Aktion Arbeitsscheu Reich

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Aktion Arbeitsscheu Reich
  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 31. Mai 2025

Als „Aktion Arbeitsscheu Reich“ oder auch „Aktion Arbeitszwang Reich“ wird eine Verhaftungswelle im Deutschen Reich bezeichnet, von der im April 1938 auch einige wenige, im Juni 1938 jedoch Hunderte meist junge, männliche Sinti und Roma betroffen waren. Die Verhafteten wurden im April von der Geheimen Staatspolizei in das Konzentrationslager Buchenwald und im Juni 1938 von der Kriminalpolizei nach Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen eingewiesen. Grundlage für die Verhaftungen durch die Kriminalpolizei war der Erlass zu „Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ vom 14. Dezember 1937. Es war die erste rassenpolitisch motivierte Verschleppung einer größeren Gruppe von Angehörigen der Minderheit in ein Konzentrationslager – jeder achte männliche Erwachsene war davon betroffen.

Als „Arbeitsscheue“ oder „Asoziale“ mit dem schwarzen Winkel gebrandmarkt, waren Sinti und Roma in den Konzentrationslagern besonderen Schikanen ausgesetzt. Wie viele die Haft überlebten, ist nicht bekannt. Diejenigen, die nach sieben Jahren aus den Konzentrationslagern befreit wurden, mussten über Jahrzehnte um eine Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus und für eine Entschädigung kämpfen.

Vorgeschichte

Razzien mit anschließenden Einweisungen in Arbeitshäuser oder Fürsorgeanstalten waren schon vor 1933 Bestandteil polizeilicher Maßnahmen gegen Sinti:ze und Rom:nja.1Vgl. Constantine, Sinti and Roma, 33–47, 78–98. Das nationalsozialistische Regime radikalisierte derartige Praktiken, indem auf immer breitere Bevölkerungskreise zielende Maßnahmen öffentlichkeitswirksam und mit terroristischen Methoden umgesetzt wurden. Dies schuf ein gesellschaftliches Klima, in dem nicht nur die als politische Gegner:innen des Regimes bekämpften Menschen, sondern auch bestimmte rassistisch oder sozial stigmatisierte Gruppen den immer willkürlicher agierenden staatlichen Behörden schutzlos ausgeliefert waren.2Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 60 f.

Eine der ersten reichsweiten Maßnahmen der Polizei war die für die Woche vom 18. bis 23. September 1933 angeordnete „Bettlerrazzia“, während der Zehntausende verhaftet wurden. Die Aktion richtete sich vorwiegend gegen Wohnungslose, traf aber auch ambulante Händler:innen oder Schausteller:innen, die verdächtigt wurden, angeblich minderwertige Waren oder Dienstleistungen anzubieten. Die meisten der während der Razzia verhafteten Personen wurden nach Verwarnung entlassen, einige in Arbeitshäuser, manche in improvisierte Lager oder in eines der frühen Konzentrationslager eingewiesen.3Ayaß, „Asozialeim Nationalsozialismus, 19–32; Hörath, „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“, 143–199. Zur Bekämpfung gesellschaftlicher Außenseiter seit 1933 s.a. Wachsmann, KL. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, 166–175. Soweit bekannt, waren nur sehr wenige Sinti:ze und Rom:nja von Verschleppungen im Rahmen dieser Razzia betroffen.4Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 61, führt zwei Beispiele an.

Gleiches gilt für die zum 9. März 1937 angeordnete Verhaftung von 2 000 Männern, die aus Sicht der Kriminalpolizei als „Berufs- oder Gewohnheitsverbrecher“ galten und in den Konzentrationslagern mit grünen Winkeln an der Kleidung gekennzeichnet wurden.5Vgl. dazu Fings et al., Rassismus, Lager, Völkermord, 97. In Köln wurden in dem Zusammenhang 122 Personen verhaftet; ein überlebender Sinto berichtete, dass im Rahmen dieser Razzia sein Bruder verhaftet worden war.

Aktion der Gestapo

Im April 1938 setzte die Geheime Staatspolizei ebenfalls eine Razzia um, deren Ziel ein „einmaliger umfassender und überraschender Zugriff“ auf „Arbeitsscheue“ war, die in das Konzentrationslager Buchenwald eingewiesen werden sollten.6Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern, B. Nr. S-PP (II E) — 7677/37 g, 26. Januar 1938, in RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 46 f. Mit der von Reichsführer-SS Heinrich Himmler (1900–1945) am 26. Januar 1938 angeordneten Aktion erzeugte die Gestapo gegenüber der Kriminalpolizei und den in die Auswahl des zu verhaftenden Personenkreises einbezogenen Arbeits- und Wohlfahrtsämtern sowie Dienststellen der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt Handlungsdruck: Alle als unproduktiv angesehenen Personen sollten schärfer kontrolliert und bei Nichteinreihung in den Arbeitsprozess sanktioniert werden. Die zunächst für Anfang März angekündigten Festnahmen fanden zwischen dem 21. und 30. April 1938 statt. Rund 1 950 Männer wurden in „Schutzhaft“ genommen und trafen bis zum 12. Juni 1938 in Buchenwald ein, wo sie als „Arbeitsscheue Reich“ registriert wurden.7Nach Schmid, „Die Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘“, 34, der sich auf die Stärke- und Veränderungsmeldungen Buchenwalds bezieht. Wagner, Volksgemeinschaft ohne Verbrecher, gibt „etwa 1 500“ Festgenommene an. Unter ihnen befanden sich 25 jüdische Häftlinge. Wie viele Sinti und Roma sich unter den Eingelieferten befanden, ist nicht erforscht; ihre Identifizierung ist dadurch erschwert, dass es zu der Zeit in Buchenwald – anders als im Konzentrationslager Sachsenhausen – keine Häftlingskategorie „Zigeuner“ gab. Gesichert ist, dass in Würzburg zwei Sinti verhaftet wurden, von denen einer entlassen wurde, weil er eine Arbeitsstelle nachweisen konnte. Bei dem zweiten Mann ist nicht geklärt, ob er tatsächlich nach Buchenwald eingeliefert wurde.8Schmid, „Die Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘“, 34, und Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 105 f. Im angeschlossenen Österreich sollen Roma im Rahmen dieser Gestapo-Aktion verhaftet worden sein.9Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 115, verweist auf eine Chronik der Gendarmerie Wulkaprodersdorf vom Mai 1938, überliefert im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, 16.532.

