Héreg

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Héreg
  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 24. April 2025

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges, am 6. Januar 1945, wurden zwei Familien der Rom:nja in dem Dorf Héreg im Komitat Komárom-Esztergom im nördlichen Ungarn von Angehörigen der SS (Schutzstaffel) ermordet.

Rom:nja in Héreg

Nach der Volkszählung von 1930 hatte Héreg 1 358 Einwohner:innen. In der Erhebung über die Zigeuner-Bevölkerung des Komitats von 1932 werden die örtlichen Familien der Rom:nja nicht erwähnt. „Zigeuner“wurden von den Statistikern der damaligen Zeit in erster Linie als soziale Kategorie betrachtet, im Falle der Dorfbevölkerung vor allem als eine soziale Gruppe unterhalb der Bauernschaft. Musiker:innen aus der Gruppe der Rom:nja wurden hingegen in der Regel als Teil der lokalen Gesellschaft angesehen. Vermutlich aus diesem Grund wurden die Musikerfamilien von Héreg in den zeitgenössischen Statistiken meist nicht als „Zigeuner“ erfasst.

Den erhaltenen Aufzeichnungen zufolge lebten diese Familien bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in dem Dorf, und zwar in dem als „Cigányhegy“ [Zigeunerberg] bekannten Teil des Dorfes. In der Statistik und in den Personenstandsregistern stand neben ihren Namen in der Regel der Eintrag Újmagyar [Neu-Ungarisch]. Die Männer arbeiteten meist als Musiker, die Frauen manchmal als Tagelöhnerinnen.

Sich verschiebende Fronten

Ende 1944 und Anfang 1945 bewegte sich die Front um das Dorf Héreg hin und her. Nach dem deutschen Einmarsch in Ungarn wurden zunächst deutsche Soldaten in dem Dorf einquartiert, dann tauchten ungarische Pfeilkreuzler dort auf. Am 26. Dezember 1944 marschierten sowjetische Truppen in Héreg ein. Am 2. Januar 1945 bombardierten deutsche Flugzeuge das Dorf, wodurch zivile Opfer zu beklagen waren. Am 3. Januar besetzten die Deutschen Héreg erneut. Danach wurden alle Jungen über 14 Jahren von den Pfeilkreuzlern eingezogen und nach Deutschland verschleppt.

Als die Rote Armee Ende 1944 Héreg besetzte, versteckten sich einige der fliehenden deutschen Soldaten im nahegelegenen Wald. Einer von ihnen ging in das Dorf, um Lebensmittel zu besorgen. Er bat zwei einheimische Familien der Rom:nja um Hilfe. Die sowjetischen Soldaten nahmen den deutschen Soldaten daraufhin im Dorf gefangen. Er wurde an den Beinen an einen Lastwagen gebunden und durch das Dorf geschleift. Nach der Rückeroberung des Dorfes am 6. Januar brachten die Deutschen alle Mitglieder dieser beiden Familien der Rom:nja, Erwachsene und Kinder, in die örtliche römisch-katholische Schule.1 Csík, Krónika Héregről, 79 f. Mihály Sárközi (unbekannt–1945), der im Dorf als „Törü“ bekannt war, und Jenő Sárközi (unbekannt–1945) versuchten, in den Wald zu fliehen, wurden aber auf der Flucht erschossen. Die anderen wurden im Schulgarten hingerichtet. Insgesamt wurden zehn Rom:nja ermordet, die beschuldigt wurden, den Soldaten an die Russen ausgeliefert zu haben, ebenso wie János Tvarosek (unbekannt–1945), der damals für die sowjetischen Soldaten gedolmetscht hatte. Es existiert auch eine Version der Geschichte, die im Gedächtnis der Dorfbewohner bewahrt wird und besagt, die beiden Familien der Rom:nja hätten einen verwundeten sowjetischen Soldaten aufgenommen. Aus diesem Grund seien sie von Mitgliedern der SS erschossen worden, während János Tvarosek für seine Hilfe für die romani Opfer erschossen worden sei.2 Bársony Samudaripen – Romák sorsa a holokauszt idején 3, 134; Rede von János Bársony anlässlich der Umbettung der Opfer am 5. Januar 2025.

Die Opfer

Da der Massenmord nicht von ungarischen Soldaten oder Gendarmen, sondern von SS-Truppen begangen wurde, kam es später nicht, wie in anderen Fällen in Ungarn, zu einer Strafverfolgung. Dementsprechend ist es nicht möglich, die Ereignisse anhand von Prozessakten zu rekonstruieren, und abgesehen von den Totenscheinen sind keine weiteren Dokumente über die Morde erhalten geblieben.

