Otto Ohlendorf

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Otto Ohlendorf
  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 24. Februar 2025

Otto Ohlendorf wurde am 4. Februar 1907 in Hoheneggelsen, Deutschland, in der Nähe von Hannover geboren. Er war SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei und als Leiter der Einsatzgruppe D von 1941 bis 1942 verantwortlich für den Mord an über 90 000 Menschen im Süden der besetzten Sowjetunion, darunter die jüdische und krimtschakische (eine auf der Krim ansässige Minderheit jüdischen Glaubens) Bevölkerung sowie Rom:nja.

Werdegang

1925 trat Ohlendorf noch als Gymnasiast in die NSDAP sowie in die SA (Sturmabteilung) ein und gründete kurze Zeit später die erste Hitler-Jugend Organisation seiner Heimatstadt. 1927 folgte sein Eintritt in die SS (Schutzstaffel). Sein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften führte Ohlendorf nach Leipzig und Göttingen, bevor er nach seinem Abschluss 1931 als Stipendiat an die Universität Pavia nach Italien ging.

Ab 1933 war Ohlendorf beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel beschäftigt, folgte jedoch bereits ein Jahr später wegen Zerwürfnissen mit Parteimitgliedern seinem Vorgesetzten, dem Nationalökonom Jens Jessen (1895–1944), nach Berlin. Dort wechselte er einige Jahre später in den Sicherheitsdienst (SD) des Reichsführers-SS Heinrich Himmler (1900–1945). Hier stieg er mit der Gründung des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) im Jahr 1939 zum Chef des Amts III (SD Inland) auf, wo er unter anderem für die sogenannten „Meldungen aus dem Reich“ verantwortlich war, in denen ab Beginn des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1939 Berichte zur Stimmungslage der deutschen Bevölkerung gesammelt wurden.

Chef der Einsatzgruppe D

Ein Großteil des Führungspersonals der Einsatzgruppen, die kurz vor dem Überfall auf die Sowjetunion aufgestellt wurden, stammte aus dem RSHA. Ohlendorf wurde zum Chef der Einsatzgruppe D ernannt. Diese Position behielt er für ein Jahr, von Juni 1941 bis Juli 1942, bevor er von SS-Brigadeführer und Generalmajor Walther Bierkamp (1901–1945) abgelöst wurde. Während des Krieges in der Sowjetunion sollten die Einsatzgruppen als mobile Einheiten zur schnellen Bekämpfung vermeintlicher sicherheitspolitischer Gegner:innen im Rücken der Front operieren. In der Praxis bedeutete das die Ermordung von jüdischen Menschen, Rom:nja, Kommunist:innen, Partisan:innen, sogenannten „Asozialen“ sowie Kranken und körperlich oder geistig behinderten Menschen. Die Operationsgebiete der vier Einsatzgruppen (A, B, C, D) orientierten sich nach den Armee- und Heeresgebieten, waren der Wehrmacht aber nur logistisch unterstellt. Zusammen mit der 11. Armee war Ohlendorfs Einsatzgruppe D in der Bukowina, der südlichen Ukraine und der Krim eingesetzt. Im Sommer 1942 wurde sie im Gefolge der Heeresgruppe A in den Kaukasus verlegt.

Systematischer Mord an Rom:nja

Während in anderen besetzten sowjetischen Gebieten die systematische Ermordung der Rom:nja 1942 einsetzte, lässt sich für das Gebiet der Krim – dem Wirkungsfeld der Einsatzgruppe D und damit im Verantwortungsbereich Ohlendorfs – bereits ab 1941 ein systematischer Genozid nachweisen. Ohlendorf erstellte regelmäßig Berichte der Mordaktionen, die täglich als „Ereignismeldungen UdSSR“ und ab Mai 1942 wöchentlich als „Meldungen aus den besetzten Ostgebieten“ zur Kenntnis dem nationalsozialistischen SS- und Polizeiapparat und anderen Stellen des Reiches in Umlauf gebracht wurden.

Die ersten Massenerschießungen von sowjetischen Rom:nja verübten Ohlendorfs Einheiten im Herbst 1941 im Gebiet von Nikolaev (ukrainisch: Mykolaïv). Von Beginn an wurde keine Unterscheidung zwischen sesshaften und ‚nicht-sesshaften‘ Rom:nja getroffen und ausnahmslos Männer, Frauen und Kinder ermordet.

Im November 1941 erreichte die Einsatzgruppe D Simferopol’, die Hauptstadt der Sowjetrepublik Krim. Dort verübten die Mitglieder der Einsatzgruppe im Dezember ein Massaker, bei dem wohl die größte Zahl sowjetischer Rom:nja ermordet wurden. Der Hergang dieser Aktion ist nur durch Ohlendorfs Adjutanten Heinz Hermann Schubert (1914–1987) überliefert, der als Angeklagter im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess 1947/48 aussagte. Laut Schubert wurden die Menschen am 9. Dezember 1941 gruppenweise aus dem Viertel der Rom:nja mit Lastwagen an den Rand der Stadt gefahren. Am Ort der Hinrichtung wurden ihnen alle Wertsachen abgenommen. Anschließend erschossen Mitglieder der Sonderkommandos 10a und 11b der Einsatzgruppe D die Menschen. Daneben fanden auch Tötungsaktionen etwa in Kerč’ (ukrainisch: Kerč) und Evpatorija (ukrainisch: Jevpatorija) statt. Auch in diesen Fällen wurde ein ähnliches Vorgehen angewendet. Laut Ereignismeldungen der Einsatzgruppen vom 9. und 19. Januar 1942 ging Ohlendorf ab diesem Zeitpunkt davon aus, dass es keine jüdische, krimtschakische und Rom:nja-Bevölkerung auf der Krim mehr gäbe. Über tausend Rom:nja, schätzungsweise 30 Prozent, überlebten jedoch die deutsche Besatzung der Krim. Grund dafür waren die Schwierigkeiten der Besatzer, Rom:nja zu identifizieren, sowie die Solidarität einiger Krimtatar:innen, welche die muslimischen Rom:nja zu schützen versuchten. Dennoch wird anhand der Ereignismeldungen, die kontinuierlich Erschießungen von Rom:nja durch die Einsatzgruppe D verzeichneten, das Ausmaß von Ohlendorfs Verantwortung deutlich.

