Das von den deutschen Polizeibehörden errichtete Sicherungslager Schirmeck diente der Einschüchterung und Kontrolle der Mitglieder der elsässischen und lothringischen Bevölkerung, die sich dem NS-Regime widersetzten. Diese repressive Einrichtung wurde zwischen Juli 1940 und November 1944 auch für die Internierung, Vertreibung und Deportation von Sinti:ze, Rom:nja und Jenischen genutzt. Das Gelände befand sich am Rande der Gemeinde La Broque (deutsch: Vorbruck), die unter deutscher Verwaltung mit Schirmeck zu einer Großgemeinde vereinigt wurde. Aus diesem Grund wurde das Lager in der deutschen Korrespondenz auch als Schirmeck-Vorbruck oder Sicherungslager Vorbruck bezeichnet. In Frankreich ist die Bezeichnung ‚Camp de Schirmeck‘ gebräuchlich.
Transitlager
Kurz nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in das französische Straßburg am 19. Juni 1940 setzte das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) eine Einsatzgruppe ein, um im Elsass eine ‚Säuberungsaktion‘ gegen die als ‚unerwünscht‘ bezeichnete Bevölkerung durchzuführen. Am 2. August 1940 ordnete Gustav Adolf Scheel (1907–1979), Chef der Sicherheitspolizei, die Errichtung eines Durchgangslagers an, um die Massenausweisungen ins unbesetzte Frankreich zu erleichtern. Karl Buck (1893–1977), der neu ernannte Lagerkommandant, übernahm sechs Baracken in Schirmeck, im Bruche-Tal, etwa 50 km von Straßburg entfernt. Diese Einrichtung war ursprünglich 1939 von den französischen Behörden als Notunterkunft für Flüchtlinge aus den frontnahen Gebieten errichtet worden.
Im August 1940 führten die deutschen Behörden eine groß angelegte Polizeiaktion durch, um „das Elsass von asozialen, kriminellen und zigeunerischen Elementen zu säubern“.1Führer des Einsatzkommandos III/1 an die Kriminalpolizei Straßburg, 14.08.1940, NARA, Washington, 938005, T-175/513. Männer, die als ‚Zigeuner‘ identifiziert wurden, und solche, die ‚nach Zigeunerart umherziehen‘, sollten zusammen mit ihren Frauen und Kindern in das Lager Schirmeck gebracht werden. So wurden am 16. August 1940 bei einer Razzia in Obernai, einer Gemeinde südwestlich von Straßburg gelegen, 41 „Asoziale“ verhaftet und nach Schirmeck gebracht.2Liste der in Obernai lebenden ‚asozialen Elemente‘, 16.08.1940, Arolsen Archives, 1.1.40.1/4397075/ITS Digital Archive. Bei dieser Gruppe handelte es sich um vier jenische Familien, die im Stadtzentrum wohnten und als Korbflechter arbeiteten. Forscher:innen und Historiker:innen haben darauf hingewiesen, dass es nur wenige Quellen über die Inhaftierten in Schirmeck gibt. Daher ist es schwierig, die Zahl der in diesem Lager internierten Sinti:ze, Rom:nja und Jenischen endgültig zu bestimmen. Aus einem statistischen Bericht, den die Straßburger Polizei im Juli 1943 an das RSHA übermittelte, geht jedoch hervor, dass zwischen Juli 1940 und März 1943 fast 22 000 Personen zwangsweise ins unbesetzte Frankreich verbracht wurden, darunter 673 Sinti:ze, Rom:nja und Jenische, von denen die meisten im Dezember 1940 ausgewiesen wurden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass viele von ihnen über das Lager Schirmeck nach Lyon verbracht wurden.
Sicherungslager
Im Laufe der Jahre wurde das Lager schrittweise erweitert und zu einem Schlüsselelement des nationalsozialistischen Repressionssystems im annektierten Elsass und Lothringen. Das von einem Stacheldrahtzaun und Wachtürmen umgebene Lager bestand aus drei Komplexen: dem Lagereingang (Vorhof oder Vorlager) mit Verwaltungs- und Wohnbaracken für die Wachmannschaften, dem Hauptlager mit elf Holzbaracken und Arbeitseinrichtungen sowie einem dritten Lagerbereich, der mehrere Baracken für Frauen und einen Bunker mit 26 Zellen im Keller umfasste.
