Roma

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Roma
  • Version 1.0
  • Letztes Änderungsdatum 21. November 2023

Roma sind eine europäische Minderheit indischen Ursprungs, die aus verschiedenen Gemeinschaften wie Arlii, Bugurdži, Cale, Kalderaša, Lovara, Sinti oder Xaladytka, um nur einige zu nennen, besteht. Nach dem ersten Welt-Roma-Kongress, der vom 8. bis 12. April 1971 in der Nähe von London, Vereinigtes Königreich, stattfand, wurde „Roma“ als Selbstbezeichnung und Oberbegriff für alle Angehörigen der Minderheit diskutiert und setzte sich danach allmählich durch. Einige internationale Institutionen verwenden „Roma“ in diesem Sinne, was jedoch nicht alle Angehörigen der Minderheit befürworten.

Fahrende wie irische und englische Travellers sowie Jenische aus deutschsprachigen Ländern werden oft fälschlicherweise als „Roma“ bezeichnet, obwohl diese weder Herkunft noch Sprache oder Kultur mit Rom:nja teilen. Bei Roma war und ist nur ein sehr kleiner Teil fahrend.

Die Vorfahren der heutigen Rom:nja sind kurz vor der ersten Jahrtausendwende im europäischen Teil des Byzantinischen Reiches angekommen. Ihr langer Aufenthalt in griechisch sprachigen Regionen wird durch den Einfluss dieser Sprache auf die Sprache aller Rom:nja, das Romanes, bezeugt. Aus dem Byzantinischen Reich sind Rom:nja in alle Länder Europas ausgewandert. Im deutschsprachigen Raum leben Sinti:ze und Rom:nja seit Beginn des 15. Jahrhunderts, was oft zur Aussage führt, sie lebten seit 600 Jahren in Europa. Die Anzahl der Rom:nja in Europa wird vom Europarat auf 10 bis 12 Millionen Personen geschätzt.1Council of Europe. Estimate and Official Numbers of Roma in Europe. 2012. http://rm.coe.int/0900001680088ea9 [Zugriff 25.01.2024]. Genaue Angaben sind nicht möglich, da in Volkszählungen die ethnische Herkunft oft nicht erfasst wird.

Die heute in allen Ländern der Erde lebenden Rom:nja haben europäische Wurzeln. Einige Rom:nja wurden bereits ab dem 17. Jahrhundert nach Afrika und Amerika verschleppt.2Deportationen von Rom:nja nach Afrika sind bereits ab 1629 in Portugal nachgewiesen, nach Amerika ab dem 17. Jahrhundert aus Portugal, Spanien und vereinzelt aus Frankreich. Vgl. Foletier, Mille ans, 55–57. Andere wanderten nach der Aufhebung der Sklaverei in den rumänischen Fürstentümern Walachei und Moldau über Ost- und Westeuropa Anfang des 20. Jahrhunderts nach Amerika aus.

Rom / Roma, Romni / Romnja, Romani

Rom (Plural Roma) bedeutet auf Romanes Mann oder Ehemann, Romni (Plural Romnja) bedeutet Frau oder Ehefrau. Der Plural „Roma“ wird auf Romanes für alle Angehörigen der Minderheit verwendet. Diese Bezeichnungen werden aber nicht für „andere“ benutzt, sind also ausschließlich auf die eigene Community bezogen. Nicht-Roma werden generell als Gadže (Gadsche) bezeichnet. Es wird manchmal behauptet, Rom bedeutet „Mensch“, was nicht stimmt, da für „Mensch“ das aus dem Sanskrit stammende Wort „Manuš“ verwendet wird.

Romano (männlich), romani (weiblich) und romane (Plural) sind die Adjektiv-Formen zu Roma. Romano čhavo / šavo bedeutet Roma-Junge, während romani čhaj / šej ein Roma-Mädchen bezeichnet. Das Adverb romanes bedeutet „in Roma Art“, während das Substantiv Romanes die Sprache der Rom:nja bezeichnet. 