Der Erlass vom 1. Juni 1938

Den Kampf gegen alle als unproduktiv und unangepasst angesehenen Menschen sollte jedoch die Kriminalpolizei führen. Seit dem 14. Dezember 1937 konnte die Kripo auf der Grundlage des Erlasses zur „Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ aus eigenem Ermessen und ohne Hinzuziehung der Justiz – analog zur Schutzhaft der Gestapo – die „Vorbeugungshaft“ in Konzentrationslagern anordnen. Neben „Berufs- und Gewohnheitsverbrechern“ wurden insbesondere als „Asoziale“ stigmatisierte Männer ins Visier genommen. Da, so Himmler in seiner Anweisung vom Januar 1938, „die reibungslose und völlige Durchführung der geplanten Maßnahmen noch längere Zeit in Anspruch nehmen wird“,10Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern, B. Nr. S-PP (II E) — 7677/37 g, 26. Januar 1938, in RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 46. war die Gestapo mit den Festnahmen im April vorgeprescht.

Das Reichskriminalpolizeiamt (RKPA) hatte die Zeit zur Vorbereitung einer eigenen Aktion genutzt. Diese stand in einem engen Zusammenhang mit einer Neubestimmung der Konzentrationslager, in denen nunmehr die Arbeitskraft der Häftlinge für die im Entstehen begriffenen Wirtschaftsunternehmen der SS (Schutzstaffel) ausgebeutet werden sollte. Gleichzeitig sollte Anpassungsdruck auf die Bevölkerung ausgeübt werden, um deren Produktivität für die Aufrüstung Deutschlands zu steigern. In dem entsprechenden Schnellbrief vom 1. Juni 1938 hieß es einleitend: „Die straffe Durchführung des Vierjahresplanes erfordert den Einsatz aller arbeitsfähigen Kräfte und lässt es nicht zu, dass asoziale Menschen sich der Arbeit entziehen und somit den Vierjahresplan sabotieren.“11Reichskriminalpolizeiamt, Tgb. Nr. RKPA 6001/295.38, 1. Juni 1938, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei, in Ebd., 81vr. Himmler setzte damit auch eine Forderung des Reichswirtschaftsministers Hermann Göring (1893–1946) um, angesichts des Arbeitskräftemangels stärker gegen den ambulanten Handel und freiberuflich tätige Musikanten vorzugehen.12Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 115. Zur arbeitsmarktpolitischen Bedeutung der Verhaftungen vgl. Wagner, Volksgemeinschaft ohne Verbrecher, 287–289.

Gleichzeitig setzte das RKPA mit seiner konzertierten Aktion seine neue Linie, präventiv, gezielt und rücksichtslos gegen alle diejenigen vorzugehen, die als „Asoziale“ im Sinne des Erlasses von Dezember 1937 gelten konnten, reichsweit in Szene. In der Woche vom 13. bis 18. Juni 1938 sollten in jedem Kriminalpolizeileitstellenbezirk „mindestens 200 männliche arbeitsfähige Personen (asoziale)“ in Vorbeugungshaft genommen werden. Als „vor allem zu berücksichtigen“ wurden folgende Personenkreise genannt: „(a) Landstreicher, die zur Zeit ohne Arbeit von Ort zu Ort ziehen; (b) Bettler, auch wenn diese einen festen Wohnsitz haben; (c) Zigeuner und nach Zigeunerart umherziehende Personen, wenn sie keinen Willen zur geregelten Arbeit gezeigt haben oder straffällig geworden sind; (d) Zuhälter, die in ein einschlägiges Strafverfahren verwickelt waren […] oder Personen, die im dringenden Verdacht stehen, sich zuhälterisch zu betätigen; (e) solche Personen, die zahlreiche Vorstrafen wegen Widerstandes, Körperverletzung, Raufhandels, Hausfriedensbruchs u. dgl. erhalten und dadurch gezeigt haben, dass sie sich in die Ordnung der Volksgemeinschaft nicht einfügen wollen.“13Reichskriminalpolizeiamt, Tgb. Nr. RKPA 6001/295.38, 1. Juni 1938, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei, in RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 81. In dem Erlass ordnete das RKPA außerdem an, in dieser Woche alle jüdischen Männer festzunehmen, die mit mindestens einer Gefängnisstrafe von mehr als einem Monat bestraft worden waren. Verantwortlich für die Umsetzung waren die Leiter der Kriminalpolizeileitstellen (KPLSt). Alle Verhafteten waren laut Erlass in das Konzentrationslager Buchenwald einzuweisen.14Ebd., 81r.

