Harald Turner

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Harald Turner
  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 22. Mai 2025

Harald Turner wurde am 8. Oktober 1891 in der hessischen Stadt Leun, Deutschland, geboren. Als Sohn eines Offiziers besuchte er Kadettenschulen und trat 1908 als Infanterieoffizier in die preußische Armee ein. Im Ersten Weltkrieg wurde er zweimal verwundet, und nach dem Krieg diente er im Freikorps „Wesel“. In den 1920er-Jahren trat er in den preußischen Staatsdienst ein und studierte Rechtswissenschaften in Gießen, wo er 1930 promoviert wurde. Im selben Jahr wurde er Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und 1932 auch Mitglied der Schutzstaffel (SS). 1936 wurde er hochrangiger Beamter im preußischen Finanzministerium.

Anstiftung zum Massenmord in Serbien

In der Frühphase des Zweiten Weltkrieges diente er in der deutschen Militärverwaltung im besetzten Polen und Frankreich und wurde im April 1941 zum Chef des Verwaltungsstabes des Bevollmächtigten Kommandierenden Generals in Serbien ernannt. Er vertrat die Ansicht, auch aufgrund seiner früheren Erfahrungen, dass es notwendig sei, einen kollaborierenden Verwaltungs- und Polizeiapparat in Serbien aufzubauen, obwohl andere hohe Offiziere des Besatzungssystems weniger Vertrauen in die Loyalität der serbischen Kollaborateur:innen hatten als er.

Turner verfolgte eine Politik der Vernichtung aller „unzuverlässigen Elemente“, zu denen er insbesondere Juden:Jüdinnen und Rom:nja zählte. Im Sommer 1941, nach dem Beginn des Partisanenkrieges, schlug er wiederholt drakonische Repressalien gegen die Zivilbevölkerung sowie die Verhaftung von Juden und Roma als Geiseln vor. Im August und Anfang September 1941 versuchte er dreimal erfolglos, den deutschen Reichsbevollmächtigten des Auswärtigen Amtes beim Militärbefehlshaber in Serbien, Felix Benzler (1891–1977), davon zu überzeugen, alle serbischen Juden:Jüdinnen nach Rumänien, ins Generalgouvernement oder nach Russland zu deportieren.

In einem am 21. September 1941 verfassten Bericht schlug Turner nicht nur die Verhaftung aller Juden:Jüdinnen, sondern auch aller Rom:nja vor. Dieser und ähnliche Dokumente zeigen Turners Haltung gegenüber Juden:Jüdinnen und Rom:nja und offenbaren sein Engagement für die nationalsozialistische Rassenideologie. Während die Wehrmacht im Herbst 1941 auf Zivilist:innen, darunter auch Juden:Jüdinnen und Rom:nja, schoss, um die sogenannte „Sühnequoten“ zu erfüllen, war es Turners Ziel, alle Juden:Jüdinnen und Rom:nja aus rassistischen Gründen zu ermorden.

Tötung von jüdischen und romani Geiseln

In dem Befehl zur Geiselnahme, den Turner am 26. Oktober 1941 an alle Feld- und Bezirkskommandanturen schickte, erklärte er: „Grundsätzlich ist festzulegen, dass Juden und Zigeuner ganz allgemein ein Element der Unsicherheit und damit Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt [sic]. Es ist der jüdische Intellekt, der diesen Krieg heraufbeschworen hat, und der vernichtet werden muss. Der Zigeuner kann aufgrund seiner inneren und äußeren Konstitution kein brauchbares Mitglied einer Völkergemeinschaft sein. Es ist festgestellt worden, dass das jüdische Element an der Führung der Banden [d. h. der Partisan:innen] erheblich beteiligt und gerade Zigeuner für besondere Grausamkeiten und den Nachrichtendienst verantwortlich sind. Es sind deshalb grundsätzlich in jedem Fall alle jüdischen Männer und alle männlichen Zigeuner als Geseil [Geisel] der Truppe zur Verfügung zu stellen. Im übrigen [sic] ist beabsichtigt, Frauen und Kinder der Juden und Zigeuner demnächst in ein Sammellager zu überführen und im Wege der Aussiedlung dieses Unruheelement aus dem serbischen Raum zu entfernen. Hierfür sind die erforderlichen Vorbereitungen zu treffen.“1Militärarchiv des Verteidigungsministeriums der Republik Serbien (Vojni arhiv Ministarstva odbrane Republike Srbije), NA, 27II-1-36/1 und 36/2. Veröffentlicht in serbischer Sprache in: Zbornik NOR, tom I. knj. 1, dok. 234. Zit. nach Staatsarchiv Nürnberg (StAN), KV-Anklagedokumente, NOKW-802, Rundschreiben des Bevollmächtigten Kommandierenden Generals in Serbien (Dr. Harald Turner) an alle Feld- und Kreiskommandanturen, 26.10.1941.

