Hans Braun

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Hans Braun
  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 5. März 2024

Hans Braun wurde am 6. März 1923 in Hannover, Deutschland, geboren. Er war der älteste Sohn von Oswald Braun (1898–1943) und Rosa Braun geborene Ernst (1902–1943), die ein Fuhrgeschäft betrieben und auf Jahrmärkten mit Karussells, Schiffsschaukeln und Schießbuden ihren Lebensunterhalt verdienten. Bis 1942 bekam das Ehepaar zehn weitere Kinder. Die Familie lebte spätestens seit 1938 in Bernau bei Berlin, das sie seit Oktober 1939 aufgrund des Festsetzungserlasses nicht mehr verlassen durfte.

Flucht nach Luxemburg

Hans Braun hat 1984 und 1985 über die Geschichte seiner Verfolgung in zwei Interviews berichtet. 1941 wurden er und sein Vater zur Zwangsarbeit herangezogen. Weil Hans Braun versehentlich eine Maschine beschädigte, wurde er der Sabotage bezichtigt und musste fliehen. Dank der Hilfe von Angehörigen konnte er sich zunächst in Berlin und dann in Eger im Sudetenland verstecken, bis auch dort nach ihm gesucht wurde. Nun floh er mit dem Zug nach Luxemburg, wo er nach eigener Aussage Hilfe durch ein Netzwerk von Sinti:ze fand, das von den deutschen Besatzern nicht entdeckt worden war. Das Netzwerk bestand aus in Luxemburg untergetauchten Verwandten und Freunden, wie etwa Vinzenz Rose (1908 –1996) und Oskar Rose (1906–1968). Hans Braun wurde mit falschen Papieren ausgestattet, die ihn als Mitglied der Organisation Kraft durch Freude (KdF) legitimierten. So konnte er sich in einer Gaststätte in Sicherheit bringen, bei der es sich nach derzeitigem Forschungsstand um den zwischen Luxemburg-Stadt und dem Vorort Hesperingen gelegenen, als Gantenbeinsmillen bekannten gastronomischen Betrieb handelte.

Flucht, Festnahme und erneute Flucht

Von Heimweh nach seiner Familie geplagt, entschloss sich Hans Braun nach einem Jahr, nach Bernau zurückzukehren. Bereits nach zwei Tagen wurde dort nach ihm gefahndet, sodass er nach Bamberg in Bayern zu Verwandten floh. In Bamberg wurde er – wahrscheinlich von der Gestapo (Geheime Staatspolizei) – auf der Straße ergriffen und ins Gefängnis gebracht. Am Tag seiner Gerichtsverhandlung gelang ihm erneut die Flucht aus einem Toilettenfenster des Gerichtsgebäudes. Verwandte in Bamberg-Rattelsdorf statteten ihn mit Frauenkleidern aus, um die Gefahr einer erneuen Festnahme zu verringern. So gelangte Hans Braun schließlich nach Münchberg, wo ein Onkel von ihm lebte. Dort konnte er allerdings nicht bleiben, weil die Gefahr für seinen Onkel und dessen Familie zu groß war. Rosa Braun, seine Mutter, holte ihn daher in Münchberg ab und fuhr mit dem immer noch durch Frauenkleider getarnten Sohn nach Berlin. Dort hielt er sich bei einer langjährigen Freundin versteckt und wurde von der Mutter regelmäßig mit Lebensmitteln versorgt.

Als immer mehr Angehörige und schließlich auch seine Familie festgenommen oder deportiert wurden, entschloss sich Hans Braun zu einer zweiten Flucht nach Luxemburg. Dieses Mal wurde er von zwei seiner Cousins begleitet. Nach heutigem Kenntnisstand handelte es sich hierbei um die Brüder Hugo Ernst (1918–unbekannt) und Wilhelm Ernst (1921–1943). Erneut wurden sie von dem familiären Netzwerk in Luxemburg unterstützt und konnten so zeitweise unbehelligt in der Industriestadt Esch/Alzette leben. Die drei bemühten sich darum, als Musiker ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, was ihnen jedoch nicht gelang. Bei dem Versuch, mit ihren Instrumenten nach Belgien zu reisen, wurden sie auf dem Bahnhof in Esch/Alzette aufgegriffen. Während die beiden Cousins verhaftet wurden, gelang es Hans Braun ein weiteres Mal, zu fliehen. Er versuchte, sich in das nahe gelegene Naherholungsgebiet Galgenberg durchzuschlagen, wo er schließlich ergriffen und in das örtliche Polizeigefängnis gebracht wurde. Abermals konnte er entkommen und fand in Esch/Alzette einen anonymen Helfer, einen Schneidermeister, der ihn bei sich aufnahm und ihm half, die Stadt zu verlassen, indem er ihn als Kriegsversehrten verkleidete. Hans Braun schlug sich nach Luxemburg-Stadt durch und kam dort unter falschem Namen, dieses Mal getarnt als „KdF-Künstler“, in einem Hotel unter. Sieben Mal war ihm insgesamt die Flucht vor seinen Verfolgern gelungen, doch schließlich wurde Hans Braun von der Gestapo aufgegriffen und ins Hauptgefängnis in Luxemburg-Grund überführt.

