Estland

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  • Publikationsdatum 19. März 2025

Estland proklamierte im Februar 1918 seine Unabhängigkeit von Russland. Der darauf folgende Bürgerkrieg endete offiziell 1920 mit dem Friedensvertrag von Tartu. Ein gescheiterter kommunistischer Staatsstreich am 1. Dezember 1924 beeinträchtigte die Entwicklung der Demokratie in Estland nicht wesentlich; die Weltwirtschaftskrise und der Aufstieg einer einheimischen faschistischen Bewegung hingegen schon. Im März 1934 führte Konstantin Päts (1874–1956) in seiner Eigenschaft als Staatsältester und Führer der konservativen Bauernpartei einen Staatsstreich durch. Päts errichtete eine autoritäre Herrschaft in Estland und rief sich selbst zum Präsidenten aus. Im Herbst 1939 zwang die Sowjetunion Estland im Zuge des Molotow-Ribbentrop-Pakts ein Beistandsabkommen auf. Im Einklang mit diesem Abkommen errichtete die Sowjetunion Militärstützpunkte in Estland. Im Juni 1940 besetzte und annektierte die Sowjetunion Estland zusammen mit Lettland und Litauen. Nach der Volkszählung von 1934 hatte Estland 1,26 Millionen Einwohner:innen. Ethnische Est:innen bildeten mit 88 Prozent die Mehrheit der Bevölkerung, gefolgt von Russ:innen (8 %) und Deutschen (1,5 %).

Rom:nja in Estland vor der deutschen Besatzung

Der früheste Hinweis auf die Anwesenheit von Rom:nja im heutigen Estland stammt aus dem Jahr 1533. Infolge der ‚Anti-Vagabunden‘-Gesetze, die im Schwedischen und später im Russischen Reich erlassen wurden, blieb die Anzahl der Rom:nja in Estland gering. Nach der russischen Volkszählung von 1897 lebten lediglich 154 Rom:nja in der Provinz Estland. Bei der Volkszählung im unabhängigen Estland (einschließlich der Provinz Petseri und dem linken Ufer des Flusses Narva) im Jahr 1934 wurden 766 Rom:nja gezählt.

Der Sprachwissenschaftler Paul Ariste (1905–1990), der 1934 ein Studium der Dialekte des Romanes begonnen hatte, unterschied zwischen drei verschiedenen Gruppen von Rom:nja im Estland der Zwischenkriegszeit: 50–60 Laiuse (Lajenge) Rom:nja, 650–800 lettische (Lotfitke) Rom:nja und bis zu zehn Familien russischer Rom:nja. Diese Unterscheidung spiegelt sowohl das geografische Siedlungsmuster als auch die gesprochenen Sprachen wider. Die am stärksten ausgeprägte und zugleich älteste Gemeinschaft der Rom:nja entstand nach der Entscheidung der russischen Behörden im Jahr 1841, alle Rom:nja in Estland in der Gemeinde Laiuse nördlich von Tartu zu konzentrieren. Die Lajenge-Rom:nja, die in erster Linie in der Landwirtschaft tätig waren und in ländlichen Gemeinden lebten, wurden bis in die 1930er-Jahre estnisiert. Dabei ging ihr einzigartiger Romani-Dialekt, den sie sprachen, fast verloren. Die große Mehrheit der Rom:nja, die sich in der Zwischenkriegszeit in Estland niederließen, kam aus Lettland. Die Lotfitke-Roma, die sich von den nordrussischen Rom:nja abgespalten hatten, konnten alle Estnisch sprechen. Die russischen Rom:nja hingegen lernten die estnische Sprache nicht und blieben daher im östlichsten Teil des Landes mit seiner überwiegend russischen Bevölkerung, das seit dem Friedensvertrag von Tartu 1920 zu Estland gehörte. Die drei Untergruppen interagierten miteinander. Die Mehrheit der Rom:nja in Estland blieb Analphabet:innen, wobei schätzungsweise 15 Prozent Romanes in der Alltagskommunikation verwendeten. Eine große Mehrheit von ihnen besaß die estnische Staatsbürgerschaft.1Ariste, Mustlaste raamat, passim.

Der anhaltende Assimilationsprozess veränderte die traditionellen Stereotype über Rom:nja nicht automatisch. Bezeichnenderweise bedeutet das estnische Wort für Rom:nja, mustlased, ‚schwarz‘ oder ‚schmutzig‘. Im Gegensatz dazu ist die Kurzform des estnischen Wortes für Deutsche, sakslased (abgeleitet von ‚Sachsen‘), gleichbedeutend mit ‚Meister‘. Die Esten betrachteten die Rom:nja in der Regel als Außenseiter, wobei die Lajenge-Rom:nja davon ausgenommen waren. Die Interaktion zwischen der Minderheit der Rom:nja und der nicht romani Bevölkerung beschränkte sich weitgehend auf die Märkte, auf denen die Rom:nja als Pferdehändler tätig waren. Bei diesen Interaktionen kamen häufig traditionelle soziale Stereotype zum Tragen, aber Fälle von rassistischen Stigmata (z. B. die Übertragung des Ritualmordvorwurfs auf Rom:nja) waren selten.

Die Besetzung durch die Sowjetunion (1940–1941) hatte nur minimale Auswirkungen auf die Gemeinschaft der Rom:nja in Estland. Die Rom:nja waren eine marginalisierte Gruppe und engagierten sich nicht in der Politik. Im Gegensatz zu den estnischen Juden:Jüdinnen wurden die Rom:nja regional durch die sowjetische Politik nicht sichtbarer, sodass sich die öffentliche Einstellung ihnen gegenüber nicht wesentlich änderte. Aus Sicht der Rom:nja stand das ausdrückliche Verbot ethnischer und rassischer Diskriminierung durch die sowjetischen Behörden im Widerspruch zu ihren Versuchen, die erwachsenen Rom:nja in feste Arbeitsverhältnisse und ihre Kinder in die Schulen zu drängen. Nach der Anzahl der 1941 und 1942 geborenen Kinder zu urteilen, führte die sowjetische Besatzung für die Minderheit der Rom:nja nur zu sehr geringen Beeinträchtigungen. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juni 1941 deportierten die Sowjets in Erwartung eines Krieges mit Deutschland 10 157 Menschen aus Estland, die als regimefeindlich galten und aus verschiedenen sozialen und politischen Schichten stammten. Unter den Deportierten befanden sich 439 Juden:Jüdinnen (das sind über 10 % der gesamten jüdischen Bevölkerung), aber keine Rom:nja.

Deutsche Besatzung

Die 18. deutsche Armee überschritt am 7. Juli 1941 die Grenze nach Estland. Doch schon nach wenigen Tagen war der sowjetische Widerstand beendet. Am 28. August konnte die Wehrmacht die Hauptstadt Tallinn einnehmen. In der Zwischenzeit hatten alle Juden:Jüdinnen, die es wollten, die Möglichkeit, aus Estland nach Russland zu fliehen. Folglich befanden sich noch knapp tausend Juden:Jüdinnen in Estland, als das Land unter deutsche Kontrolle geriet. Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass Rom:nja in dieser Zeit nach Osten geflohen sind.

