Mérignac

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Mérignac
  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 11. September 2025

Das Lager Mérignac, auch bekannt als Lager Beaudésert, befand sich in Mérignac im Département Gironde, fünf Kilometer westlich von Bordeaux im deutsch besetzten Frankreich. Das Lager wurde am 17. November 1940 auf Befehl der deutschen Feldkommandantur in Bordeaux eingerichtet. Gemäß des am 4. Oktober 1940 ergangenen Internierungsbefehls von Hans Speidel (1897–1984), dem Leiter der Militärverwaltung im besetzten Frankreich, war das Lager speziell für die Internierung sogenannter Nomades bestimmt. Das Lager Mérignac blieb bis August 1944 in Betrieb. Zwischen November 1940 und Juli 1943 waren dort schätzungsweise etwa 360 „Nomades“ interniert.

Das Lager im Jahr 1940

Alle in Mérignac internierten Personen wurden im Mai 1940 im Rahmen der Dritten Republik unter zwangsweisen Aufenthalt gestellt, der mit Dekret vom 6. April 1940 angeordnet worden war und „Nomades“ verboten hatte, sich innerhalb des Landes zu bewegen. In der Gironde veranlasste dieses Dekret die Behörden der Präfektur, die Einrichtung eines Zwangslagers für „Nomades“ auf einem Grundstück in Libourne zu erwägen. Das Projekt wurde jedoch aufgrund des Widerstands des Gemeinderats aufgegeben. Am 19. April 1940 führte die Präfektur eine allgemeine Zählung der „Nomades“ im Département durch. Dabei wurden etwa 300 Personen erfasst, die ab dem 10. Mai 1940 in mehr als zwanzig Ortschaften zwangsweise untergebracht wurden.

Ab dem 1. Juli 1940 wurde die Gironde von der deutschen Wehrmacht besetzt. Am 25. Oktober 1940 forderte die Feldkommandantur von Bordeaux den Präfekten auf, Maßnahmen zur Internierung der „Nomades“ zu ergreifen. Am 11. November 1940 wurde das Lager Mérignac offiziell in Betrieb genommen, um alle „Nomades“ des Départements aufzunehmen. Dreißig Gendarmen wurden zur Bewachung der Internierten angefordert. Am 27. November zählte das Lager 316 Internierte, darunter siebenundsechzig Kinder unter fünf Jahren. Die meisten der Internierten waren Sinti:ze (Manouches), Rom:nja und Fahrende, die alle die französische Staatsangehörigkeit besaßen.

In den darauffolgenden Wochen wurden mehrere Gruppen, insgesamt etwa 70 Personen, nach einer Überprüfung entsprechender Anträge der Betroffenen und einer folgenden Neueinstufung von „Nomades“ zu „Schausteller:innen“ [Forains] aus dem Lager entlassen oder in den zwangsweisen Aufenthalt zurückgeführt. Während des Baus der Baracken schlief eine große Anzahl von Personen in eigenen Wohnwagen, die im Lager behalten werden durften.

Die Lebensbedingungen waren überaus prekär. Der Zugang zu Wasser war begrenzt und es gab keine Duschen oder sanitären Anlagen. Die Lebensmittelversorgung war unregelmäßig und die Lebensmittel, die das Lager erreichten, waren oft verdorben. Es traten Fälle von Krätze und anderen Infektionskrankheiten auf. Die Männer wurden gezwungen, Reinigungs- und Aufräumarbeiten zu verrichten. Die Lagerleitung ordnete zudem demütigende körperliche Ertüchtigungen an. Ab dem 1. Dezember wurden alle als „Nomades“ bezeichneten Internierten nach und nach verlegt: Etwa 140 Personen gelangten in das Lager Poitiers und etwa 100 in das Lager La Morellerie in Avrillé-les-Ponceaux (Indre-et-Loire). Die meisten wurden anschließend in das Lager Montreuil-Bellay verlegt.

Schließung und Wiedereröffnung

Nach der Verlegung der sogenannten Nomades im Dezember 1940 wurde das Lager Mérignac vorübergehend geschlossen, um es von Grund auf zu renovieren. Nach seiner Wiedereröffnung im Februar 1941 wurde Mérignac zum wichtigsten Internierungsort in der Gironde für verhaftete Juden:Jüdinnen, aber auch für Kommunist:innen, Résistance-Kämpfer:innen und politische Gegner:innen, für Ausländer:innen, die als verdächtig galten, und insbesondere für Personen, die wegen Schwarzmarktdelikten verhaftet wurden.