Verhaftungen im Juni 1938

Bei der auch als „Juni-Aktion“ bezeichneten Verhaftungswelle hatten die 15 Kriminalpolizeileitstellen des Reiches bei der Auswahl ihrer Opfer große Spielräume. Sie griffen auf die im Polizeiapparat vorhandenen Unterlagen zurück und ließen den untergeordneten Stellen weitgehend freie Hand. Meist wurde vor Ort und teils in Abstimmung mit Behörden, insbesondere den Arbeits- und Fürsorgeämtern, entschieden, wer zu verhaften war. Der Personenkreis, der dann tatsächlich in die Konzentrationslager Verschleppten lässt erkennen, dass den Verhaftungen eine Vielzahl von sozialrassistischen Motiven zugrunde lag: Wohnungslose oder der Bettelei Beschuldigte waren ebenso unter ihnen wie Fürsorgeempfänger und Arbeitslose sowie von den Kripostellen als Störenfriede empfundene oder als Kleinkriminelle bekannte Männer, derer sie mit juristischen Mitteln nicht habhaft werden konnten.15Wagner, Volksgemeinschaft ohne Verbrecher, 279–292. Die Festnahmen von jüdischen Männern basierten ebenso wie die der Sinti und Roma auf rassenpolitischen Motiven: Erstmals wurden gezielt und in größerer Anzahl Angehörige der als „Fremdrasse“ stigmatisierten Gruppen in Konzentrationslager verschleppt.

Insgesamt wurden weit mehr als die 200 pro KPLSt angestrebten Verhaftungen vorgenommen, so dass Einlieferungen nicht nur nach Buchenwald, sondern auch nach Dachau und Sachsenhausen erfolgten. In Buchenwald wurden zwischen dem 14. und 19. Juni 1938 insgesamt 2 378 Männer als „Arbeitsscheue“ registriert, in Sachsenhausen waren es 6 224, die zwischen dem 17. und dem 25. Juni eingeliefert wurden, und in Dachau wurden zwischen dem 24. Juni und dem 11. Juli 895 Männer mit dem Kürzel „AZR“ („Arbeitszwang Reich“) verzeichnet. Da die jüdischen Männer in den Lagerstatistiken sowohl als „Arbeitsscheue“ bzw. AZR-Häftlinge als auch als „Juden“ geführt wurden, lässt sich ihr Anteil genauer bestimmen: Unter den insgesamt 9 497 im Rahmen der Juni-Aktion in die drei Konzentrationslager eingelieferten Häftlingen befanden sich 2 300 jüdische Männer.16Alle vorherigen Zahlenangaben nach Schmidt, „Die Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘ 1938“, 36.

Die Anzahl der im Juni 1938 nach Dachau verschleppten Sinti und Roma wird auf 300 geschätzt, wovon 232 aus dem österreichischen Burgenland stammten,17Jost, „Dachau“. in Sachsenhausen wurden Ende Juni 1938 448 „Zigeuner“ gezählt.18Schmid, „Die Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘ 1938“, 39. Keine genauen Zahlen liegen für Buchenwald vor, da Sinti und Roma zunächst nicht separat gekennzeichnet wurden und empirische Forschungen fehlen. Im Frühjahr 1939 befanden sich knapp über hundert Sinti und Roma im Lager,19Gedenkstätte Buchenwald, Konzentrationslager Buchenwald, 74. was bis zum Vorliegen neuer Forschungsergebnisse vorläufig als Mindestanzahl der im Juni 1938 eingewiesenen Sinti und Roma angenommen wird.

Auch wenn – ohne Berücksichtigung der österreichischen Roma – die Anzahl von rund 620 Sinti und Roma auf den ersten Blick nicht sonderlich hoch erscheinen mag, traf die Verhaftungsaktion nahezu jede Familie in Deutschland. Einer nach dem Mai 1940 erstellten Übersicht zufolge ging der Verfolgungsapparat zu der Zeit davon aus, dass im Deutschen Reich (ohne Österreich) vor der Verschleppung von Juni 1938 und der Deportation vom Mai 1940 rund 19 000 Sinti:ze und Rom:nja lebten.20Bundesarchiv Berlin, Zsg. 142/22-1, „Übersicht über die in Deutschland lebenden Zigeuner und Zigeunermischlinge“ (o.D.) [nach Mai 1940]. Die Hälfte davon dürften Kinder und Jugendliche gewesen sein,21Dies ergeben statistische Auswertungen über die in das Getto Litzmannstadt und in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportierten Sinti:ze und Rom:nja, die 29 000 Personen umfassten. so dass bei 9 500 Erwachsenen 4 750 Männer zur potenziellen Zielgruppe zählten. Das heißt, dass etwa jeder achte erwachsene männliche Angehörige der Minderheit (620 von 4 750) in ein Konzentrationslager verschleppt wurde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es regionale Unterschiede gab, also Familien in bestimmten Städten und Gemeinden stärker betroffen sein konnten. So meldete beispielsweise die Sozialbehörde von Hamburg, dort sei die Mehrheit der männlichen „Zigeuner“ im Zuge der Juni-Aktion verhaftet worden.22Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 115.

Rassenpolitische Motive bei Verhaftungen von Sinti und Roma

In den Tagen vom 13. bis zum 16. Juni 1938 nahmen überall im Reich Polizisten in Form von überfallartigen Razzien Sinti und Roma fest.23Hierzu überblicksartig Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 107–109, sowie Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 115 f. Dazu suchten sie vorrangig die Zwangslager auf, die sie – wie in Köln, Düsseldorf oder Magdeburg – umstellten, um vor Ort Männer auszuwählen oder erst einmal alle Männer in Polizeihaft zu nehmen, um dann über deren Verbleib oder Abtransport zu entscheiden. Stellplätze, städtische Unterkünfte und bekannte Wohnadressen von Sinti:ze und Rom:nja wurden ebenfalls durchkämmt, um Festnahmen vorzunehmen. Es kam auch zu Verhaftungen auf Arbeitsstellen.24Strauß, … weggekommen, 237. Teilweise lagen, so etwa in München, bereits vor der Durchführung der Razzien Listen mit Namen der zu Verhaftenden vor. In ländlichen Gegenden unternahm die Gendarmerie sogenannte „Streiffahrten“, um willkürlich dabei angetroffene „Zigeuner“ einzusperren. Auch schwer Erkrankte oder Kriegsinvaliden wurden verschleppt.25Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 116.

Festgenommen wurden aber vor allem junge und arbeitsfähige Männer, insbesondere dann, wenn sie nicht verheiratet waren und keine Familie zu ernähren hatten. Ein Sinto aus Gräfenhausen in der Pfalz berichtet über den Ablauf der Festnahmen: „Am 15. Juni 1938 kam sehr früh morgens uniformierte Polizei oder SS. Der Bürgermeister von Gräfenhausen, der dabei war, verlangte von uns, wir sollten uns alle in einer Reihe im Freien aufstellen. Die älteren, verheirateten Männer sollten hierbleiben, alle anderen wurden verhaftet, obwohl wir alle damals ordnungsgemäß arbeiteten oder beim Arbeitsamt als Arbeitssuchende gemeldet waren.“26Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg, 414 AR-Z 42/83, Bl. 30, zit. nach Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 109. Tatsächlich lässt sich anhand von Berichten Überlebender und Quellen aus dem Polizeiapparat feststellen, dass die meisten der Verhafteten beruflich tätig waren. Allerdings übten viele keine lohnabhängige Arbeit, sondern selbstständige Berufe aus. Diese Art der Erwerbsarbeit, insbesondere als Wandergewerbe ausgeübt, war seit 1933 aus rassistischen Gründen immer weiter eingeschränkt worden, so dass die Verschleppungen von 1938 auch als eine machtvolle Demonstration des NS-Regimes zur Durchsetzung eines spezifischen, gegen Sinti:ze und Rom:nja gerichteten Berufsverbotes anzusehen sind.

Dieser Befund wird im Folgenden am Beispiel von Männern aus Köln illustriert, die im Rahmen der Juni-Aktion festgenommen wurden und über die Akten der damaligen Kriminalpolizeileitstelle Köln überliefert sind.27Ausführlich dargestellt in Fings et al., Rassismus, Lager, Völkermord, 98–101. Vorstrafen wiesen nur zwei von ihnen auf, wobei es sich einmal um eine geringfügige Strafe wegen unerlaubten Waffenbesitzes und einmal um „Landstreicherei“ und Abbrennen von Feuer handelte. Zur Begründung der Haft stützte sich die Kölner Kripo daher auf den Passus des Erlasses, wonach die Verhafteten angeblich „keinen Willen zur geregelten Arbeit gezeigt“ hätten. Die Berufe, die die Betroffen ausübten, waren Korbmacher oder Musiker (jeweils vier Personen), Artist, Pferdehändler und Wandergewerbetreibender (jeweils eine Person). In den Begründungen der Kripo wurden diese Berufe erwähnt, allerdings durch die Kombination mit der rassistischen Fremdbezeichnung „Zigeuner“ entwertet und kriminalisiert. Dies führte zu formelhaften Formulierungen, die in nahezu allen Akten zur „Aktion Arbeitsscheu Reich“ bei Sinti und Roma zu finden sind. Über Josef Mettbach (1912–unbekannt) wurde festgehalten: „Ist mit den Eltern nach Zigeunerart umhergezogen und hat sich durch Korbmachen ernährt. Einer geregelten Arbeit ist er noch nie nachgegangen.28Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abt. Rheinland, BR 2034/VH I/531, Anordnung der polizeilichen Vorbeugungshaft, 14. Juni 1938. Zacharias Lehmann (1912–unbekannt), der betonte, nie der Fürsorge zur Last gefallen zu sein, wurde mit folgender Begründung nach Sachsenhausen überstellt: „Er zieht nach Zigeunerart umher und nennt sich Artist. Ein festes Arbeitsverhältnis hat er nicht.“29Ebd., BR 2034/VH I/523, Anordnung der polizeilichen Vorbeugungshaft, 14. Juni 1938. Auch Josef Jakob (1904–1944) hatte seinen Lebensunterhalt durch seine selbstständige Tätigkeit sichergestellt. Dennoch schrieb die Kripo: „Hat als Zigeuner nie eine feste Arbeit gehabt. Er treibt sich seit seiner Schulentlassung als Pferdehändler umher.“30Ebd., BR 2034/20, Anordnung der polizeilichen Vorbeugungshaft, 14. Juni 1938.

Musiker waren durch den rassistisch begründeten Ausschluss aus der Reichsmusikkammer schon seit längerem in ihrer beruflichen Existenz bedroht. Die mit dem Ausschluss erzwungene Illegalität ihrer Arbeit wurde vielen nun zum Verhängnis: Michael Reinhardt (1909–1987) nahm die Kölner Kripo, wie die anderen Musiker, wegen „asozialen Verhaltens“ fest; die Begründungen lauteten jeweils ähnlich wie in seinem Fall: „Er zieht nach Zigeunerart umher und verdient sich sein Geld durch Musizieren, ohne im Besitz eines Scheines der Reichsmusikkammer zu sein.“31Ebd., BR 2034/VH I/539, Anordnung der polizeilichen Vorbeugungshaft, 14. Juni 1938.

Harry Naujoks (1901–1983), der als Kommunist seit 1936 im Konzentrationslager Sachsenhausen gefangen gehalten wurde, beschrieb in seinen Erinnerungen die Ankunft der im Rahmen der Juni-Aktion eingewiesenen Männer. Treffend bemerkte er, dass Sinti und Roma allein deshalb in das Lager eingeliefert wurden, „weil sie Zigeuner waren“.32Naujoks, Mein Leben im KZ Sachsenhausen, 77–82, Zitat 77

In den Konzentrationslagern

Die Zusammensetzung der Zwangsgemeinschaften in den Konzentrationslagern änderte sich mit der Einlieferung der Häftlinge mit dem schwarzen Winkel33Selten und meist nur vorübergehend erhielten Sinti und Roma in Konzentrationslagern auch braune Winkel, siehe Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 267 f. – insbesondere in Buchenwald und Sachsenhausen, wo sie etwa die Hälfte der Gefangenen stellten – erheblich. Die Lager waren für die Aufnahme so großer Häftlingszahlen nicht vorbereitet, was die ohnehin schlechte Versorgungs- und Unterbringungssituation weiter verschärfte. Von der SS-Bewachung besonders gequält, überlebten viele die ersten Wochen und Monate nicht; insbesondere jüdische Häftlinge wurden schwer misshandelt.

