Während und nach dem Zweiten Weltkrieg sind Millionen Menschen heimatlos gemacht worden: Sie wurden verschleppt, vertrieben oder mussten flüchten. Die große Mehrheit dieser bis zu elf Millionen nichtdeutschen Befreiten, Flüchtlinge und Vertriebenen entstammte aus dem östlichen und südöstlichen Europa. Bei Kriegsende oder kurz danach befanden sich diese vor allem im deutschsprachigen Raum und in Italien. Um diese Menschen zu versorgen und in ihre Herkunftsländer zurückzuführen, etablierten die Alliierten die Verwaltungskategorie „DP“ – Displaced Persons.1Jacobmeyer, Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer; Wyman, DP: Europe’s displaced persons 1945–1951; Balint, Destination elsewhere. Ob Sinti:ze und Rom:nja diesen Status, der Schutz und Versorgung bedeutete, erlangen konnten, hing von vielen verschiedenen Faktoren ab.
Die Situation bei Kriegsende
Menschen, die als DPs anerkannt wurden, unterschieden sich in Sprache, Religion, Ethnie, Herkunft, Kriegserfahrungen und Nationalität. Diese sehr verschiedenen Personen und Gruppen hatten im Wesentlichen nur zwei Dinge gemeinsam: Erstens, dass sie sich nicht an dem Ort befanden, an dem sie vor Kriegsbeginn lebten. Zweitens, dass sie keine Deutschen waren oder als ehemalige Feinde der Alliierten galten. Die Rückführungen der DPs erfolgte dabei nicht nur freiwillig, sondern fand auch unter Zwang statt.2Fitzpatrick, Lost Souls; Bernstein, Return to the Motherland. Zudem zogen sich die Repatriierungen aufgrund von Transportschwierigkeiten über einen längeren Zeitraum hin. Parallel zu diesen Rückführungen nach Ost und Südost setzten zudem in entgegengesetzter Richtung weitere Fluchtbewegungen ein.
Anders als von den Alliierten geplant, wurde spätestens ab Ende 1945 deutlich, dass nicht alle Displaced Persons in ihren Herkunftsländern zukünftig leben wollten. Für jüdische DPs spielte Antisemitismus eine Rolle sowie der Wunsch, auszuwandern. Viele von ihnen wollten sich am Aufbau eines eigenen jüdischen Staates in Palästina beteiligen.3Person und Labentz, Jüdische DPs aus Polen; Königseder und Wetzel, Lebensmut im Wartesaal; Brenner, Nach dem Holocaust. Für die zahlenmäßig weitaus größere Gruppe der nichtjüdischen DPs spielten vor allem Grenzverschiebungen und Antikommunismus eine Rolle. Auch daraus erwuchs der Wunsch nach Emigration.4Nowak, Kingdom of Barracks; Dyczok, The Grand Alliance; Antons, Ukrainische Displaced Persons; Knapton, Occupiers, Humanitarian Workers, and Polish Displaced Persons. Dieser wurde durch die Zuspitzung des Kalten Krieges noch verstärkt.
Somit verblieben etwa eine Million Displaced Persons über Jahre in den Westzonen Deutschlands und Österreichs. Sie erhielten zunächst von der United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) Unterstützung. Ab 1947 übernahm die International Refugee Organisation (IRO) die Verantwortung für die DPs. Die IRO versorgte dabei nicht nur die DPs, sondern half ihnen bei der Auswanderung. Ein Großteil dieser „letzten Million“ wanderte vor allem nach Nordamerika, Australien und Palästina/Israel aus.5Nasaw, The last Million. Das bürokratische Label Displaced Person existierte als solches bis 1951.6Huhn und Rass, Displaced person(s). Diejenigen DPs, etwa 130 000 Menschen, die dann weiterhin in Westdeutschland verblieben, erhielten einen neuen Status: Als sogenannte „Heimatlose Ausländer“ fielen sie in den Zuständigkeitsbereich westdeutscher Behörden.
