György Rohonczy

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György Rohonczy
  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 12. November 2025

Baron György Gedeon Rohonczy junior wurde am 1. Dezember 1884 in Czernowitz (heute Tscherniwzi, Ukraine) geboren, wo sein Vater zu jener Zeit als Garnisonskommandant eingesetzt war. Rohonczy rettete während des Nationalsozialismus nachweislich 121 Rom:nja aus dem Burgenland in Österreich vor Lagerhaft und Deportationen in Vernichtungslager, weshalb er seit einigen Jahren als burgenländischer „Oskar Schindler“ verehrt wird.

Herkunft und Werdegang

Die Familie Rohonczy erhielt im 17. Jahrhundert den ungarischen Adelsbrief und hatte mehrere Besitzungen in Ungarn. Der junge György Rohonczy wuchs in Budapest auf, sprach fließend mehrere Sprachen, studierte Rechtswissenschaft und war danach als Jurist am Stuhlrichteramt in Oberpullendorf [Ungarisch: Felsőpulya] tätig. Mit der Angliederung des Burgenlandes an Österreich 1921 quittierte er den Dienst, weil er bereits einen Eid auf das Königreich Ungarn geschworen hatte.

György Rohonczy lebte fortan von einem mittelgroßen landwirtschaftlichen Gut in Mitterpullendorf [Középpulya], das ihm sein Vater vererbt hatte.1Buchacher, „Zigeuner-Schindlers-Liste“, 33. Neben seiner großen Jagdleidenschaft war er ein Freund der Musik, insbesondere der Musik von Rom:nja, die im 19. Jahrhundert in Ungarn einen hohen Stellenwert hatte. György Rohonczy wurde von Zeitgenoss:innen als kultivierter, humorvoller, umgänglicher und belesener Mensch beschrieben.2Karazman, „Retter der Romnja und Roma in der NS-Zeit“, 13.

Rettung von Rom:nja

Nach Kriegsbeginn wurden die Arbeitskräfte des Rohonczy-Gutshofes zusehends zum Militär eingezogen. Zudem wurden die auf dem Gut beschäftigten Rom:nja ab Ende 1940 in das Zwangslager Lackenbach eingewiesen. Um seinen Betrieb aufrecht erhalten zu können, begab sich György Rohonczy daher in das rund 15 Kilometer entfernt gelegene Lackenbach und forderte Arbeitskräfte für seinen Gutshof an. Da dieser als kriegswichtiger Betrieb eingestuft war – er belieferte das Krankenhaus Oberpullendorf mit Milch und Lebensmitteln –, wurden ihm Frauen und Männer aus dem Lager als Arbeitskräfte zugeteilt.

In weiterer Folge holte Rohonczy immer mehr Romnja und Roma auf den Gutshof. Durch sein überzeugendes Auftreten gelang es ihm, mehrere Familien, rund 15 bis 20 Männer, Frauen und Kinder, sowie als Erntehelfer:innen weitere 50 Personen aus dem Lager zu holen, obwohl für die täglichen und saisonalen Arbeiten viel weniger Arbeitskräfte von Nöten gewesen wären. Auf dem Gutshof bewohnten die Familien die Arbeiterwohnungen und erhielten zudem ausreichend Verpflegung. Dadurch blieb diesen Romnja und Roma das schreckliche Lagerleben erspart und sie entgingen so vor allem den Transporten in die Vernichtungslager, die ab Herbst 1941 einsetzten.3Brettl, Nationalsozialismus im Burgenland, 290.

Der Langentaler Rom Adolf Papai (geb. 1931) berichtete über seine Mutter Elisabeth: „Irgendwie hat meine Mutter das Lager Lackenbach überlebt. Sie ist hinausgekommen zum Baron zur Arbeit.“4Karazman, „Retter der Romnja und Roma in der NS-Zeit“, 14. Recherchen belegen, dass es Rohonczy auf diese Weise gelang, 121 Romnja und Roma aus dem Lager zu retten.5Baumgartner, Sprachgruppen und Mehrsprachigkeit im Burgenland, 12.

Drohte den Arbeitskräften, insbesondere den Erntearbeiter:innen, die Rückstellung ins Lager Lackenbach, kam es wiederholt zu Fluchtversuchen nach Ungarn. So sollen mindestens 50 Rom:nja über die Grenze nach Ungarn geflüchtet sein. György Rohonczy soll bewusst weggesehen haben – er war kein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus, aber er engagierte sich aus humanitären Gründen für „seine Romnja und Roma“.6Brettl, Nationalsozialismus im Burgenland, 290.

Nach 1945

Beim Einmarsch der sowjetischen Roten Armee 1945 wurde György Rohonczy aufgrund seiner adeligen Herkunft verhaftet und Richtung Wien verschleppt. Nach Interventionen wurde er wieder freigelassen und kehrte nach Mitterpullendorf zurück. Die land- und forstwirtschaftlichen Erträge des Gutshofes waren bescheiden und so lebte er vom stetigen Verkauf von Grundstücken und Gebäuden.

Trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten blieb seine Hilfsbereitschaft weiter ungebrochen. Den ungarischen Flüchtlingen des Aufstandes von 1956 stellte Rohonczy wochenlang Quartiere und Verpflegung zur Verfügung. Ebenso unterstützte er die Flüchtlingshilfe der Malteser und der Pfadfindergruppe des Ortes überließ er kostenlos ein Grundstück zur Nutzung. Als der Wirtschafter seines Gutshofes verstarb, nahm er sich seiner beiden minderjährigen Kinder an.7Ebd., 291.