Das besetzte Estland – zusammen mit Lettland, Litauen und dem westlichen Teil von Belarus – wurde dem Reichskommissariat Ostland unterstellt. Im Dezember 1941 übernahm die deutsche Zivilverwaltung offiziell die Aufgaben der Militärbehörden. Generalkommissar Karl-Siegmund Litzmann (1893–1945) in Tallinn berichtete an Hinrich Lohse (1895–1963) in Riga. In der Zwischenzeit wurde das Sonderkommando 1a der Einsatzgruppe A unter Dr. Martin Sandberger (1911–2010) in eine ständige Dienststelle der deutschen Sicherheitspolizei (Sipo) in Estland umgewandelt. Sandberger blieb Leiter der Sipo, während Heinrich Bergmann (1902–1980) die Leitung der kriminalpolizeilichen Abteilung übernahm. Sandberger hatte eine parallele Polizeistruktur geschaffen: Die untergeordnete estnische Sicherheitspolizei und die estnische Kriminalpolizei, die zwanzigmal größer waren, erledigten effektiv die ‚Drecksarbeit‘ im Auftrag der jeweiligen deutschen Behörden. Die ‚Zigeunerfrage‘ in Estland, die zuerst von der Wehrmacht gestellt worden war, beschäftigte später die deutsche Zivilverwaltung und die deutsche Kriminalpolizei und schließlich die deutsche Sipo.

Das Strafvollzugssystem im unabhängigen Estland umfasste vierzehn Gefängnisse. Ihre Gesamtkapazität reichte jedoch nicht aus, um die große Zahl der im Sommer und Herbst 1941 aus politischen Gründen verhafteten Gefangenen unterzubringen. Die deutschen Besatzungsbehörden richteten daher neben den bestehenden Gefängnissen auch vorübergehende Konzentrationslager ein. Um die Lager nicht in die Zuständigkeit des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes überführen zu müssen, wurde im Sommer 1942 auf Anweisung Sandbergers eine formale Umstrukturierung vorgenommen. Ab Juli 1942 galten die Haftanstalten der Sipo und des Sicherheitsdienstes (SD) innerhalb der Gefängnisse nicht mehr als ‚Konzentrationslager‘, sondern als ‚Polizeiliche Haftanstalten‘. Lager der Sipo und des SD außerhalb von Gefängnissen wurden als ‚Arbeitserziehungslager‘ bezeichnet.

1941: Ermordung der jüdischen Bevölkerung, Zählung der Rom:nja

Am 10. September 1941 ordnete Sandberger die Verhaftung aller Juden:Jüdinnen in Estland an. Die Polizeipräfekturen mussten die Juden:Jüdinnen registrieren, wobei sie zwischen Männern und Frauen unterschieden. Die Mehrheit der estnischen Juden:Jüdinnen wohnte in Tallinn, und alle kamen zwangsläufig in das Zentralgefängnis Tallinn (allgemein als Patarei bekannt). Nach einer Pro-forma-Ermittlung durch die estnische Sicherheitspolizei wurden die Juden:Jüdinnen ausnahmslos erschossen. Die Tötungen führte die estnische Hilfspolizei Omakaitse auf Anordnung der deutschen Sipo aus. Bis Mitte Oktober waren bereits 440 männliche Juden ermordet worden. Frauen und Kinder wurden in den folgenden Monaten ermordet. Am 1. Dezember 1941 führte das estnische Statistikamt eine Volkszählung durch. Bei der Zählung wurden Deutsche, Juden:Jüdinnen und Rom:nja bewusst nicht berücksichtigt. Wie aus einem internen Dokument hervorgeht, lebten zu diesem Zeitpunkt nur noch 27 Juden:Jüdinnen in Estland.2Maiste und Puur, „Rahvastiku registreerimine“, 47. Das reichte offenbar aus, um Estland als erstes europäisches Land auf der Wannsee-Konferenz als ‚judenfrei‘ zu erklären. In Zahlen hatte die Einsatzgruppe 1 963 ermordete Juden:Jüdinnen in Estland gemeldet, von denen 666 aus Tallinn stammten. Die wenigen überlebenden jüdischen Frauen, die in der Regel aus ‚Mischehen‘ stammten, wurden bis zum Frühherbst 1942 identifiziert und eine nach der anderen ermordet.

Das Generalkommissariat in Tallinn erhielt vom Statistikamt detaillierte Bevölkerungsdaten über die Rom:nja. Demnach betrug die estnische Bevölkerung der Rom:nja im Dezember 1941 743 Personen, von denen 399 in Städten und 344 auf dem Lande lebten. Viru, Valga und Tartu waren die drei Provinzen, in denen die meisten Rom:nja lebten. Die Provinzhauptstädte Rakvere und Valga wiesen die größte Bevölkerung der Rom:nja auf, während in den beiden größten Städten, Tallinn und Tartu, nur wenige Rom:nja lebten. Es ist jedoch bekannt, dass die Daten der Volkszählung in Bezug auf Rom:nja unvollständig waren. Aufgrund einer systematischen Prüfung der Dokumente der Täter sind die Namen von 915 Rom:nja bekannt, die verfolgt worden sind. Die Differenz zwischen den Zahlen aus der Volkszählung und den Opferzahlen ist hauptsächlich auf die russischen Rom:nja in der Provinz Petseri zurückzuführen, von denen die meisten ‚nicht sesshaft‘ lebten. Insgesamt vermitteln die polizeilichen Aufzeichnungen aus den Jahren 1941 bis 1943 also ein genaueres Bild der Opfergruppe der Rom:nja als die statistische Tabelle von Dezember 1941.

Die estnische Kriminalpolizei beauftragte die Gemeindeältesten mit der Erhebung von Bevölkerungsdaten. Die daraus resultierende Polizeidatenbank enthält Informationen über die Muttersprache oder die Religion der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft. Die weniger als tausend Personen umfassende estnische Bevölkerung der Rom:nja setzte sich aus lediglich 43 Familien zusammen. Sechs große Familien – Burkevich, Indus, Ivanov, Koslovski, Mitrovski und Siimann – machten 82 Prozent aller Rom:nja in Estland aus. Die Analyse der Namen stellt ein Korrektiv zu den auf sprachlichen und geografischen Prinzipien beruhenden Schätzungen der Zwischenkriegszeit dar. Mit 600 Personen bildeten die Lotfitke-Rom:nja die größte Gruppe. Die 138 Lajenge-Rom:nja erwiesen sich als doppelt so zahlreich wie bisher angenommen. Die anderen, etwa 177 Personen, waren russische Rom:nja. Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen war fast identisch: 462 und 451 (in zwei Fällen lässt sich das Geschlecht nicht feststellen).

Anhand der für 748 estnische Rom:nja verfügbaren Daten lässt sich das Altersprofil der Minderheit ermitteln. Die Hälfte der Rom:nja waren Kinder, darunter fast ebenso viele Kleinkinder wie Teenager. Die größte Einzelgruppe der erwachsenen Bevölkerung der Rom:nja, nämlich 29,1 Prozent, war zwischen 20 und 40 Jahre alt. Ältere Menschen (65 Jahre und älter) machten lediglich 4,1 Prozent aus. Der hundertjährige Gothard Koslovski war eine Ausnahme; der nächstälteste Rom war Alexander Koslovski aus der Provinz Petseri und 15 Jahre jünger als er. Die Geburtenrate hatte sich seit der Zarenzeit fast verdoppelt und blieb in der Zwischenkriegszeit konstant.

Voraussetzungen für den Massenmord

Der bevorstehende Massenmord an den Rom:nja in Estland war ein nationalsozialistisches Projekt, das auf den 1935 in Deutschland erlassenen Nürnberger Gesetzen aufbaute. Die estnische Sicherheitspolizei und die estnische Kriminalpolizei handelten auf der Grundlage der von ihren deutschen Kollegen übermittelten Befehle. Zu Beginn der deutschen Besatzung erhielten die Polizeidienststellen die estnische Übersetzung des berüchtigten Erlasses über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei, der am 14. Dezember 1937 vom deutschen Innenministerium erlassen worden war. Als besondere Kategorie von Straftätern wurden in dem Erlass die sogenannten ‚asozialen Elemente‘ hervorgehoben. Formal hing das Schicksal der einzelnen Rom:nja davon ab, ob sie als ‚sesshaft‘ oder ‚umherziehend‘ eingestuft wurden. Verschiedene deutsche Behörden legten diese Unterscheidung jedoch unterschiedlich aus. Widersprüchliche Anordnungen, die in dieser Hinsicht zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen Behörden erlassen wurden, bedeuteten für eine wachsende Zahl von Rom:nja den Tod. In Estland wurden schließlich alle Rom:nja ermordet.

Die ersten Verordnungen, die Rom:nja betrafen, stammten von den deutschen Militärbehörden. Am 27. August 1941 verfügte die 18. Armee den Einsatz von ‚Müßiggängern‘ zur körperlichen Arbeit. Rom:nja sollten gezwungen werden, mit ihren Pferden und Fuhrwerken bei der Ernte zu helfen. Am 18. September befahl die Wehrmacht die Verhaftung aller Rom:nja in Estland. Der Leiter der Heeresgruppe Nord Rückwärtige Gebiete, Franz von Roques (1877–1967), formulierte dies folgendermaßen: „Ebenso wie die Juden sind die im Lande umherziehenden oder ortsansässigen Zigeuner zu überwachen und zu abhängiger Arbeit heranzuziehen.“3Chef der Heeresgruppe Nord Rückwärtige Gebiete, Bericht, 18. September 1941,
Bundesarchiv-Militärarchiv, RH-22/254.
Elf Tage später zählte das Gefängnis in Pärnu bereits 302 Insass:innen, bis auf 38 Männer waren alle inhaftiert. Unter den Gefangenen befanden sich 50 Rom:nja und 87 Juden:Jüdinnen. Eine der inhaftierten Romnja, die 61-jährige Sophie Siimann (unbekannt–1941), starb am 6. Oktober.

Am 1. Dezember änderte die Militärkommandantur die Anordnung. Von nun an sollten ‚umherziehende‘ Rom:nja verhaftet und der Sipo übergeben werden, während Rom:nja, die seit mindestens zwei Jahren an derselben Adresse wohnten, unter polizeiliche Aufsicht gestellt werden sollten. Die deutsche Zivilverwaltung im Ostland ging jedoch davon aus, dass alle Rom:nja wie Juden:Jüdinnen behandelt werden sollten. Reichskommissar Lohse teilte diese Entscheidung dem Höheren SS- und Polizeiführer im Ostland, Friedrich Jeckeln (1895–1946), am 4. Dezember 1941 mit. Die Polizeipräfekturen in Tallinn, Haapsalu, Paide, Saaremaa, Narva und Petseri begannen Ende Januar/Anfang Februar 1942 mit der Überprüfung der Bevölkerung der Rom:nja gemäß Lohses Anordnung.

Es sind kaum Nachweise über die Ermordung einiger Rom:nja im Konzentrationslager Tartu überliefert, die bereits im Herbst 1941 stattgefunden hat. Die sowjetische Untersuchung von Kriegsverbrechen erwähnte eine Gruppe ‚umherziehender‘ Rom:nja, die bei der Lagerverwaltung gegen ihre Inhaftierung protestiert hatten. Letztere beschuldigte die Anführer der Gruppe der Aufwiegelung und ließ sie hinrichten. Die Übrigen wurden aus dem Lager zur Zwangsarbeit aufs Land geschickt. Nach Angaben des Leiters der estnischen Sicherheitspolizei in Tartu hatten die deutschen Behörden vorgeschrieben, dass „arbeitslos umherziehende Zigeuner, die sich vor ehrlicher Arbeit drücken und sich mit Betrug und Bettelei beschäftigen, als sozialschädliche Elemente“ zu betrachten seien. Diese Rom:nja sollten wie Juden:Jüdinnen behandelt werden, was zu diesem Zeitpunkt die Einweisung in ein Konzentrationslager bedeutete. Die ‚guten‘ Arbeiter mit festem Wohnsitz unter den Rom:nja sollten jedoch „in Ruhe gelassen werden“.4Estnische Sicherheitspolizei in Tartu an die Polizeidienststellen, 24. Januar 1942, Estnisches Staatsarchiv, R-60/1/2a. Dennoch durften ab Januar 1942 keine Rom:nja mehr ohne Sondergenehmigung die Stadt Tartu betreten. Die gleiche Regelung galt wahrscheinlich auch für die Hauptstadt Tallinn.

Erste Massenerschießungen, 1942

Der Kommandeur der deutschen Kriminalpolizei in Estland, Bergmann, leitete am 27. Mai 1942 in Tallinn eine Konferenz über die Zusammenarbeit zwischen der deutschen und estnischen Polizei. Er sprach u. a. über die ‚Lösung der Zigeunerfrage‘. Laut Bergmann sollten die Rom:nja wie Juden:Jüdinnen behandelt werden, wenn sie als ‚asoziale Personen‘ ohne festen Wohnsitz identifiziert wurden, die ‚wie Nomaden umherziehen‘. Arbeitsfähige ‚sesshafte‘ Rom:nja sollten unter ständige polizeiliche Überwachung gestellt werden. Für ‚besonders asoziale Personen‘ mit Vorstrafen schlug Bergmann die Tötung vor. Die Polizeibehörden kommentierten Bergmanns Ausführungen damit, dass das ‚Zigeunerproblem insofern restlos gelöst sei, als es in Estland keine ‚umherziehenden‘ Rom:nja mehr gebe, während die übrigen unter Aufsicht Zwangsarbeit verrichteten. Wie zuvor in Deutschland betrachteten die Behörden die Rom:nja in Estland – und in den gesamten besetzten Gebieten – sowohl als soziale als auch rassische Bedrohung. Bezeichnenderweise gab die estnische Sicherheitspolizei im Juni 1942 Anweisungen an die Außenstellen heraus, die unter der Überschrift ‚Rassenfrage‘ über Juden:Jüdinnen und ‚Zigeuner‘ berichteten.

Die erste dokumentierte Massenerschießung von Rom:nja in Estland fand in der Grenzstadt Narva statt. In der Nacht des 1. November 1941 nahm die estnische Sicherheitspolizei 260 Personen fest, darunter eine dreiköpfige Familie der Rom:nja. Vera (Lebensdaten nicht bekannt) und Valentina Indus (Lebensdaten nicht bekannt) zählten zu den drei einzigen Kindern, die zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis von Narva inhaftiert waren. Sie gehörten zu den 42 Rom:nja, die in der ersten Januarwoche 1942 auf dem Gebiet der Polizeipräfektur Narva wohnten. Drei Monate später war ihre Zahl auf 20 gesunken. Die estnische Sicherheitspolizei berichtete über 17 Rom:nja (sechs Männer und elf Frauen), die bis zum 1. Juli 1942 einem Erschießungskommando gegenüberstanden.5Birn, Die Sicherheitspolizei, 187. Vera und Valentina Indus waren offenbar unter den Toten, denn sie stehen nicht auf der Liste der 14 Rom:nja aus Narva, die am 4. Februar 1943 nach Rakvere verschleppt wurden.

In der ersten Hälfte des Jahres 1942 nahm die Polizei mehrere Hundert Rom:nja fest. Die meisten von ihnen wurden in das Gefängnis Harku, etwa 10 km südwestlich von Tallinn, verbracht. Harku, eine Zweigstelle des Tallinner Zentralgefängnisses, wurde gelegentlich als ‚Zigeuner-Konzentrationslager‘ bezeichnet. Im Juli 1942 waren 1 133 Häftlinge im Gefängnis inhaftiert, darunter 328 Rom:nja. Mehr als die Hälfte der inhaftierten Rom:nja, genau 189, waren Kinder. Nach Angaben des Gefängnisdirektors waren lediglich 42 Rom:nja arbeitsfähig. Selbst diese Personen konnten jedoch aufgrund weitverbreiteter Infektionskrankheiten keine Arbeit verrichten. Männliche jugendliche Roma bildeten eine eigene Kategorie von ‚Straftätern‘. Die Polizei schickte etwa 60 bis 75 Jungen in das ‚Arbeitserziehungslager für Jugendliche‘ (auch bekannt als ‚Erziehungslager für Jugendliche‘) in Laitse, südwestlich von Tallinn und Harku gelegen. Die Jüngsten unter den 12- bis 17-Jährigen besuchten die Schule, während die Übrigen körperliche Arbeit verrichten mussten.

Der erste und größte Massenmord an Rom:nja wurde am 27. Oktober 1942 in Harku verübt. An diesem Tag wurden 243 inhaftierte Rom:nja (91 Männer und 152 Frauen) ermordet, wie der Leiter der Abteilung B-IV der estnischen Sicherheitspolizei, Ervin Viks (1897–1983), seinem deutschen Amtskollegen mitteilte. Dies sind die einzigen beiden Fälle, in denen die Polizeibehörden ausdrücklich auf den Massenmord an den Rom:nja hinwiesen. Tatsächlich hatte die Polizeizentrale die örtlichen Dienststellen eigens angewiesen, über die Zahl der Ermordungen, insbesondere von Juden:Jüdinnen, Rom:nja und Kriegsgefangenen, zu berichten.

Vernichtung, 1943

Das Schicksal der estnischen Rom:nja war im Januar 1943 besiegelt. Im Monat zuvor hatte der deutsche SS- und Polizeiführer Heinrich Himmler (1900–1945) die Massendeportation von Rom:nja in das Konzentrations– und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau angeordnet. Die Ausführungsbestimmungen wurden am 29. Januar 1943 erlassen und galten hauptsächlich für Rom:nja aus West- und Mitteleuropa. Eine Woche zuvor hatte der Chef der deutschen Sipo in Estland, Sandberger, über eine regionale Lösung der ‚Zigeunerfrage‘ entschieden, indem er die Deportation aller in Estland verbliebenen Rom:nja nach Tallinn und Umgebung anordnete.6Leiter der deutschen Sicherheitspolizei in Estland Sandberger, Rundschreiben, 22. Januar 1943, Estnisches Staatsarchiv, R-59/1/70. Sandbergers Anordnung unterschied nicht mehr zwischen ‚sesshaften‘ und ‚umherziehenden‘ Rom:nja.

Ab dem 8. Februar 1943 kamen Züge mit Rom:nja aus ganz Estland in Tallinn an: aus Haapsalu (58 Personen), Paide (25), Rakvere (92), Petseri (73), Hiiumaa (2), Saaremaa (7), Tapa (17), Valga (17), Võru (62) und Tartu (8). Weitere 174 Personen, die ursprünglich aus kleineren Städten und Dörfern stammten, trafen am 12. Februar aus dem Polizeigefängnis Tallinn im Zentralgefängnis Tallinn ein. Somit befanden sich insgesamt 535 Rom:nja, d. h. mehr als die Hälfte der estnischen Bevölkerung der Rom:nja, am Ende des Winters in der Hauptstadt, ohne zu wissen, was auf sie zukommen würde. Offenbar gelang es einigen wenigen Rom:nja, sich der Deportation zu entziehen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Liste der aus Haapsalu deportierten Rom:nja enthielt 58 Namen, während Sandberger in seinem Befehl von 69 Rom:nja sprach, die aus dieser Stadt deportiert werden sollten.