Entgegen Ohlendorfs späterer Behauptung kann ein expliziter Befehl zum Mord an den sowjetischen Rom:nja bei der Aufstellung der Einsatzgruppen im Sommer 1941 nicht vorgelegen haben. Befehlsgebungen erfolgten vielmehr nach und nach, als das Morden bereits begonnen hatte. Dies verweist nochmals auf das eigenverantwortliche Handeln Ohlendorfs. Auch die Rolle der Ereignismeldungen ist vor diesem Hintergrund einzuordnen: Mit ihnen konnte nicht nur das Bedürfnis nach Selbstdarstellung und Rückversicherung der Angehörigen der Einsatzgruppen vor Ort befriedigt werden. Die in den Ereignismeldungen aufgeführten Morde an den sowjetischen Rom:nja durch die Einsatzgruppe D bildeten gewissermaßen auch Praxisbeispiele, denen andere Einheiten folgen konnten.

Zurück in Berlin setzte Ohlendorf seine Tätigkeiten als Chef des Amtes III im RSHA fort. 1943 stieg er im Reichswirtschaftsministerium zum stellvertretenden Staatssekretär auf.

Prozess und Verurteilung

Kurz vor Kriegsende floh Ohlendorf nach Flensburg. Dort wurde er von britischen Einheiten festgenommen. Von Anfang an zeigte sich Ohlendorf dazu bereit, ausführlich auszusagen. Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945–1946 schockierte er mit seinen freimütigen Schilderungen der Mordtaten im Süden der besetzten Sowjetunion. Doch erst der Fund der Ereignismeldungen durch das Team des US-amerikanischen Juristen und späteren Chefanklägers Benjamin Ferencz (1920–2023) führte dazu, dass ein Prozess gegen Mitglieder der Einsatzgruppen selbst initiiert wurde.

1947 bis 1948 mussten sich Ohlendorf und 23 weitere führende Angehörige der Einsatzgruppen im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen sowie wegen der Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation vor einem amerikanischen Militärgericht (Nuremberg Military Tribunal) verantworten. Die Verfolgung und Ermordung der Romn:ja in den besetzten Gebieten der Sowjetunion standen zwar nicht im Mittelpunkt des Prozesses, wurden jedoch durchaus thematisiert.

Die Angeklagten, insbesondere Ohlendorf, versuchten, die Ermordung der Rom:nja mit bekannten antiziganistischen Ressentiments, etwa dem Vorwurf der Spionage sowie einem angeblich eindeutigen „Führerbefehl“ (also einem Befehl Adolf Hitlers (1889–1945)) zu rechtfertigen und den Morden so den Anschein von militärischer und sicherheitspolitischer Notwendigkeit zu geben. Das Gericht ließ sich davon nicht täuschen. Otto Ohlendorf wurde zum Tode verurteilt und am 7. Juni 1951 in Landsberg am Lech hingerichtet.

Zitierweise

Lara Raabe: Otto Ohlendorf, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 24. Februar 2025.-

1941
22. Juni 1941Deutschland überfällt die Sowjetunion und stößt mit seinen Truppen bis Ende des Jahres bis kurz vor Moskau vor.
September – Oktober 1941In dem Gebiet um Nikolaev, deutsch besetzte Sowjetunion, werden Rom:nja von Angehörigen der Einsatzgruppe D erschossen.
9. Dezember 1941In Simferopol’, deutsch besetzte Sowjetunion, finden Massenerschießungen von Rom:nja statt.
29. – 30. Dezember 1941In Kerč’, deutsch besetzte Sowjetunion, werden Rom:nja verhaftet und von Angehörigen der Einsatzgruppe D ermordet.
1945
8. Mai 1945Mit der auf den 8. Mai datierten, am 9. Mai in Berlin-Karlshorst unterzeichneten Kapitulation enden der Zweite Weltkrieg und das nationalsozialistische Regime in Deutschland.
20. November 1945In Nürnberg, Deutschland, beginnt vor dem Internationalen Militärgerichtshof der Alliierten der Prozess gegen 24 Hauptkriegsverbrecher und sechs verbrecherische Organisationen des deutschen NS-Regimes (Nürnberger Prozess). Er dauert bis zum 1. Oktober 1946.
1947
15. September 1947In Nürnberg, Deutschland, beginnt der Einsatzgruppenprozess gegen 24 ehemalige SS-Männer, die für Verbrechen in der von Deutschland besetzten Sowjetunion während des Zweiten Weltkrieges maßgeblich verantwortlich waren.
8. Oktober 1947Otto Ohlendorf, ehemaliger Leiter der Einsatzgruppe D der Sicherheitspolizei und des SD, wird im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess (Fall 9) über Massenmorde an Rom:nja verhört.