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  • Publikationsdatum 5. März 2024

Im Großherzogtum Luxemburg ist die Ansässigkeit von Sinti:ze seit dem frühen 18. Jahrhundert belegt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrieb die Luxemburger Regierung eine konsequente Aus- und Abweisungspolitik gegenüber Sinti:ze und Rom:nja. Grenznahe Gendarmerie– und Polizeiposten wurden angewiesen, sogenannte Zigeunerbanden über die Grenzen nach Frankreich oder Belgien zu bringen und ihre Zurückweisung nach Luxemburg zu verhindern. Bei der Dorfbevölkerung waren Sinti:ze und Jenische jedoch willkommen, da sie Waren des täglichen Bedarfs anboten oder als Schausteller:innen auf den Jahrmärkten für Unterhaltung sorgten. Die rigide Haltung der Behörden setzte sich auch in den 1920er- und 1930er-Jahren konsequent fort, was sich unter anderem darin zeigte, dass Niederlassungen von Sinti:ze und Rom:nja im Land weiterhin behindert wurden.

Am 3. Mai 1932 unterzeichnete die Luxemburger Regierung mit Frankreich und Belgien ein Abkommen, welches die Frage der „Zurückweisung der Nomaden regeln sollte.1Archives Nationales Luxembourg, J-061-18, Arrangement avec la France et la Belgique relatif au refoulement et au passage des nomades, 0011. Die Betroffenen werden darin von der luxemburgischen Verwaltung fortwährend als „umherziehende Ägypter“, als „Gesetzlose“ oder als „Kirchendiebe“ bezeichnet – ein Wortgebrauch, der bereits am Ende des 18. Jahrhunderts in Luxemburg gängig war. Trotz der Schikanen lassen sich dennoch einige Familien nachweisen, die zumindest zeitweilig in Luxemburg lebten und sich unter anderem in Capellen, Itzig, Küntzig oder Wasserbillig aufhielten. In Limpertsberg, einem Stadtteil der Hauptstadt Luxemburg, versuchte eine aus Ungarn stammende Familie vergeblich, Häuser käuflich zu erwerben oder anzumieten. Erfolgreich niederlassen konnten sich nur diejenigen, die ihre Zugehörigkeit zur Minderheit vor Außenstehenden zu verbergen wussten.

Sinti:ze und Rom:nja wurden zusammen mit Jenischen oftmals mit dem Begriff ‚Fahrende‘ bezeichnet. Für Luxemburg lässt sich festhalten, dass die Anzahl der jenischen Familien bedeutend höher war als die der Angehörigen der Romanes sprechenden Minderheit. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert hatten sich jenische Familien vor allem in den Vororten der Stadt Luxemburg, darunter in Weimerskirch, angesiedelt. Neben dem ambulanten Handel verdienten sie ihren Lebensunterhalt als Schausteller:innen, Altmetall- oder Altkleiderhändler:innen. Vereinzelt gaben sie ihre Gewerbe auf und nahmen eine Arbeit in der Stahl- und Eisenindustrie des Landes an, um ihre ökonomische Situation verbessern zu können.

Unter deutscher Besatzung

Am 10. Mai 1940 wurde Luxemburg von der deutschen Wehrmacht militärisch besetzt. Einige Monate später, am 2. August, übernahm Gustav Simon (1900–1945), Gauleiter des Gaues Koblenz-Trier, die Zivilverwaltung (Chef der Zivilverwaltung, CdZ). Sein Auftrag bestand darin, Luxemburg zu germanisieren und zu nazifizieren. Das neu gewonnene Territorium sollte in das Deutsche Reich eingegliedert werden, was 1941 mit dem Anschluss an den Gau Koblenz-Trier (später in Gau Moselland umbenannt) de facto geschah.