Sinti:ze und Rom:nja und der DP-Status
Die Verwaltungskategorie DP wurde zwar im Laufe der Jahre immer wieder angepasst, doch war sie vor allem entlang nationaler Kategorien gedacht. Deutsche und sogenannte „ex-enemy nationalities“ [Angehörige ehemals feindlicher Staaten] waren von der internationalen DP-Versorgung explizit ausgeschlossen. Formal betrachtet konnten deutsche Sinti:ze und Rom:nja daher nicht als DPs anerkannt werden. Jedoch war einem Großteil der Sinti:ze und Rom:nja aus Deutschland und Österreich während der NS-Zeit die Staatsbürgerschaft entzogen worden. Dies machte ihre rechtliche Lage besonders schwierig. Nicht weniger kompliziert war es für nichtdeutsche Sinti:ze und Rom:nja. Offiziell gab es weder bei der UNRRA noch der IRO die Kategorie „Zigeuner“ oder „Gypsy“. Zum Teil vermerkten jedoch UNRRA- oder IRO-Mitarbeitende als bekannte oder vermutete Kategorie den Zusatz „Gypsy“ in Formularen. Wie gezeigt werden wird, konnte sich dies für DPs positiv wie negativ auswirken.
Im Kontext der Anerkennung als DPs hatten Sinti:ze und Rom:nja keine explizite Lobby. Zum überwiegenden Teil wurden Sinti:ze und Rom:nja vornehmlich unter ihrer Staatsbürgerschaft rubriziert. Sie bildeten dadurch keine zusammenhängende und für ihre Anerkennung streitende Gruppe, wie zum Beispiel jüdische oder ukrainische DPs. Jüdische und ukrainische Displaced Persons gab es zunächst ebenfalls als offizielle DP-Kategorien nicht. Erst der lange und hartnäckige Kampf um Anerkennung durch die Betroffenen selbst schuf diese bürokratischen Einteilungen.7Antons, „The Nation in a Nutshell”; Person und Labentz, Jüdische DPs aus Polen. Sinti:ze und Rom:nja als DPs befanden sich somit in unterschiedlichen DP-Camps, die vornehmlich entlang nationaler Kategorien aufgebaut wurden. In gewisser Hinsicht trat dadurch ihre spezifische Verfolgungsgeschichte in den Hintergrund. Erschwerend für die heutige Forschung kommt hinzu, dass aufgrund des nationalen DP-Verständnisses die Kategorie „Gypsies“ in Dokumenten der Alliierten oder internationalen Organisationen nur am Rande erwähnt wurden.
Eine Pionierstudie zu DPs und Sinti:ze und Rom:nja legte Ari Joskowicz (geb. 1975) im Jahr 2016 vor.8Joskowicz, „Romani Refugees”. Er analysierte 573 Vorgänge bei der IRO, die mit dem Zusatz „Gypsy“ versehen sind. Dieser Zusatz, so Joskowicz, konnte – zumindest eine gewisse Zeit – den Antragstellenden Vorteile verschaffen.9Ebd., 764. Zugleich muss darauf hingewiesen werden, dass die Forschung zu diesem Thema noch am Anfang steht. In der DP-Forschung ist es ein bisher zumeist gänzlich blinder Fleck.10Hagen et al., Displaced Persons-Forschung. So ist eine große Dunkelziffer an Sinti:ze und Rom:nja zu vermuten, die zwar als DPs Anerkennung fanden, jedoch bewusst oder unbeabsichtigt dafür sorgten, dass ihre Herkunft keine Erwähnung in den offiziellen Dokumenten fand. Unbekannt ist auch, wie viele Sinti:ze und Rom:nja bei der Antragsstellung scheiterten, da sie aufgrund der Verfolgung keine Papiere besaßen oder diese nicht beschaffen konnten. Zu bedenken ist zudem, dass aufgrund der NS-Verfolgung und jahrzehntelang erfahrenen staatlichen Diskriminierungen und Demütigungen nicht wenige Sinti:ze und Rom:nja Behörden gegenüber äußert skeptisch waren.11Reuss, Kontinuitäten der Stigmatisierung, 213.
Es kann daher zum derzeitigen Zeitpunkt nicht festgestellt werden, wie viele Sinti:ze und Rom:nja als Displaced Persons anerkannt wurden und Unterstützung erhielten. Joskowicz machte in seinen Untersuchungen zu denjenigen mit explizitem Zusatz „Gypsy“ auf drei Gruppen aufmerksam: auf diejenigen aus dem deutschsprachigen Raum, den italienisch-jugoslawischen Grenzgebieten und aus der Tschechoslowakei, die vor allem ab 1948 in die Westzonen Deutschland kamen.12Joskowicz, „Romani Refugees”, 766–67. Bei diesen Gruppen stellte er eine hohe Anerkennungsrate fest. Diese Sinti:ze und Rom:nja und dann DPs konnten zumindest zeitweise von der offiziellen Anerkennung in den Westzonen profitieren. Einigen gelang dadurch auch die Auswanderung.
