Im Konzentrationslager Auschwitz unterhielt die SS (Schutzstaffel) von Juli 1940 bis Januar 1945 ein Lagergefängnis. Die dorthin eingewiesenen Häftlinge waren besonders grausamen Bedingungen unterworfen. Viele starben während der Zeit im Kerker, Tausende wurden in dem Hof zwischen den als Block 10 und Block 11 bezeichneten, zweistöckigen Backsteingebäuden erschossen. Auch Sinti und Roma waren unter den Opfern.
Der „Bunker“
Das Lagergefängnis – offiziell als „Kommandanturarrest“, von den Häftlingen als „Bunker“ oder „Todesblock“ bezeichnet – befand sich im Kellergeschoss von Block 11 (bis August 1941 als Block 13 bezeichnet). Die 28 Zellen im Keller verfügten lediglich über winzige, vergitterte Fenster, in die nur wenig Licht und Luft einströmte.
Unter folterähnlichen Haftbedingungen litten Häftlinge, die in Steh- oder Dunkelzellen eingewiesen wurden. Zelle Nr. 22 war in vier Stehzellen von einer Grundfläche von jeweils 90 mal 90 Zentimeter angelegt, was den Häftlingen ein Hinsetzen oder Liegen unmöglich machte. Die Stehzellen waren kaum belüftet und die dort inhaftierten Häftlinge erhielten meist weder Wasser noch Nahrung, wodurch viele zu Tode kamen. In den Zellen 7 und 9 sowie zeitweise zwei weiteren Zellen waren keine Fenster, sondern lediglich durch blecherne Siebe verschlossene Luftlöcher vorhanden, um sie als Dunkelzellen zu nutzen.
Einweisungen in das Lagergefängnis erfolgten auf Veranlassung des Lagerkommandanten, der Schutzhaftlagerführer oder der Leiter der Politischen Abteilung. Gründe für die Verhängung der Haft waren Verstöße gegen die Lagerordnung, Kontakte mit der Zivilbevölkerung, Sabotage, Teilnahme am Lagerwiderstand, Fluchtversuche, Fluchthilfe oder erfolgte Flucht. Allein der Verdacht, eine dieser Zuwiderhandlungen gegen den Allmachtsanspruch der SS begangen zu haben, genügte für eine Einweisung in das Gefängnis.
Die „Todeswand“
Die Blöcke 10 und 11 verfügten über einen abgeriegelten Innenhof. Der Zugang vom Lager aus war mit einem zweiflügeligen Holztor versehen, an der gegenüberliegenden Stirnwand befand sich eine hohe Backsteinmauer. An dieser Mauer, versehen mit einem Kugelfang aus schwarzem Material, fanden Erschießungen statt, weshalb diese Mauer als „Schwarze Wand“ oder auch „Todeswand“ bezeichnet wird. Die zum Tode Verurteilten mussten sich entkleiden, wurden einzeln aus dem Lagergefängnis in den Hof geführt und mit einem Genickschuss ermordet.
Von Herbst 1941 bis Herbst 1943 wurden an der „Todeswand“ schätzungsweise 1 000 Häftlinge, die zuvor in Block 11 eingesperrt gewesen waren, um ihr Leben gebracht. Im Innenhof befanden sich außerdem zwei transportable Galgen und Pfähle, mit denen Häftlinge durch „Pfahlbinden“ gefoltert wurden.
Federführend bei der Auswahl der Hinrichtungsopfer war die Politische Abteilung, bis Ende November 1943 unter der Leitung von SS-Untersturmführer Maximilian Grabner (1905–1948), die regelmäßig zusammen mit dem Lagerführer und anderen SS-Männern Selektionen im Lagergefängnis vornahm.
Eine nicht bekannte Anzahl von Häftlingen, darunter sowjetische Kriegsgefangene, wurde zudem aus den verschiedenen Lagerbereichen von Auschwitz und Birkenau in den Innenhof geführt und unmittelbar bei Ankunft erschossen. Die „Todeswand“ diente aber auch der Ermordung von rund 4 500 polnischen Zivilist:innen und Widerstandskämpfer:innen, die als Polizeihäftlinge eigens dafür in das Lager gebracht wurden.
Die Massenerschießungen wurden Ende 1943 eingestellt, als Arthur Liebehenschel (1901–1948) den bisherigen Lagerkommandanten Rudolf Höss (1901–1947) ablöste. Zwar ließ Liebehenschel die „Todeswand“ abbauen, allerdings fanden Erschießungen weiterhin am Krematorium IV auf dem Lagergelände in Birkenau statt.