Anders als etwa politische Häftlinge, die sich auf der Grundlage gemeinsamer Überzeugungen zu einer Gruppe zusammenschließen und so versuchen konnten, ihre Überlebenschancen zu verbessern, war es den als „asozial“ oder „arbeitsscheu“ Stigmatisierten aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung verwehrt, ein Selbstverständnis als Solidargemeinschaft zu entwickeln. Da die Farbe des Winkels für die Dauer der KZ-Haft unverändert blieb und die Häftlinge in den Lagerverwaltungen mit „ASR“ oder „AZR“ gekennzeichnet waren, wurde eine niedrige Stellung in der von der SS bewusst geschürten Häftlingshierarchie zementiert.34Ayaß, „Asoziale“ im Nationalsozialismus, 166–169. Zu der hohen Todesrate unter den Häftlingen mit dem schwarzen Winkel vgl. Wachsmann, KL. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, 180.

Ein Ausweg konnte allenfalls eine Entlassung aus der formal unbegrenzten Vorbeugungshaft sein. Laut Erlass war eine Haftprüfung jedoch frühestens nach einem Jahr vorgesehen. Ein Teil der „Vorbeugungshäftlinge“ (insgesamt 1 432) kam im Zuge einer Amnestie frei, die anlässlich des 50. Geburtstags Adolf Hitlers (1889–1945) am 20. April 1939 ausgesprochen wurde. Wie viele Sinti und Roma sich darunter befanden, ist nicht bekannt. Aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen ist zu diesem Anlass kein Sinto oder Rom entlassen worden.35Ayaß, „Asoziale“ im Nationalsozialismus, 171; Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 119. Als im Juni 1940 ein erneuter Haftprüfungstermin für die im Rahmen der Juni-Aktion Verhafteten anstand, verfügte das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) unter anderem, dass sowohl „Juden36Mit der Verschleppung von als „Juden“ kategorisierten Menschen in Konzentrationslager – darunter rund 30 000 Männer, die nach dem Pogrom vom November 1939 festgenommen worden waren – übte das NS-Regime 1938/39 Druck auf die Verhafteten und ihre Familien aus, damit sie Deutschland verlassen. Entlassungen wurden vorgenommen, wenn gültige Ausreisepapiere vorgelegt werden konnten. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges verschlechterte sich die Möglichkeit, ein Visum zu erlangen, dramatisch, so dass jüdischen Häftlingen dieser Weg aus dem Lager versperrt war. Vgl. Schüler-Springorum, „Masseneinweisungen in Konzentrationslager“, 162. als auch „Zigeuner“ generell nicht zu entlassen seien.37Reichssicherheitshauptamt, V – B 2 – Nr. 1277/40, Haftprüfung der gemäß Erlass vom 1. Juni 1938 – Tgb. Nr. 6001/295.38 – festgenommenen Personen, 18. Juni 1940, in RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 190.
[1] Fings et al., Rassismus, Lager, Völkermord, 102.
Dass vor dieser Entlassungssperre überhaupt einige wenige Sinti und Roma entlassen worden waren, war nur dem unermüdlichen Engagement ihrer Angehörigen zu verdanken.

Die Angehörigen

In überlieferten kriminalpolizeilichen Akten ist die besondere Hartnäckigkeit dokumentiert, mit der Eltern, Ehefrauen, Geschwister oder Kinder der Verschleppten sich für eine Freilassung einsetzten. Es wurden Rechtsanwälte eingeschaltet, um Einsprüche einzulegen, und zahlreiche Bittschriften an das RKPA, die Gestapo, die Reichskanzlei oder auch direkt an die Konzentrationslager geschickt.38Fings et al., Rassismus, Lager, Völkermord, 102. Sehr viele Angehörige erhofften sich zudem, durch persönliche Vorsprachen beim Reichskriminalpolizeiamt in Berlin etwas zu bewirken. Diese Bemühungen unterband das RKPA, indem es bereits am 28. Juni 1938 alle Kriminalpolizeileitstellen anwies, den Angehörigen einen Zuzug nach Berlin zu verbieten und bei Verstößen Vorbeugungshaft zu verhängen.39Bundesarchiv Koblenz, Sammlung Schumacher (heute BArch Berlin, R 187), Fernschreiben StL. Berlin Nr. 38 194 vom 28. Juni 1938. S.a. Schmid, „Die Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘ 1938“, 39; Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 109. Angehörige wurden daraufhin von den zuständigen Stellen vorgeladen und mussten entsprechende Belehrungen unterschreiben.

Ein entscheidendes Argument für eine Entlassung konnte die Bescheinigung einer Firma sein, dass eine Arbeitsstelle zur Verfügung stünde. Angehörige bemühten sich daher, Arbeitgeber zu solchen Zusagen zu bewegen, und reichten diese mit ihren Bittschriften ein. Der Vater von Josef Mettbach, der in Köln verhaftet worden war, wies gegenüber der Reichskanzlei auf seine eigene Notlage hin, da mit dem Sohn der Ernährer der Familie fehle, und beendete sein Schreiben mit den Worten: „Falls mein Sohn entlassen wird, so hat er die Möglichkeit, hier jederzeit Arbeit zu erhalten und für seine alten Eltern in gewohnter Weise zu sorgen. Ich darf auf die Arbeitsbescheinigung verweisen, die ich in Abschrift hier beifüge.“40Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abt. Rheinland, BR 2034/VH I/531, Gesuch von Friedrich W. an die Reichskanzlei, 24. April 1939. Das RKPA forderte bei den zuständigen KPLSt Stellungnahmen zu derartigen Gesuchen an. Doch selbst wenn diese, wie im Fall von Josef Mettbach, positiv ausfielen, bedeutete das nicht, dass das RKPA einer Entlassung zustimmte. Josef Mettbach blieb bis Kriegsende in KZ-Haft.