Am 5. September 1940 wurden die Nürnberger Gesetze in Luxemburg eingeführt. Obwohl im Deutschen Reich auch Sinti:ze und Rom:nja diesem rassistischen Sonderrecht unterworfen waren, ist nach bisherigem Kenntnisstand die Anwendung der ‚Rassegesetze‘ in Luxemburg nur gegenüber Juden:Jüdinnen erfolgt. Sie wurden systematisch entrechtet und enteignet, Synagogen wurden geplündert oder zerstört. In einer ersten Phase zwang man mindestens 3 000 Menschen jüdischer Konfession, von denen die Mehrheit seit 1933 nach Luxemburg emigriert war, das Land in Richtung Westen zu verlassen. Jüdische Fluchthilfenetzwerke halfen, die dafür notwendigen Visa zu beschaffen. Am 16. Oktober 1941 begann die zweite Phase der Verfolgung jüdischer Menschen in Luxemburg mit der ersten Deportation in das Getto Litzmannstadt. Bis 1943 sollten sechs weitere Transporte folgen. Insgesamt wurden etwa 1 300 Juden:Jüdinnen aus Luxemburg Opfer der Shoah.

Für die Verfolgung der Sinti:ze und Rom:nja im Land war das Einsatzkommando der Sicherheitspolizei (Sipo) und des Sicherheitsdienstes (SD) in Luxemburg (EKL) zuständig, das sowohl die Gestapo (Geheime Staatspolizei) als auch die Kriminalpolizei und den SD umfasste. Die Identifizierung von Sinti:ze und Rom:nja unterlag den Befugnissen der Kriminalpolizei, deren Meldeblätter für Luxemburg sich regelmäßig mit Sachverhalten und Erlassen zu „Zigeunerfragen“ befassten. Inwieweit die in Berlin ansässige Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens nach der Besatzung des Landes eine Rolle spielte, konnte bislang nicht geklärt werden. Dass die Besatzungsmacht jedoch davon überzeugt war, dass sich im besetzten Luxemburg ‚Zigeuner‘ aufhalten würden, zeigen mehrere behördliche Initiativen. So wies das Finanzamt am 22. Januar 1943 auf die „Lohnsteuerliche Sonderbehandlung der Zigeuner“ hin, und ein Kommissar für das Steuer- und Zollwesen beim CdZ in Luxemburg ordnete am 12. Oktober 1943 für die Kreise Esch/Alzette, Diekirch und Grevenmacher im Hinblick auf die Ausstellung von Lohnsteuerkarten für das Jahr 1944 eine landesweite Erfassung der Personenstandsdaten auch von ‚Zigeunern‘ an.

Netzwerke zur Fluchthilfe

Es wurde mehrfach berichtet, dass es in Luxemburg Netzwerke gab, die auch Sinti:ze vor NS-Verfolgung zu schützen versuchten. So floh der in Bernau, Deutschland, lebende Hans Braun (1923–1999) Ende 1941 oder Anfang 1942 nach Luxemburg zu dort lebenden, teilweise mit ihm verwandten Sinti und erhielt von ihnen, so Hans Braun in einem Interview, einen gefälschten Ausweis der NS-Organisation Kraft durch Freude (KdF), mit dem er ein Jahr lang unerkannt in Luxemburg leben konnte. Gemeinsam verdingten sie sich als Musiker und lebten nach seiner Aussage in einem Hotel mit angegliedertem Schwimmbad, das zur Zeit der NS-Besatzung Luxemburgs als KdF-Zentrum betrieben wurde. Es ist anzunehmen, dass es sich hierbei um die zwischen Luxemburg-Stadt und dem Vorort Hesperingen gelegene, als Gantenbeinsmillen bekannte Gaststätte handelte, die über ein Schwimmbad verfügte. Abgesehen von einigen wenigen, übereinstimmenden mündlichen Überlieferungen ist jedoch nichts Weiteres über dieses Netzwerk bekannt. Auch Jenische boten sowohl in Luxemburg als auch im Grenzgebiet zu Belgien verfolgten Sinti:ze Unterschlupf, Schutz und Verpflegung. Nach aktuellem Kenntnisstand wurden höchstwahrscheinlich mehrere Sinti:ze in Luxemburg-Pfaffenthal in einem Warenlager einer jenischen Handelsfamilie verborgen, und es gilt als gesichert, dass andere im Ösling, den stark bewaldeten Ardennen im Grenzgebiet zu St. Vith, im Wohnhaus einer jenischen Familie versteckt waren.

