Nach eigenen Angaben wurde Nadir Dedić 1928 – in seinen offiziellen Papieren ist der 7. Mai 1930 vermerkt – in dem Dorf Žeravica bei Mokrice (Bezirk Bosanska Gradiška, Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen) geboren. Seine nachfolgend vorgestellte Biografie basiert hauptsächlich auf seiner persönlichen Aussage, die er 2004 gegenüber Mitarbeiter:innen der Gedenkstätte Jasenovac gemacht hat.1Gedenkstätte Jasenovac, 745: JSV DMZ – 3/07. Zeugenaussage Nadir Dedić (Abschrift).
Freiheitsentzug
Aufgrund des Zweiten Weltkrieges brach Dedić 1941 die Schule ab und arbeitete als Schafhirte bei einem wohlhabenden Bauern in Brestovčina. Danach war er für einen örtlichen Deutschstämmigen in Nova Topola tätig. Im September 1942 entzündete sich durch ihn beim Hüten von Vieh ein Feuer, das sich unkontrolliert ausbreitete, was zu seiner Verhaftung wegen des Verdachts der Kollaboration mit den Partisan:innen führte.
Er wurde zunächst im Lager Stara Gradiška interniert, das zum Jasenovac-Komplex gehörte, und dann in das zentrale Konzentrationslager Jasenovac verlegt. Dort hatte er das Glück, als Muslim und nicht als Rom zu gelten, und arbeitete einige Wochen in der Schlosserwerkstatt als Reinigungskraft, bevor er aus dem Lager entlassen wurde. Danach kehrte er nach Žeravica zurück und arbeitete erneut als Schafhirte.
Flucht und Widerstand
Im Oktober 1944 zog Dedićs Familie aus Angst vor der Gewalt der Ustaša um. Mithilfe von Partisan:innen gingen sie zunächst nach Donji Šor in der Nähe von Podvorac und dann in das Dorf Gornji Podgradci, wo er und seine Familie (wie auch mehrere andere Familien der Rom:nja) in einem verlassenen Haus untergebracht wurden.2Die Information „Donji Šor bei Podvorac“ basiert auf der Abschrift des oben erwähnten Interviews mit Nadir Dedić; es konnten jedoch keine Orte mit diesen Namen im Interessengebiet identifiziert werden.
Im Jahr 2004 berichtete Dedić, dass die in Žeravica verbliebenen Rom:nja am 22. Oktober 1944 im Dorf Mlaka getötet worden seien, obwohl anderen Quellen zufolge der Ort des Massakers in Jablanac oder Uskočke šume lag.3Miletić, Koncentracioni logor Jasenovac, Bd. 4, 350, 368, 372; Milišić, „Stradanje Roma”, 537. Insgesamt habe er, so Dedić, 81 nahe und entfernte Verwandte verloren, 34 von ihnen im Konzentrationslager Jasenovac.
Nadir Dedić schloss sich schließlich selbst einer Partisaneneinheit an: der 20. Krajina-Brigade der 39. Division des 6. Militärbezirks [20. krajiška brigada, 39. divizija, 6. vojna oblast]. Er nahm an Kämpfen in Bosnien, Kroatien und Slowenien teil; hauptsächlich war er als Pferdeführer in der Partisaneneinheit tätig.
Nachwirkungen
Ende der 1960er-Jahre gehörte Nadir Dedić zu den Initiatoren der Errichtung eines Denkmals im Dorf Žeravica, das den 1944 ermordeten Rom:nja von Mokrice und Žeravica gewidmet ist.
Das 1970 eingeweihte Denkmal trägt die Inschrift: „Ich, das ewige Steinsymbol, erinnere Sie, lieber Besucher, an die 611 Zigeuner, die dem faschistischen Terror während des Großen Befreiungskrieges von 1941 bis 1945 zum Opfer fielen. Der Verband der Kämpfervereinigung NOR, Bos. [Bosanska] Gradiška.“ [Ja, vječni kamen simbol podsjećam te dragi posjetioče na 611 Cigana koji padoše kao žrtve fašističkog terora u toku velikog oslobodilačkog rata od 1941. do 1945. godine. Savez udruženja boraca NOR-a Bos. Gradiška].
Dedić war 1986 auch ein aktives Mitglied des Runden Tisches von Jasenovac. Im Mai 2019 erwähnte er in einem Interview für den kroatischen Fernsehsender „Nova TV“, dass er als Partisan während des Krieges einen unbewaffneten deutschen Soldaten getötet habe.4„S 13 godina priključio se partizanima: Vikali su, ajde ti naprijed. Ja krenem, a tamo Švabo s demižonom vina u rukama…“ [Im Alter von 13 Jahren schloss er sich den Partisanen an: „Sie schrien, geht weiter. Ich gehe, und da ist ein Schwabe mit einer Korbflasche Wein in der Hand…“], dnevnik.hr, 9. Mai 2019, https://dnevnik.hr/vijesti/hrvatska/na-obiljezavanju-dana-pobjede-antifasisti-izvizdali-izaslanicu-predsjednice—560147.html [Zugriff: 21.01.2025]. Daraufhin erstattete die Kroatische Partei der Rechten [Hrvatska stranka prava] Anzeige gegen ihn wegen eines Kriegsverbrechens.5„Stari partizan šokirao izjavom na televiziji: / Priznao da je kao maloljetnik ubio nenaoružanog njemačkog zarobljenika“ [„Ein alter Partisan schockiert durch eine Aussage im Fernsehen: / Er hat gestanden, als Minderjähriger einen unbewaffneten deutschen Häftling getötet zu haben“], 21. Mai 2019 , https://net.hr/danas/vijesti/stari-partizan-sokirao-izjavom-na-televiziji-priznao-da-je-kao-maloljetnik-ubio-nenaoruzanog-njemackog-zarobljenika-2528e82a-b1c4-11eb-aaaf-0242ac130025 [Zugriff: 21.01.2025]. Der Fall wurde jedoch anscheinend von keinem Gericht aufgegriffen.
In seinen letzten Jahren lebte er in einem Obdachlosenheim in Zagreb, nahm aber dennoch gelegentlich an Gedenkveranstaltungen für die in Kroatien und Europa ermordeten Rom:nja teil. Nadir Dedić starb am 13. Juni 2023 in Zagreb.