Adam Ujvary wurde am 23. Juli 1941 in Halbturn, einem Dorf an der burgenländisch–ungarischen Grenze in Österreich, geboren. Seine Eltern waren Roma und lebten in einer kleinen Wohnhütte am Rande des Dorfes auf einem Platz, den ihnen die Gemeinde Halbturn zugeteilt hatte. Die Familie wurde im September 1941 in das Zwangslager Lackenbach eingewiesen und das Kleinkind, nachdem die Angehörigen im Lager gestorben oder deportiert und ermordet worden waren, in ein Kinderkrankenhaus und kurz darauf in die Jugendfürsorgeanstalt „Am Spiegelgrund“ der Stadt Wien verlegt. Dort wurde Adam Ujvary am 30. März 1944 im Zuge des nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programms an Kindern und Jugendlichen ermordet.
Familie
Unter den vier romani Familien, die sich nach dem Ersten Weltkrieg in Halbturn niedergelassen hatten, befand sich auch Adam Ujvarys Großmutter, Elisabeth Ujvary (1874–unbekannt). Ihr Sohn Stefan Ujvary (1895–1941) heiratete im Dezember 1924 die aus Pamhagen stammende 21-jährige Katharina Hodos (1903–1941). Die sowohl kirchlich als auch standesamtlich geschlossene Ehe kann als Schritt zur Integration in die bäuerliche, eher konservative Gemeinschaft des Ortes gedeutet werden.
Als Unterkunft diente dem Paar eine kleine bescheidene Wohnhütte, wo bis 1941 ihre neun Kinder zur Welt kamen. Vier Kinder starben wenige Wochen nach der Geburt oder im Kindesalter. Die Kindersterblichkeit zeigt an, dass sich das in ärmlichen Verhältnissen lebende Paar eine ärztliche Versorgung kaum leisten konnte.
Zur Sicherung des Lebensunterhaltes arbeitete Katharina Ujvary als Marktfahrerin und handelte mit Zuckerwaren, die sie auf Kirchweihfesten und Jahrmärkten in den benachbarten Gemeinden anbot. Zudem verdingte sich Stefan Ujvary bei Landwirten als Tagelöhner. Er kam jedoch über den Status eines Hilfs- und Gelegenheitsarbeiters nicht hinaus.
Von der Ortsbevölkerung wurde die Familie gemieden und von den Behörden immer wieder diskriminiert. Beruflicher und gesellschaftlicher Aufstieg blieb Stefan Ujvary auch deshalb verwehrt, da er, wie seine Geschwister, in seiner Jugend keine Schulbildung genossen hatte. Um seinen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen, schickte er, wie die anderen Rom:nja des Ortes auch, seine Kinder regelmäßig in die Schule.
Verfolgung nach der NS-Machtübernahme
Sofort nach der Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich im März 1938 verschärfte sich im Burgenland die radikale Politik gegenüber Rom:nja. Dazu zählte unter anderem auch das Verbot des Schulbesuchs für Kinder oder die Aberkennung von Lizenzen zur Berufsausübung.
Katharina Ujvary wurde im Mai 1938 von den Behörden die Gewerbeberechtigung zur Ausübung eines Wandergewerbes entzogen. Für die Familie Ujvary verschlimmerte sich dadurch die wirtschaftliche Situation nochmals. Der Verdienst von Katharina Ujvary fiel aus und Stefan Ujvary, der zuvor immer einer geregelten Beschäftigung nachgegangen war, erkrankte schwer und wurde arbeitsunfähig.
Die Familie war deshalb vollständig auf Fürsorgeunterstützung angewiesen. Im Februar 1941 erlitt die Familie einen schweren Schicksalsschlag. Eine neurologische Erkrankung der vierzehnjährigen Tochter Katharina (1927–unbekannt) führte zu einer Einweisung in die psychiatrische Universitätsklinik in Wien. Danach verlieren sich jegliche Spuren von ihr.
Zudem waren die Rom:nja von Halbturn der Willkür junger fanatischer SA-Mitglieder (Sturmabteilung) ausgesetzt, die monatelang mit sogenannten „Zigeunerhetzen“ die Rom:nja des Nachts von ihren Schlafstätten auftrieben und misshandelten. Gendarmerie und Verantwortliche der Gemeinde schauten dabei tatenlos zu.
