Das Gefängnis Loos-lez-Lille, gelegen in der Stadt Loos, südwestlich von Lille im Norden Frankreichs, war während der deutschen Besatzung zeitweise ein Sammellager für Sinti:ze und Rom:nja, die später in das Konzentrations– und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Hauptverantwortlich für die Razzien, die zur Einweisung in das Gefängnis führten, war die Oberfeldkommandantur 670 in Lille.
Die Stadt Loos hatte ihren Namen von einem im 12. Jahrhundert gegründeten Zisterzienserkloster erhalten. Das Kloster war nach der Französischen Revolution verkauft und 1817 in ein Gefängnis mit dem Namen Loos-lez-Lille umgewandelt worden. 1906 hatte man den Gebäudekomplex um einen Neubau, bestehend aus einer Rotunde mit vier Flügeln, erweitert.
Nach der deutschen Besetzung und dem Waffenstillstand vom 22. Juni 1940 wurden die französischen Departements Nord und Pas-de-Calais dem Gebiet Belgiens zugeschlagen und dem deutschen Militärbefehlshaber für Belgien und Nordfrankreich unterstellt. Die Hauptverantwortung für das Gefängnis trug Heinrich Niehoff (1897–1946), der bis zum Januar 1943 Kommandant der Oberfeldkommandantur 670 war. Ein Teil der Anlage wurde beschlagnahmt, um ein separates „Deutsches Viertel“ zu errichten, das für französisches Personal unzugänglich war. In diesem Teil des Gefängnisses wurden ‚Feinde des Reiches‘, Oppositionelle, Widerstandskämpfer:innen, Geiseln, Juden:Jüdinnen sowie ‚Zigeuner‘ inhaftiert und verhört, um sie gegebenenfalls in andere Gefängnisse oder Lager zu überstellen.
Oberfeldkommandantur 670 in Lille
Während der Razzien, die im Herbst 1943 gegen Sinti:ze und Rom:nja durchgeführt wurden, um sie in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau zu deportieren, leitete Georg Bertram (1882–1953) die Oberfeldkommandantur 670 in Lille. Als Oberfeldkommandant verfügte er de facto über legislative, exekutive und judikative Befugnisse in den Departements Nord und Pas-de-Calais und konnte über die Feldgendarmerie, die die Verhaftungen durchführte, und die Geheime Feldpolizei (GFP), die die Informationen erfasste, verfügen. Beide waren der Wehrmacht unterstellt. Hinzu kamen der Spionageabwehrdienst und die Abwehr, die ab Sommer 1942 durch den Sicherheitsdienst (SD) ersetzt wurde.
In Lille hatte die Feldgendarmerie ihren Sitz am Boulevard de la Liberté und die Geheime Feldpolizei in der Rue Tenremonde. Beide Behörden verfügten über exekutive Befugnisse. Die Abwehr, später Sipo-SD, befand sich in der Nähe von Lille, in La Madeleine, zunächst in der Avenue du Jardin-Botanique 14 und später in der Rue François-de-Badts 20. Alle Verhaftungen in den beiden nördlichen Departements fielen in den Zuständigkeitsbereich der Feldgendarmerievor Ort. Sie fungierte als ‚bewaffneter Arm‘ der Sicherheitspolizei (Sipo-SD). Darüber hinaus entwickelte sich im Laufe des Krieges eine vollständige Zusammenarbeit zwischen der GFPund der Feldgendarmerie einerseits und den Gendarmeriebrigaden und den französischen Polizeikräften andererseits. Es waren diese Strukturen und die Männer der Wehrmacht, die in der ‚zone rattachée‘ von 1940 bis zum Sommer 1944 den Großteil der Repressionen gegen die ‚Feinde des Reichs‘ übernahmen. Die Häftlings-Personalkarten der Sinti:ze und Rom:nja, die über Auschwitz-Birkenau in das Konzentrationslager Buchenwald eingewiesen worden waren, trugen den Vermerk: „Eingewiesen durch SD Brüssel“.
Die Festnahmen im Herbst 1943
Im Bezirk Lille, wo die größte Razzia im Zuge der Festnahmen im Herbst 1943 stattfand, wies die Feldgendarmerievon Roubaix die zentrale Polizeistation der Stadt an, ihr alle ‚Zigeuner‘ zuzuführen. In Roubaix sollten an vier verschiedenen Orten gleichzeitig Personen festgenommen werden, und dazu griff man auf die bessere Ortskenntnis der lokalen Polizei zurück. Die Zusammenarbeit mit der französischen Polizei bei den Verhaftungen erwies sich zudem als vorteilhafte Maßnahme zur Einsparung von Personal. 63 Verhaftete wurden zunächst zum Sitz der Feldgendarmerie, 4 rue du Manège, in Roubaix gebracht. Der Präfekt des Departements Nord, der bei Kriegsbeginn zunächst von den deutschen Entscheidungen ausgeschlossen worden war, wurde davon in Kenntnis gesetzt. In einigen Bezirken wie Douai wurde auch die französische Polizei eingesetzt, in Avesnes-sur-Helpe die lokalen französischen Behörden.
Mindestens 140 Sinti:ze und Rom:nja wurden zwischen Oktober und Dezember 1943 in den Departements Nord und Pas-de-Calais verhaftet und in das Gefängnis Looz-le-Lille verschleppt. Die Personen, die in Pas-de-Calais verhaftet wurden, durchliefen zunächst die Gefängnisse von Arras und Béthune, bevor sie nach Loos-lez-Lille gebracht wurden. Die im Departement Nord festgenommenen Sinti:ze und Rom:nja wurden direkt in das Gefängnis eingeliefert. Untergebracht waren sie in den Überresten der Gebäude der Zisterzienserabtei. Vor ihrem Weitertransport unternahm die Geheime Feldpolizei in Lille in der Rue Tenremonde die Identifizierung der Verhafteten und führte Befragungen durch. Danach wurden die Sinti:ze und Rom:nja auf Lastwagen zum ‚SS-Sammellager‘ in der Kaserne Dossin in Mechelen transportiert, wo sie zwischen dem 5. November und dem 9. Dezember registriert wurden. Ob dies jeweils der Tag der Ankunft war, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, da die Einträge manchmal rückdatiert wurden. Am 15. Januar 1944 wurden sie mit dem ‚Transport Z‘ in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert.