Zwangslager für als ‚Zigeuner‘ Verfolgte

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Zwangslager für als ‚Zigeuner‘ Verfolgte
  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 5. März 2024

Während des Nationalsozialismus entstanden im Deutschen Reich und in deutsch besetzten oder mit Deutschland verbündeten Ländern besondere Lager, in die ausschließlich als ‚Zigeuner‘ stigmatisierte Menschen eingewiesen wurden. Die als Zigeunerlager bezeichneten Zwangslager dienten der rassistischen Absonderung von der übrigen Bevölkerung, der Rekrutierung zur Zwangsarbeit, der Erfassung und Kontrolle sowie als Sammellager für Deportationen. Sie waren meist polizeilich bewacht und baulich von der Umgebung abgegrenzt. Die Internierten waren permanenter Kontrolle und der Willkür durch Bewachungskräfte ausgesetzt. Im Hinblick auf die Organisationsformen und Lebensbedingungen sind verschiedene Phasen und Ausprägungen festzustellen. Während Lagergründungen seit 1933 vor allem von kommunalen Initiativen ausgingen, dominierten mit Kriegsbeginn polizeiliche und sicherheitspolizeiliche Instanzen der mittleren und oberen Verwaltungsebenen.

Bedeutung der Zwangslager im Verfolgungsprozess

Sybil Milton (1941–2000) charakterisierte die lokalen Zwangslager als „Vorstufe zur Vernichtung“. Tatsächlich folgte auf die Isolation in den Lagern im Deutschen Reich in der Regel die Deportation. Die Zwangslager erfüllten in dieser Hinsicht den gleichen Zweck, den Gettohäuser und Gettos für den Mord an der jüdischen Bevölkerung hatten. Die nur für Sinti:ze und Rom:nja bestimmten Lagerbereiche im Getto Litzmannstadt und im Konzentrations– und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau sind als Radikalisierung dieser Isolationspolitik hin zur Vernichtungspolitik anzusehen.

Auch quantitativ ist die Rolle der Zwangslager herauszustellen: Fasst man die kommunalen und die sicherheitspolizeilichen Lager zusammen, so dürfte sich etwa die Hälfte aller Sinti:ze und Rom:nja im Deutschen Reich zumindest zeitweise in einem dieser Lager befunden haben. Für das Deutsche Reich einschließlich Österreich und dem Protektorat Böhmen und Mähren ist festzuhalten, dass die Internierung von Sinti:ze und Rom:nja in Zwangslagern und deren anschließende Deportation signifikant für den Verfolgungsprozess waren. Dies gilt jedoch nicht für die meisten der besetzten oder auch der mit dem Deutschland verbündeten Länder, denn die Verfolgungspraxis differierte je nach Regime, Besatzungspolitik und Kriegslage.

Zwangslager in Europa

Eine Vielzahl von Zwangslagern existierte in dem im Mai 1940 von Deutschland überfallenen Frankreich. Schon vor dem Einmarsch der Wehrmacht war allen ‚nomades‘ das Reisen verboten worden und die so Bezeichneten wurden in jedem Département in den „Camps d’internement de nomades“ genannten Lagern interniert. Im Oktober 1940 gab die deutsche Militärverwaltung eine Direktive an die französische Polizei heraus, alle Sinti:ze und Rom:nja in Sammellagern zu konzentrieren. In Vichy-Frankreich existierten mehrere kleine Lager für die aus dem Elsass abgeschobenen Sinti:ze und Rom:nja, in denen sehr unterschiedliche Verhältnisse herrschten. Viele Internierte wurden von dort im Sommer 1942 in das größere Lager Saliers deportiert. Doch anders als im deutschen Reichsgebiet, fanden aus diesen Lagern – bis auf einige individuelle Verschleppungen – keine Deportationen statt.

Im faschistischen Italien wurden mit Kriegseintritt im Juli 1940 auch Sinti:ze und Rom:nja als für die Nation „gefährlich“ eingestuft. Vor allem gegenüber nicht ortsfest lebenden sowie ausländischen Sinti:ze und Rom:nja ordnete man entweder eine Internierung in Kommunen, in Konzentrationslagern oder Strafkolonien an. Auch wurden Sinti:ze und Rom:nja in die Verbannung auf verschiedene Inseln geschickt. Einige Lager, etwa in Agnone oder Bojano, waren ausschließlich für Angehörige der Minderheit vorgesehen.

In anderen besetzten oder mit Deutschland verbündeten Ländern gab es fließende Übergänge in der Internierungspolitik ohne eine systematische Ausbildung von nur für Sinti:ze und Rom:nja bestimmten Zwangslagern. In dem als Generalgouvernement annektierten Teil des deutsch besetzten Polens wurden die aus Deutschland deportierten Sinti:ze und Rom:nja oft in improvisierten Sammel- oder Zwangsarbeitslagern untergebracht. Eine systematische Internierung in separaten Zwangslagern gab es nicht. In der zweiten Kriegshälfte fanden verstärkt Einweisungen in bereits bestehende Gettos statt. In Transnistrien, wohin das mit dem Reich verbündete Rumänien Juden:Jüdinnen und Rom:nja abschob, kam es zur Bildung von gettoähnlichen Zwangsansiedlungen. In Ungarn verschärfte sich die Verfolgung in der letzten Kriegsphase, nachdem Deutschland das Territorium seines ehemaligen Verbündeten besetzt hatte. In zahlreichen Orten wurden lokale und regionale Sammellager geschaffen, von wo aus Deportationen vor allem über das Lager Komárom insbesondere in die Konzentrationslager Dachau und Ravensbrück erfolgten.

Umgang mit den Zwangslagern nach 1945

Die Zwangslager hatten einen haftähnlichen Charakter, die Lebensbedingungen in den Lagern waren meist bedrückend. Einige, wie Lackenbach im Burgenland oder Lety bei Pisek und Hodonin bei Kunstadt im Protektorat Böhmen und Mähren, waren Konzentrationslagern ähnlich. Mehrere Hundert Sinti:ze und Rom:nja starben in den Lagern; die Gesamtzahl der Todesopfer in allen Zwangslagern ist bis heute nicht erforscht.

Nach 1945 wurde die Gefangenschaft in Zwangslagern meist nicht als Unrecht anerkannt. Die Stätten, an denen die Lager eingerichtet gewesen waren, gerieten entweder in Vergessenheit, wurden umgenutzt und überformt oder mussten Überlebenden, die aus Konzentrationslagern zurückkehrten, als erste provisorische Bleibe dienen. Ein Bewusstsein dafür, dass diese Stätten Orte der Verfolgung waren, setzte sich erst allmählich durch und führte vor allem seit den 1990er-Jahren dazu, dass mancherorts Gedenktafeln angebracht oder Denkmale gesetzt wurden. Der einzige Ort eines ehemaligen Zwangslagers, an dem sich heute ein Museum und eine Gedenkstätte befindet, ist Lety bei Písek in Tschechien.

Zitierweise

Karola Fings: Zwangslager für als ‚Zigeuner‘ Verfolgte, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 5. März 2024.-