Abtransport und Enteignung
Am 21. September 1941 wurden die Hütten der Rom:nja in Halbturn von SA-Männern des Ortes umstellt und die Bewohner:innen, darunter auch die Familie Ujvary, aus ihren Unterkünften gescheucht. Auf dem Hauptplatz in Halbturn mussten sie Aufstellung nehmen und verbale Demütigungen von jungen SA-Männern hinnehmen. Wie Vieh wurden rund 25 Rom:nja teilweise mit Schlägen auf einen wartenden Lastwagen getrieben.
Nur wenige Tage danach wurde das Vermögen der Rom:nja im Beisein von Gendarmen und Gemeindeverantwortlichen veräußert. Im Besitz von Katharina und Stefan Ujvary befanden sich eine Wohnhütte und Einrichtungsgegenstände, die für 361 Reichsmark versteigert wurden.
Lackenbach und Deportationen
Katharina und Stefan Ujvary, deren Kinder Gertrude (1935–1941/42), Eva (1938–1941/42), Walter (1940–1941) und der erst einen Monat alte Adam wurden in das Lager Lackenbach im Bezirk Oberpullendorf eingewiesen. Die Familie Ujvary fühlte sich ungerecht behandelt, doch ihr Brief an die Gemeinde Halbturn, in dem sie um Hilfe bat, führte nicht zu der erhofften Entlassung.
Am 25. September 1941 wurde Stefan Ujvary zum Arbeitsdienst beim Reichsautobahnbau bei Alland abkommandiert. Aus Krankheitsgründen wurde er jedoch bereits vier Wochen später wieder in das Lager Lackenbach zurückgeschickt.
Aufgrund der Überbelegung des Lagers und der katastrophalen Lebensbedingungen brach im Herbst 1941 im Lager Flecktyphus aus. Unter den Todesopfern befanden sich der einjährige Walter, und im Dezember 1941 starben auch Stefan und Katharina Ujvary. Im November 1941 wurden aus Lackenbach rund 2 000 Rom:nja in das Getto Litzmannstadt abtransportiert. Unter ihnen befanden sich auch Gertrude und Eva Ujvary.
Viele der Deportierten starben kurz nach ihrer Ankunft im Zuge einer Fleckfieberepidemie. Alle anderen wurden – bis auf Einzelne, die zur Zwangsarbeit in andere Lager überführt wurden – im Dezember 1941 und im Januar 1942 in dem Vernichtungslager Kulmhof ermordet.
Am Spiegelgrund
Nach dem Tod der Eltern blieb der drei Monate alte Adam Ujvary als Waise in Lackenbach zurück. Auf Anordnung der Behörden von Lackenbach wurde er in das Kinderspital Escherich in Wien eingewiesen. Der Direktor der Kinderübernahmestelle merkte am 30. Mai 1942 jedoch sogleich an, dass „Zigeunerstämmige weder in arischen Kinderheimen gehalten noch bei arischen Pflegeparteien untergebracht werden dürfen.“1Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA); Bestand Am Spiegelgrund, Krankenakte Ujvary, Direktor der Kinderübernahmestelle an die Abteilung E/7, Alserbachstr. 23, 30. Mai 1942. Aus diesem Grund wurde Adam Ujvary vier Tage später in die von der Stadt Wien betriebene Jugendfürsorgeanstalt „Am Spiegelgrund“ verlegt.
Bei der Einweisung beschrieb die zuständige Ärztin – aller Wahrscheinlichkeit nach Marianne Türk (1914–2003) – den Jungen als „seinem Alter entsprechend großen, zarten Knaben in mittelgutem Ernährungszustand. […] Dunkler Teint. Sprachlich zurück. Neurologisch ohne Bedenken.“2Ebd., Einlagebogen zur Krankengeschichte des Ujvary, Adam, 14. Juni 1942. Im November 1943 befand ein psychologisches Gutachten den nun zweijährigen Adam als durchschnittlich entwickelt. Jedoch wurde vermerkt, seine Sprachentwicklung und Lernfähigkeit entsprächen nicht dem Lebensalter und seine Körperbeherrschung habe den Stand eines Einjährigen. Seine motorischen Fähigkeiten wurden bemängelt und es wurde notiert, dass er keine feste Nahrung zu sich nehmen könne. Diese Aktenvermerke lassen darauf schließen, dass das Kleinkind in der Anstalt einer systematischen Vernachlässigung ausgesetzt war.