Laut den Totenscheinen fanden die Morde am 6. Januar 1945 gegen 17.30 Uhr statt. Die Mitglieder von zwei Familien wurden von SS-Soldaten ermordet; das älteste Opfer war 40 Jahre alt, das jüngste zwei. Die deutschen Soldaten exekutierten den 40-jährigen Mihály „Törü“ Sárközi (s. o.), seine 38-jährige Frau Julianna Sárközi, geborene Rováts, und ihre 19-jährige Tochter Julianna Sárközi. Ebenfalls hingerichtet wurden der 38-jährige Mihály Sárközi, seine 36-jährige Ehefrau Franciska Sárközi, und ihre Kinder: die 18-jährige Jenő, die 17-jährige Erzsébet, die 14-jährige Ibolya, der fünfjährige Dezső und der zweijährige Mihály jr.

Alle Einwohner:innen von Héreg haben während des Krieges sehr gelitten. Viele von ihnen starben an der Front oder wurden bei der Bombardierung des Dorfes getötet. Mehrere Soldaten, die nach Deutschland verschleppt worden waren, kehrten später aus dem Konzentrationslager Dachau nach Hause zurück. Mehrere Bürger:innen von Héreg, die meist als Wehrpflichtige gefangen genommen wurden, wurden in Lager in der Sowjetunion deportiert. Zu ihnen gehört das 1914 geborene Mitglied der örtlichen Gemeinschaft der Rom:nja, Mihály Sárközi, der ab November 1944 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft war. Er war im Lager 159 in der Nähe von Odessa inhaftiert und wurde schließlich aus dem Lager 176 bei Nizhyn entlassen. Nach der Besetzung von Héreg durch die Rote Armee vergewaltigten Soldaten mehrere Frauen des Dorfes.

Nachwirkungen

Lange Zeit wurde der Mord an den Rom:nja nur kurz in einer im Dorf veröffentlichten Ortsgeschichte erwähnt. Anfang der 2020er-Jahre, bei der Erstellung einer Online-Archivdatenbank zur Geschichte der Rom:nja, wurden die Sterbeurkunden der Opfer entdeckt und 2022 vom Autor sowohl in der Datenbank als auch in einer Archivdokumentensammlung veröffentlicht.3 Digitális Roma Levéltár: https://adatbazisokonline.mnl.gov.hu/gyujtemeny/roma-leveltar [Zugriff: 14.02.2025]. Kállai et al., A magyarországi cigányok/romák. II. A 19. század második felétől az 1989/1990-es rendszerváltásig, 204 f. Bis vor kurzem gab es im Dorf kein Denkmal für die Opfer unter den Rom:nja im Zweiten Weltkrieg. Vielleicht war es die Schwere der persönlichen Traumata, vielleicht war es auch die Erfahrung mit der kommunistischen Diktatur, die es erschwerte, sich zu erinnern, aber die Leiden während des Zweiten Weltkrieges wurden nicht Teil des kollektiven Gedächtnisses der lokalen Gemeinschaft. Auch die Tragödie der Rom:nja, die Opfer von Massenmorden wurden, ist nur in den Gedächtnissen der betroffenen Familien erhalten geblieben.

In seiner Monografie von 2024 stellte János Bársony auch die Geschichte dieses Massakers kurz vor und initiierte eine Kampagne für die Errichtung eines Denkmals für die Opfer. Daraufhin wurden am 12. Dezember 2024 die Leichname exhumiert, um sie würdig auf einem gemeinsamen Grabfeld zu bestatten. Sie waren 1947 in einem Bombentrichter auf dem Friedhof des Dorfes beigesetzt worden, nachdem sie vom Schulhof dorthin überführt worden waren. Das Denkmal wurde am 5. Januar 2025 auf dem Friedhof von Héreg eingeweiht. An der Gedenkveranstaltung nahmen fast die gesamte Dorfgemeinschaft sowie Angehörige der Opfer teil.

Einzelnachweise

  • 1
    Csík, Krónika Héregről, 79 f.
  • 2
    Bársony Samudaripen – Romák sorsa a holokauszt idején 3, 134; Rede von János Bársony anlässlich der Umbettung der Opfer am 5. Januar 2025.
  • 3
    Digitális Roma Levéltár: https://adatbazisokonline.mnl.gov.hu/gyujtemeny/roma-leveltar [Zugriff: 14.02.2025]. Kállai et al., A magyarországi cigányok/romák. II. A 19. század második felétől az 1989/1990-es rendszerváltásig, 204 f.

Zitierweise

György Majtényi: Héreg, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 24. April 2025.

1944
19. März 1944Deutsche Truppen marschieren in Ungarn ein und etablieren eine von Deutschland abhängige Regierung.
16. Oktober 1944Im deutsch besetzten Ungarn übernimmt die faschistische Pfeilkreuzlerpartei unter Ferenc Szálasi die Regierung.
1945
6. Januar 1945Zwei romani Familien, insgesamt zehn Kinder, Frauen und Männer, werden von deutschen SS-Männern in Héreg, deutsch besetztes Ungarn, erschossen.
2025
5. Januar 2025Auf dem Friedhof in Héreg, Ungarn, wird ein Denkmal eingeweiht, das an die zwei romani Familien erinnert, die am 6. Januar 1945 von deutschen SS-Männern erschossen worden waren.