Anhand der Kölner Akten kann nachvollzogen werden, dass die meisten Verschleppten in den Lagern verbleiben mussten und in fünf von etwa zwanzig Fällen Entlassungen erfolgten, davon zwei im November 1938 und drei im Juli 1939.41Fings et al., Rassismus, Lager, Völkermord, 103 f. Damit spiegeln die Kölner Beispiele die für Sachsenhausen bekannten Zahlen wider: Von den 442 im Juni 1938 verhafteten Sinti und Roma wurden 106 wieder entlassen.42Müller, „Sachsenhausen“. Die Entlassungen aus dem Konzentrationslager bedeuteten keineswegs ein Ende der Verfolgung. Viele Männer wurden, wie ein Sinto aus Stolzenau an der Weser, anschließend zur Wehrmacht eingezogen, später im Zuge der rassistischen Aussonderung von Sinti und Roma ausgemustert und schließlich in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert.43Beispiel bei Schmid, „Die Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘ 1938“, 39.

Wie oft Frauen oder Männer verhaftet wurden, weil sie sich für ihre Angehörigen eingesetzt  hatten, ist bislang nicht untersucht worden. Bekannt ist die Geschichte von Anna Petermann (1910–1984): Ihr Ehemann, ihr Vater und ihre drei Brüder wurden im Juni 1938 verhaftet. Zusammen mit ihrer Mutter Barbara Petermann (1882–1942) schrieb sie Petitionen für deren Entlassung. Schon im Juli 1938 wurden die beiden Frauen verhaftet und in das Konzentrationslager Lichtenburg eingewiesen.44Mertsching et al., „Anna Petermann“.

Nachwirkungen

Mit der Verhaftungswelle vom Juni 1938 führte die Kriminalpolizei die Vorbeugungshaft als ein Mittel ein, das gegen die pauschal als „asozial“ stigmatisierten Sinti:ze und Rom:nja jederzeit eingesetzt werden konnte. Hiervon machte die Kriminalpolizei in Einzelfällen auch regen Gebrauch.45Beispiele in Fings et al., Rassismus, Lager, Völkermord, 104 f.

Ein Jahr später ordnete das RKPA nochmals eine große Verhaftungsaktion an; dieses Mal waren ausschließlich Rom:nja aus dem Burgenland betroffen. Zur Legitimation der erneut willkürlich erfolgten Verhaftungen und Verschleppungen von 553 Männern nach Dachau und 440 Frauen in das Konzentrationslager Ravensbrück genügte es, diese als „arbeitsscheu“ und „in besonderem Maße asozial“ zu bezeichnen.46Reichskriminalpolizeiamt, Tgb. Nr. IA 2 d 6001/430.39, Vorbeugende Maßnahmen zur Bekämpfung der Zigeunerplage im Burgenland, 5. Juni 1939, in RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 134vr; BArch, RD 19/29, Jahrbuch Amt V (RKPA) des RSHA 1939/1940, 5. Nur rein äußerlich wurde der Anschein eines individuellen Vorgehens gegen vermeintliche ‚Delinquenten‘ gewahrt, doch dahinter stand „die pauschale Inhaftierungsbegründung für eine ganze Gruppe“.47Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 122. Im Juni 1939 war der Anteil der Verschleppten gemessen an der Gesamtzahl der Zielgruppe – die burgenländischen Rom:nja – noch höher: Gemäß der bereits zitierten Übersicht wurde um 1940 von 8 000 im Burgenland lebenden Rom:nja ausgegangen, was bedeutet, dass etwa jede fünfte erwachsene Person verhaftet wurde.48Unter den aus dem Burgenland Verschleppten befanden sich auch einige Kinder und Jugendliche beiderlei Geschlechts, deren genaue Anzahl nicht bekannt ist. Es dürfte sich jedoch um eine kleinere Gruppe gehandelt haben.

Die Verschleppung Hunderter Männer und Frauen, die die Versorgung der Familien sichergestellt hatten, führte zu einer weiteren Radikalisierung der Verfolgung von Sinti:ze und Rom:nja. Städte und Gemeinden wollten die Kosten für zurückgebliebene Angehörige nicht übernehmen, weshalb Forderungen nach einer Unterbringung in Lagern zunahmen.49Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 116 f. Die „Aktion Arbeitsscheu Reich“ hatte also neue Problemlagen geschaffen, aufgrund derer der Druck „von unten“ auf das NS-Regime erhöht wurde, neue, durchgreifende Maßnahmen umzusetzen. Dies war einer der Faktoren, die zu den späteren familienweisen Deportationen führten.

Späte Anerkennung

Die Männer, die während der Juni-Aktion verhaftet worden waren, wurden von Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen aus in viele verschiedene andere Lager überstellt. Wer überlebt hatte, hatte nach 1945 kaum Chancen auf eine Anerkennung und Entschädigung. Im Rahmen der „Wiedergutmachung“ war diese Opfergruppe besonders benachteiligt, da bei ihnen stets darauf hingewiesen wurde, dass sie aus „kriminalpräventiven“ und nicht aus rassistischen Gründen in die Konzentrationslager verschleppt worden seien. Nur Einzelne konnten diese Hürden überwinden. So konnte beispielsweise Julius Franz (unbekannt–1964), Vater von Lily van Angeren-Franz (1924–2011), der am 13. Juni 1938 auf offener Straße verhaftet worden war, seine Ansprüche durchsetzen. Seine Anerkennung als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung basierte auf dem Umstand, dass er im Konzentrationslager Sachsenhausen einer rassenbiologischen Untersuchung durch die Rassenhygienische Forschungsstelle (RHF) unterzogen worden war.50Schmid, „Polizeilich zwangsentführt“, 10.