Die Rom:nja, die zwischen dem 8. und 14. Februar 1943 aus ganz Estland in das Zentralgefängnis von Tallinn gebracht wurden, hatten nur noch eine Woche zu leben. Am 10. Februar forderte die deutsche Sipo von dort 110 Rom:nja, am 17. Februar weitere 337 an. Im offiziellen Sprachgebrauch wurden diese Personen „aus dem Arbeitserziehungslager Tallinn in die Verantwortlichkeit der deutschen Sicherheitspolizei überführt“. Das bedeutete nur eines – Massentötung. Die Rom:nja, die sich in den Händen der deutschen Sipo befunden hatten, tauchen in den offiziellen Aufzeichnungen nicht mehr auf. Es gibt einen weiteren Beleg dafür, dass die Übergabe an die deutsche Sipo einem Todesurteil gleichkam. Willem Indus (unbekannt–1943) aus Narva wurde im Juni 1942 als ‚Zigeuner‘ zum Tode verurteilt. Der Hinrichtungsbefehl wurde jedoch bis zum 17. Februar 1943 aufgeschoben – genau auf den Tag, an dem die deutsche Sipo die 337 Rom:nja in ihre Gewalt brachte. Einem Randvermerk zufolge wurde Indus einer ‚Sonderbehandlung‘ unterzogen, d. h. er wurde ermordet.7Birn, Die Sicherheitspolizei, 189 f. Die Frau von Willem Indus, Lonny Indus (unbekannt–1943), war eine Woche zuvor zu Tode gebracht worden; sechs ihrer Kinder starben ebenfalls durch Erschießungen. Beide Massentötungen fanden höchstwahrscheinlich in Kalevi-Liiva statt.

Es gibt Hinweise auf mindestens drei weitere Massaker in Kalevi-Liiva, nordöstlich von Tallinn, deren genaues Datum und deren Anzahl der Opfer nicht mit Sicherheit festgestellt werden können. Im September und Oktober 1942 diente Kalevi-Liiva als Massenexekutionsstätte für die eintreffenden deutschen und tschechischen Juden:Jüdinnen. Von den 2 051 Personen, die mit Zug über Riga nach Estland gebracht wurden, kamen 1 754 in Kalevi-Liiva ums Leben. Zweiundvierzig jugendliche Roma aus dem Erziehungslager Laitse wurden zwischen dem 15. Oktober 1942 und März 1943 ebenfalls dort hingerichtet. Die Beschreibung des Massakers stammt aus den Aufzeichnungen eines sowjetischen Kriegsverbrecherprozesses von 1960/61. Die Zeugen äußerten sich unterschiedlich über das tatsächliche Datum der Hinrichtung. Ein Angeklagter datierte sie auf den Herbst 1942, ein anderer auf das Frühjahr 1944. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, dass dieser Massenmord etwa zum Zeitpunkt der ersten größeren Massenexekution von Rom:nja in Estland stattgefunden haben muss, d. h. gegen Ende Oktober 1942. Am 22. Januar 1943 waren zumindest einige der Kinder in Laitse noch am Leben, wie aus der Mitteilung des Kommandanten der deutschen Sipo in Estland hervorgeht: Vor dem Abtransport sollten die Rom:nja als ‚arbeitsfähig‘ oder ‚arbeitsunfähig‘ eingestuft werden.

Die Einzelheiten eines weiteren Massakers in Kalevi-Liiva lassen sich auch aus Gerichtsverfahren der Nachkriegszeit entnehmen. Mindestens sechs Angeklagte erwähnten die Massenexekution von Rom:nja in Kalevi-Liiva Anfang März 1943. Sie sprachen von etwa 25 Frauen und älteren Menschen aus dem Tallinner Zentralgefängnis und ebenso vielen „Fünf- und Sechsjährigen“ aus Vasalemma.8Die Aussage, die Kinder seien aus Vasalemma gekommen, das in der Nähe von Laitse liegt, kann nicht belegt werden. Wenn man diese Angaben mit den überlieferten polizeilichen Aufzeichnungen vergleicht, erhält man die Namen von 36 Rom:nja (22 Frauen, vier ältere Menschen und zehn kleine Kinder), die wahrscheinlich zu dieser Zeit und an diesem Ort ihr Leben verloren. Ein weiteres Massaker fand im Frühjahr 1944 in Kalevi-Liiva statt, als eine Gruppe junger Roma aus dem Erziehungslager für Jugendliche in Laitse an die deutsche Sipo übergeben wurde.

In der zweiten Hälfte des Jahres 1943 waren nur noch wenige Rom:nja frei. Diese etwa 90 Rom:nja hatten eine geringe Chance zu überleben. Im späten Frühjahr änderte der „Reichskommissar für das Ostland“ seine Meinung und erlaubte die fortgesetzte Inhaftierung ‚sesshafter‘ Rom:nja, ohne sie wie Juden:Jüdinnen zu behandeln. Die Reichskriminalpolizei in Berlin ging sogar noch weiter und schlug am 15. Oktober vor, ‚sesshafte‘ Rom:nja im ‚Ostland‘ wie die nicht romani Bevölkerung zu behandeln und ‚umherziehende‘ Rom:nja in Konzentrationslager zu bringen. Der Großteil der Bevölkerung der Rom:nja im Baltikum war zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits tot. Dies war im Wesentlichen die Antwort des Leiters der deutschen Zivilverwaltung in Estland auf den Vorschlag aus Berlin. Litzmann erklärte, dass die Sipo in Estland schon seit Längerem alle Rom:nja verhaftet habe [„alle Zigeuner [sind] seit längerem durch den Sicherheitsdienst sichergestellt“]. Er begründete die ‚Sondermaßnahmen‘ mit der Nähe Estlands zur Frontlinie. Für die verbleibenden ‚sesshaften‘ Rom:nja in Estland sah er keine Notwendigkeit, besondere Bestimmungen zu erlassen, und verwies auf die Sipo als oberste Behörde in diesen Fragen.9Reichskommissariat Ostland, interne Korrespondenz, 23. Oktober 1943, Bundesarchiv-Berlin, R-90/147.

Die uneinheitliche Politik der Nationalsozialisten in Bezug auf die Frage, ob alle Rom:nja oder nur die ‚umherziehenden‘ Rom:nja zum Sterben bestimmt waren, trug zu einer uneinheitlichen Berichterstattung über die Arbeitsfähigkeit der Menschen bei. In den wenigen Fällen, in denen solche Daten verfügbar sind, stuften die örtlichen Behörden insgesamt 25 Rom:nja als ‚arbeitsfähig‘ und 24 als ‚arbeitsunfähig‘ ein. Manchmal enthielt der entsprechende Eintrag lediglich das Wort ‚Kind‘. Der 15-jährige Pavel Koslovski aus der Gemeinde Petseri wurde sowohl als ‚Kind‘ als auch als ‚arbeitsfähig‘ registriert; er wurde am 17. Februar 1943 zusammen mit seinem Vater Nikolai, einem ‚arbeitsfähigen‘ Landwirt, getötet. Die von der Polizei erstellte Liste der Berufe und/oder des sozialen Status der Rom:nja ist nicht repräsentativ. Zu den im Februar 1943 ermordeten Personen gehörten die 54-jährige ‚arbeitsfähige Hausfrau‘ Pelageia Koslovski, der 23-jährige ‚arbeitsunfähige Landwirt‘ Mikhail Koslovski, der 31-jährige Hausierer Lazar Koslovski usw. Der Hilfsarbeiter Ernst Mitrovski wurde am 27. Oktober 1942 im Alter von 21 Jahren hingerichtet. Alle neun Mitglieder der Familie Sepikov wurden zum Tode verurteilt, darunter auch die „Schüler“ Vasili und Fedor. In einigen Fällen versuchte die Polizei bewusst, die verhafteten Rom:nja als ‚arbeitsscheue Wanderer‘ darzustellen. Dies war der Fall bei dem 14-jährigen Karl Siimann (1928–1942) aus Tapa. Er wurde am 1. Juni 1942 verhaftet und fünf Monate später zusammen mit 242 anderen Rom:nja ermordet.