Die Kriminalpolizei ging ihrerseits davon aus, dass ‚Zigeuner‘ unter falschem Namen in Luxemburg leben würden. Im Meldeblatt vom 9. Januar 1943 beispielsweise wurde nach Angehörigen der Familie Rose, namentlich Anton (1874–1944), Vinzenz (1908–1996) und Oskar Rose (1906–1968) gefahndet. Hans Braun zufolge sollen zumindest Oskar und Vinzenz Rose sich zeitweise unter falschen Namen in Luxemburg aufgehalten und ihm bei der Flucht geholfen haben. Einige in Luxemburg ansässige Sintifamilien, wie die Familie des 1951 in Luxemburg geborenen Jacques Delfeld sen., vermochten es, über die gesamte Besatzungszeit hinweg im Land zu leben, ohne als ‚Zigeuner‘ identifiziert zu werden. Dies gelang ihnen, weil sie außerhalb der Familie nur Luxemburgisch sprachen.

Verschleppungen aus Luxemburg und Deportationen Luxemburger Sinti:ze

Obwohl am 29. März 1943 im Zusammenhang mit dem Auschwitz-Erlass von Heinrich Himmler (1900–1945) auch für Luxemburg ein Deportationsbefehl erging, lässt sich bislang nicht belegen, dass es in Luxemburg Initiativen für eine koordinierte Deportation gegeben hat. Allerdings ist die Verhaftung auf Luxemburger Territorium mit anschließender Deportation nach Auschwitz-Birkenau in mehreren Fällen bekannt, in denen die Betroffenen zuvor im Deutschen Reich kriminalpolizeilich als ‚Zigeuner‘ erfasst worden waren: Der bereits erwähnte Hans Braun, der nach Rückkehr zu seiner Familie in Deutschland über mehrere Stationen ein zweites Mal nach Luxemburg geflohen war, wurde am 22. April 1943 über das Gefängnis in Luxemburg-Grund deportiert. Seine beiden Cousins, Hugo Ernst (1918–unbekannt) und Wilhelm Ernst (1921–1943), wurden am selben Tag von Luxemburg aus deportiert.

Den am 24. März 1942 im luxemburgischen Niederkorn (einem Stadtteil von Differdingen) geborenen Robert Georg Lehmann (1942–1944) holte am 7. März 1944 eine Angestellte der Kriminalpolizei Duisburg in Niederkorn persönlich ab, da die Pflegeeltern – es handelte sich um die Schwester des Kindsvaters und deren Ehemann – sich geweigert hatten, ihren Neffen auszuliefern. Von Duisburg aus wurde das Kleinkind zusammen mit seinem fünfjährigen Bruder Egon Karl Lehmann nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo beide bald darauf starben.

Christine Lehmann mit ihren Kindern Egon Karl (links) und Robert Georg, 1942. Aufgrund der „Nürnberger Gesetze“ war es Christine Lehmann verboten worden, den Vater der Kinder zu heiraten. Christine Lehmann wurde im Juli 1943 in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet. Vergeblich hatten sie und der Kindsvater versucht, die Kinder zu retten. Robert Georg Lehmann wurde von der Kriminalpolizei Duisburg, Deutschland, im Februar 1944 aus Luxemburg abgeholt und wenig später zusammen mit seinem Bruder ebenfalls nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Auch sie überlebten nicht.

Die Fotografie ist das letzte Zeugnis von Mutter und Söhnen. Sie wurde im September 1942 an eine Verwandte geschickt und trägt die Aufschrift „Passe gut auf die 2 tschawe [Romanes: Kinder] auf.“

Fotograf:in: unbekannt (Studioaufnahme)

