Das Wort „Jude“ (Plural „Juden“) oder „Jüdin“ (Plural „Jüdinnen“) bezeichnet Angehörige des Judentums und dient sowohl als religiöse als auch säkulare Selbstbezeichnung. Es geht auf das hebräische Wort „Yehudi“ für die Einwohner:innen des historischen Territoriums Judäa an der Ostküste des Mittelmeeres zurück. Ein anderes, heute bisweilen noch gebräuchliches Wort für Juden:Jüdinnen, das im napoleonischen Frankreich Anfang des 19. Jahrhunderts aufkam, lautet „Israeliten“. Zum Judentum gehört, wer gemäß der Halacha, den jüdischen Rechtsvorschriften, eine jüdische Mutter hat. Eine andere Ausdrucksweise dafür lautet, dass die Zugehörigkeit „matrilinear“ weitergegeben wird. Es ist auch möglich, zum Judentum zu konvertieren.
Die Selbstbezeichnung „Jude“ wurde historisch von Antisemiten immer wieder in ablehnender, herabsetzender Absicht verwendet. Prominentes Beispiel für diesen diffamierenden Gebrauch ist die Formulierung „Die Juden sind unser Unglück“, die der Historiker Heinrich von Treitschke (1834–1896) in seinem Aufsatz „Unsere Aussichten“ (1879) prägte, mit dem er den Berliner Antisemitismusstreit im Deutschen Kaiserreich auslöste und die später zur Losung des nationalsozialistischen antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“ wurde. Antisemitischen Vorstellungen von „Juden“, wie sie im Folgenden für die Zeit zwischen 1933 und 1945 dargestellt werden, ist immanent, dass sie jüdische Selbstverständnisse und Rechtsvorschriften außer Acht lassen.
Die nationalsozialistische Konstruktion von „Juden“
Zentrales Element der nationalsozialistischen Ideologie war eine aggressive Judenfeindschaft, die mit paranoiden Vorstellungen von jüdischer Macht und Bedrohlichkeit einherging. Bereits das Parteiprogramm der NSDAP von 1920 proklamierte in antisemitischer Weise, Juden:Jüdinnen seien weder „Staatsbürger“ noch „Volksgenossen“ und sollten einer besonderen Gesetzgebung unterliegen. Zugleich war in der nationalsozialistischen Bewegung durchaus umstritten, wer als „Jude“ zu gelten habe. Vertreter des kontagionistischen Antisemitismus gingen etwa davon aus, dass ‚arische‘ Sexualpartnerinnen von Juden ‚verseucht‘ seien und demgemäß auch mit nicht-jüdischen Partnern keine ‚arischen‘ Kinder mehr zeugen könnten. Demgegenüber standen antisemitische Perspektiven, die sich an zeitgenössischen ‚erbbiologischen‘ Befunden orientierten, denen zufolge die Idee der ‚Verseuchung‘ nicht haltbar war, und die die Kategorisierung von „Juden“ handhabbar gestalten wollten, insbesondere mit Blick auf die Erfordernisse staatlicher Verwaltung und Kontrolle.
Juden:Jüdinnen wurden ab 1933 in Deutschland und später auch in der nationalsozialistischen Einflusssphäre in Europa systematisch entrechtet und verfolgt. Die Zugehörigkeit zum Judentum wurde dabei in rassistischer Weise definiert. Es handelte sich um eine Fremdkategorisierung, die den Betroffenen übergestülpt wurde.
Die Definition von „Juden“ im Zuge der Nürnberger Gesetze
Mit den „Nürnberger Gesetzen“ vom 15. September 1935, dem „Reichsbürgergesetz“ und dem „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, galten Juden:Jüdinnen nicht länger als Deutsche mit allen damit verbundenen Rechten. Mit dem „Reichsbürgergesetz“ wurden zwei neue Kategorien geschaffen: „Reichsbürger“, also „Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes“, die „Träger der vollen politischen Rechte“ waren, sowie bloße „Staatsangehörige“. Juden:Jüdinnen fielen unter die letztgenannte Kategorie, sie wurden zu Staatsangehörigen zweiter Klasse. Mit dem „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ (auch „Blutschutzgesetz“) wurden Eheschließungen und außereheliche sexuelle Beziehungen zwischen Juden:Jüdinnen und Nichtjuden:jüdinnen untersagt.1Ebenso durften Juden:Jüdinnen nicht länger nichtjüdische weibliche Personen unter 45 Jahren in ihrem Haushalt beschäftigen. Zudem wurde Juden:Jüdinnen das Verwenden der Reichsflagge und der Hakenkreuzfahne sowie das Zeigen der Farbkombination Schwarz-Weiß-Rot verboten.