Aufgrund der wenigen Nachweise ist es nicht möglich, die geografische Mobilität der Rom:nja nachzuvollziehen. Auch der Geburtsort der Opfer ist nicht bekannt. Die einzige relevante Information, die für die Täter:innen von Interesse war, war die letzte Adresse der festgenommenen Rom:nja. Doch selbst diese Daten sind unvollständig; in einem Drittel aller Fälle fehlt die Adresse. Bei Stadtbewohner:innen war in der Regel eine Straße angegeben, während bei Bewohner:innen auf dem Land nur der Name des Dorfes und/oder der Gemeinde genannt wurde. Im letzteren Fall geben die Statistiken – wenn sie zu unterschiedlichen Zeiten erstellt wurden – manchmal mehrere Wohnsitze für dieselbe Person an. Dies ist ein Beleg dafür, dass die betreffende Person ‚nicht sesshaft‘ lebte. Dies gilt vor allem für die russischsprachigen Rom:nja in der Provinz Petseri. Ansonsten haben die regionalen Behörden den sozialen Status der Rom:nja eher uneinheitlich registriert. Folglich war es der estnischen Verwaltung weniger wichtig als der deutschen, ob die Rom:nja einen festen Wohnsitz hatten oder nicht. So wurden für die gesamte Bevölkerung der Rom:nja nur 17 Personen als ‚umherziehend‘ und weitere vier als ‚Bettler‘ bezeichnet. In einem einzigen Fall gab die Polizei ausdrücklich an, dass der 41-jährige Alexander Milanov keinen festen Wohnsitz habe.

Eine Korrelation zwischen sozialer Mobilität und materiellem Wohlstand ist aufgrund der wenigen Nachweise nur schwer herzustellen. Die Polizei beschlagnahmte routinemäßig den Besitz von Rom:nja, die deportiert werden sollten, und hinterlegte ihn in der Regel bei einer Privatperson (ethnischen Est:innen oder Russ:innen) unter der Bedingung, dass er kurzfristig an die örtlichen Behörden übergeben werden müsse. Lonny und Willem Indus, deren sechstes Kind im Oktober 1941 zur Welt kam, besaßen 42 Gegenstände, während Anton und Maria Koslovksi und ihre vier Kinder nur 18 besaßen. In der Präfektur Kiviõli machte sich die Polizei nicht einmal die Mühe, die spärlichen Besitztümer der 13 Rom:nja aus der Region aufzulisten, die zu dieser Zeit nach Rakvere geschickt wurden, weil sie angeblich nichts besaßen. Der wertvollste Gegenstand, der auf der Liste der beschlagnahmten Güter steht, ist ein Pferd. Nur wenige Rom:nja verfügten über Ersparnisse. Aus Rakvere berichtete die estnische Sicherheitspolizei von Geld und Wertgegenständen, die von den 25 Rom:nja zurückgelassen wurden, die vor ihrer Abschiebung in einem örtlichen Gefängnis inhaftiert waren. Sechs der Gefangenen hatten kaum Geld bei sich, jeweils weniger als eine Reichsmark (umgerechnet ca. vier Euro), drei bis zu 10 RM und acht bis zu 90 RM. Nur fünf der inhaftierten Rom:nja hatten es geschafft, etwas Geld zu sparen: Anton Koslovski (38) besaß 170 RM, Eduard Koslovski (48) 290 RM, Astra Fenge (18) 338 RM, Willem Fenge (37) 541 RM und Vambola Hiieküla (37) 587 RM. Juhan Siimann (32) und Amalie Fenge (43) verfügten über kein Bargeld, besaßen aber eine Taschenuhr bzw. goldene Ohrringe.

Die Versuche, aus den Haftanstalten zu fliehen, blieben in der Regel erfolglos. Am 20. Januar 1942 versuchten fünf inhaftierte Rom:nja, aus dem Gefängnis von Pärnu auszubrechen; doch die Wärter nahmen Juhan Koslovski (20), Karl-Alfred Mitrovski (23) und Robert Mitrovski (21) sofort wieder fest. Tartsan Koslovski (15) und Robert Mitrovski (23) entkamen am 17. April 1942 aus dem Gefängnis von Harku. Mitrovski befand sich unter den 243 Rom:nja, die sechs Monate später hingerichtet wurden, während Koslovskis Name nicht mehr in den Dokumenten genannt ist. Peeter Burkevich (19) war nur wenige Stunden in Freiheit, nachdem er am 6. Juni 1942 aus Harku entkommen war. Robert Burkevich (33) gehörte dem ‚Zigeunertransport‘ an, der am 13. Februar 1943 vom Bahnhof Tapa zum Zentralgefängnis Tallinn fahren sollte. In dieser Nacht gelang es ihm, zu fliehen, indem er die Tür des Waggons entriegelte. Offenbar kam der Geflüchtete nicht sehr weit, denn zweieinhalb Wochen später stand sein Name auf einer Häftlingsliste in Murru. Von den drei Roma – Juhan Burkevich (53), Richard Koslovski (23) und Johannes Koslovski (28) –, die am 6. August 1943 die Mauer des Tallinner Zentralgefängnisses erklommen hatten, verschwand nur der jüngste Häftling spurlos. Seine beiden Altersgenossen landeten schließlich im Gefängnis von Murru.

Wie viele estnische Rom:nja überlebten, lässt sich nicht mit hundertprozentiger Genauigkeit feststellen. Vier Rom:nja gelang 1942/43 die Flucht aus den Haftanstalten, und einer starb 1941 im Gefängnis. Zwei Personen, deren Namen weder in deutschen noch in sowjetischen Dokumenten erwähnt sind, berichteten später von ihrer Flucht (aus der Zementfabrik Kunda) im Frühjahr 1944. Der Verbleib von 40 Personen ist nach ihrer Registrierung in den Jahren 1941/42 unbekannt. Dreißig von ihnen kamen aus der Provinz Petseri an der Grenze zu Russland. Vermutlich waren sie vor der landesweiten ‚Zigeuner‘-Polizeiaktion im Februar 1943 nach Russland gegangen. Das bedeutet nicht automatisch, dass sie überlebten, da die Wehrmacht und die Einsatzgruppen Rom:nja in der militärischen Besatzungszone routinemäßig festnahmen und ermordeten.