Sammlung Mario Reinhardt

Darüber hinaus lassen sich circa 20 weitere Sinti:ze mit direkter Verbindung zum Großherzogtum identifizieren, die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung wurden. Hierunter fallen Menschen, die zwar im Großherzogtum geboren, später aber im Deutschen Reich verhaftet und nach Auschwitz-Birkenau oder in andere Konzentrationslager deportiert und dort zum Teil ermordet wurden. Eine von ihnen war die in Mertert bei Wasserbillig geborene Anna Weinand geborene Kreitz (1912–unbekannt), die aus Niedermendig, Kreis Mayen im heutigen Rheinland-Pfalz, nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurde und nicht überlebte. Der in Luxemburg-Stadt geborene Max Winter (1938–vermutlich 2004) wiederum lebte mit seiner Familie seit 1938 in der luxemburgischen Hauptstadt. Wie lange sich die Familie in Luxemburg aufhielt, kann nicht präzise festgestellt werden. Am 16. Dezember 1939 meldete sie sich in Köln an. Wie andere Sinti:ze wurde auch Familie Winter im Mai 1940 in das sogenannte Generalgouvernement im deutsch besetzten Polen verschleppt. Max Winter und sein Vater überlebten, der Verbleib der restlichen Familienmitglieder konnte bislang nicht geklärt werden.

Anfang September 1944 wurde Luxemburg zum Großteil von der US-amerikanischen Armee befreit. Jedoch erst nach dem Ende der ‚Ardennenoffensive‘, im Januar 1945, konnten die deutschen Besatzer aus dem gesamten luxemburgischen Staatsgebiet zurückgedrängt werden.

Nach der Befreiung

Nach dem Krieg blieb die Verfolgung von Sinti:ze und Rom:nja aus Luxemburg über Jahrzehnte unbeachtet, wenngleich erste Erwähnungen bereits 1961 während des Prozesses gegen Adolf Eichmann (1906–1962) erfolgten: Der jüdische Überlebende Aharon Beilin (1908–unbekannt) berichtete in seiner Aussage am 7. Juni, dass in den für ‚Zigeuner‘ vorgesehenen Lagerabschnitt in Auschwitz-Birkenau auch Menschen aus Luxemburg eingewiesen worden seien. Laut einer Schätzung des belgischen Wissenschaftlers Alain Reyniers (geb. 1952) sollen zwischen 200 und 500 „Fahrende“ aus Luxemburg Opfer der NS-Verfolgung geworden sein. Diese Zahl konnte bislang nicht bestätigt werden. Bis in die 2020er-Jahre widmeten sich nur wenige Forschende der Geschichte und der Verfolgung von Sinti:ze und Rom:nja in Luxemburg.

Einzelnachweise

  • 1
    Archives Nationales Luxembourg, J-061-18, Arrangement avec la France et la Belgique relatif au refoulement et au passage des nomades, 0011.

Zitierweise

Jérôme Courtoy / Daniel Thilman: Luxemburg, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 5. März 2024.-

1940
10. Mai 1940Deutschland erweitert den Krieg auf den Westen Europas; die Wehrmacht marschiert in Belgien, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden ein.
5. September 1940Im deutsch besetzten Luxemburg werden die Nürnberger Gesetze eingeführt.
1942
16. Dezember 1942„Auschwitz-Erlass”: Heinrich Himmler, Chef der Schutzstaffel („Reichsführer SS”), ordnet die Deportation von Sinti:ze und Rom:nja aus dem Deutschen Reich in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an.
1943
29. März 1943Das Reichssicherheitshauptamt ordnet die Deportation von Rom:nja und Sinti:ze aus deutsch besetzten Gebieten und Ländern (Belgien, Bezirk Bialystok, Elsass, Lothringen, Luxemburg, Niederlande und Nordfrankreich) in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an.
22. April 1943Hans Braun und zwei seiner Cousins werden aus dem Gefängnis Luxemburg-Grund in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Dies ist die einzige bekannte, direkte Deportation von Angehörigen der Minderheit aus dem Deutsch besetzten Luxemburg nach Auschwitz.
12. Oktober 1943Anordnung der Personenstandsaufnahme für Polen, ‚Zigeuner‘ und ‚Ostarbeiter‘ in den Kreisen Esch/Alzette, Diekirch und Grevenmacher, deutsch besetztes Luxemburg, zur Ausstellung der Lohnsteuerkarten für das Jahr 1944.
1944
7. März 1944Der zweijährige Robert Georg Lehmann wird gemeinsam mit seinem fünfjährigen Bruder Egon Karl Lehmann in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert, nachdem er zwangsweise von der deutschen Kriminalpolizei aus Luxemburg in das Deutsche Reich überführt wurde. Beide Kinder überleben das Lager nicht.