In Düsseldorf, einer Großstadt in Deutschland, existierte von 1937 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ein umzäuntes Zwangslager, das von der Stadtverwaltung betrieben und von einem ständigen Polizeiposten bewacht wurde.
Vorgeschichte und Lagergründung
Im Norden Düsseldorfs war seit 1925 auf dem Gelände eines ehemaligen französischen Schießplatzes eine „wilde Siedlung“ entstanden, in der im Sommer 1933 rund 1 200 Personen in 325 meist selbst errichteten Häuschen lebten. Das schwer zu kontrollierende „Heinefeld“ galt den neuen nationalsozialistischen Machthabern als „politischer Unruheherd erster Ordnung“ und „Sammelpunkt aller möglichen asozialen Elemente“.1„Zigeuner werden kaserniert“, Düsseldorfer Lokal-Zeitung, 9. Januar 1937. Im Zuge der Räumung des Heinefeldes gerieten die dort lebenden Sinti:ze – 1933 wurden 25 Familien gezählt – in das Visier der Düsseldorfer Stadtverwaltung. Bald wurde der Plan, diese Familien am Stadtrand zu konzentrieren und durch Schikanen möglichst zu vertreiben, auf alle Sinti:ze (Rom:nja waren in Düsseldorf kaum ansässig) ausgeweitet, die auf Stellplätzen oder in anderen „wilden Siedlungen“ lebten.
Bis Ende 1936 wurde nach einem Grundstück für ein ‚Zigeunerlager‘ gesucht. Schließlich erwarb die Stadt von den Vereinigten Stahlwerken ein 7 000 Quadratmeter großes Grundstück am Höherweg, das außerhalb eines Wohngebietes lag. Die Stadt musste sich gegenüber dem Verkäufer dazu verpflichten, die zu errichtende Anlage dauerhaft polizeilich zu überwachen. In kürzester Zeit wurden auf 4 300 Quadratmetern fünf Schwemmsteinbaracken mit Eisentüren und vergitterten Fenstern errichtet, außerdem eine Baracke für Sanitäranlagen und eine Wachbaracke gebaut. Das Lagergelände war mit einem Stacheldrahtzaun umgeben und hatte nur einen einzigen Zugang. Am 30. Juni 1937 war das Lager bezugsfertig, und am 2. Juli 1937 wurden sämtliche Polizeireviere angewiesen, alle in ihrem Bereich lebenden ‚Zigeuner‘ zwecks Einweisung in das Lager zu erfassen.
Lageralltag
Zunächst wurden die Sinti:ze vom Heinefeld in das Lager getrieben, dann folgte die Einweisung der Sinti:ze, die auf Stellplätzen lebten. Sofern Wohnwagen noch vorhanden waren – im Heinefeld waren sie kurzerhand von SS-Männern verbrannt worden –, mussten sie auf dem Lagergelände in einer bestimmten Ordnung aufgestellt werden. Die durchschnittliche Belegung des Lagers betrug bis zum Mai 1940 etwa 200 Männer, Frauen und Kinder. Berücksichtigt man die Fluktuation, die durch weitere Einweisungen oder Verschleppungen aus dem Höherweg in Konzentrationslager entstand, haben weitaus mehr Menschen dieses Lagerregime erleiden müssen.
Der Umzug in das Lager markierte für die Betroffenen einen erheblichen Einschnitt. Nur mit Genehmigung konnte man tagsüber Ausgang erhalten, abends durften ab 22 Uhr selbst die Baracken nicht mehr verlassen werden. Verantwortlich für die bald elenden Zustände war in erster Linie der Polizeimeister Julius Arends (1887–1952), der im August 1939 den vorherigen Aufseher abgelöst hatte und bis zum 5. März 1945 als Polizeiposten ständig im Lager präsent war. Arends veranstaltete Morgenappelle, die für alle verpflichtend waren, und kontrollierte auch nachts in den Baracken die Anwesenheit. Der stets bewaffnete Aufseher beschimpfte die Insass:innen, teilte Schläge aus, auch mit einer Reitpeitsche, und hetzte seinen Hund auf die Kinder, denen er generell jedes Spielen auf dem Gelände verbot, In der Wachbaracke befand sich eine Arrestzelle, in die Arends oft über mehrere Tage Insass:innen einsperrte. Das Lager durfte von außen nicht betreten werden. Dies galt selbst für Angehörige und verschärfte die Isolierung der Insass:innen nochmals.
Hinzu kamen regelmäßige Razzien und Verhöre durch Beamte der ‚Dienststelle für Zigeunerfragen‘ der Kriminalpolizeileistelle Düsseldorf, der Arends unterstand. Kriminaloberassistent Ernst Ludwig Stopfsack (1892–1966), der Leiter der „Dienststelle“, soll Romanes gesprochen haben und prügelte, wenn er nicht die gewünschten Auskünfte erhielt.
Zwangsarbeit und Deportationen
Mit der Einweisung in das Lager war jede selbständige Berufsausübung unmöglich. Frauen und Männer wurden zu geringfügig entlohnten Hilfsarbeiten eingesetzt und teils unter Bewachung zu den Arbeitsstellen geführt. Die Namen derjenigen, die nicht zur Arbeit erschienen, vermerkte der Polizeiaufseher und veranlasste ihre Verschleppung in ein Konzentrationslager. Auch im Rahmen der ‚Aktion Arbeitsscheu Reich‘ wurden im Sommer 1938 mehrere junge Männer aus dem Höherweg in Konzentrationslager eingewiesen. Mit der Festsetzung vom Oktober 1939, welche die vom Reichssicherheitshauptamt geplante Deportation vorbereiten sollte, verschlimmerten sich nach Aussagen von Überlebenden die Bedingungen im Lager nochmals erheblich. Am 16. Mai 1940 wurden dann anhand einer von Stopfsack vorbereiteten Liste 130 Frauen, Männer und Kinder aus dem Lager abgeholt, nach Köln-Deutz in das Sammellager transportiert und wenige Tage später in das Generalgouvernement deportiert. An der Erstellung der Liste war die Rassenhygienische Forschungsstelle beteiligt gewesen, deren Angestellte 1937/38 und im Frühjahr 1940 im Höherweg rassenbiologische Erfassungen vorgenommen hatten.