Die Zahl der Häftlinge, die das Lager Schirmeck durchliefen, wird auf bis zu 15 000 Personen geschätzt. Sie waren täglicher Gewalt durch die Wachmannschaften, harten Lebensbedingungen und Zwangsarbeit innerhalb und außerhalb des Lagers ausgesetzt. Die Dauer der Inhaftierung variierte stark je nach Polizeibehörde, die die Internierungen angeordnet hatte: Straßburger Gestapo, RSHA oder elsässische Sicherheitskräfte. Auch innerhalb des Lagers waren die Profile der Internierten sehr unterschiedlich und spiegelten die Hauptziele der nationalsozialistischen Repressionen wider: politische Gegner:innen, illegale Grenzgänger:innen, ‚Berufsverbrecher‘, ‚Asoziale‘, Prostituierte, Homosexuelle und als ‚umherwandernde Zigeuner‘ bezeichnete Personen. Nach dem deutschen Beschluss vom August 1942, Jugendliche aus Elsass und Lothringen in die Wehrmacht einzugliedern, wurden auch Wehrdienstverweigerer und Personen, die als Gegner:innen Deutschlands identifiziert wurden, nach Schirmeck geschickt.
Die Lagerordnung lehnte sich an die der Konzentrationslager an, auch wenn es einige Abweichungen gab, insbesondere bei der Farbe der Kleidung der Internierten. Außerdem war das Lager Schirmeck nicht Teil des Systems der Konzentrationslager, sondern unterstand den elsässisch-lothringischen Strafvollzugsbehörden und wurde als Haftort für Personen in ‚Vorbeugehaft‘ genutzt. Zwischen Schirmeck und dem im Mai 1941 wenige Kilometer entfernt eingerichteten Konzentrationslager Natzweiler-Struthof bestanden jedoch enge Verbindungen, insbesondere hinsichtlich des Umgangs mit Leichen und medizinischen Experimenten an Häftlingen. So wurden im Krematorium von Natzweiler-Struthof die Leichen der in Schirmeck verstorbenen Häftlinge verbrannt, und mehrere Ärzte der Universität Straßburg begannen ihre medizinischen Experimente an Häftlingen in Schirmeck, bevor sie im Lager Natzweiler-Struthof tätig wurden. Ab Ende 1943 trug die Zwangsarbeit der Häftlinge zu den deutschen Kriegsanstrengungen bei, und die Firma Daimler-Benz nutzte die Arbeitskräfte des Lagers in einem nahegelegenen Werk.
Die repressiven Praktiken der deutschen Polizei im Elsass veranschaulicht die Biografie von Elisabeth Hammerschmidt (1914–unbekannt), die als ‚Zigeuner‘ von der Kriminalpolizei in Straßburg verhaftet und im Juni 1942 in das Gefängnis Sainte-Marguerite gebracht wurde. Im Oktober wurde sie in das Lager Schirmeck verlegt und dort bis zum Oktober 1943 interniert. Dann wurde Elisabeth Hammerschmidt nach Ravensbrück deportiert. Dort wurde sie befreit und im August 1945 repatriiert. Ihre Geschichte illustriert die Einbindung des annektierten Elsass in das Verfolgungssystem, das sich während des Krieges gegen Sinti:ze und Rom:nja richtete.
Auflösung und Nachwirkungen
Ende August 1944 organisierten die deutschen Behörden die Auflösung des Lagers Schirmeck und evakuierten die Häftlinge hauptsächlich nach Rotenfels, Haslach und Sulz am Neckar. Etwa 600 Zwangsarbeiter:innen aus dem Lager Schirmeck wurden in ein Daimler-Benz-Werk in Gaggenau geschickt. Der letzte Häftlingstransport verließ das Lager am 22. November 1944. Zwei Tage später rückten amerikanische Truppen in Schirmeck ein und befreiten die verbliebenen 600 weiblichen Häftlinge. Kurz nach der Befreiung des Lagers nutzten die französischen Behörden die Einrichtung bis 1949 zur Internierung von Kollaborateur:innen.
Obwohl das Internierungslager und die Baracken zwischen 1954 und 1960 vollständig abgebaut wurden, ist die ehemalige Kommandantur im Vorlager noch erhalten; vor ihr wurde 2019 eine Gedenkstele aufgestellt. Im Jahr 2005 wurde in der Nähe des Lagers Schirmeck-Vorbruck das Memorial Alsace-Moselle eingeweiht, das den Opfern des Nationalsozialismus im Elsass und Lothringen gewidmet ist, wobei die Zwangseinberufung elsässischer Männer zur Wehrmacht (‚Malgré-Nous‘) im Vordergrund steht. 2019 wurde von der Region Grand Est eine neue Gedenkinitiative ins Leben gerufen, um eine Datenbank aufzubauen, die das Schicksal aller 52 000 Opfer des Nationalsozialismus in Elsass und Lothringen dokumentiert, darunter auch das der Sinti:ze, Rom:nja und Jenischen. Diese digitale Gedenkstätte wird in einem speziellen Raum des Memorial Alsace-Moselle zugänglich sein und soll 2025 oder 2026 eingeweiht werden.