Lonny Indus

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Lonny Indus
  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 28. März 2025

Die Familien mit dem Nachnamen Indus waren mit 112 Personen der viertgrößte familiäre Zusammenhang der Rom:nja in Estland. Der Familienname Indus gehört zur Gruppe der Laiuse, die sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Estland niedergelassen hatten. Im November 1942 zogen die Eheleute Willem (Viilep, Filip) (unbekannt–1943) und Lonny Indus (unbekannt–1943), 56 bzw. 31 Jahre alt, sechs Kinder im Alter von einem bis 14 Jahren auf. Die Geburtsdaten und -orte der Familienmitglieder sind nicht überliefert.

Todesurteil

Willem Indus wurde am 3. Dezember 1941 unter dem Vorwand, mehrere Esten, die sich dem sowjetischen Militärdienst entzogen hatten, verraten zu haben, im Gefängnis von Narva interniert. Am 10. Juni 1942 verurteilte die estnische Sicherheitspolizei Willem Indus zum Tode, allerdings aus anderen Gründen. Der Urteilsspruch lautete: Zigeuner von Geburt. Da er bisher weder einen festen Wohnsitz noch eine feste Arbeit gefunden hat, besteht wenig Hoffnung, dass er auch in Zukunft ein nützlicher Bürger des Staates sein wird.“ Der Leiter der deutschen Sicherheitspolizei (Sipo) in Estland, Heinrich Bergmann (1902–1980), fügte am Rande hinzu, dass es keine rechtliche Rechtfertigung für die Verurteilung gebe, da Indus keine politische Tätigkeit ausgeübt habe.

Petition

Am 2. November 1942 wandte sich Lonny Indus im Namen ihres Mannes an den Leiter der deutschen Zivilverwaltung in Estland, jedoch ohne Erfolg. Lonny Indus war Analphabetin und beauftragte einen Anwalt, der ihren Fall vortrug und den Text des Plädoyers verfasste. Sie erklärte, dass ihr Mann seit fast einem Jahr im Gefängnis von Narva sei und sie große Schwierigkeiten habe, für ihre Kinder zu sorgen. Die Kinder müssten allein zu Hause bleiben, während sie täglich mehr als zehn Stunden im Straßenbau arbeite. Der Monatslohn von 40 Reichsmark reiche nicht aus, um Brennholz und warme Kleidung für sie und ihre Kinder zu kaufen. Die ganze Familie sei unterernährt. Sie sagte, ihr Ehemann habe sich nie für Politik interessiert und nichts mit „Bolschewiken“ zu tun gehabt. Lonny Indus flehte die deutschen Behörden an, ihren Mann freizulassen, damit er ihr bei der Versorgung der Kinder helfen könne.

Ausplünderung und Ermordung

Am 4. Februar 1943 beschlagnahmte die estnische Sicherheitspolizei das Eigentum, das Willem Indus in seiner Wohnung in Narva zurückgelassen hatte. Die Liste der beschlagnahmten Güter umfasst 61 Gegenstände, hauptsächlich Werkzeuge, Kochutensilien, Geschirr und einige Möbelstücke. An Lebensmitteln gab es nur einen leeren Kartoffelsack und zehn Kilogramm Salz. Die Polizei hinterlegte den gesamten Besitz bei einer Privatperson mit der Maßgabe, ihn auf Anforderung kurzfristig der Stadtverwaltung auszuhändigen.

Der Hinrichtungsbefehl für Willem Indus wurde bis zum 17. Februar 1943 ausgesetzt. Seine Akte enthält einen Randvermerk, demzufolge Indus einer ‚Sonderbehandlung‘ unterzogen wurde. Willem Indus gehörte zu den 337 Rom:nja, die an diesem Tag von der deutschen Sipo ermordet wurden. Zu diesem Zeitpunkt waren seine Frau und seine sechs Kinder bereits tot. Sie wurden unter den 110 Roma gefunden, die am 10. Februar 1943 von der deutschen Sipo getötet wurden. Beide Massentötungen fanden wahrscheinlich in Kalevi-Liiva, ca. 33 km östlich von Tallinn gelegen, statt. Am Ende kamen vier Fünftel aller Mitglieder der Familien mit dem Nachnamen Indus ums Leben.

Zitierweise

Anton Weiss-Wendt: Lonny Indus, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 28. März 2025.-

1943
10. Februar 1943Massenerschießung von 110 Rom:nja, die zuvor im Zentralgefängnis von Tallinn (deutsch besetztes Estland) inhaftiert waren, durch die deutsche Sicherheitspolizei, wahrscheinlich in Kalevi-Liiva. Unter den Opfern ist Lonny Indus aus Narva, die Ehefrau von Willem Indus, zusammen mit ihren sechs Kindern.
17. Februar 1943Massenerschießung von 337 Rom:nja, die zuvor im Zentralgefängnis von Tallinn (deutsch besetztes Estland) inhaftiert waren, durch die deutsche Sicherheitspolizei, wahrscheinlich in Kalevi-Liiva. Willem Indus aus Narva ist unter den Opfern, ebenso der fünfzehnjährige Pavel Koslovski aus der Gemeinde Petseri und sein Vater, Nikolai Koslovski.