Milka Goman

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Milka Goman
  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 15. Februar 2024

Milka Goman wurde am 5. Juli 1920 in Čukovec (Ludbreg), Kroatien, geboren. Sie wuchs in einem größeren Familienverband auf, deren Angehörige die Nachnamen Goman oder Bogdan trugen, und die aus der Gegend von Varaždin, gelegen im nordöstlichen Kroatien, stammten. Ab Ende der 1920er-Jahre emigrierten sie nach Italien, wo einige Familienvorstände vergeblich versuchten, die italienische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Mehrere Runderlasse der faschistischen Regierung verbaten ausländischen Zigeunern den Eintritt in das italienische Staatsgebiet, wodurch ihnen faktisch auch der Zugang zur Staatsbürgerschaft verwehrt war.

Internierung in Bojano und Agnone

Gegen Ende der 1930er-Jahre gelang es einigen Angehörigen der Familien, sich gefälschte Dokumente zu verschaffen, die sie als italienische Staatsbürger:innen auswiesen. Manche erwarben Eigenheime und ließen sich in verschiedenen Regionen in Nord- und Mittelitalien nieder, andere dagegen übten weiterhin ein Wandergewerbe aus. Letztere wurden am 17. September 1940 in der Provinz Ferrara festgenommen und als italienische Zigeuner“ in der Ortschaft Berra bei Ferrara interniert. Später stellte sich heraus, dass sie jugoslawische Staatsbürger:innen waren, und auch die anderen Familienangehörigen, die in Italien lebten, wurden aufgespürt. Die ersten, die als jugoslawische Staatsbürger:innen festgenommen worden waren, kamen in das Konzentrationslager (campo di concentramento) Bojano und wurden dann im Laufe des Sommers 1941 in das Lager Agnone überführt. Dorthin wurden später weitere Angehörige, unter ihnen Milka Goman mit ihrem Mann Stefan Bogdan (1922–unbekannt) und dem nur wenige Monate alte Söhnchen Giovanni (geb. 1942), eingewiesen. Milka Gomans Familie war zusammen mit anderen in ihrem Haus in San Miniato verhaftet worden.

Zwischen 1941 und 1943 wurden im Lager Agnone etwa 45 Mitglieder der Familien Goman und Bogdan interniert. Milka Goman hat bei mehreren Gelegenheiten erzählt, wie sehr sie im Lager an Hunger gelitten hätten und wie hart die Lebensbedingungen für sie mit dem kleinen Kind gewesen seien. Im Winter 1942/43 verschlechterte sich die Lage noch mehr infolge der schweren wirtschaftlichen Krise Italiens.

Schwierige Lage ab September 1943

Ab Anfang August 1943 marschierten deutsche Truppen unter dem Vorwand in Italien ein, dem Bündnispartner bei der Abwehr des Vorstoßes der Alliierten beizustehen. Nach der Verkündung des Waffenstillstands (8. September 1943) besetzten sie das von den Alliierten noch nicht eroberte Gebiet. Entlang des Flusses Trigno, der wenige Kilometer von Agnone entfernt floss, machten sich die Deutschen daran, eine Verteidigungslinie gegen die Alliierten aufzubauen. In dieser schwierigen, verworrenen Situation drangen die Deutschen am 6. Oktober 1943 in das Kloster San Bernardino ein, wo sich das Konzentrationslager befand, und setzten die Internierten frei, die daraufhin in die Umgebung flohen. Das Gefecht am Trigno war besonders erbittert, und Agnone wurde am 9. und 10. November 1943 von den Alliierten befreit.

Hinter der Frontlinie

Die Familie von Milka Goman blieb hinter der Frontlinie, wie die Geburt ihres zweiten Kindes im Februar 1944 in Guardiafiera, in der Provinz Campobasso, bezeugt. Das dritte Kind, eine Tochter, kam 1946 in Macerata, in den Marken, zur Welt. Da sie immer noch nicht die italienische Staatsbürgerschaft erlangt hatten, beantragten Milka und Stefan Bogdan im Jahr 1949 die Registrierung als Flüchtlinge bei der International Refugee Organization (IRO) und erklärten, dass sie nicht nach Jugoslawien zurückkehren wollten. Es ist nicht bekannt, wie viele Jahre sie auf die italienische Staatsbürgerschaft warten mussten.

Aufarbeitung und Zeugenschaft

Nachdem die Internierung von Rom:nja und Sinti:ze in Italien lange Zeit verschwiegen worden war, brachte erst 2001 ein Essay von Francesco Paolo Tanzj das Thema an die Öffentlichkeit. Bedauerlicherweise hatte seine Forschungsarbeit eine begrenzte, lediglich lokale Verbreitung. Erst 2005 wurden die von Milka Goman gemachten Erfahrungen von einer Gruppe von Forschenden aufgenommen, die sich mit den prekären Wohnsituationen in den Vororten am Stadtrand von Rom befassten. Milka Goman wurde interviewt, als sie, zusammen mit anderen Familien in einer aus fünf oder sechs Wohnwagen bestehenden, „wilden Siedlung“ im römischen Viertel Testaccio lebte, aus dem sie 2007 gewaltsam von der Polizei entfernt wurden.1Stalker/On Campus Rom, AUTODIALOGO, 02.05.2017, https://issuu.com/altrimedia-edizioni/docs/campusrom_extract [Zugriff: 19.12.2022]. Die Forschenden, die dem Laboratorio Stalker angehörten, organisierten einen Besuch von Milka Goman in Agnone. 2013 nahmen die Enkelkinder von Milka Goman an einer Veranstaltung in Agnone teil, bei der eine Gedenktafel an dem Gebäude angebracht wurde, das früher als Konzentrationslager diente. Milka Goman starb am 18. März 2017 in der Toskana.

Einzelnachweise

Zitierweise

Paola Trevisan: Milka Goman, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 15. Februar 2024. -

1940
11. September 1940In Italien wird gegenüber Sinti:ze und Rom:nja mit „feststehender oder vermutlicher italienischer Staatsangehörigkeit“ die Internierung in Kommunen angeordnet.
17. September 1940Angehörige aus den Familien Goman und Bogdan werden in der Ortschaft Barra bei Ferrara, Italien, interniert. Über das Konzentrationslager (campo di concentramento) Bojano erfolgt im Sommer 1941 ihre Überführung in das Lager Agnone.
1943
8. September 1943Nach dem Sturz Benito Mussolinis am 25. Juli 1943 verhandelt die neue Regierung unter Marschall Pietro Badoglio mit den Alliierten. Der Waffenstillstand wird am 3. September 1943 unterschrieben und am 8. September bekannt gegeben. Am 10. September wird die Entlassung der „Staatsangehörigen eines Feindstaates“ aus den Konzentrationslagern (campi di concentramento) verordnet. Politisch Internierte und andere ‚Kategorien´ waren schon früher entlassen worden. „Zigeuner“ wurden nicht beachtet und kamen daher noch nicht frei.