Im faschistischen Italien waren Sinti:ze und Rom:nja von Internierungen in Konzentrationslager unter italienischer Verantwortung (campi di concentramento) ebenso betroffen wie von Deportationen in nationalsozialistische Konzentrationslager.
Abgrenzung zu NS-Konzentrationslagern
Die Geschichte der Internierung der Zivilbevölkerung im faschistischen Italien ist von Historiker:innen erst spät untersucht worden. Eine eingehende Analyse des italienischen Konzentrationslagersystems setzte Ende der 1990er-Jahre mit den Arbeiten von Carlo Spartaco Capogreco (geb. 1955) ein. In seinem Hauptwerk skizziert er den eigenständigen Zwangscharakter des faschistischen Konzentrationslagersystems und seine Genealogie, die er vor allem auf die Behandlung der libyschen Bevölkerung während der italienischen Kolonialbesetzung zurückführt.1Capogreco, I campi del Duce. Das faschistische Konzentrationslagersystem war keine geschönte Kopie des nationalsozialistischen Systems: Es hatte einen anderen Ursprung und eine andere Entwicklung, zumindest während der faschistisch-monarchistischen Periode, die am 25. Juli 1943 mit der Verhaftung von Benito Mussolini (1883–1945) endete.
Modalitäten der Internierung in Italien seit 1940
Die Möglichkeit zur Internierung der Zivilbevölkerung führte das Innenministerium unmittelbar nach dem Kriegseintritt Italiens (10. Juni 1940) auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften ein. Diese sahen die Absonderung verschiedener Kategorien von Personen (sowohl italienischer als auch ausländischer Staatsangehörigkeit) in Konzentrationslagern oder Internierungsorten vor. Die Internierung von Angehörigen feindlicher Staaten, die sich auf italienischem Staatsgebiet aufhielten, wurde durch die Bestimmungen für den Kriegszustand geregelt, während die Internierung derjenigen, die als „gefährlich“ oder „verdächtig“ galten, sich auf das Gesetz über die öffentliche Sicherheit und seine späteren Änderungen stützte.2Mit dem Königlichen Gesetzesdekret (R.d.l.) Nr. 1374 vom 17. September 1940, das am 12. Oktober 1940 in Kraft trat, wurden Änderungen am TULPS (Testo Unico delle Leggi di Pubblica Sicurezza) [Gesetze über die öffentliche Sicherheit] vom 18. Juni 1931 vorgenommen, die der Internierung den Charakter einer „vorbeugenden Maßnahme” verliehen.
Als Standorte für die Konzentrationslager wurden häufig bereits bestehende Gebäude gewählt, die für diesen Zweck umgestaltet wurden, während neu geschaffene Lager mit Baracken selten waren. Die vom Innenministerium verwaltete Internierung von Zivilist:innen hatte weder die Ausbeutung der Arbeitskraft der Internierten noch deren Erschöpfung oder Unterdrückung zum Ziel und unterschied sich in dieser Hinsicht deutlich vom nationalsozialistischen System der Konzentrationslager. Dennoch waren die hygienischen und sanitären Bedingungen in den faschistischen Konzentrationslagern in den meisten Fällen sehr schlecht, und Knappheit an Lebensmitteln war eine Konstante, die nur für diejenigen gemildert wurde, die Lebensmittelpakete von außerhalb erhalten konnten.
Als sich nach dem Einmarsch Deutschlands und Italiens in das Königreich Jugoslawien (6. April 1941) der bewaffnete Widerstand gegen die italienischen Besatzer verstärkte, reagierten diese mit besonderer Härte.3Ferenć, Rab-Arbe-Arbissima. Die italienische Königliche Armee ging gewaltsam gegen die lokale Bevölkerung vor und richtete Konzentrationslager für slowenische und kroatische Zivilist:innen sowohl in den annektierten und besetzten Gebieten (etwa auf der kroatischen Insel Rab, italienisch Arbe) als auch innerhalb der alten Grenzen des Königreichs Italien (zum Beispiel in Gonars) ein. Die von der königlichen Armee betriebenen Lager dienten der Deportation der slowenischen und kroatischen Zivilbevölkerung jenseits jeglicher internationalen Konventionen und wiesen aufgrund der auf Unterernährung und Krankheiten zurückzuführenden hohen Sterblichkeitsraten Ähnlichkeiten mit nationalsozialistischen Konzentrationslagernauf.4Capogreco, „Aspetti e peculiarità del sistema concentrazionario fascista”, 218–23. Die Lager bestanden aus Baracken, Zeltlagern oder Kasernen und waren im Allgemeinen den Lagern für Kriegsgefangene nachempfunden.
Veränderungen ab Juli 1943
Nach dem Sturz des faschistisch-monarchischen Regimes am 25. Juli 1943 erließ die von Pietro Badoglio (1871–1956) geführte provisorische Regierung eine Reihe von Rundschreiben, die eine schrittweise Freilassung der in verschiedenen Kategorien eingeteilten Internierten vorsahen. Die Freilassungen waren noch nicht beendet, als die deutschen Truppen unmittelbar nach der Ankündigung des Waffenstillstands am 8. September 1943 auf der Halbinsel einmarschierten.
Am 23. September 1943 gründeten Benito Mussolini und die ihm treu gebliebenen faschistischen Führungspersonen unter der Ägide des NS-Verbündeten die Italienische Sozialrepublik (Repubblica Sociale Italiana, RSI). Diese versuchte, das Lagersystem in den unter ihrer Jurisdiktion verbliebenen Gebieten zu reorganisieren, indem sie politisch Verdächtige, Deserteure und ab dem 30. November 1943 italienische und ausländische Juden:Jüdinnen internierte; für alle diese Gruppen waren die Lager der RSI die Vorstufe der Deportationen in die nationalsozialistischen Lager.
In den italienischen Gebieten, die nach dem 8. September 1943 in das Deutsche Reich eingegliedert wurden (Julisch Venetien und Tridentinisches Venetien), wurden Polizei– und Durchgangslager für die Deportation von Juden:Jüdinnen, politischen Gegner:innen und Partisan:innen (Italiener:innen, Slowen:innen und Kroat:innen) in nationalsozialistische Lager eingerichtet. In der Risiera di San Saba in Triest errichtete die SS (Schutzstaffel) ein Krematorium, in dem die Leichen der zuvor gefolterten und getöteten Partisan:innen verbrannt wurden.
Alle Deportationen von Sinti:ze und Rom:nja aus Italien oder ehemals italienisch besetzten Gebieten in nationalsozialistische Konzentrationslager fanden unter deutscher Verantwortung statt. Weitere Forschungen sind notwendig, um diese Opfer zu identifizieren.