Opfer der NS-„Euthanasie“
In der Anstalt Am Spiegelgrund wurden von 1939 bis 1945 rund 790 geistig und körperlich beeinträchtigte Kinder und Jugendliche im Zuge des nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programms ermordet. Den Tod der Kinder und Jugendlichen führten Ärzt:innen durch Aushungern und Unterversorgung und schließlich durch Verabreichung von überhöht dosierten Medikamenten herbei. Auch Adam Ujvary, der bis dahin als einziger seiner Familie noch am Leben geblieben war, befand sich unter den Opfern.
In der letzten Meldung der Anstalt über Adam Ujvary, unterzeichnet vom dem ärztlichen Direktor Dr. Ernst Illing (1904–1946), wurde über ihn am 14. Januar 1944 festgehalten, dass er das geistige Niveau eines Ein- bis Eineinhalbjährigen habe und in seiner Entwicklung immer mehr zurückbleibe. Als Todesurteil kann die folgende Bemerkung angesehen werden: „Heilung ist nicht zu erwarten. Als schwachsinniger Zigeuner später sicher nicht arbeitsverwendungsfähig.“3Ebd., Meldung von Dr. Ernst Illing an das Gesundheitsamt, 14. Januar 1944.
Am 30. März 1944 wurde Adam Ujvary ermordet. Die Verantwortlichen gaben als Todesursache – wie bei diesen Morden üblich – eine „Lungenentzündung“ an, für die es laut Krankenakte zuvor keine Symptome gegeben hatte.
Prozess vor dem Volksgericht Wien
Vom 15. bis zum 18. Juli 1946 mussten sich Ernst Illing und Marianne Türk sowie die Ärztin Margarethe Hübsch (1903–1983) vor dem Volksgericht Wien wegen ihrer Am Spiegelgrund begangenen Verbrechen verantworten. Illing wurde zum Tode verurteilt und am 30. November 1946 in Wien hingerichtet. Türk erhielt eine zehnjährige Haftstrafe, die 1948 aus gesundheitlichen Gründen auf Bewährung ausgesetzt und im Sommer 1952 ganz erlassen wurde. Hübsch wurde aus Mangel an Beweisen nicht belangt.
Erinnerung
Die sterblichen Überreste der im Spiegelgrund ermordeten Kinder und Jugendlichen wurden nach 1945 weiter für medizinische Forschungen missbraucht. Erst in den 1990er-Jahren wurde dieser Missbrauch skandalisiert. Die noch auffindbaren Körperteile von mehr als 600 Kindern und Jugendlichen erhielten im April 2002 in einem Ehrengrab der Stadt Wien am Wiener Zentralfriedhof eine Ruhestätte. Unter den dort auf Steintafeln aufgeführten Namen der Opfer ist auch der Name von Adam Ujvary zu finden.4Vgl. https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Denkmal_für_ermordete_Kinder_der_NS-Euthanasieanstalt_%27Am_Spiegelgrund%27 [Zugriff: 11.06.2025].
Die Geschichte Adam Ujvarys wurde erstmals 2010 publiziert. Sie wird heute in der Dauerausstellung über die ehemalige Euthanasieanstalt Spiegelgrund, die 2002 am historischen Ort eröffnet und 2010 sowie 2020 erweitert wurde, erzählt.
Sie ist außerdem eine von neun biografischen Geschichten, die in der am 24. Oktober 2022 eröffneten Freiluftausstellung am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin, Deutschland, präsentiert werden. Ein animierter Kurzfilm des Medien- und Theaterpädagogen, Regisseurs und Kurators Hamze Bytyçi (geb. 1982) ergänzt die Ausstellungstafel über Adam Ujvary.5Vgl. https://www.stiftung-denkmal.de/denkmaeler/denkmal-fuer-die-im-nationalsozialismus-ermordeten-sinti-und-roma-europas/ [Zugriff: 04.06.2025].