Helena Czerwieniak, geborene Siwak, wurde am 1. Mai 1940 in Krynica, Kreis Nowy Sącz, Polen, geboren, das zu dieser Zeit deutsch besetzt war. Ihre Mutter Maria Siwak (unbekannt–1940), die bei der Geburt starb, und ihr Vater Asafan Czerwieniak (1912–1943) waren polnische karpatische Rom:nja. Die Gemeinschaft lebte im multiethnischen Karpatenvorland.
Vor dem Zweiten Weltkrieg besaßen karpatische romani Familien in der Regel kleine Häuschen mit Grundstücken und übten verschiedene Handwerke aus, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie arbeiteten als Schmiede, brachen Steine für den Straßenbau und traten als Musiker:innen bei verschiedenen Veranstaltungen auf, unter anderem zur Unterhaltung von Kurgästen in Krynica und bei Bauernhochzeiten.1Bartosz, Nie bój się Cygana. Na dara Romestar [Fürchte dich nicht vor den Roma], 94 f.
Ermordung des Vaters
Anfang 1943 wurde Asafan Czerwieniak verhaftet und ins Gefängnis von Tarnów gebracht. Mit einem von der Sipo (Sicherheitspolizei) und dem SD (Sicherheitsdienst) organisierten Transport aus Krakau, der 1 992 Personen umfasste, wurde er in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Die Deportierten erreichten Auschwitz am 28. Januar 1943,2Piper and Strzelecka, Księga pamięci, 1639. und Asafan Czerwieniak wurde unter Häftlingsnummer 95236 registriert.3Asafan Czerwieniak, Auschwitz-Häftling Nr. 95236, https://ofiary.auschwitz.org/victims/51883 [abgerufen am: 17.06.2025].
Am 16. Februar 1943 wurde er im sogenannten „Bunker” in Block 11 inhaftiert; er gehörte zu einer Gruppe von zwölf Häftlingen, die verdächtigt wurden, eine Flucht vorzubereiten.4Archiv des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau (polnisch: Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, APMO), D-AuI-1/109, Bunkerregister, S. 122–26, zitiert nach Czech, Auschwitz Chronicle, 332 f. Drei Tage später, am 19. Februar 1943, wurde er vor der „Todeswand” im Hof von Block 11 von einem Erschießungskommando ermordet. Unter den 14 Männern, die an diesem Tag erschossen wurden, befanden sich drei weitere Roma: Józef Mirga (Nr. 95268) (1913–1943), Władysław Szczerba (Nr. 95312) (1922–1943) und Władysław Olszewski (Nr. 95300) (1912–1943).5Informationen zur Hinrichtung aus „Mężczyźni – transport z 28 stycznia 1943”, https://ofiary.auschwitz.org/transports/767 [Zugriff: 17.06.2025].
Die Geschichte dieser vier Männer zeigt, dass sich bereits vor der Umsetzung des berüchtigten Auschwitz-Erlasses, der ab dem 26. Februar 1943 zur Einweisung tausender Rom:nja in den Lagerabschnitt BIIe führte, Roma als Häftlinge im Lager befanden.
Überleben
Das Waisenkind Helena Siwak überlebte dank der Hilfe seines Großvaters Sawko Bladycz und von Pelagia Siwak, deren biografische Daten unbekannt sind. Das Ehepaar, das in der Stadt Powroźnik lebte, nahm sich des kleinen Mädchens zusammen mit 14 anderen romani Waisenkindern an, deren Eltern nach Auschwitz deportiert worden waren.
Nach dem Krieg wurde Helena Siwak von zwei Überlebenden adoptiert, Jan Czerwieniak (1898–1977) und seiner Frau Maria Czerwieniak (1895–1966), die beide von deutschen Ärzten sterilisiert worden waren und daher keine Kinder bekommen konnten.
