In der Tschechoslowakei wurde am 14. Juli 1927 das Gesetz Nr. 117/1927 Slg. über „umherziehende Zigeuner” erlassen. Es sah eine Vielzahl repressiver Maßnahmen gegen die Zielgruppe vor, darunter eine Sonderregistrierung mit der Erfassung anthropometrischer Merkmale und Fingerabdrücken sowie Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit, die in der Tschechoslowakei ansonsten gesetzlich geschützt war. Die von diesem Gesetz betroffenen Personen erhielten spezielle Ausweise und benötigten eine Sondergenehmigung, um einem Wandergewerbe nachgehen zu können.
Das Gesetz verbot auch das Reisen in Gruppen, denen Personen angehörten, die nicht in direkter Linie verwandt waren, und legte fest, dass für die Übernachtung einer Gruppe oder einer Einzelperson in einer Ortschaft grundsätzlich die Genehmigung des Bürgermeisters erforderlich war. Medizinische Untersuchungen und Messungen konnten von den staatlichen Behörden jederzeit angeordnet werden, und Kinder unter 18 Jahren konnten in staatliche Einrichtungen verbracht werden, wenn ihre Eltern die Polizei nicht davon überzeugen konnten, dass sie „angemessen” für sie sorgten.
Die Zielgruppe
Die Zielgruppe „umherziehende Zigeuner” wird im Gesetz definiert als „Zigeuner, die von Ort zu Ort ziehen, und andere Vagabunden, die Arbeit verabscheuen und in zigeunerischer Weise leben, in beiden Fällen auch dann, wenn sie einen Teil des Jahres – insbesondere im Winter – einen festen Wohnsitz haben”. In der Begründung des Gesetzes wurde ausdrücklich festgestellt, dass die Bestimmungen nicht für „sesshafte Zigeuner“ gelten sollten, die „ihren Lebensunterhalt durch regelmäßige Arbeit, Handel, Gewerbe oder andere zulässige Mittel verdienen“. Diese Definition schloss zwar eine legalisierte Verfolgung aus „rassischen“ Gründen aus, doch war das vorherrschende Verständnis von „Zigeunern“ in der Tschechoslowakei rassistisch geprägt.
Im Jahr 1924 hatten die tschechoslowakischen Behörden Versuche abgelehnt, ein Gesetz einzuführen, das auf dieselben sozialen Verhaltensweisen abzielte wie das Gesetz Nr. 117/1927. Sie argumentierten, dass es im Widerspruch zu internationalen Verträgen und der tschechoslowakischen Verfassung stehe, die eine rechtliche Diskriminierung aufgrund von „Rasse, Sprache und Religion“ ausschloss, da „Zigeuner“ „unbestreitbar eine Rasse“ seien. Diese Ansicht wurde sowohl von den Gegnern als auch von den Befürwortern des Gesetzes Nr. 117/1927 geteilt, als es im Parlament diskutiert wurde.
Die Diskussion spiegelte jedoch auch eine erhebliche Bereitschaft wider, die Forderungen nach einer besonderen Behandlung der „umherziehenden Zigeuner” – die sich im Allgemeinen auf Maßnahmen zur Zwangsassimilation konzentrierten – auch auf andere Gruppen, nämlich Arbeitslose oder kommunistische Arbeiter:innen, auszuweiten. Von einem strengen „Rassenprinzip“ wurde auch dadurch abgewichen, dass einerseits alle vorgeschlagenen Maßnahmen auf Assimilation abzielten, andererseits aber die Kennzeichnung als „Zigeuner“ in der Tschechoslowakei durch den Nachweis sozialer Anpassung, d. h. durch eine überzeugende Selbstdarstellung als „ehrlich“ und damit „nicht-zigeunerisch“, umgangen werden konnte.
Entscheidungsgrundlage für Deportationen
Im Protektorat Böhmen und Mähren diente das Gesetz Nr. 117/1927 als Ausgangspunkt für die Erfassung von „Zigeunern” am 2. und 3. August 1942, die schließlich zur Deportation von etwa 3 400 Männern, Frauen und Kindern in die „Zigeunerlager” Lety bei Pisek und Hodonin bei Kunstadt führte. Die Ergebnisse dieser Erfassung dienten auch als Grundlage für die Entscheidung, wer in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert werden sollte.
Aufhebung 1950
Nach dem Krieg blieb das Gesetz noch etwa fünf Jahre lang in Kraft. Es wurde am 1. August 1950 mit dem Erlass des neuen Strafgesetzbuches für die Tschechoslowakei (Gesetz Nr. 88/1950) offiziell aufgehoben.