Mit der ersten Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ vom 14. November 1935 wurde außerdem in rassistischer Weise definiert, wer als „Jude“ zu gelten hatte – und wer als „Mischling“ angesehen wurde: „§ 2 […] (2) Jüdischer Mischling ist, wer von einem oder zwei der Rasse nach volljüdischen Großelternteilen abstammt […]. § 5 (1) Jude ist, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt. […] (2) Als Jude gilt auch der von zwei volljüdischen Großeltern abstammende staatsangehörige Mischling, a) der beim Erlaß des Gesetzes der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat oder danach in sie aufgenommen wird, b) der beim Erlaß des Gesetzes mit einem Juden verheiratet war oder sich danach mit einem solchen verheiratet, c) der aus einer Ehe mit einem Juden […] stammt, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre […] geschlossen ist, d) der aus dem außerehelichen Verkehr mit einem Juden […] stammt und nach dem 31. Juli 1936 außerehelich geboren wird.“2„DOK. 210 – Die erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November definiert den Begriff ‚Jude‘.“ In Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945 (Band 1), 521–523. Für die jüdische Bevölkerung Deutschlands hatten die Nürnberger Gesetze dramatische Folgen, legten sie doch die Grundlage für die vollkommene Entrechtung und Ausplünderung.3Siehe hierzu die Quellenedition VEJ: „DOK. 213 – Reisebericht vom 29. November 1935 über die dramatische Lage der jüdischen Bevölkerung nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze.“ In Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945 (Band 1), 527–534.
Im faschistischen Italien wurde die Zugehörigkeit zum Judentum im November 1938 in rassistischer Weise gesetzlich definiert; damit einher gingen etliche weitere antisemitische Gesetze und Verordnungen. Während des Zweiten Weltkrieges kam es in weiteren mit Deutschland verbündeten Staaten ebenfalls zu Rassegesetzen: Im Unabhängigen Staat Kroatien wurde 1941 ein Gesetz erlassen, das in Verfolgungsabsicht Juden definierte; ebenso wurde 1941 in Bulgarien und der Slowakei auf dem Gesetzes- bzw. Verordnungswege festgelegt, wer als Jude galt und entsprechend antijüdischen Maßnahmen unterlag.
Ab Mitte August 1938 wurden Juden:Jüdinnen in Deutschland gezwungen, als zweite Vornamen „Sara“ beziehungsweise „Israel“ auf amtlichen Schriftstücken zu führen; vom 19. September 1941 an unterlagen Juden:Jüdinnen in Deutschland ab dem 6. Lebensjahr einer Kennzeichnungspflicht und mussten einen gelben Stern („Judenstern“) tragen. Der Literatur- und Sprachwissenschaftler Victor Klemperer (1881–1960), ein Protestant, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft verfolgt wurde und maßgeblich aufgrund seiner seit 1906 währenden Ehe mit Eva Schlemmer (1882–1951), einer ‚arischen‘ Deutschen, die Zeit des Nationalsozialismus in Dresden überlebte, hat dieses Datum als „schwerste[n] Tag der Juden in den zwölf Höllenjahren“4Klemperer, LTI, 204. bezeichnet: „[…] nun aber war ich in jedem Augenblick für jeden kenntlich und durch die Kennzeichnung isoliert und vogelfrei […]“5Ebd., 206.. In den deutsch besetzten sowie annektierten Ländern Europas gab es zum Teil von einem Stern abweichende Kennzeichnungen. Im deutsch besetzten Polen, dem Generalgouvernement, wurden Juden:Jüdinnen, die über zwölf Jahre alt waren, ab dem 1. Dezember 1939 gezwungen, als stigmatisierendes Abzeichen eine weiße Armbinde mit blauem Davidstern zu tragen.
Shoah
In der Shoah verloren rund sechs Millionen Juden:Jüdinnen ihr Leben – in Gettos sowie Konzentrations– und Vernichtungslagern und weit mehr noch bei Massenerschießungen. Sie wurden durch Hunger, Krankheiten und bei Razzien, durch vielfache Gewalt, systematische Erstickung in Lagern, bei Erschießungen in Wäldern, an Stadträndern und auf Friedhöfen, durch Zwangsarbeit und Pogrome, bei medizinischen Experimenten und während der Deportationen ermordet. Ziel der systematischen nationalsozialistischen Mordpolitik im deutschen Machtbereich in Europa war die vollständige Auslöschung des Judentums. In den mit Deutschland verbündeten Staaten kam es zu einer jeweils eigenen judenfeindlichen Politik unterschiedlicher Intensität.