Das „Bunkerbuch“
Die Aufzeichnungen über die Einlieferungen in das Lagergefängnis führten Häftlinge, die als „Blockschreiber“ eingesetzt waren. Das zunächst inoffiziell, dann offiziell geführte „Bunkerbuch“ ist für den Zeitraum vom 9. Januar 1941 bis zum 1. Februar 1944 in zwei Bänden überliefert, weil Häftlinge heimlich Kopien anlegten und einen Band im Original, einen weiteren in Kopie aus dem Gefängnis schmuggelten.1Ausführlich zu dieser Quelle Brol et al., „Das Bunkerbuch des Blocks 11“. Die drei Autoren, die ehemaligen polnischen politischen Häftlinge Franciszek Brol (1919–unbekannt), Gerard Włoch (1919–unbekannt) und Jan Pilecki (1913–unbekannt), waren selbst maßgeblich für die Anlegung, Führung und spätere Rettung des „Bunkerbuches“ verantwortlich gewesen.
Das „Bunkerbuch“ enthält Angaben über 2 137 Häftlinge, wobei manche Männer mehrfach verzeichnet sind, weil sie mehr als einmal in das Gefängnis eingeliefert wurden. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass zahlreiche Häftlinge – insbesondere Frauen, Polizeihäftlinge, unmittelbar aus dem Lager zur Erschießung herangeführte Häftlinge, mit Stehbunker bestrafte Häftlinge,2Sie wurden über Nacht in die Stehzellen eingesperrt und am nächsten Morgen wieder zur Arbeit geführt. sowjetische Kriegsgefangene und andere Gruppen – nicht eingetragen wurden. Das „Bunkerbuch“, das zudem nur einen begrenzten Zeitraum der Existenz des Lagergefängnisses abdeckt, gibt daher keine Auskunft darüber, wie viele Häftlinge das Gefängnis durchliefen oder wie viele Häftlinge an der „Todeswand“ ermordet wurden.
Sinti und Roma
Anhand des „Bunkerbuches“ lassen sich die Namen von 86 Sinti und Roma feststellen, die im Zeitraum vom 16. Februar bis zum 3. Dezember 1943 in das Lagergefängnis eingewiesen wurden.3Ergänzende Recherchen wurden in dem Kalendarium, dem Gedenkbuch und den Arolsen Archives vorgenommen. Dabei handelt es sich um 75 Männer aus dem Lagerabschnitt BIIe, die aufgrund des Auschwitz-Erlasses deportiert worden waren, und um elf Sinti und Roma aus anderen Lagerbereichen. Unter den 86 Männern befanden sich zwei Rumänen, drei Staatenlose (aus Deutschland deportiert), vier Österreicher, 15 Polen, 24 Deportierte aus den deutsch besetzten tschechischen Ländern sowie 38 Deutsche.
Der Jüngste war Johann Winterstein (geb. 1928) aus Deutschland, der geflohen und ergriffen worden war und am 25. Juni 1943 im Alter von 14 Jahren erschossen wurde. Anton Glowatzki (geb. 1894), der Älteste unter ihnen und polnischer Nationalität, wurde auf Veranlassung des Lagerführers in den „Bunker“ überstellt und dort am 11. Juni 1943 im Alter von 49 Jahren ebenfalls erschossen.
Das Durchschnittsalter dieser Gruppe betrug 25 Jahre, knapp ein Fünftel waren 18 Jahre oder jünger. Es handelte sich also um vermutlich noch kräftige sowie entschlossene Jugendliche und junge Männer, die sich trotz der grausamen Praktiken im Lager und der Übermacht der bewaffneten SS-Bewachung gegen die menschenunwürdigen Zustände auflehnten. Darauf lassen die Gründe für die Einweisungen schließen, die im „Bunkerbuch“ vermerkt wurden. Mehr als die Hälfte wurde wegen Beihilfe zur Flucht (ein Mann), Fluchtversuchs oder Fluchtverdachts (17), oder aber nach erfolgter Flucht (28) in das Lagergefängnis eingewiesen. Für die Einweisung von zwölf Männern war die Politische Abteilung, in 28 weiteren Fällen der Lagerführer verantwortlich, wobei die Gründe nicht dokumentiert sind.