Deportation

Am 22. April 1943 wurde Hans Braun von dort zusammen mit Hugo und Wilhelm Ernst in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt. Wie und über welche Route Braun und seine Cousins deportiert wurden, ist bislang ungeklärt. In Auschwitz-Birkenau traf Hans Braun auf seine Eltern und Geschwister, die alle am 8. März 1943 in Bernau festgenommen und über Berlin deportiert worden waren. Seine jüngsten Schwestern Frieda (1939–1943) und Roswitha (1942–1943) waren bereits aufgrund der Haftbedingungen verstorben. Hans Braun musste miterleben, wie ein Familienmitglied nach dem anderen ums Leben kam: Die Mutter starb im Juli, der Vater und sein Cousin Wilhelm Ernst im September 1943. Auch Heini (1929–1943), Werner (1932–1944), Elli (1935–1944) und Helga Braun (1937–1944) überlebten Auschwitz nicht. Die Schwestern Waltraud Rosa (1934–unbekannt) und Wanda (1927–unbekannt) wurden aus Auschwitz-Birkenau in andere Lager deportiert und kamen ebenfalls zu Tode. Der Cousin Hugo Ernst wurde im August 1944 zuerst nach Ravensbrück und Anfang März 1945 schließlich nach Sachsenhausen überstellt, wo er in die SS-Sondereinheit Dirlewanger zum Fronteinsatz gezwungen wurde. Er erlebte ebenso wie Hans Brauns Schwester Brigitte (1925–unbekannt) die Befreiung.

Hans Braun wurde am 24. Mai 1944 von Auschwitz-Birkenau in das Konzentrationslager Flossenbürg und von dort Mitte Januar 1945 in das Außenlager Altenhammer überführt. Er überlebte den bei der Räumung des Lagers angesetzten Todesmarsch.

Engagement nach 1945

In den 1970er- und 1980er-Jahren engagierte sich Hans Braun in der Bundesrepublik Deutschland für eine Anerkennung des Völkermordes an den Sinti:ze und Rom:nja. So gehörte er zu den Sinti, die in der Gedenkstätte Dachau einen mehrtägigen Hungerstreik durchführten. Hans Braun verstarb am 5. März 1999 in Messenkamp, einer Gemeinde im Landkreis Schaumburg in Niedersachsen.

Hungerstreik von Überlebenden auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau, Deutschland, April 1980. Vom 4. bis zum 11. April 1980 begaben sich zwölf Sinti und eine Sozialarbeiterin aus München in einen Hungerstreik, um gegen die fortgesetzte Diskriminierung von Sint:ize und Rom:nja in der Bundesrepublik Deutschland zu protestieren. Vier Überlebende nahmen trotz der großen gesundheitlichen Risiken an dem Hungerstreik auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau teil: Franz Wirbel (1922–1986, links), Überlebender des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, Hans Braun (1923–1999, Mitte), ebenfalls Überlebender von Auschwitz-Birkenau und Flossenbürg, Jakob Bamberger (1913–1983, rechts), Überlebender von Flossenbürg, Dachau und Buchenwald, sowie Ranco Brantner (1931–1996), ein Opfer der Zwangssterilisationen.

Der Hungerstreik sorgte weltweit für ein großes mediales Echo und rückte schlagartig auch die bis dahin kaum wahrgenommene Verfolgung während des Nationalsozialismus in das Blickfeld der Öffentlichkeit.

Fotograf: Wolfgang Radtke

Gesellschaft für bedrohte Völker, Göttingen

Zitierweise

Daniel Thilman / Jérôme Courtoy: Hans Braun, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 5. März 2024.-

1939
17. Oktober 1939In Deutschland verbietet der „Festsetzungserlass” allen Sinti:ze und Rom:nja unter Androhung einer Inhaftierung in einem Konzentrationslager den Wechsel ihres Wohn- oder Aufenthaltsortes.
1942
16. Dezember 1942„Auschwitz-Erlass”: Heinrich Himmler, Chef der Schutzstaffel („Reichsführer SS”), ordnet die Deportation von Sinti:ze und Rom:nja aus dem Deutschen Reich in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an.
1943
29. März 1943Das Reichssicherheitshauptamt ordnet die Deportation von Rom:nja und Sinti:ze aus deutsch besetzten Gebieten und Ländern (Belgien, Bezirk Bialystok, Elsass, Lothringen, Luxemburg, Niederlande und Nordfrankreich) in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an.
22. April 1943Hans Braun und zwei seiner Cousins werden aus dem Gefängnis Luxemburg-Grund in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Dies ist die einzige bekannte, direkte Deportation von Angehörigen der Minderheit aus dem Deutsch besetzten Luxemburg nach Auschwitz.
1980
4. – 11. April 1980Zwölf Sinti, darunter die Überlebenden Jakob Bamberger, Ranco Brantner, Hans Braun und Franz Wirbel, treten in der Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau, Deutschland, wegen der anhaltenden Diskriminierung der Minderheit in einen Hungerstreik.