Zwangslager für als ‚Zigeuner‘ Verfolgte

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Zwangslager für als ‚Zigeuner‘ Verfolgte
  • Version 1.0
  • Letztes Änderungsdatum 23. November 2023

Inhaltsverzeichnis

Während des Nationalsozialismus entstanden im Deutschen Reich und in deutsch besetzten oder mit Deutschland verbündeten Ländern besondere Lager, in die ausschließlich als ‚Zigeuner‘ stigmatisierte Menschen eingewiesen wurden. Die als ‚Zigeunerlager‘ bezeichneten Zwangslager dienten der rassistischen Absonderung von der übrigen Bevölkerung, der Rekrutierung zur Zwangsarbeit, der Erfassung und Kontrolle sowie als Sammellager für Deportationen. Sie waren meist polizeilich bewacht und baulich von der Umgebung abgegrenzt. Die Internierten waren permanenter Kontrolle und der Willkür durch Bewachungskräfte ausgesetzt. Im Hinblick auf die Organisationsformen und Lebensbedingungen sind verschiedene Phasen und Ausprägungen festzustellen. Während Lagergründungen seit 1933 vor allem von kommunalen Initiativen ausgingen, dominierten mit Kriegsbeginn polizeiliche und sicherheitspolizeiliche Instanzen der mittleren und oberen Verwaltungsebenen.

Sybil Milton charakterisierte die lokalen Zwangslager als „Vorstufe zur Vernichtung“. Tatsächlich folgte auf die Isolation in den Lagern im Deutschen Reich in der Regel die Deportation. Die Zwangslager erfüllten in dieser Hinsicht den gleichen Zweck, den Gettohäuser und Gettos für den Mord an der jüdischen Bevölkerung hatten. Auch quantitativ ist die Rolle der Zwangslager herauszustellen: Fasst man die kommunalen und die sicherheitspolizeilichen Lager zusammen, so dürfte sich etwa die Hälfte aller Sinti:ze und Rom:nja im Deutschen Reich zumindest zeitweise in einem dieser Lager befunden haben. Die nur für Sinti:ze und Rom:nja bestimmten Lagerbereiche im Getto Litzmannstadt und im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau sind als Radikalisierung dieser Isolationspolitik hin zur Vernichtungspolitik anzusehen.

Für das Deutsche Reich einschließlich Österreich und dem Protektorat Böhmen und Mähren ist festzuhalten, dass die Internierung von Sinti:ze und Rom:nja in Zwangslagern mit deren anschließender Deportation signifikant für den Verfolgungsprozess waren. Dies gilt jedoch nicht für die meisten der besetzten oder auch der mit dem Deutschen Reich verbündeten Länder, wo die Verfolgungspraxis je nach Regime, Besatzungspolitik und Kriegslage differierte.

Eine Vielzahl von Zwangslagern existierte in dem im Mai 1940 vom Deutschen Reich überfallenen Frankreich. Schon vor dem Einmarsch der Wehrmacht war allen ‚Nomades‘ das Reisen verboten worden und die so Bezeichneten wurden in vielen Départements in den „Camps d’internement de Nomades“ genannten Lagern interniert. Doch anders als im Reichsgebiet, erfolgten Deportationen nur in wenigen Einzelfällen.

Im faschistischen Italien wurden mit Kriegseintritt im Juli 1940 auch Sinti:ze und Rom:nja als für die Nation „gefährlich“ eingestuft. Vor allem nicht ortsfest lebende sowie ausländische Sinti:ze und Rom:nja deportierte man in Internierungslager in Süditalien (besonders in Tossicia, in der Provinz Teramo, in Agnone sowie in der Provinz Campobasso). Mehrere Hundert wurden zudem in abgelegenen Dörfern interniert, besonders in Zentral- und Norditalien.

In anderen besetzten oder mit dem Reich verbündeten Ländern sind fließende Übergänge bei der Internierungspolitik festzustellen, ohne dass es zu einer systematischen Einrichtung von nur für Sinti:ze und Rom:nja vorgesehenen Zwangslagern kam. In dem als Generalgouvernement annektierten Teil des deutsch besetzten Polens wurden die aus dem Deutschen Reich deportierten Sinti:ze und Rom:nja in oft improvisierte Sammel- oder Zwangsarbeitslager untergebracht. In der zweiten Kriegshälfte sind verstärkt Einweisungen in bereits bestehende Gettos oder, wie in Transnistrien, wohin das mit dem Reich verbündete Rumänien Juden:Jüdinnen und Rom:nja abschob, die Bildung von ghettoähnlichen Zwangsansiedlungen vorzufinden. In Ungarn verschärfte sich die Verfolgung in der letzten Kriegsphase, nachdem das Deutsche Reich das Territorium seines ehemaligen Verbündeten besetzt hatte. In zahlreichen Orten wurden lokale und regionale Sammellager geschaffen, von wo aus Deportationen vor allem über das Lager Komárom insbesondere nach Buchenwald und Ravensbrück erfolgten.

Die Zwangslager hatten einen haftähnlichen Charakter, die Lebensbedingungen in den Lagern waren meist bedrückend. Manche, wie etwa Lackenbach im Burgenland oder Lety sowie Hodonín im Protektorat Böhmen und Mähren, trugen auch KZ-ähnliche Züge. Hunderte Sinti:ze und Rom:nja starben in den Lagern. Vielen Überlebenden deutschen Sinti:ze und Rom:nja blieb nach der Befreiung dennoch nichts anderes übrig, als eine erste Unterkunft die ehemaligen Zwangslager zu nutzen, weil ihnen andere Wohnmöglichkeiten verwehrt wurden. In Frankreich wurden erst ein Jahr nach Kriegsende die Direktive aus dem Jahr 1940 aufgehoben und die letzten Lager aufgelöst.

Die Zeit der Gefangenschaft in den Zwangslagern erkannte die Bundesrepublik Deutschland bei der Entschädigung über Jahrzehnte nicht an. Eine Markierung der ehemaligen Lager mit Denkmalen oder Gedenktafeln, die auf die historische Bedeutung dieser Orte verweisen, setzte erst seit den 1980er Jahren ein und ist für viele Stätten bis heute nicht erfolgt.

Zitierweise

Karola Fings: Zwangslager für als ‚Zigeuner‘ Verfolgte, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 1. November 2023. -