Es wird manchmal behauptet, die Bezeichnung „Roma“ sei ein Konstrukt, und dass dieses Konzept unter Rom:nja nicht existiere. Um diese Frage zu klären, muss man die Geschichte der sozialen Organisation der Roma verstehen. Traditionell stand die Familie im Zentrum, danach die Untergruppe und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Wenn sich Rom:nja treffen und Romanes sprechen, erübrigt sich die Frage, ob man Rom bzw. Romni ist. Ist der Dialekt unterschiedlich, so stellt man sich mit seiner Gruppenzugehörigkeit vor. Daher ist unter Rom:nja der Gebrauch von „Roma“ überflüssig.

Eine Ausnahme stellen Wlach Roma dar. Sie verwenden im Alltag auf Romanes „Roma“ als Beschreibung für alle zur eigenen Gruppe gehörenden Rom:nja. Für alle anderen Rom:nja wählen sie andere Worte; so nennen die zu den Wlach Rom:nja zählenden Lovara andere Rom:nja „Romungre“. Wenn ein solcher Rom auf Romanes sagt: „Ame sam Roma“, bedeutet dies, dass seine Gruppe aus rumänischen Ländern stammt, und nicht, dass er Rom im allgemeinen Sinne ist.

Das Wort „Gadžo“ oder „Gažo“ wird oft als „Nicht-Roma“ übersetzt, und manche Autor:innen leiten daraus ab, dass sich „Roma“ in Opposition zu Gadže definieren würden. Die Realität ist differenzierter. Gadžo bedeutet tatsächlich „nicht Roma“, bezieht sich aber nur auf den sozialen Nahbereich. Ein deutscher Rom wird zum Beispiel sagen, er kenne Gadže (hier: Deutsche) und Franzosen, oder dass er Gadžikanes (hier: Deutsch) und Französisch spreche. In beiden Fällen ist hier Gadžo als Einheimischer zu verstehen. Zudem werden Juden:Jüdinnen nicht als Gadže, sondern mit verschiedenen Namen, wie zum Beispiel „Bibolde“, bezeichnet. In balkanischen Ländern findet neben Gadže auch „Dasa“, von Sanskrit „Das“ [Sklave], Verwendung. Als Gadže wurden im Osmanischen Reich ausschließlich Muselman:innen bezeichnet, während „Das“ für die christliche Bevölkerung verwendet wurde.

Gemeinschaften als sozioökonomische Einheiten

Zwei Faktoren sind bei der Entstehung der Gemeinschaften von Bedeutung. Die Migration in ein anderes Land oder zumindest ein anderes Sprachgebiet ist einer davon. So sind zum Beispiel Polska Roma im 16. Jahrhundert aus dem deutschsprachigen Raum ausgewandert und haben sich in PolenLitauen niedergelassen. Von dort sind einige in die baltischen Staaten oder nach Russland migriert. Dadurch sind verschiedene, aber verwandte Gruppen entstanden. Der andere Faktor für die Ausdifferenzierung ist die berufliche Tätigkeit. Zum Beispiel betrieben die Arlii auf dem Balkan eher Handel, während Bugurdži (oder Kovači) als Stahl- und Waffenschmiede tätig waren.

Die Ausdifferenzierung kann aber auch durch eine Kombination dieser beiden Faktoren entstehen. Lovara und Kalderaša kommen ursprünglich beide aus dem Banat. Lovara waren Pferdehändler, die hauptsächlich mit der ungarischen Oberschicht verkehrten, während die Kalderaša, die als Kupferschmiede ihren Lebensunterhalt bestritten, eher mit der rumänischen dörflichen Bevölkerung in Kontakt waren. Hier gibt es daher sowohl eine sprachliche als auch eine sozioökonomische Verschiedenheit.

