Michael Zimmermann, geboren am 17. November 1951 in Mülheim an der Ruhr, Deutschland, war ein deutscher Historiker, der maßgebliche wissenschaftliche Beiträge zur Erforschung des Völkermords an den Sinti:ze und Rom:nja geleistet hat.
Zimmermann gilt als ein Wegbereiter der Alltags- und Arbeitergeschichtsschreibung. 1986 wurde er bei Hans Mommsen (1930–2015) mit der Abhandlung „Schachtanlage und Zechenkolonie. Leben, Arbeit und Politik in einer Arbeitersiedlung 1880 bis 1980“ promoviert. Von 1986 bis 1994 arbeitete er als Historiker an der Alten Synagoge Essen; danach war Mitarbeiter im Dezernat für Bildung und Kultur der Stadt Essen. Seit 1996 wirkte Zimmermann überdies als Privatdozent an der Universität Jena, seit 2000 an der Ruhr-Universität Bochum. Langjährige Arbeitsschwerpunkte Zimmermanns waren unter anderem die Sozialgeschichte des Ruhrgebiets und die Geschichte der Juden:Jüdinnen in Essen und im rheinisch-westfälischen Industriegebiet.
In seine 1989 veröffentlichte Studie „Verfolgt, vertrieben, vernichtet. Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik gegen Sinti und Roma“ flossen Ergebnisse des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts „Verfolgungserfahrung deutscher Sinti und Roma unter dem Nationalsozialismus“ (1985–1986) ein, an dem Zimmermann mitgewirkt hatte. Sein Hauptwerk ist jedoch die Habilitationsschrift „Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische ,Lösung der Zigeunerfrage‘“, die 1996 als Buch erschien und bis heute als Standardwerk gilt. Es handelt sich um die erste analytisch wie empirisch fundierte Gesamtdarstellung der gegen Sinti:ze und Rom:nja gerichteten Vernichtungspolitik in Deutschland und Europa.
Zimmermann begreift den modernen Rassismus „als ein gerade durch seine vermeintliche Wissenschaftlichkeit enthemmend wirkendes ideologisches Movens der Vernichtungspolitik und das RSHA [Reichssicherheitshauptamt] als dessen mächtigsten Träger“.1Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 379. Eine entscheidende Bedingung für den Genozid an den Sinti:ze und Rom:nja war demnach die institutionelle Verflechtung von Reichskriminalpolizeiamt und Rassenhygienischer Forschungsstelle (RHF): Erst dieser polizeilich-wissenschaftliche Komplex habe das rassistische Gesellschaftsmodell in Verfolgungspraxis umgesetzt. Zugleich verweist Zimmermann auf die Inkohärenz der Konzepte und Verfolgungspraxen im Reich und in den deutsch besetzten oder mit NS-Deutschland verbündeten Staaten. Er führt dies vor allem auf die Akzentuierung unterschiedlicher Facetten des Feindbilds ‚Zigeuner‘ zurück.
Zimmermanns Studie „Rassenutopie und Genozid“ regte zahlreiche weitere Forschungsvorhaben und Publikationen an, denn sie bildete fortan vor allem im deutschsprachigen Raum das maßgebliche Referenzwerk, welches es ermöglichte, die lokalen und regionalen Befunde in einem größeren Kontext zu analysieren. Nur wenige Ergebnisse Zimmermanns – etwa die zur deutsch besetzten Sowjetunion – sind durch neuere Studien revidiert worden.2Holler, Der nationalsozialistische Völkermord. Einer international breiteren Rezeption hat der Umstand geschadet, dass die Publikation, die inzwischen auf der Website der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg online verfügbar ist,3Siehe https://zeitgeschichte-hamburg.de/files/public/FZH/Publikationen_digital/Michael%20Zimmermann%20Rassenutopie%20und%20Genozid.pdf [Zugriff: 03.05.2024]. nie ins Englische übersetzt wurde.
Im Jahr 2007 erschien der von Zimmermann herausgegebene Sammelband „Zwischen Erziehung und Vernichtung. Zigeunerpolitik und Zigeunerforschung im Europa des 20. Jahrhunderts“, in dem der nationalsozialistische ‚Zigeuner‘-Diskurs in einen größeren historischen Zusammenhang und eine vergleichende internationale Perspektive gerückt wird. Ein thematischer Schwerpunkt ist die RHF, deren Einfluss auf den Verfolgungsprozess untersucht und zu den ideologischen Traditionslinien sowie Kontinuitäten des wissenschaftlichen Antiziganismus in Beziehung gesetzt wird. Dabei wird auch die Rolle der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die die RHF mitfinanzierte, in den Blick genommen.
In seinen Büchern und Aufsätzen hat Michael Zimmermann stets die Perspektiven der von Verfolgung Betroffenen einbezogen. 1999 gab er gemeinsam mit Thomas W. Neumann (geb. 1959) unter dem Titel „WinterZeit“ die Lebenserinnerungen des Sinto und Auschwitz-Überlebenden Walter Stanoski Winter (1919–2012) heraus.
Michael Zimmermann hat einen kollegialen Umgang gepflegt und junge Forschende gefördert. Auch engagierte er sich in den 1990er-Jahren in der internationalen Gruppe der Historiker:innen, die am Centre de Recherches Tsiganes in Paris, Frankreich, mehrere Publikationen zur Verfolgungsgeschichte der Sinti:ze und Rom:nja erarbeitete. Er starb am 20. Januar 2007 in Essen. Bereits zu Lebzeiten übergab er die Unterlagen zu seiner Habilitation an das Archiv des Fritz Bauer Instituts in Frankfurt am Main.