Der Kontakt zu den Rom:nja aus dem benachbarten Langental blieb auch nach dem Krieg bestehen. Sie kamen als Erntehelfer:innen auf den Gutshof und luden György Rohonczy zu Hochzeitsfeiern ein. Respektvoll sprachen die Überlebenden vom „Baron“ als „Vater“ und zeigten sich bis zu seinem Tod dankbar für seine Verdienste um ihre Rettung. Am 26. April 1975 verstarb György Rohonczy und wurde in der Familiengruft in der Mitterpullendorfer Kirche beigesetzt.8Karazman, „Retter der Romnja und Roma in der NS-Zeit“, 14.

Der „burgenländische Schindler“

Am 6. März 1995 bezeichnete die Zeitschrift „Profil“ in einem Artikel György Rohonczy als „kleinen Schindler“.9Buchacher, „Zigeuner-Schindlers-Liste“, 32. Angespielt wurde auf Oskar Schindler (1908–1974), der mehr als 1 000 jüdische Häftlinge des Konzentrationslagers Plaszów vor dem sicheren Tod gerettet hatte, was 1993 durch Steven Spielbergs (geb. 1946) Kinofilm „Schindler Liste“ einem Millionenpublikum bekannt worden war. Nun wurde auch Rohonczys Rettung von mehr als 100 burgenländischen Rom:nja in einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen.

Über viele Jahre waren die Taten von anderen Personen, die im Burgenland Rom:nja geholfen hatten, ebenfalls unbekannt geblieben. Zu erwähnen sind etwa der Gutspächter Ernst Kautz (1908–1993) aus Kleinwarasdorf [Mali Borištof]10„Buona sera, Maestro!“ Wilhelm Horvath im Gespräch. In: Mri Historija. Lebensgeschichten burgenländischer Roma, 6. und Graf Ladislaus Niczky (1905–1992) aus Nebersdorf [Šuševo],11„Te o Del te na del, hot afka te al, sar sins. Möge Gott geben, dass es nicht mehr so wird, wie es war“. Adolf Papai im Gespräch. In: Ebd., 6. die in engem Kontakt zu György Rohonczy standen und ebenfalls zahlreichen Romnja und Roma das Leben retteten.

Mittlerweile wird die Geschichte der Rettung im Burgenland breit rezipiert. So wurde etwa in Eisenstadt am 2. April 2025 ein Theaterstück uraufgeführt, das die Geschichte der drei Retter erzählt und dabei auch aktuelle Fragen, etwa zu zivilem Ungehorsam oder Identitätspolitik, kritisch reflektiert.12Siehe die Ankündigung auf https://www.oho.at/programm/die-retter-Kleinwarasdorfeisenstadt [Zugriff: 23.09.2025]. Am 2. November 2025 wurde György Rohonczy in Oberpullendorf ein Denkmal gesetzt.

Einzelnachweise

  • 1
    Buchacher, „Zigeuner-Schindlers-Liste“, 33.
  • 2
    Karazman, „Retter der Romnja und Roma in der NS-Zeit“, 13.
  • 3
    Brettl, Nationalsozialismus im Burgenland, 290.
  • 4
    Karazman, „Retter der Romnja und Roma in der NS-Zeit“, 14.
  • 5
    Baumgartner, Sprachgruppen und Mehrsprachigkeit im Burgenland, 12.
  • 6
    Brettl, Nationalsozialismus im Burgenland, 290.
  • 7
    Ebd., 291.
  • 8
    Karazman, „Retter der Romnja und Roma in der NS-Zeit“, 14.
  • 9
    Buchacher, „Zigeuner-Schindlers-Liste“, 32.
  • 10
    „Buona sera, Maestro!“ Wilhelm Horvath im Gespräch. In: Mri Historija. Lebensgeschichten burgenländischer Roma, 6.
  • 11
    „Te o Del te na del, hot afka te al, sar sins. Möge Gott geben, dass es nicht mehr so wird, wie es war“. Adolf Papai im Gespräch. In: Ebd., 6.
  • 12
    Siehe die Ankündigung auf https://www.oho.at/programm/die-retter-Kleinwarasdorfeisenstadt [Zugriff: 23.09.2025].

Zitierweise

Herbert Brettl: György Rohonczy, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 12. November 2025.-

1940
23. November 1940In das Zwangslager Lackenbach im Burgenland, Ostmark (Österreich), werden die ersten Rom:nja eingewiesen.
1941
4. – 8. November 1941Innerhalb von fünf Tagen werden 5 007 österreichische Rom:nja aus dem Burgenland und dem Gau Niederdonau in das Getto Litzmannstadt deportiert. Die Züge fahren mit Insass:innen aus dem Zwangslager Lackenbach (2 000 Rom:nja am 4. und 7. November), dem Sammellager Fürstenfeld (1 000 Rom:nja am 5. November) und dem Sammellager Alt-Pinkafeld (1 000 Rom:nja am 7., 1 007 Rom:nja am 8. November) ab. Während der Deportationen sterben zehn Kinder und eine Frau.
2025
2. November 2025In Oberpullendorf im Burgenland, Österreich, wird in Erinnerung an Baron György Rohonczy jr., der 121 Rom:nja vor einer Deportation gerettet hat, ein Denkmal eingeweiht.