Fallbeispiele
Die angegebene und im Sinne der DP-Kategorie „richtige“ Staatsbürgerschaft war ein Schlüssel, um als Displaced Person anerkannt zu werden, wie das Beispiel von Emil Růžička (1923–unbekannt), einem tschechoslowakischen Staatsbürger, zeigt. Er hatte das Konzentrations– und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und das Konzentrationslager Flossenbürg überlebt. Er war zunächst in seine Heimat zurückgekehrt, verließ die Tschechoslowakei jedoch 1948. Růžička gab gegenüber der IRO an, er sei aufgrund der kommunistischen Regierungsübernahme aus seiner Heimat geflohen. Diese Begründung hatte Erfolg, denn sie passte in das antikommunistische Narrativ.13Holian, “Anticommunism in the Streets“. Es finden sich zwar in seinem Antrag auch explizite Hinweise auf seine ethnische Zugehörigkeit sowie seine Inhaftierung in Konzentrationslagern, doch scheint Růžičkas antikommunistische Einstellung für den IRO-Officier ausschlaggebend gewesen zu sein.14Arolsen Archives, CM1 Emil Ruzicka, online: https://collections.arolsen-archives.org/de/document/79674544 [Zugriff: 03.04.2025]. Er erhielt damit die Anerkennung als Displaced Person und die daraus resultierende Versorgung.
Die Frage der Staatsbürgerschaft war bei Sintize und Romnja besonders relevant: Wie zum damaligen Zeitpunkt rechtlich üblich, mussten Frauen bei der Eheschließung automatisch die Staatsbürgerschaft des Mannes übernehmen. Die Ehe mit einem männlichen DP ermöglichte es zum Beispiel deutschen Sintize und Romnja, die Staatsbürgerschaft zu wechseln beziehungsweise der Staatenlosigkeit zu entkommen. Heiratete zum Beispiel eine deutsche Sintiza einen anerkannten tschechoslowakischen DP, so wurde auch sie im Folgenden unter der Kategorie „tschechische DP“ gezählt. Ein Beispiel dafür ist Josefa (auch Josepha/Josefine) Köhler (1921–1992). Sie hatte während der NS-Zeit untertauchen können. Nach dem Krieg gründete sie in München eine Familie mit ihrem tschechischen Ehemann, der wiederum als DP galt. Dies ermöglichte ihnen und ihren beiden Kindern, Deutschland zu verlassen. 1949 erhielten sie ein Visum für Australien. Auf den Bewerbungen um die Emigration und in den Einwanderungsunterlagen gab Josefa Köhler ihre Herkunft zu keinem Zeitpunkt an. Sie erwähnte auch nicht ihr eigenes Verfolgungsschicksal oder das ihrer Familie.15Grandke, „Die Verfolgung der Sinti und Roma”, 45. Die Eheschließung mit einem anerkannten DP ermöglichte es also Sintize und Romnja im bürokratischen Sinne auch, ihre ethnische Zugehörigkeit nach außen abzulegen und so Diskriminierungen zu entgehen.
Das Preisgeben der eigenen Herkunft beziehungsweise das bürokratische Ablegen dieser Kategorie wurde besonders relevant in Bezug auf Visafragen, denn Antiziganismus existierte nicht nur in den europäischen Gesellschaften. So war zum Beispiel die Ausstellung von Visa für über 180 000 DPs von Seiten des australischen Staates keine humanitäre Leistung. Vielmehr standen Arbeitskräftemangel, die heimische Wirtschaft sowie die eigene Nationsbildung im Zentrum des staatlichen Interesses.16Persian, Beautiful Balts. Anzunehmen ist, dass nicht wenige Sinti:ze und Rom:nja und dann DPs mit dem Willen zur Auswanderung aufgrund ihrer Erfahrungen wussten, dass es ein Nachteil sein könnte, über ihre ethnische Zugehörigkeit Auskunft zu geben.