Umsiedlung
1947 wurden Helena Siwak und ihre Adoptiveltern zusammen mit etwa 120 anderen karpatischen Rom:nja aus dem Kreis Nowy Sącz, die die Verfolgung während des Nationalsozialismus überlebt hatten, zwangsweise in die sogenannten Ziemie Odzyskane [wiedergewonnene Gebiete] umgesiedelt. Dabei handelte es sich um ehemalige deutsche Gebiete, die Teil Polens geworden waren. Diese Umsiedlung erfolgte im Zusammenhang mit einer Militäroperation namens Akcja Wisła [Operation Weichsel], die von der Volksrepublik Polen durchgeführt wurde und darauf abzielte, Tausende Ukrainer:innen aus dem Südosten Polens in den Nordwesten des Landes umzusiedeln.
Zunächst wurden die Rom:nja nach Paźdźiorno [Deutsch: Pohlsdorf] transportiert, später nach Lutynia (Leuthen) und Żródła (Borne). Bis 1954 lebten Helena Siwak und ihre Adoptiveltern in Żródła, wo sie ihren Lebensunterhalt mit der Bewirtschaftung ihres eigenen Hofes bestritten.
Da Helena Siwak ihre Zeit mit dem Hüten von Kühen verbrachte, anstatt zur Schule zu gehen, wurde sie ihren Adoptiveltern weggenommen und vorübergehend in einem Waisenhaus in Małkowice untergebracht, bevor sie in ein anderes Waisenhaus in Biskupiec Reszelski in der Nähe von Olsztyn verlegt wurde. Dort lebte sie vier Jahre und absolvierte eine Ausbildung zur Schneiderin. Die Adoptiveltern zogen nach Środa Śląska [Neumarkt, Schlesien].
1959 heiratete Helena Siwak Jan Czerwieniak (1936–2013), einen Witwer mit zwei Söhnen, und bekam später drei Kinder. Von 1966 bis zu ihrer Pensionierung waren sie und ihr Mann – wie andere Rom:nja auch – als Arbeiter:innen bei den Stadtwerken in Środa Śląska beschäftigt. Bis zum Tod von Jan Czerwieniak im Jahr 2013 lebten sie in bescheidenen Verhältnissen.6Interview mit Helena Czerwieniak (geb. 1940, Krynica, Polen) am 20. Dezember 2024, Środa Śląska, Polen, Interviewerin: Justyna Matkowska; Prezydium Powiatowej Rady Narodowej w Środzie Śląskiej. Informacja, wykazy i sprawozdania dotyczące ludności cygańskiej zamieszkującej na terenie powiatu [Präsidium des Kreisnationalrats in Środa Śląska. Informationen, Verzeichnisse und Berichte über die im Kreisgebiet lebende romani Bevölkerung], 1962/73.
Zeugenschaft
Wie viele andere romani Überlebende sprach Helena Czerwieniak kaum über ihre Erlebnisse während des Krieges. Dies gilt gleichermaßen für diejenigen, die nach dem Krieg in Westpolen, darunter Niederschlesien, Schlesien, die Woiwodschaft Oppeln und andere Gebiete, umgesiedelt wurden. Es traf auch auf Rom:nja zu, die später aus wirtschaftlichen Gründen nach Krakau und Nowa Huta zogen, sowie auf diejenigen, die in der Karpatenregion verblieben.7Siehe Bartosz, Nie bój się Cygana, 94.
Die geringe Anzahl der Rom:nja, die die Verfolgung während des Nationalsozialismus überlebt hatten, sowie die Tatsache, dass viele von ihnen ungebildet waren, Angst vor dem Kommunismus hatten und mit Armut und weit verbreiteter Ablehnung gegenüber Rom:nja konfrontiert waren, führen dazu, dass unser Wissen über ihr Leiden während des Völkermords sehr lückenhaft ist. Erst 2024 sprach Helena Czerwieniak in einem Interview über ihr Leben, um auf die Verfolgung und Ermordung der karpatischen Rom:nja aufmerksam zu machen.