Zwischen dem 2. Februar und dem 23. Dezember 1943 kamen insgesamt 78 Rom:nja in das Gefängnis von Murru, über die keine weiteren Informationen vorliegen. Laut einer einzigen Zeugenaussage in einem sowjetischen Kriegsverbrecherprozess verlegte die Polizei im Sommer 1944 zwischen 150 und 200 Rom:nja nach Murru und ermordete sie kurz nach ihrer Ankunft. Es gibt jedoch keine Dokumente, die dies belegen. Das Zentralgefängnis von Tallinn, das als wichtige Sammelstelle für estnische Juden:Jüdinnen und Rom:nja gedient hatte, meldete Ende März 1944 61 (deutsche und tschechische) Juden:Jüdinnen und 31 Rom:nja unter den 2 867 Häftlingen. Diese Juden:Jüdinnen überlebten den Krieg, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass dies auch für die letzten inhaftierten Rom:nja galt.

Nach drei Jahren deutscher Herrschaft gab es die estnischen Rom:nja nicht mehr. Aru, Ellermaa, Erling, Ilmjärv, Klave, Lama, Mikel, Sarjas – diese Familien wurden ausgerottet. Von anderen Familien überlebte jeweils ein einziges Mitglied: Jankevich, Kaljusaar, Kasesalu, Korona, Kozlov, Laamann, Ojap, Orukask, Pilve und Rändpere. In den großen Familien, die das Rückgrat der Gemeinschaft der Rom:nja in Estland bildeten – Burkevich, Indus, Ivanov, Koslovski, Mitrovski und Siimann – wurden drei von vier Mitgliedern ermordet. Zu den Hingerichteten gehörten der drei Wochen alte Raul Koslovski und der 101-jährige Gothard Koslovski. Die Namen der Opfer entsprechen 762–871 getöteten Menschen, das sind 83–95 Prozent der gesamten estnischen Bevölkerung der Rom:nja, was die höchste Todesrate unter den Rom:nja in ganz Europa darstellt.

Nachwirkungen

Zwischen 1945 und 1991 blieb Estland eine Teilrepublik der Sowjetunion. Der nationalsozialistische Massenmord an den Rom:nja in Estland fand in der Agenda der sowjetischen Staatsanwälte kaum Beachtung. Dennoch sind aus den Prozessen gegen einzelne estnische Kollaborateure Einzelheiten über bestimmte Massenexekutionen bekannt geworden. Da es nur wenige Überlebende der Rom:nja in Estland gab, ist die mündliche Überlieferung über den Völkermord in diesem baltischen Land praktisch inexistent.10Ross und Roht-Yilmaz, „Romad Eestis“, 34. Umfassendes Archivmaterial sowohl deutscher als auch sowjetischer Herkunft ermöglicht jedoch eine detaillierte Rekonstruktion des Völkermords an den Rom:nja im besetzten Estland. Die inzwischen verstorbenen Donald Kenrick (1929–2015) und Michael Zimmermann (1951–2007) führten die ersten Forschungen über den Massenmord an den Rom:nja im Reichskommissariat Ostland durch. Sie konzentrierten sich auf Lettland und zeigten, wie der dienststelleninterne Diskurs über ‚sesshafte vs. umherziehende‘ Rom:nja den Verlauf der Vernichtung beschleunigte. Die empirischen Untersuchungen von Anton Weiss-Wendt (born 1973) zu Estland untermauern diese Schlussfolgerung.

Laut der Tochter eines Überlebenden, Bergitta Siimann, übernahmen die wenigen verbliebenen Rom:nja in der Nachkriegszeit in Estland manchmal die Namen und Pässe ihrer verstorbenen Verwandten. Die Erinnerung an die Vernichtung war so prägend, dass es einige lettische Rom:nja unmittelbar nach dem Krieg nicht wagten, die Grenze nach Estland zu überqueren.11„Mustlasparuness Bergitta Siiman peab tähtsaks oma juuri ja pere meelelaadi“, Valgamaalane 108, 20. September 2014. In der Zwischenzeit begannen Rom:nja aus anderen Teilen der Sowjetunion, sich in Estland niederzulassen. Nach der Volkszählung von 1959 lebten 339 Rom:nja in Estland. Das erste und einzige Denkmal für die ermordeten Rom:nja Estlands wurde am 6. Mai 2007 in Kalevi-Liiva eingeweiht. Die Initiative ging von der Romani Association of North Estonia aus; sechs lange Jahre dauerte es, bis die offizielle Genehmigung für die Errichtung des Denkmals vorlag.12„Kalevi-Liival avati mälestusmärk Teise maailmasõja ajal mõrvatud mustlastele“, Postimees, 6. Mai 2007, https://www.postimees.ee/1657797/kalevi-liival-avati-malestusmark-teise-maailmasoja-ajal-morvatud-mustlastele [Zugriff: 09.03.2022]. Der „Europäische Holocaust-Gedenktag für die Roma“ am 2. August wird auch in Estland begangen. Laut der Volkszählung von 2021 leben in Estland 676 Rom:nja, während der Europarat die Zahl mit 1 050 angibt.

Einzelnachweise

  • 1
    Ariste, Mustlaste raamat, passim.
  • 2
    Maiste und Puur, „Rahvastiku registreerimine“, 47.
  • 3
    Chef der Heeresgruppe Nord Rückwärtige Gebiete, Bericht, 18. September 1941,
    Bundesarchiv-Militärarchiv, RH-22/254.
  • 4
    Estnische Sicherheitspolizei in Tartu an die Polizeidienststellen, 24. Januar 1942, Estnisches Staatsarchiv, R-60/1/2a.
  • 5
    Birn, Die Sicherheitspolizei, 187.
  • 6
    Leiter der deutschen Sicherheitspolizei in Estland Sandberger, Rundschreiben, 22. Januar 1943, Estnisches Staatsarchiv, R-59/1/70.
  • 7
    Birn, Die Sicherheitspolizei, 189 f.
  • 8
    Die Aussage, die Kinder seien aus Vasalemma gekommen, das in der Nähe von Laitse liegt, kann nicht belegt werden.
  • 9
    Reichskommissariat Ostland, interne Korrespondenz, 23. Oktober 1943, Bundesarchiv-Berlin, R-90/147.
  • 10
    Ross und Roht-Yilmaz, „Romad Eestis“, 34.
  • 11
    „Mustlasparuness Bergitta Siiman peab tähtsaks oma juuri ja pere meelelaadi“, Valgamaalane 108, 20. September 2014.
  • 12
    „Kalevi-Liival avati mälestusmärk Teise maailmasõja ajal mõrvatud mustlastele“, Postimees, 6. Mai 2007, https://www.postimees.ee/1657797/kalevi-liival-avati-malestusmark-teise-maailmasoja-ajal-morvatud-mustlastele [Zugriff: 09.03.2022].

