Die Gründung von Zwangslagern war in Österreich, wo unmittelbar nach dem Anschluss an das Deutsche Reich im März 1938 die Entrechtung und Isolierung von Rom:nja und Sinti:ze radikal vorangetrieben worden war, ein wesentliches Element der nationalsozialistischen Verfolgung.
Starke Eigeninitiativen
Die Lagergründungen kamen zum einen auf Druck von den jeweiligen Gemeinden zustande: Diese hatten wegen der Vielzahl von Verschleppungen von Rom:nja und Sinti:ze in Konzentrationslager, die seit dem Sommer 1938 stattgefunden hatten, die zurückgebliebenen Angehörigen – meist Ältere, Frauen und Kinder – zu versorgen. Deshalb versuchten sie, mit der Abschiebung der Angehörigen in Lager die Kosten zu minimieren.
Zum anderen blieb trotz verschiedener Interventionen von österreichischer Seite die bei Kriegsbeginn vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Aussicht gestellte Deportation aller Sinti:ze und Rom:nja zunächst aus. Dies dürfte der Hintergrund sein, vor dem am 9. Oktober 1939 der Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS meldete: „Aus Österreich kommt die Anregung, die dringend notwendige Lösung der Zigeunerfrage jetzt durch rücksichtslose Unterbringung der Zigeuner in geschlossenen Lagern zur Durchführung zu bringen.“1Meldungen aus dem Reich, 334. Ein Jahr später gab das Reichskriminalpolizeiamt (RKPA) den österreichischen Behörden freie Hand. In einem Erlass vom 31. Oktober 1940 an die Kriminalpolizeileitstelle in Wien und die Kriminalpolizeistellen in Linz, Innsbruck, Salzburg, Klagenfurt und Graz wurde darauf hingewiesen, dass die zu ergreifenden Maßnahmen „in erster Linie als eine örtliche Aufgabe zu betrachten“ seien.2Reichskriminalpolizeiamt, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 207f: Schnellbrief des Reichsministers des Innern betr. Bekämpfung der Zigeunerplage in der Ostmark, 31.10.1940. In den Bezirken der Kriminalpolizeistellen Linz, Innsbruck, Salzburg und Klagenfurt, wo sich laut Schnellbrief 700 Sinti:ze und Rom:nja aufhielten, sollten diese in den einzelnen Gemeinden „in einer geeigneten Unterkunft“ zusammengezogen, die Arbeitsfähigen einem „Arbeitseinsatz“ zugeleitet und für den Unterhalt der nicht Arbeitsfähigen herangezogen werden. Die Ortspolizeibehörden waren dafür verantwortlich, diese Maßnahmen „mit geeigneten polizeilichen Mitteln“ durchzusetzen.
Sonderfall Burgenland
In dem ehemaligen Bundesland Burgenland, das in den Bezirken der Kriminalpolizei(leit)stellen Wien und Graz lag, lebten zum damaligen Zeitpunkt nach Angaben des RKPA etwa 6 000 Rom:nja, davon zwei Drittel Frauen und Kinder. Für diese Kripostellen wurde angeordnet, die kleineren „Zigeunersiedlungen“ bis 50 Personen aufzulösen und die Bewohner:innen in größere „Zigeunersiedlungen“ zu überführen. Diese Siedlungen, von denen es vor dem Zweiten Weltkrieg etwa 130 gab, waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. Sie lagen meist am Ortsrand und beherbergten zwischen 30 und 300 Rom:nja. Die Grundstücke gehörten in der Regel den Gemeinden, die Häuser aber den Bewohner:innen. In denjenigen Siedlungen, in denen mehr als 300 Personen lebten, sollte nun laut Schnellbrief jeweils eine ständige Wache der Ordnungspolizei eingesetzt werden. Die Siedlungen durften nur mit Genehmigung verlassen werden, es sollte eine Gemeinschaftsverpflegung geben und die Bewohner:innen waren zu Arbeiten heranzuziehen.
Vielzahl von Lagern
In allen Gauen Österreichs entstanden zudem ‚Zigeunerlager‘: in Wien, in der Steiermark (Leoben, Graz, Kobenz, Triebendorf, Unzmarkt, Zeltweg, St. Georgen ob Judenburg, St. Lambrecht bei Neuberg), in Oberösterreich (Weyer), in Salzburg (Maxglan), in Niederösterreich (Hinterberg, Preg, Karlhof in Kammern, Fischamend und Groß-Globnitz) und im damals auf die Reichsgaue Niederdonau und Steiermark aufgeteilten Burgenland (Lackenbach).
In der Steiermark und in Niederösterreich entstanden regional Zwangsarbeitslager, die auf Initiative der Gauverwaltungen bei Straßenbau- und Wildwasserprojekten eingerichtet wurden. Vor allem in den Bundesländern Salzburg und Oberösterreich entstanden viele dieser Lager aufgrund des Festsetzungserlasses des RSHA vom 17. Oktober 1939, gemäß dem „sämtliche Zigeuner und Zigeunermischlinge“ ihren Aufenthaltsort bei Androhung von Deportation nicht mehr verlassen durften.3Österreichisches Staatsarchiv, ADR 04 Bürckel, Kt. 35, Mappe 0715, Volkstums- und Minderheitenfragen, Schnellbrief Reichssicherheitshauptamt, 17.10.1939, betr. Zigeunererfassung. Diese kleinen Lager wurden von den Lokalverwaltungen so lange betrieben, bis die Insass:innen in ein anderes Lager überstellt oder aber deportiert wurden. Teils existierten die Lager schon vor dem Erlass des RKPA vom 31. Oktober 1940, teils wurden sie erst auf dessen Basis gegründet.
Besondere Bedeutung hatten aufgrund ihrer Größe und ihres Charakters als regionale „Sammellager“ die Lager in Salzburg-Maxglan (1940 bis 1943) und Lackenbach (1940 bis 1945). Lackenbach war auf Initiative mehrerer Bezirksfürsorgeverbände aus Niederösterreich und Wien errichtet worden, um die finanzielle Belastung der Gemeinden zu mindern: Da die Männer in Konzentrationslager deportiert worden waren, waren die verbliebenen Kinder, Frauen und Älteren nun auf staatliche Unterstützung angewiesen. Mit seinen insgesamt fast 4.000 Insass:innen war Lackenbach das größte „Zigeunerlager“ im Deutschen Reich.
Aktive Deportationspolitik
Als Spezifikum für Österreich lässt sich festhalten, dass die bereits bestehenden Siedlungen sich mit relativ wenig Aufwand mit einem kontrollierenden, lagerähnlichen Regime überziehen ließen. Mit den Deportationen in das Getto Litzmannstadt und das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wurden die meisten Siedlungen und Lager aufgelöst.
Die frühzeitige Isolierung in Siedlungen und Zwangslagern sowie die in Österreich aktiv betriebene Deportationspolitik trug dazu bei, dass unter den österreichischen Rom:nja und Sinti:ze eine sehr hohe Anzahl an Opfern zu beklagen ist: Nur 1 000 bis 1 200 der einstmals 11 000 österreichischen Rom:nja und Sinti:ze erlebten die Befreiung.