Es ist fast unmöglich, eine vollständige Liste der verschiedenen Gemeinschaften anzufertigen.3Hierzu Tcherenkov/Laederich, The Roma, 393–508. Diese Gruppen identifizieren sich unterschiedlich, sei es wegen ihrer Größe oder wegen neuerlicher Migrationen. Einige bevorzugen, sich mit dem Namen ihrer Vica beziehungsweise Untergruppe zu bezeichnen, wie dies speziell unter Lovara und Kalderaša der Fall ist. Manche Gruppen, wie die kroatischen oder estnischen Roma, wurden im Zweiten Weltkrieg fast vollkommen ausgerottet, mit wenigen Dutzenden Überlebenden. Hinzu kommt, dass viele Rom:nja, vorwiegend in Ungarn und Rumänien, sich nur noch als „Ciganý“ oder „Ţiganii“ bezeichnen und ihre Sprache weitgehend verloren haben. Heutzutage sind diese Gruppen bei Weitem nicht mehr endogam, und dadurch verlieren sie an Bedeutung, hauptsächlich in Westeuropa.

Die Gemeinschaften sind von verschiedener Größe. Die Balkan Arlii, zum Beispiel, sind eine der größten Gruppen mit mehr als einer Million Personen, verteilt über mehrere Länder. Andere Gruppen sind fast ausschließlich in einem Land vorhanden und klein, wie die lettischen (Lotfitka) Rom:nja mit circa 15 000 Personen. Sinti sind hauptsächlich im deutschsprachigen Raum beheimatet; Manouches, die überwiegend in französischsprachigen Gebieten leben, stammen von ihnen ab.

Aufgrund historischer und sprachlicher Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich die verschiedenen Gruppen in vier größere Einheiten klassifizieren. Es ist zu betonen, dass Gruppen sich kontinuierlich entwickeln und eine vollständige Aufzählung unmöglich ist. Hier werden die bekanntesten Gruppen aufgelistet, zusammen mit deren am häufigsten verwendeten Namen in der relativ standardisierten Romanes Schreibweise:

Balkan Roma (Arlii, Ashkali, Ägypter, Bessarabian Ursari, Bugurdži [auch Kovači genannt], Burgudži Parpuli, Drindari, Džambaša, Jerlides, Kalajdži, Kîrîmlîdes Prilep Arlii, Sepetčides, Thracean Kalajdži, Varna Kalajdži, Xoraxane), Karpatische Roma (Böhmische, Burgenland, Moravische, Slovakische und Nordungarische Roma, Plaščuni), Wlach Roma (Bejǎsa,Cerhara [auch unter Čergari bekannt], Čurara, Dirzara, Džambazi, Griechische Wlach, Gurbeti, Gurvara, Kalderaša, Laxora, Lingurari, Lovara, Mačvaja, Mašara, Patrinara, Rišaria, Rudari, Servi, Vlaxurja) sowie West-, Nord- und Nordöstliche Roma (Abruzzesi, Calabresi, Cale, Kale, Manouches, Lalere Kale, Lotfitka Roma, Polska Roma, Romanichal, Sinti, Tatare [Reisende], Volšenenge Kale, Xaladytka Roma).

Einzelnachweise

  • 1
    Council of Europe. Estimate and Official Numbers of Roma in Europe. 2012. http://rm.coe.int/0900001680088ea9 [Zugriff 25.01.2024].
  • 2
    Deportationen von Rom:nja nach Afrika sind bereits ab 1629 in Portugal nachgewiesen, nach Amerika ab dem 17. Jahrhundert aus Portugal, Spanien und vereinzelt aus Frankreich. Vgl. Foletier, Mille ans, 55–57.
  • 3
    Hierzu Tcherenkov/Laederich, The Roma, 393–508.

Zitierweise

Stéphane Laederich: Roma, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 1. November 2023. -

1971
8. – 12. April 1971Der erste Welt-Roma-Kongress findet in der Nähe von London, Vereinigtes Königreich, statt.