Heinrich Bergmann, geboren am 21. November 1902 in Kassel, Deutschland, hatte in seiner Funktion als Leiter der deutschen Kriminalpolizei in Estland von Januar 1942 bis Februar 1944 eine Schlüsselrolle bei der Vernichtung der estnischen Rom:nja.
Werdegang
Seine lange Karriere bei der Polizei begann Bergmann im Jahr 1923. Von 1934 bis 1935 arbeitete er bei der Sicherheitspolizei (Sipo) in Hanau und von 1935 bis 1939 bei der Kriminalpolizei in Kassel. Er wurde 1937 Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und trat 1939 in die SS (Schutzstaffel) ein. Ende November 1941 wurde Bergmann Leiter der deutschen Kriminalpolizei im Büro der deutschen Sipo in Estland unter Dr. Martin Sandberger (1911–2010). Während der wenigen Monate im Sommer und Herbst 1942 übernahm er nacheinander die Leitung der deutschen Sipo-Außenstellen im an Estland angrenzenden Teil Russlands: Pskow, Luga und Krasnoe Selo. Nach seiner Rückkehr nach Estland war Bergmann im Herbst 1942 Leiter der Abteilung A-IV (‚Politische Straftäter‘) der deutschen Sipo. Danach übernahm er wieder die Leitung der Kriminalpolizei.
Aktive Rolle beim Völkermord
Neben seinen unmittelbaren Aufgaben war Bergmann für die Ausbildung des Personals der estnischen Sicherheitspolizei zuständig und machte die estnischen Polizisten mit dem nationalsozialistischen deutschen Konzept der ‚Vorbeugehaft‘ vertraut. Bergmann sagte, dass die Kriminalpolizei praktisch „mehr und mehr in den Dienst der Rasse- und Erbforschung gestellt“ werden müsse. Die Rassenbiologie bestimme die angeborenen Eigenschaften von „Gewohnheitsverbrechern“, argumentierte er. Aus diesem Grund forderte er die estnischen Polizeiangehörigen auf, „neben den politischen Staatsfeinden auch die asozialen und kriminellen Volksfeinde zu bekämpfen“. In dem deutschen Erlass über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei von 1937 – der sofort ins Estnische übersetzt wurde – wurden Rom:nja ausdrücklich unter den als „asoziale Elemente“ Anzusehenden erwähnt.
Am 27. Mai 1942 schlug Bergmann vor, „umherziehende“ Rom:nja wie Juden:Jüdinnen zu behandeln und „sesshafte“ Rom:nja unter polizeilicher Aufsicht zu stellen. Personen, die zu „asozialem Verhalten“ neigten, nachgewiesen durch frühere Verurteilungen, könnten getötet werden. Am 27. Oktober 1942 übermittelte die estnische Sicherheitspolizei Bergmann einen Bericht über die Hinrichtung von 243 Roma in Harku. Der Fall Willem Indus (unbekannt–1943) aus Narva veranschaulicht die direkte Beteiligung Bergmanns am Massenmord an den Rom:nja. Am 7. Dezember 1942 unterzeichnete er rückwirkend das Todesurteil gegen Indus, das zuvor von der estnischen Sicherheitspolizei vollstreckt worden war. Der Urteilsspruch lautete: ‚Zigeuner‘.
Während seiner kurzen Tätigkeit als Leiter der Abteilung A-IV der deutschen Sipo im Herbst 1942 war Bergmann am Massenmord an den Juden:Jüdinnen beteiligt. Er unterzeichnete die Todesurteile für die letzten überlebenden estnischen Juden:Jüdinnen wie Reet Türno (geborene Rose Tisch) (Lebensdaten nicht bekannt), wickelte die Weiterdeportation von acht finnischen Juden in das Konzentrations– und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ab und spielte eine wichtige Rolle bei der Massentötung von 1 754 Juden:Jüdinnen, die aus Theresienstadt, Frankfurt am Main und Berlin nach Estland deportiert worden waren. Es gibt auch Beweise dafür, dass Bergmann die wenigen überlebenden deutschen und tschechischen Juden:Jüdinnen, die später im Zentralgefängnis von Tallinn inhaftiert wurden, körperlich misshandelt hat.
Zwischen März und September 1944 leitete Bergmann erneut die Abteilung A-IV der deutschen Sipo in Estland. Im September 1944 verließ Bergmann Tallinn in Richtung Berlin, wo er, wie sein unmittelbarer Vorgesetzter Sandberger ein Jahr zuvor, in die Abteilung VI des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) wechselte.
Nach dem Krieg
Bei Kriegsende befand sich Bergmann zusammen mit mehreren anderen Beamten des RSHA in Innsbruck, Österreich. Ab August 1945 lebte er in Deutschland.
Von 1955 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1962 war Bergmann als Beamter im Bundeskriminalamt in Wiesbaden tätig. Innerhalb eines Jahres übernahm er die Position eines Kriminalkommissars. Bergmanns Name tauchte im Verfahren des sowjetischen Kriegsverbrecherprozesses 1961 auf, in dem es um den Massenmord an den deutschen und tschechoslowakischen Juden:Jüdinnen in Kalevi-Liiva im Herbst 1942 ging. Ende 1967 ordnete der Kasseler Strafsenat die Festnahme Bergmans bis zum Abschluss eines Ermittlungsverfahrens an. Er verbrachte jedoch nur vier Monate in Untersuchungshaft. Später wurde der Angeklagte wegen seines schlechten Gesundheitszustands für verhandlungsunfähig erklärt, und 1970 wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt. Er starb am 14. Mai 1980 in Kassel.