Erst seit den 1960er-Jahren änderte sich die Verweigerungshaltung der Behörden allmählich, auch dank des Engagements der Bürgerrechtsbewegung, die 1982 die Anerkennung der Verfolgung von Sinti:ze und Rom:nja als nationalsozialistischen Völkermord erreichte. Eine vollständige Rehabilitation dieser Opfergruppe erfolgte am 13. Februar 2020, als der Deutsche Bundestag die „Anerkennung der von den Nationalsozialisten als ‚Asoziale‘ und ‚Berufsverbrecher‘ Verfolgten“ beschloss.51Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Drucksache 19/14342 vom 22. Oktober 2019, Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, 3.

 

 

 

Einzelnachweise

  • 1
    Vgl. Constantine, Sinti and Roma, 33–47, 78–98.
  • 2
    Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 60 f.
  • 3
    Ayaß, „Asozialeim Nationalsozialismus, 19–32; Hörath, „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“, 143–199. Zur Bekämpfung gesellschaftlicher Außenseiter seit 1933 s.a. Wachsmann, KL. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, 166–175.
  • 4
    Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 61, führt zwei Beispiele an.
  • 5
    Vgl. dazu Fings et al., Rassismus, Lager, Völkermord, 97. In Köln wurden in dem Zusammenhang 122 Personen verhaftet; ein überlebender Sinto berichtete, dass im Rahmen dieser Razzia sein Bruder verhaftet worden war.
  • 6
    Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern, B. Nr. S-PP (II E) — 7677/37 g, 26. Januar 1938, in RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 46 f.
  • 7
    Nach Schmid, „Die Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘“, 34, der sich auf die Stärke- und Veränderungsmeldungen Buchenwalds bezieht. Wagner, Volksgemeinschaft ohne Verbrecher, gibt „etwa 1 500“ Festgenommene an.
  • 8
    Schmid, „Die Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘“, 34, und Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 105 f.
  • 9
    Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 115, verweist auf eine Chronik der Gendarmerie Wulkaprodersdorf vom Mai 1938, überliefert im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, 16.532.
  • 10
    Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern, B. Nr. S-PP (II E) — 7677/37 g, 26. Januar 1938, in RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 46.
  • 11
    Reichskriminalpolizeiamt, Tgb. Nr. RKPA 6001/295.38, 1. Juni 1938, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei, in Ebd., 81vr.
  • 12
    Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 115. Zur arbeitsmarktpolitischen Bedeutung der Verhaftungen vgl. Wagner, Volksgemeinschaft ohne Verbrecher, 287–289.
  • 13
    Reichskriminalpolizeiamt, Tgb. Nr. RKPA 6001/295.38, 1. Juni 1938, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei, in RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 81.
  • 14
    Ebd., 81r.
  • 15
    Wagner, Volksgemeinschaft ohne Verbrecher, 279–292.
  • 16
    Alle vorherigen Zahlenangaben nach Schmidt, „Die Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘ 1938“, 36.
  • 17
    Jost, „Dachau“.
  • 18
    Schmid, „Die Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘ 1938“, 39.
  • 19
    Gedenkstätte Buchenwald, Konzentrationslager Buchenwald, 74.
  • 20
    Bundesarchiv Berlin, Zsg. 142/22-1, „Übersicht über die in Deutschland lebenden Zigeuner und Zigeunermischlinge“ (o.D.) [nach Mai 1940].
  • 21
    Dies ergeben statistische Auswertungen über die in das Getto Litzmannstadt und in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportierten Sinti:ze und Rom:nja, die 29 000 Personen umfassten.
  • 22
    Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 115.
  • 23
    Hierzu überblicksartig Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 107–109, sowie Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 115 f.
  • 24
    Strauß, … weggekommen, 237.
  • 25
    Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 116.
  • 26
    Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg, 414 AR-Z 42/83, Bl. 30, zit. nach Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 109.
  • 27
    Ausführlich dargestellt in Fings et al., Rassismus, Lager, Völkermord, 98–101.
  • 28
    Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abt. Rheinland, BR 2034/VH I/531, Anordnung der polizeilichen Vorbeugungshaft, 14. Juni 1938.
  • 29
    Ebd., BR 2034/VH I/523, Anordnung der polizeilichen Vorbeugungshaft, 14. Juni 1938.
  • 30
    Ebd., BR 2034/20, Anordnung der polizeilichen Vorbeugungshaft, 14. Juni 1938.
  • 31
    Ebd., BR 2034/VH I/539, Anordnung der polizeilichen Vorbeugungshaft, 14. Juni 1938.
  • 32
    Naujoks, Mein Leben im KZ Sachsenhausen, 77–82, Zitat 77
  • 33
    Selten und meist nur vorübergehend erhielten Sinti und Roma in Konzentrationslagern auch braune Winkel, siehe Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 267 f.
  • 34
    Ayaß, „Asoziale“ im Nationalsozialismus, 166–169. Zu der hohen Todesrate unter den Häftlingen mit dem schwarzen Winkel vgl. Wachsmann, KL. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, 180.
  • 35
    Ayaß, „Asoziale“ im Nationalsozialismus, 171; Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 119.
  • 36
    Mit der Verschleppung von als „Juden“ kategorisierten Menschen in Konzentrationslager – darunter rund 30 000 Männer, die nach dem Pogrom vom November 1939 festgenommen worden waren – übte das NS-Regime 1938/39 Druck auf die Verhafteten und ihre Familien aus, damit sie Deutschland verlassen. Entlassungen wurden vorgenommen, wenn gültige Ausreisepapiere vorgelegt werden konnten. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges verschlechterte sich die Möglichkeit, ein Visum zu erlangen, dramatisch, so dass jüdischen Häftlingen dieser Weg aus dem Lager versperrt war. Vgl. Schüler-Springorum, „Masseneinweisungen in Konzentrationslager“, 162.
  • 37
    Reichssicherheitshauptamt, V – B 2 – Nr. 1277/40, Haftprüfung der gemäß Erlass vom 1. Juni 1938 – Tgb. Nr. 6001/295.38 – festgenommenen Personen, 18. Juni 1940, in RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 190.
    [1] Fings et al., Rassismus, Lager, Völkermord, 102.
  • 38
    Fings et al., Rassismus, Lager, Völkermord, 102.
  • 39
    Bundesarchiv Koblenz, Sammlung Schumacher (heute BArch Berlin, R 187), Fernschreiben StL. Berlin Nr. 38 194 vom 28. Juni 1938. S.a. Schmid, „Die Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘ 1938“, 39; Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 109.
  • 40
    Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abt. Rheinland, BR 2034/VH I/531, Gesuch von Friedrich W. an die Reichskanzlei, 24. April 1939.
  • 41
    Fings et al., Rassismus, Lager, Völkermord, 103 f.
  • 42
    Müller, „Sachsenhausen“.
  • 43
    Beispiel bei Schmid, „Die Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘ 1938“, 39.
  • 44
    Mertsching et al., „Anna Petermann“.
  • 45
    Beispiele in Fings et al., Rassismus, Lager, Völkermord, 104 f.
  • 46
    Reichskriminalpolizeiamt, Tgb. Nr. IA 2 d 6001/430.39, Vorbeugende Maßnahmen zur Bekämpfung der Zigeunerplage im Burgenland, 5. Juni 1939, in RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 134vr; BArch, RD 19/29, Jahrbuch Amt V (RKPA) des RSHA 1939/1940, 5.
  • 47
    Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 122.
  • 48
    Unter den aus dem Burgenland Verschleppten befanden sich auch einige Kinder und Jugendliche beiderlei Geschlechts, deren genaue Anzahl nicht bekannt ist. Es dürfte sich jedoch um eine kleinere Gruppe gehandelt haben.
  • 49
    Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 116 f.
  • 50
    Schmid, „Polizeilich zwangsentführt“, 10.
  • 51
    Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Drucksache 19/14342 vom 22. Oktober 2019, Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, 3.