Nach der Mai-Deportation wurde das Lager verkleinert und Arends wachte darüber, dass die Insass:innen keinen Kontakt zu den ‚arischen‘ Familien aufnahmen, die nun in der unmittelbaren Nachbarschaft untergebracht wurden. Die Kinder durften seit Juni 1940 keine Schule mehr besuchen und mussten nun ebenfalls Zwangsarbeit leisten, teils in der Landwirtschaft, die älteren auch in der Rüstungsproduktion. Die Ernährungssituation wurde immer dramatischer, zumal Sinti:ze keine Leistungen der Wohlfahrtsverwaltung erhielten. Mehrere Sinti:ze sind nach Aussagen von Überlebenden im Lager verhungert, vor allem Ältere und kleine Kinder. Am 10. März 1943 folgte eine weitere Deportation, diesmal in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Zurück blieben sechs Familien mit 42 Personen, darunter vor allem Kinder und Ältere. Sie waren, da ihnen der Zutritt in Luftschutzbunker verwehrt wurde, schutzlos den zahlreichen Bombenangriffen ausgesetzt. Die Frauen und Mädchen im jugendlichen Alter waren alle für eine Zwangssterilisation vorgesehen; eine Frau versuchte vergeblich, sich dem durch Flucht zu entziehen. Die meisten Frauen entgingen nur dank der Befreiung diesem Eingriff.
Aufarbeitung und Erinnerung
Nach der Befreiung kehrten die wenigen Überlebenden nach Düsseldorf zurück und mussten notgedrungen wieder im ehemaligen Lager unter schwierigsten Umständen leben. Die Stadt Düsseldorf erlaubte an keiner anderen Stelle im Stadtgebiet eine Niederlassung mit Wohnwagen und ließ Sinti:ze bis Ende der 1950er Jahre zwangsweise in den Höherweg verbringen. 1961 mussten auf Veranlassung der Stadt alle Sinti:ze von dort auf einen Platz an der Jägerstraße (heute Am Hackenbruch) umziehen, wo ebenfalls katastrophale Verhältnisse herrschten. Nach zahlreichen Protesten begann 1976 der Bau einer Siedlung, die 1983 bezogen werden konnte.
Der Künstler Otto Pankok (1893–1966) gehörte zu den Wenigen, die unmittelbar nach 1945 gegen die unwürdigen Zustände protestierten. Pankok war seit 1931, als er im Heinefeld sein Atelier hatte, mit vielen Sinti:ze, die er vielfach portraitierte und fotografierte, befreundet gewesen. Er setzte sich für eine Anerkennung und Entschädigung der NS-Opfer ein und prangerte in zahlreichen Schreiben an Behörden den gegen Sinti:ze fortwirkenden Rassismus an. In seinem 1947 erschienenen Buch „Zigeuner“ schilderte er auch die Verfolgung der Düsseldorfer Sinti:ze, womit er mit zu den ersten Autoren zählt, die über den Völkermord berichteten.
Zentraler Akteur der Aufarbeitung war schließlich die 1987 gegründete Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, die bereits in ihrer ersten Dauerausstellung die Opfergruppe der Sinti:ze und Rom:nja berücksichtigte. Ein 1990 durchgeführtes Interviewprojekt schuf die Grundlage für eine von der Mahn- und Gedenkstätte in Auftrag gegebene Publikation, die 1992 erschien, sowie eine 1993 erstmals gezeigte Wanderausstellung über Otto Pankok und die Düsseldorfer Sinti.
Ebenfalls 1993 wurde an dem Standort des ehemaligen Zwangslagers am Höherweg eine Gedenktafel angebracht. Seit dem 27. Januar 1997 bildet eine Skulptur von Otto Pankok am Düsseldorfer alten Rheinhafen die zentrale Erinnerungsstätte in der Stadt. Die Inschrift lautet: „Zum Gedenken an die Sinti und Roma, die durch den Nationalsozialismus Opfer des Völkermordes wurden. Diese Figur des Sinti-Mädchens Ehra schuf der Künstler Otto Pankok (1893–1966) zur Erinnerung an die mit ihm befreundeten Düsseldorfer Sinti, von denen über 100 aus dem Lager Höherweg abtransportiert und ermordet wurden. Das Mädchen Ehra selbst gehörte zu den wenigen KZ-Überlebenden.“
2022 zeigte die Mahn- und Gedenkstätte eine weitere Ausstellung über Otto Pankok und die Düsseldorfer Sinti:ze. Für diese Präsentation wurden die Biografien der von Pankok Portraitierten akribisch rekonstruiert. Seitdem ist auch einer größeren Öffentlichkeit bekannt, dass es sich bei Ehra um Ida Meinhardt (1921–1994) handelt, die – anders als ihre Schwester und ihr Vater – die Deportation vom Mai 1940 und die folgenden Jahre in Lagern und Ghettos überlebt hatte.