Anhand der Daten zu den Fluchtversuchen lässt sich erkennen, dass es meist mehrere Männer waren, die zu fliehen versuchten – es handelte sich also weniger um individuelle, sondern meist um kollektive Aktionen mit dem Ziel, dem Lagerregime zu entkommen. So wurden am 7. Mai 1943 sechs Roma aus dem Protektorat Böhmen und Mähren nach erfolgter Flucht in das Lagergefängnis gebracht. Auch der Lagerführer oder die Politische Abteilung wiesen meist kleinere Gruppen in den „Bunker“ ein, was sowohl auf untereinander abgesprochenes widerständiges Verhalten seitens der Häftlinge, als auch auf kollektive und willkürliche Strafmaßnahmen durch die SS schließen lässt.
Von den 86 Männern überlebten 19 eine meist mehrtägige Haft im Lagergefängnis. Sieben von ihnen wurden in die Strafkompanie eingewiesen, wo sechs nachweislich starben. Von den übrigen zwölf Männern starben zwei im Lagerabschnitt BIIe und zehn wurden später in die Konzentrationslager Buchenwald, Flossenbürg (zwei) oder Natzweiler (einer) überstellt.
Bei neun Männern lässt sich der Verbleib nicht klären. Im „Bunkerbuch“ ist bei ihnen zwar eine Entlassung vermerkt, allerdings ist damit nicht gesichert, dass sie das Lagergefängnis lebend verlassen haben.4Brol et al., „Das Bunkerbuch des Blocks 11“, 34, verweisen auf zwei Häftlinge, zu denen es einen Vermerk über die Entlassung aus dem „Bunker“ gibt, die jedoch nach dem Appell am Tag der angeblichen Entlassung ermordet wurden. Es ist auch denkbar, dass sie zur Hinrichtung zu dem Ort zurückgebracht wurden, von dem aus sie geflohen waren. Der ehemalige polnische politische Häftling Eugeniusz Ciećkiewicz (1914–unbekannt) berichtete von einem derartigen Fall, der sich im Außenlager Janinagrube in Liebenz (polnisch: Libiąż) zugetragen hatte: „Der Zigeuner, der einen Fluchtversuch ergriffen hatte, wurde zuerst im Bunker im Außenlager eingesperrt und später nach Auschwitz in den Block 11 überstellt. Nach etwa zwei Monaten wurde ein Galgen auf dem Gelände der Janinagrube errichtet und der Zigeuner wurde öffentlich erhängt.“5Archiv des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, Bestand Berichte, Bd. 30, 94–100. Zit. nach Die Vernichtung der europäischen Roma im KL Auschwitz, 31.
Erschießungen
58 Sinti und Roma, die „Bunker“ inhaftiert waren, wurden ermordet. Einzig Karl Devis (geb. 1928) starb im Lagergefängnis selbst unter ungeklärten Umständen kurz nach seinem 16. Geburtstag. Alle anderen wurden nach und nach in den Innenhof geführt und erschossen.654 Sinti und Roma sind namentlich, mit Häftlingsnummer und Sterbedatum aufgeführt in Parcer und Grotum, „Die Analyse der erhaltenen Dokumente“, 217–219. Nicht angegeben wird jedoch, dass bis auf einen alle erschossen wurden. Es fehlen außerdem die Namen der vier polnischen Roma, die am 19. Februar 1943 erschossen wurden. Die ersten Erschießungsopfer unter den Sinti und Roma waren vier polnische Roma, die am 19. Februar 1943 wegen Fluchtverdachts drei Tage nach ihrer Einlieferung in den „Bunker“ erschossen wurden: Asafan Czerwieniak (1912–1943), Józef Mirga (1913–1943), Władysław Olszewski (1912–1943) und Władysław Szczerba (1922–1943). Zuletzt wurde am 9. November 1943 der Tscheche Wenzel Holomek (geb. 1925) ermordet.
Meist wurden während der Selektionen im „Bunker“ mehrere Sinti und Roma zur Erschießung ausgewählt. Besonders sticht die Mordaktion vom 22. Mai 1943 hervor: Unter 26 Erschossenen befanden sich allein 15 Sinti und Roma, darunter zehn Tschechen, die geflohen waren. Eine weitere Gruppe von zwölf Sinti und Roma wurde am 25. Juni 1943 ermordet, auch sie waren alle geflohen oder eines Fluchtversuchs verdächtig. Wenig später, am 28. Juni 1943, wurden fünf polnische Roma erschossen, die wenige Tage zuvor in Auschwitz-Birkenau eingeliefert worden waren. Am gleichen Tag mussten zwei Roma rumänischer Nationalität sterben, die zu den ersten gehört hatten, die im Lagerabschnitt BIIe registriert worden waren: Josef Kasperowicz (geb. 1923), registriert unter Z-8, und Franz Kasperowicz (geb. 1925), registriert unter Z-9.