Im Laufe des Jahres 1941 wurde die Internierung der „Nomades“ in Mérignac fortgesetzt; dies betraf Personen, die sich dem zwangsweisen Aufenthalt verweigerten, die bei Razzien der französischen Polizei oder der deutschen Wehrmacht festgenommen worden waren, die aus anderen Lagern oder Haftorten verlegt worden oder die aus anderen Internierungslagern geflohen waren. Zwischen Februar 1941 und September 1941 wurden etwa 50 sogenannte Nomades im Lager Mérignac interniert.

Zwischen Juli und Oktober 1941 fertigte die russischstämmige jüdische Internierte Sonia Steinsapir (1912–1980), Studentin an der École des Beaux-Arts in Paris, mehrere Zeichnungen von den in Mérignac eingesperrten Rom:nja und Sinti:ze an. Diese Zeichnungen wurden später durch eine Reihe von Stichen und Gemälden ergänzt und bilden eines der seltenen grafischen Zeugnisse der Verfolgung von Rom:nja und Sinti:ze in Frankreich.

Zu den „Nomades“, die in dieser Zeit interniert wurden, gehörten mehrere Gruppen von Sinti:ze (Manouches), die seit Herbst 1939 aus dem Elsass vertrieben worden waren. Andere Gruppen, vor allem Sinti:ze (Manouches) und Kale (Gitanos), kamen aus der benachbarten Gemeinde Saint-Médard-en Jalles, wo sie seit April 1940 zwangsweise untergebracht waren. Mehrere einzelne Frauen, die aus anderen Lagern, Gefängnissen oder sonstigen Haftanstalten geflohen waren, wurden in dieser Zeit ebenfalls interniert.

Namentlich bekannt unter den internierten „Nomades“ sind Laurent Visse (1912–unbekannt), ein Sinto (Manouche), der in den Quellen als „Korbmacher“ bezeichnet wird und 1912 in Mareuil-sur-Belle in der Dordogne geboren wurde, und seine Ehefrau Hélène Stephan (1922–unbekannt), geboren 1922 in La Rochelle, eine Romni, deren Eltern aus Serbien stammten und die in den Quellen als „Bärenführerin“ bezeichnet wird. Bei ihnen war ihre kleine Tochter Adrienne Visse (1941–unbekannt), die im Januar 1941 in La Rochelle geboren worden war. Sie waren vom 14. August bis zum 13. September 1941 in Mérignac interniert und wurden dann in die Lager La Morellerie, Montreuil-Bellay und schließlich Jargeau verlegt, wo sie erst am 18. Mai 1945 entlassen wurden.

Alle nach Februar 1941 internierten „Nomades“ wurden in andere Zwangslager verlegt, wie La Morellerie in Avrillé-les-Ponceaux (Indre-et-Loire) und Poitiers (Vienne), oder in andere Lager wie La Lande in Monts (Indre-et-Loire). Bis Juli 1943 waren vereinzelt „Nomades“ in Mérignac interniert.

Nachwirkungen

Die Résistance befreite am 26. August 1944 die letzten Internierten aus dem Lager Mérignac. Das Lager wurde anschließend für die Internierung von Kollaborateur:innen und dann für die Unterbringung deutscher Kriegsgefangener genutzt. Es wurde 1946 endgültig geschlossen und anschließend vollständig abgebaut.

Am 25. November 1985 wurde auf dem Gelände des ehemaligen Lagers eine Gedenkstele aufgestellt, die jedoch keinen Hinweis auf die Internierung von Rom:nja und Sinti:ze enthielt. Zu einem unbekannten Zeitpunkt wurde die Inschrift nachträglich um den Begriff Tsiganesergänzt.

Am 24. April 2016 wurde eine neue Stele eingeweiht, auf der „Tsiganes“ ausdrücklich erwähnt werden. Weitere Einzelheiten zu ihrer Verfolgungsgeschichte werden nicht genannt.

Citation

Ilsen About: Mérignac, in: Encyclopaedia of the Nazi Genocide of the Sinti and Roma in Europe. Ed. by Karola Fings, Research Centre on Antigypsyism at Heidelberg University, Heidelberg 11 September 2025.-

1940
17 November 1940In Mérignac near Bordeaux, German-occupied France, a detention camp is set up, to which around 360 ‘Nomades’ are sent by July 1943.
2016
24 April 2016On the site of the former detention camp in Mérignac, France, a new stele is unveiled to commemorate the ‘Tsiganes’ who were interned there.