Das Fortunoff Video Archive for Holocaust Testimonies (FVAHT) wurde 1979 mit Hilfe des Holocaust Survivors Film Project (HSFP) gegründet, um Gespräche mit Überlebenden und Zeug:innen des Holocaust in New Haven, Connecticut, USA, auf Video aufzuzeichnen. Dieses auf Nachhaltigkeit angelegte Interviewprojekt war das erste seiner Art und wurde von einer Gruppe von Freiwilligen geleitet, bei denen es sich zumeist um Überlebende handelte. Unter ihnen war etwa William Rosenberg (1929–1996), geboren in Tschenstochau, Polen, und Leiter von Farband, einer lokalen zionistischen Arbeiterorganisation von Überlebenden in New Haven. Rosenberg fungierte als Präsident des HSFP. Zwei weitere Personen, die an der Gründung des Projekts beteiligt waren, waren Dori Laub (1937–2018), eine Psychoanalytikerin und Überlebende aus Czernowitz (heute Ukraine), sowie Laurel Fox Vlock (1926–2000), eine lokale Fernsehreporterin. 1981 konnten sie dank der Bemühungen von Professor Geoffrey H. Hartman (1929–2016), der mit einem Kindertransport aus Frankfurt am Main, Deutschland, geflohen und als angesehener Professor für vergleichende Literaturwissenschaft in Yale tätig war, eine erste Sammlung von 183 Zeugnissen an die Universitätsbibliothek Yale übergeben.
Die Sammlung
Auf der Basis dieser Zeugnisse entstand ein Archiv mit einem breit gefächerten Sammlungsbereich: Es wurden Zeugnisse von jüdischen und nichtjüdischen Überlebenden der Lager und Ghettos gesammelt, also auch Zeugnisse von Sinti:ze und Rom:nja; von Zeug:innen, die im Versteck überlebten oder Juden:Jüdinnen versteckten, von Partisan:innen und Widerstandskämpfer:innen, Befreier:innen, Augenzeug:innen von Verfolgungsmaßnahmen sowie von Personen, die nach dem Krieg Überlebenden halfen. Das Archiv ist nach Alan M. Fortunoff (1933–2000) benannt, der mit einer bedeutenden Spende dessen Einrichtung ermöglichte. Das Archiv zeichnet noch immer in New Haven Zeugenaussagen auf. Es umfasst derzeit ca. 12 000 Stunden aufgezeichnetes Material in 20 verschiedenen Sprachen aus Nord- und Südamerika, Europa und Israel.
Zeugnisse von Rom:nja und Sinti:ze
Das FVAHT enthält derzeit 48 Interviews von überlebenden Rom:nja und Sinti:ze, die meisten davon in deutscher und slowakischer Sprache, vier in Romanes. Das Fortunoff-Archiv war eine der ersten audiovisuellen Sammlungen, die Interviews aus dieser Opfergruppe aufzeichnete. Dabei handelte es sich um 18 Aufnahmen, die 1991 von der Anthropologin Gabrielle Tyrnauer (1931–2004) durchgeführt wurden. Die übrigen Aufnahmen mit überlebenden Rom:nja stammen aus anderen Kooperationsprojekten, darunter fünf Interviews, die 1996 von der Stiftung Film und Soziologie (Nadace Film & Sociologie) in Prag aufgezeichnet wurden, ein Interview vom 13. Mai 1995 mit der Überlebenden des Massakers von Szczurowa im deutsch besetzten Polen, Krystyna Gil (1938–2021), sowie 24 Interviews, die zwischen 1998 und 2000 von der Milan Šimečka Foundation (Nadácia Milana Šimečku, NMŠi) aus Bratislava in der Ostslowakei verantwortet wurden. Aufgrund fehlender rechtlicher Freigabeformulare sind die 24 Aufnahmen der NMŠi derzeit für eine breitere wissenschaftliche Nutzung nicht zugänglich.
Inzwischen befinden sich in der Sammlung der FVAHT außerdem 79 Interviews mit jüdischen Überlebenden, die von Erfahrungen mit Sinti:ze und Rom:nja zeugen. Die Überlebenden beschreiben ihre Beziehungen zu romani Häftlingen in den Lagern, die Deportationen und den Überlebenskampf der Sinti:ze und Rom:nja, zum Beispiel im Konzentrations– und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.
Das Fortunoff-Archiv verfolgt einen ethischen, auf die Bedürfnisse der Überlebenden ausgerichteten Ansatz und verfügt über Richtlinien zum Schutz der Privatsphäre sowie zur Kontrolle des Zugangs zu den Interviews und deren Nutzung.