Es sind aber auch andere Fälle dokumentiert. Angehörige einer romani Familie aus dem Grenzgebiet zwischen Italien und Jugoslawien erhielten zunächst eine Anerkennung als Displaced Persons. Bei der Beantragung von Auswanderungshilfe nach Brasilien wurden sie jedoch abgewiesen. Der Grund der Ablehnung war explizit ihre Herkunft. Die Familie bewarb sich 1951, zwei Jahre später, erneut. Nun kam ihnen der hauptverantwortliche IRO-Mitarbeiter zu Hilfe und erklärte die Familie für auswanderungsberechtigt. Es sei auffallend, so Joskowicz, dass besonders hochrangige IRO-Mitarbeitende sich für Personen mit Zusatz „Gypsy“ aussprachen. Damit konnten auch Ablehnungen durch hierarchisch niedere Verwaltungsbeamte abgeändert werden.17Joskowicz, „Romani Refugees”, 774.
Besonders komplex war die Sachlage bei Sinti:ze und Rom:nja aus Ostpreußen. Aufgrund der vom NS-Regime aberkannten deutschen Staatsbürgerschaft galten diese Sinti:ze und Rom:nja zunächst als staatenlos. Gleichzeitig waren deren Herkunftsorte nicht mehr Teil des deutschen Staates, sondern aufgeteilt auf Republiken der Sowjetunion und Polen. Offensichtlich konnte diese Gemengelage dazu führen, dass Sinti:ze und Rom:nja aus Ostpreußen zumindest zeitweise als DPs anerkannt wurden und internationale Unterstützung erhielten.18Bsp. vor allem für Nordostbayern. Dabei mussten die Antragsstellenden in einem unübersichtlichen Geflecht von Akteur:innen agieren. Wenn zum Beispiel Sinti:ze und Rom:nja aus Ostpreußen angaben, in einer Stadt geboren zu sein, die nun aufgrund der Grenzverschiebungen zu Polen gehörte, verwies die UNRRA sie an polnische DP-Selbsthilfeorganisationen. Diese sollten den Sinti:ze und Rom:nja aus Ostpreußen die polnische Abstammung bestätigen und bei den bürokratischen Vorgängen unterstützen. Im Fall von Bruno Dombrowoski (auch Dambrowski) (1919–unbekannt) stellte ihm das polnische Komitee in Neunburg vorm Wald, Bayern, eine Bescheinigung aus, doch vermerkte es auf Polnisch, er sei „ohne Nationalität“.19Arolsen Archives, CM1, Bruno Dambrowski, online: https://collections.arolsen-archives.org/de/document/79018214 [Zugriff: 03.04.2025]. Unter der zeitweiligen Kategorisierung als polnischer DP musste Dombrowoski polnischsprachige Formulare ausfüllen. Er machte darin aus seiner vormaligen deutschen Staatsbürgerschaft kein Geheimnis. In der Zeile zum Verfolgungshintergrund ist „Gypsy“ vermerkt.20Arolsen Archives, CM1, Bruno Dambrowski, online: https://collections.arolsen-archives.org/de/document/79018209 [Zugriff: 03.04.2025]. Über mehrere Jahre zog sich dann die Frage nach seiner Staatsbürgerschaft hin. Zwischenzeitlich empfahl der zuständige IRO-Mitarbeiter die Aberkennung des DP-Status, da Dombrowoski eigentlich deutscher Staatsbürger sei. Der ostpreußische Sinto wiederum erklärte, sein Vater sei Pole gewesen, weshalb auch er als solcher zu gelten habe. Letztendlich und nach langem bürokratischem Ringen blieb Dombrowoski versorgungsberechtigt. Expliziter Hintergrund war nun laut dem zuständigen Mitarbeiter seine Zugehörigkeit als „Gypsy“, die NS-Verfolgung sowie die daraus resultierende Staatenlosigkeit, die es erfordere, ihn zu unterstützen.21Joskowicz, „Romani Refugees”, 771.
