Das Zentralgefängnis von Tallinn diente unter der deutschen Besatzung als zentrales Sammellager für estnische Jüdinnen:Juden und Rom:nja, bevor sie hingerichtet wurden. Das im Volksmund als ‚Patarei‘ [Batterie] bezeichnete Gefängnis wurde ursprünglich von 1830 bis 1837 als russische Marinefestung erbaut und 1918 in ein Zuchthaus umgewandelt. Es diente bis 2005 ununterbrochen als Gefängnis und war die größte derartige Einrichtung in Estland.
Obwohl das Gefängnis nicht Teil des Systems der Konzentrationslager unter der Herrschaft der SS (Schutzstaffel) war, diente es denselben Zwecken. Unter dem Namen Tallinner Zentralgefängnis wurde es unmittelbar nach dem Einmarsch der Wehrmacht in die estnische Hauptstadt am 28. August 1941 in Betrieb genommen. Am 1. Juli 1942 übernahm die estnische Sicherheitspolizei das Gefängnis, das von da an offiziell als ‚Arbeitserziehungslager Tallinn‘ bezeichnet wurde.
Im Zentralgefängnis von Tallinn waren zwei Kategorien von Häftlingen untergebracht: ‚Schutzhäftlinge‘ und sogenannte Polizeihäftlinge. Letztere machten im Januar 1943 85 Prozent der Häftlinge aus.
Das Zentralgefängnis Tallinn hatte einen Frauen- und einen Männertrakt; am 15. Oktober 1941 waren dort 2 600 Häftlinge untergebracht. Die meisten Gefängniswärter hatten in der Zwischenkriegszeit im estnischen Strafvollzug gearbeitet.
Die zum Tode Verurteilten – individuell Verurteilte wie Juden:Jüdinnen oder kollektiv Verurteilte wie Rom:nja – wurden auf Lastwagen außerhalb von Tallinn zur Hinrichtung gebracht. Die Erschießungskommandos setzten sich aus Mitgliedern der estnischen Sicherheitspolizei und der estnischen Hilfspolizei Omakaitse zusammen. Die überlieferten Dokumente deuten auf den Panzergraben Valdeku in der Nähe des Ülemiste-Sees als Ort der Massenexekution hin.
Zentrales Sammellager für den Genozid an den Rom:nja
Das Zentralgefängnis Tallinn wurde zur Sammelstelle für Rom:nja, die gemäß dem am 22. Januar 1943 vom Leiter der deutschen Sicherheitspolizei (Sipo) in Estland, Dr. Martin Sandberger (1911–2010), erlassenen Befehl aus ganz Estland dorthin deportiert wurden. Die Deportationen begannen am 8. Februar, und innerhalb weniger Tage erreichte die Zahl der Rom:nja im Tallinner Zentralgefängnis 535.
Am 10. Februar holte die deutsche Sipo 110 inhaftierte Rom:nja ab, um sie zu erschießen, und am 17. Februar weitere 337. Willem Indus (unbekannt–1943) aus Narva war der einzige Rom, über den eine polizeiliche Akte existierte. Den polizeilichen Aufzeichnungen zufolge wurde Indus am 17. Februar 1943 einer ‚Sonderbehandlung‘ unterzogen, was im nationalsozialistischen Sprachgebrauch Hinrichtung bedeutete. Die Erschießungen der im Tallinner Zentralgefängnis inhaftierten Rom:nja fanden höchstwahrscheinlich in Kalevi-Liiva statt.
Die Angeklagten in den sowjetischen Kriegsverbrecherprozessen erwähnten eine weitere Gruppe von etwa 25 Romnja und älteren Menschen, die Anfang März 1943 zur Erschießung nach Kalevi-Liiva gebracht wurden.
Die Gefängnisunterlagen enthalten Informationen über einen Fluchtversuch von Juhan Burkevich (53), Richard Koslovski (23) und Johannes Koslovski (28) am 6. August 1943. Richard Koslovski gelang die Flucht, während die beiden anderen gefangen genommen und noch im Dezember in das Gefängnis in Murru verlegt wurden.
Ende März 1944 meldete das Tallinner Zentralgefängnis 31 Rom:nja unter seinen 2 867 Häftlingen. Es ist möglich, dass diese Rom:nja überlebt haben, auch wenn es dafür keine eindeutigen Beweise gibt. Am 21. September 1944 räumten die Deutschen Tallinn.
Nach 1945
Vom 6. bis 11. März 1961 standen vier ehemalige Beamte der estnischen Sicherheitspolizei vor Gericht, die an den Verbrechen in Kalevi-Liiva und im Zentralgefängnis von Tallinn beteiligt waren. Das Ereignis wurde von den sowjetischen Behörden weithin publik gemacht.
In dem ehemaligen Gefängnis werden heute Führungen angeboten und Wechselausstellungen gezeigt. Im Jahr 2026 soll es als Internationales Museum für die Opfer des Kommunismus wiedereröffnet werden; der Gewinner eines Architekturwettbewerbs wurde 2021 bekannt gegeben. Die künftige Dauerausstellung wird auch die Zeit der deutschen Besatzung umfassen.
Die Orte, an denen die Opfer aus dem Tallinner Zentralgefängnis in den Jahren 1941 bis 1944 ermordet wurden, sind nicht kenntlich gemacht.