Zitierweise

Karola Fings: Aktion Arbeitsscheu Reich , in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 31. Mai 2025.

1933
18.–23. September 1933In Deutschland wird eine „Bettlerrazzia“ durchgeführt, während der Zehntausende verhaftet werden. Betroffen sind vorwiegend Wohnungslose, aber auch ambulante Händler:innen und Schausteller:innen, darunter einige wenige Sinti und Roma.
1937
9. März 1937Auf Veranlassung der Kriminalpolizei werden in Deutschland 2 000 Männer, die als „Berufs- oder Gewohnheitsverbrecher“ angesehen werden, in Konzentrationslager verschleppt. Unter den Häftlingen, die mit einem grünen Winkel auf der Häftlingskleidung gekennzeichnet werden, sind einige wenige Sinti und Roma.
14. Dezember 1937In Deutschland ergeht der „Erlass zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung. Auf dieser Grundlage kann die Kriminalpolizei jederzeit Sinti:ze und Rom:nja in Konzentrationslager verschleppen.
1938
21.–30. April 1938Die Gestapo lässt rund 1 950 Männer in „Schutzhaft“ nehmen und in das Konzentrationslager Buchenwald, Deutschland, verschleppen. Unter den Häftlingen sind auch einige wenige Sinti und Roma.
13. – 18. Juni 1938Während der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ werden erstmals größere Gruppen von Sinti und Roma aus rassistischen Gründen verhaftet und in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen, Deutschland, eingeliefert. Jeder achte Erwachsene der Minderheit ist von dieser Verschleppung betroffen.
28. Juni 1938Das Reichskriminalpolizeiamt instruiert alle Kriminalpolizeistellen, Vorsprachen von Sinti:ze und Rom:nja in Berlin, Deutschland, zu unterbinden. Die Angehörigen, die sich dort für eine Entlassung ihrer im Juni 1938 verschleppten Ehemänner, Väter oder Söhne aus Konzentrationslagern einsetzen wollen, müssen unter Androhung von KZ-Haft in ihre Heimatorte zurückkehren.
28. Juli 1938Anna und Barbara Petermann werden in Sauensiek, Kreis Stade (Deutschland), verhaftet und in das Konzentrationslager Lichtenburg verschleppt. Zuvor hatten sie gegen die im Juni 1938 erfolgte Festnahme ihrer Ehemänner, Söhne und Brüder protestiert.
1939
5. Juni 1939Das Reichskriminalpolizeiamt in Berlin, Deutschland, ordnet die Einweisung von Rom:nja aus dem Burgenland, Österreich, in Konzentrationslager an. Jede:r fünfte Erwachsene der burgenländischen Community ist von dieser Verschleppung betroffen.
28. Juni 1939Mindestens 554 Roma aus dem Burgenland in Österreich werden im Konzentrationslager Dachau, Deutschland, inhaftiert.
29. Juni 1939Ein Transport mit 440 Romnja aus Niederösterreich und dem Burgenland erreicht das Konzentrationslager Ravensbrück, Deutschland. Unter den Häftlingen befinden sich auch Jugendliche ab 14 Jahren.
1940
18. Juni 1940Das Reichskriminalpolizeiamt, Deutschland, ordnet an, dass die im Juni 1938 in Konzentrationslager eingewiesenen Sinti und Roma grundsätzlich nicht entlassen werden sollen.
2020
13. Februar 2020Der Deutsche Bundestag beschließt die Anerkennung der von den Nationalsozialisten als „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ Verfolgten.