahre wurde die Mobilität der reisenden Bevölkerung in den Niederlanden weiter eingeschränkt. Familien ohne Pass oder Genehmigung wurden häufig von der Polizei verhaftet und von der Militärpolizei aus dem Land ausgewiesen. Familien, die über eine Genehmigung verfügten, waren häufiger auf große Wohnwagenplätze am Rande großer Städte angewiesen. Einige von ihnen waren mit sanitären Anlagen, einer Wasserpumpe und Beleuchtung ausgestattet, aber sie waren auch eingezäunt, unterlagen einer Lagerordnung und wurden von Aufseher:innen und Polizeibeamt:innen kontrolliert.
Das ursprüngliche Ziel des Gesetzes, die Anzahl der Wohnwagen zu verringern, wurde nicht erreicht; 1938 waren rund 2 700 Wohnwagen registriert. Aber das Wohnwagengesetz hatte in anderer Hinsicht eine nachhaltige Wirkung, nämlich eine Definition der Bewohner:innen von Wohnwagen als einer eigenen Kategorie von Bürger:innen: den „woonwagenbewoners“.1 Lucassen, „Verfolgung“, 193–194. Sie wurden von den Behörden als „Asoziale“ bezeichnet, und es wurden ein zentrales Registrierungssystem und Sammellager geplant.
Unter deutscher Besatzung
Als Deutschland im Mai 1940 in die Niederlande einmarschierte, waren diese Pläne noch nicht umgesetzt worden. Initiator eines aggressiveren Vorgehens war Laurus Adriaan van Doorn (1895–1973), Direktor des Utrechter Wohlfahrtsamtes, der seine Unzufriedenheit über die unzureichende Durchsetzung der Vorschriften für Wohnwagen und Hausboote im Lande zum Ausdruck brachte. Von Juli bis August 1940 veröffentlichte er in der Zeitschrift „Sociale Zaken“, deren Mitherausgeber er war, Artikel mit Titeln wie: „Die Wohnwagen müssen verschwinden“.2 Sijes, Vervolging, 77. Dass van Doorns Ideen nicht ohne Einfluss blieben, zeigte sich daran, dass der Generalstaatsanwalt in Den Bosch im März 1943 dem Justizminister mitteilte, dass er die Wohnwagen an einem festen Ort konzentrieren wolle. 1942 erstellte das Innenministerium eine Übersicht über alle angeblichen „asozialen Elemente“ unter den Bewohner:innen von Wohnwagen – mit demErgebnis, dass nur 5 bis 10 Prozent als solche eingestuft wurden. Im Juni 1942 lag die Anzahl der zentral registrierten „woonwagenbewoners“ bei etwa 10 000.3 Lucassen, „Verfolgung“, 194.
Im Mai 1943 nahm Hanns Albin Rauter Beschwerden von Anwohner:innen über Bewohner:innen von Wohnwagen in der Provinz Nordbrabant zum Anlass, eine Richtlinie zu erlassen. Er wies die fünf regionalen Polizeichefs an, alle Bewohner:innen von Wohnwagen in den Städten Amsterdam, Arnheim, Den Haag, Eindhoven, Groningen, Haarlem, Rotterdam und Utrecht in Sammellager zu überführen.
Am 1. Juli 1943 wurde dann ein Reiseverbot für Wohnwagen erlassen. Theoretisch drohte den Bewohner:innen von Wohnwagen, die sich nicht an das Gesetz hielten, die Deportation in ein Konzentrationslager wie Vught und die Beschlagnahmung ihres Wohnwagens. Praktisch wurden diese Maßnahmen aber nicht umgesetzt und die Kontrollen waren nicht sehr streng.
Die örtlichen Behörden entschieden, wer in den Sammellagern wohnen musste; Ausnahmen wurden für Schausteller:innen und Bauarbeiter:innen gemacht. Von den etwa 2 700 vorhandenen Wohnwagen wurden 1 163 in 27 große Sammellager umgesiedelt. Insgesamt entschieden sich mehrere Hundert Familien, in die Sammellager zu gehen. Andere, darunter Sinti:ze und Rom:nja, beschlossen, unterzutauchen, zogen in leer stehende Häuser, lagerten ihre Wohnwagen bei Bauern ein oder versteckten sich in Wäldern oder Höhlen. Verlassene Wohnwagen wurden auf Lagerplätze gebracht. In der Provinz Drenthe diente das Camp Westerbork als ein solches Lager. Die meisten Betroffenen versuchten, ein Leben in solchen Sammellagern zu vermeiden; im Juni 1944 gab es nur noch 400 Wohnwagen in Sammellagern.
Nach 1945
Nach der Befreiung gab es nur wenige Änderungen der Rechtsvorschriften für das Reisen mit Wohnwagen. Die Regierungspolitik zielte darauf ab, die Wohnwagen zu konzentrieren, indem regionale Wohnwagenzentren eingerichtet wurden. Diese Konzentration hatte zur Folge, dass Sinti:ze, Rom:nja und ‚Reisende‘ immer weniger in der Lage waren, ihre Berufe auszuüben.
Im Jahr 1977 änderte die Regierung ihre Politik in Richtung einer „Dekonzentration“, was die Einrichtung von kleinen Stellplätzen mit zehn bis fünfzehn Wohnwagen bedeutete. Im Jahr 1999 wurde das Wohnwagengesetz von 1918 außer Kraft gesetzt. Von diesem Zeitpunkt an verfolgten viele Gemeinden die Politik, die Wohnwagenstandorte „aussterben“ [„uitsterfbeleid“] zu lassen: Wenn die Bewohner:innen starben, verschwand der Standort. Im letzten Jahrzehnt haben Sinti:ze und Rom:nja auf nationaler und europäischer Ebene erfolgreich gegen diese Politik gekämpft. Die Umsetzung auf lokaler Ebene ist jedoch nach wie vor eine Herausforderung.