Offene Fragen
Den Aspekt des Aufeinandertreffens zum Beispiel polnischer DP-Selbstverwaltungen und Sinti:ze und Rom:nja gilt es zukünftig zu untersuchen. Ethnisch polnische DPs waren nicht frei von Antiziganismus. Es kam aber vor, dass polnische DPs an verschiedenen Stellen ihre eigene Situation des Umherirrens und Verschobenwerdens von DP-Lager zu DP-Lager mit ihren (stereotypen) Vorstellungen eines „Zigeunerlebens“ verglichen. Es ist fraglich, wie sich dies auf die jeweilige Wahrnehmung auswirkte oder ob es sogar eine gewisse Solidarität ermöglichen konnte. Katarzyna Nowak streift in ihrer Untersuchung zu polnischen DPs auch Rom:nja aus Polen, die sie als eher „am Rande der polnischen [DP-]Gemeinschaft“ beschreibt.22Nowak, Kingdom of Barracks, 84 f. In Zukunft sollte die Forschung dies genauer beleuchten.
Festzuhalten bleibt, dass Sinti:ze und Rom:nja keine eigene Vertretung oder Lobbygruppe unter den DPs hatten. Zugleich waren jedoch in allen nationalen DP-Gruppen auch Sinti:ze und Rom:nja anwesend. Wie gestaltete sich dieses Zusammenleben in den DP-Camps? Gab es Unterschiede in den jeweiligen nationalen DP-Gruppen? Und wenn ja, warum?
Obwohl es weder für die UNRRA noch die Nachfolgeorganisation IRO eine DP-Kategorie „Gypsy“ gab,23Joskowicz, „Romani Refugees”, 761, 772. existierten einige DP-Camps, die die IRO explizit als „Gypsy Camps“ bezeichnete, etwa das DP-Lager Broitzem in Braunschweig.24Arolsen Archives, Namentl. Listen über DP‘s registriert nach dem 1. Mai 1950, Zigeuner Lager Broitzem über Braunschweig (IRO-Betreuung), online: https://collections.arolsen-archives.org/de/document/81972872 [Zugriff: 03.04.2025]. Hier gilt es genauer zu untersuchen, wer als DPs in diesen Camps lebte und IRO-Unterstützung erhielt.
Ansonsten lassen sich bisher nur vereinzelt Hinweise auf Gruppen finden, die die UNRRA als „Gypsies“ bezeichnete. Zum Beispiel sollen sich im Dezember 1946 „34 Hungarian gypsies (persecutees)“ in Landshut in Bayern befunden haben.25Archiv der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, Kopien UN-Archives, PAG 4/30.11.3.1/S 424, Box 13, UNRRA, District No. 3, HQ Regensburg, Field Operation Daily Summary, 16./17.12.1946, 19.12.1946. Im Zuge der weiteren Digitalisierung der weltweit verstreuten Überlieferung zu Displaced Persons wird es möglich sein, in verschiedenen Datenbanken Sinti:ze und Rom:nja zu identifizieren. Anschließend könnten personenbezogene Recherchen Lebens- und mögliche Emigrationswege offenlegen.
Joskowicz geht davon aus, dass vielen Mitarbeitenden der IRO das Ausmaß der NS-Verfolgung von Sinti:ze und Rom:nja bewusst gewesen sei.26Joskowicz, „Romani Refugees”, 775. Dieses Bewusstsein für den Völkermord konnte hilfreich sein und zu einer Anerkennung führen. Zugleich sind aber auch Fälle von Benachteiligungen bekannt.27Ebd., 773. Es gab sogar ehemalige hochrangige Angehörige von NSDAP, SS (Schutzstaffel) oder Gestapo, die mehrere Jahre lang für die IRO arbeiteten. Bisher nicht untersucht wurde, wie sich dies gegebenenfalls auf die IRO-Unterstützung in Bezug auf Sinti:ze und Rom:nja auswirkte.28Warnock und Bath, Discrimination against Roma and Sinti, 431.
Bekannt ist jedoch, dass auch internationale Organisationen, wie der Internationale Suchdienst (ITS), die sich als humanitäre Organisationen der Hilfe für Überlebende und deren Angehörige verschrieben hatten, nicht frei von antiziganistischen Praktiken waren.29Ebd., 437. Auch hieran zeigt sich: Unabhängig davon, ob Sinti:ze und Rom:nja hatten nach dem Überleben der NS-Verfolgung in ihrem Herkunftsland verblieben oder nicht, ob sie als DPs anerkannt wurden oder nicht, waren sie doch überall mit Antiziganismus konfrontiert.30Rosenhaft, Strangers in Their Own Land, https://www.nationalww2museum.org/war/articles/romani-holocaust-survivors-1945 [Zugriff: 03.04.2025].