Bei den Massentötungen von Belgrader Juden:Jüdinnen und Rom:nja im Herbst desselben Jahres arbeitete Turner eng mit General Franz Böhme (1885–1947) zusammen und wählte die für die Erschießung vorgesehenen Opfer aus. Am 29. August 1942 berichtete er an General Alexander Löhr (1885–1947), den neuen Oberbefehlshaber Südost, dass „Serbien das einzige Land“ sei, in dem die „Judenfrage und Zigeunerfrage gelöst“ sei.2Ebd., NOKW-1486, Vortrag von Staatsrat Dr. Turner beim Oberbefehlshaber Südost, General Löhr, 29.08.1942, 3.

Seine Rolle änderte sich im Januar 1942 nach der Ankunft von SS-General August Meyszner (1886–1947) grundlegend. Meyszner übernahm die Kontrolle über die SS und die Polizei, die bis dahin Turner verantwortet hatte. Im Herbst 1942 wurde Turner aus Serbien zurückbeordert und war im Rasse- und Siedlungshauptamt, das zur Schaltzentrale der SS in Berlin gehörte, tätig; dort wurde er im Dezember 1943 zum stellvertretenden Leiter ernannt.

1947: Verurteilung zum Tode

Am 9. Januar 1946 wurde Turner von den alliierten Streitkräften in der deutschen Stadt Flensburg verhaftet. Nach einer siebenmonatigen Inhaftierung in dem britischen Internierungslager Neuengamme wurde er an die jugoslawischen Behörden ausgeliefert. Das gerichtliche Verfahren gegen Harald Turner lief vom 27. Februar bis 3. März 1947 vor dem Militärgericht in Belgrad, wo er zum Tod durch den Strang verurteilt wurde. Die Hinrichtung fand am 9. März 1947 statt.

Einzelnachweise

  • 1
    Militärarchiv des Verteidigungsministeriums der Republik Serbien (Vojni arhiv Ministarstva odbrane Republike Srbije), NA, 27II-1-36/1 und 36/2. Veröffentlicht in serbischer Sprache in: Zbornik NOR, tom I. knj. 1, dok. 234. Zit. nach Staatsarchiv Nürnberg (StAN), KV-Anklagedokumente, NOKW-802, Rundschreiben des Bevollmächtigten Kommandierenden Generals in Serbien (Dr. Harald Turner) an alle Feld- und Kreiskommandanturen, 26.10.1941.
  • 2
    Ebd., NOKW-1486, Vortrag von Staatsrat Dr. Turner beim Oberbefehlshaber Südost, General Löhr, 29.08.1942, 3.

Zitierweise

Milovan Pisarri: Harald Turner, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 22. Mai 2025.

1941
21. September 1941Harald Turner, Chef der deutschen Militärverwaltung im besetzten Serbien, verfasst einen Bericht, in dem er die Verhaftung aller Juden und Roma vorschlägt.
26. Oktober 1941Im deutsch besetzten Serbien ergeht an alle Feld- und Bezirkskommandos der Befehl, dass Juden und Roma als Geiseln für Vergeltungsmaßnahmen genommen werden sollen.
28. Oktober – 3. November 1941Im deutsch besetzten Serbien führen Wehrmachtsoldaten gemeinsam mit serbischen Polizeieinheiten und Agenten der serbischen Spezialpolizei Massenverhaftungen von Belgrader Roma durch. Sie werden in das Belgrader Konzentrationslager, Topovske Šupe, deutsch besetztes Serbien, gebracht und dort als Geiseln für Vergeltungsmaßnahmen inhaftiert. 2 200 Geiseln, mehrheitlich männliche Juden und Roma, werden schließlich in Zasavica, Jabuka und Jajinci bei Belgrad erschossen.
1942
29. August 1942Im deutsch besetzten Serbien berichtet der Chef des Verwaltungsstabs Harald Turner, dass in Serbien „die Judenfrage und die Zigeunerfrage gelöst“ seien.
1947
27. Februar – 3. März 1947Der ehemalige Chef des Verwaltungsstabes im deutsch besetzten Serbien, Harald Turner, muss sich vor dem Militärgericht in Belgrad, Serbien, verantworten und wird zum Tod durch den Strang verurteilt. Die Hinrichtung findet am 9. März 1947 statt. Turner war im Herbst 1941 einer der Initiatoren des Massenmordes an Juden und Roma.