Antisemitische und antiziganistische Verfolgung 1933–1945
Die Verfolgung und Ermordung der Juden:Jüdinnen zwischen 1933 und 1945 ereignete sich parallel zur nationalsozialistischen Verfolgung und Ermordung der Sinti:ze und Rom:nja. Sie wurden in ähnlicher Weise rassistisch kategorisiert, beide Verfolgtengruppen betreffende Verbrechen, wie Massenerschießungen, fanden teilweise an identischen Tatorten und durch identische Täter statt. Für Sinti:ze und Rom:nja galten ebenfalls die Nürnberger Gesetze, sodass auch sie ihre politischen Rechte verloren und einem Verbot der Eheschließung mit ‚arischen‘ Deutschen unterlagen. Ari Joskowicz (geb. 1975) hat in seiner Studie „Rain of Ash: Roma, Jews, and the Holocaust“ auf die mannigfaltigen, auch räumlichen Verbindungen zwischen der antisemitischen und antiziganistischen Verfolgung im Zeitraum von 1933 bis 1945 hingewiesen. So existieren zahlreiche Zeugnisse antisemitisch Verfolgter, in denen der Völkermord an den Sinti:ze und Rom:nja berührt wird. Dazu gehören etwa die Tagebücher von Abraham Sutzkever (1913–2010) und Adam Czerniaków (1880–1942).
Judentum in der Gegenwart
Weltweit leben heute rund 15 Millionen Juden:Jüdinnen. Dazu gehören die Mizrachim aus dem Nahen Osten, Asien und Afrika, weiterhin sefardische Juden:Jüdinnen, also die Nachkommen derjenigen, die Ende des 15. Jahrhunderts von der iberischen Halbinsel vertrieben wurden und sich beispielsweise in Nordwestafrika niederließen. Als Aschkenasim bezeichnen sich mittel-, nord- und osteuropäische Juden:Jüdinnen, von denen viele im Zuge der NS-Verfolgung beispielsweise in die USA und nach Südamerika flohen oder heute in Europa oder auch in Israel leben.
Es gibt eine große Vielfalt jüdischer Stimmen, Perspektiven und Lebensentwürfe. Entsprechend gibt es auch Debatten um das Prinzip der Matrilinearität und den Umgang damit. Zu diesem Sachverhalt werden von Angehörigen des liberalen sowie Reformjudentums und des konservativen sowie orthodoxen Judentums unterschiedliche Positionen vertreten. Gelegentlich kommt es davon unabhängig zu Fällen von Aneignungen jüdischer Identität, in denen Einzelne eine Zugehörigkeit zum Judentum behaupten, ohne konvertiert zu sein oder jüdische Vorfahren zu haben.
Juden:Jüdinnen sind weiterhin anhaltend mit Antisemitismus konfrontiert. Dieser ist auch mit anderen Ideologien, etwa Antifeminismus und Rassismus, verschränkt, sodass für Juden:Jüdinnen eine Mehrfachbetroffenheit von Diskriminierung bestehen kann. Zu denken ist hier etwa an die Erfahrungen mit Antisemitismus und Rassismus von Schwarzen Juden:Jüdinnen und von jüdischen Zugewanderten, die aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland kamen. Vivien Laumann und Judith Coffey haben darauf aufmerksam gemacht, dass Juden:Jüdinnen heute zudem in nichtjüdischen Räumen oftmals nicht mitgedacht und mit stereotypen Zuschreibungen konfrontiert werden.
Auch die Selbstbezeichnung „Jude“ ist häufig in feindseliger, abwertender Absicht gebräuchlich. So wird sie auf Schulhöfen oder in den Sozialen Medien von Nichtjuden:jüdinnen als Schimpf- und Schmähwort verwendet. Eine populäre Variante antisemitischer Agitation findet sich zudem in der diffamierenden Verwendung der politischen Selbstbezeichnung „Zionist“ bzw. „Zionistin“ als Synonym für alle Juden:Jüdinnen.
Wichtig ist zu betonen, dass Antisemitismus und die in diesem Zusammenhang erfolgende Verwendung der Selbstbezeichnung „Jude“ als Schimpfwort nie etwas mit den Menschen zu tun haben, die sich selbst als Juden:Jüdinnen verstehen. Antisemitismus sagt nichts über jüdisches Leben, jüdische Erfahrungen, Religion oder Tradition aus. Er ist Ausdruck der Verfasstheit der jeweiligen Mehrheitsgesellschaften.