Zitierweise

Anton Weiss-Wendt: Estland, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 19. März 2025.-

1935
15. September 1935In Deutschland werden das „Reichsbürgergesetz” und das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre”, die sogenannten Nürnberger Gesetze, verabschiedet.
1937
14. Dezember 1937In Deutschland ergeht der „Erlass zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung. Auf dieser Grundlage kann die Kriminalpolizei jederzeit Sinti:ze und Rom:nja in Konzentrationslager verschleppen.
1940
17. Juni 1940Die Sowjetunion besetzt Estland und annektiert es zusammen mit Lettland und Litauen.
1941
7. Juli 1941Die deutsche 18. Armee überschreitet die Grenze zu Estland.
16. Juli 1941Im deutsch besetzten Estland wird Mitte Juli 1941, kurz nach der Einnahme von Tartu, das Konzentrationslager Tartu eingerichtet. Unter den Gefangenen befindet sich auch eine Gruppe von Rom:nja, die im Herbst 1941 dort erschossen wird.
27. August 1941Im deutsch besetzten Estland schreibt die 18. Armee der Wehrmacht vor, „Faulenzer“ zu körperlicher Arbeit heranzuziehen. Rom:nja sollen mit ihren Pferden und Fuhrwerken zwangsweise bei der Getreideernte helfen.
Herbst 1941Hinrichtung einiger Rom:nja im Konzentrationslager Tartu im deutsch besetzten Estland.
10. September 1941Dr. Martin Sandberger ordnet die Verhaftung aller Juden:Jüdinnen im deutsch besetzten Estland an. Hunderte von Männern, Frauen und Kindern werden ermordet.
18. September 1941Die Wehrmacht befiehlt die Verhaftung aller Rom:nja im deutsch besetzten Estland.
29. September 1941Das Gefängnis von Pärnu im deutsch besetzten Estland hat 302 Insassen. Unter den Gefangenen sind fünfzig Rom:nja.
6. Oktober 1941Im deutsch besetzten Estland stirbt die einundsechzigjährige Sophie Siimann während ihrer Inhaftierung im Gefängnis von Pärnu.
1. November 1941In der Nacht zum 1. November 1941 verhaftet die estnische Sicherheitspolizei in Narva (deutsch besetztes Estland) 260 Personen, darunter eine dreiköpfige romani Familie.
1. Dezember 1941Die deutsche Militärkommandantur in Estland ändert den Befehl vom 18. September 1941, dass alle Rom:nja inhaftiert werden sollen, dahingehend ab, dass nur umherziehende‘ Rom:nja verhaftet werden sollen, während diejenigen mit einem festen Wohnsitz unter polizeilicher Überwachung stehen sollen.
4. Dezember 1941Im deutsch besetzten Estland teilt Reichskommissar Lohse dem Höheren SS- und Polizeiführer im Ostland, Friedrich Jeckeln, die Entscheidung vom 1. Dezember 1941 mit und interpretiert sie dahingehend, dass alle Rom:nja inhaftiert werden sollen.
1942
1. Januar 1942Ab diesem Zeitpunkt dürfen Rom:nja die Stadt Tartu (deutsch besetztes Estland) nicht mehr ohne eine Sondergenehmigung betreten.
20. Januar 1942Fünf jugendliche Rom:nja brechen aus dem Gefängnis von Pärnu im deutsch besetzten Estland aus. Die Gefängniswärter nehmen drei von ihnen, Juhan Koslovski, Robert Mitrovski und Karl-Alfred Mitrovski, kurz darauf fest. Richard Eamest und Karl Koslovski können fliehen.
20. Januar 1942Die Wannsee-Konferenz findet in Berlin statt. Thema des Treffens ist die Ermordung der europäischen Juden:Jüdinnen.
25. Januar 1942 – 5. Februar 1942Im deutsch besetzten Estland beginnen die Polizeipräfekturen in Tallinn, Haapsalu, Paide, Saaremaa, Narva und Petseri mit der Überprüfung der romani Bevölkerung gemäß dem Befehl von Reichskommissar Hinrich Lohse vom 4. Dezember 1941.
17. April 1942Im deutsch besetzten Estland fliehen Tartsan Koslovski und Robert Mitrovski aus dem Gefängnis von Harku. Robert Mitrovski kommt bei einem Massenmord am 27. Oktober 1942 ums Leben, die Spur von Tartsan Koslovski verliert sich nach der Flucht.
27. Mai 1942Konferenz in Tallinn (deutsch besetztes Estland) zum Thema der Zusammenarbeit zwischen der deutschen und der estnischen Polizei. Heinrich Bergmann, Kommandeur der deutschen Kriminalpolizei in Estland, spricht über die „Lösung der Zigeunerfrage”.
1. Juni 1942Verhaftung und Verhör von Karl Siimann in Paide (deutsch besetztes Estland).
1. – 30. Juni 1942Die estnische Sicherheitspolizei weist Dienststellen an, über Juden und „Zigeuner” unter der Überschrift „Rassenfrage” zu berichten.
6. Juni 1942Im deutsch besetzten Estland bricht Peeter Burkevich aus dem Gefängnis von Harku aus. Er wird nach wenigen Stunden gefasst.
1. Juli 1942Die estnische Sicherheitspolizei berichtet von siebzehn Rom:nja (sechs Männer und elf Frauen), die bislang an ein Erschießungskommando übergeben wurden. Unter den Toten sind wahrscheinlich auch die beiden Kinder Vera und Valentina Indus.
18. Juli 1942Im deutsch besetzten Estland sind im Gefangenenlager Harku 1133 Inhaftierte untergebracht, darunter 328 Rom:nja (189 von ihnen Kinder).
27. Oktober 1942Ermordung von 243 Rom:nja in Harku (deutsch besetztes Estland), unter ihnen Karl Siimann, Leontine Siimann und Richard Siimann.
16. Dezember 1942„Auschwitz-Erlass”: Heinrich Himmler, Chef der Schutzstaffel („Reichsführer-SS”), ordnet die Deportation von Sinti:ze und Rom:nja aus dem Deutschen Reich in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an.
1943
22. Januar 1943Der Leiter der deutschen Sicherheitspolizei in Estland, Dr. Martin Sandberger, ordnet die Deportation aller estnischen Rom:nja an.
29. Januar 1943Das Reichssicherheitshauptamt in Berlin, Deutschland, erlässt genauere Anweisungen zu der Deportation von Sinti:ze und Rom:nja in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.
8. Februar 1943Beginn der Deportation von Rom:nja aus dem gesamten deutsch besetzten Estland nach Tallinn. Das Zentralgefängnis Tallinn wird zu einer Sammelstelle für deportierte Rom:nja in Estland.
10. Februar 1943Massenerschießung von 110 Rom:nja, die zuvor im Zentralgefängnis von Tallinn (deutsch besetztes Estland) inhaftiert waren, durch die deutsche Sicherheitspolizei, wahrscheinlich in Kalevi-Liiva. Unter den Opfern ist Lonny Indus aus Narva, die Ehefrau von Willem Indus, zusammen mit ihren sechs Kindern.
12. Februar 1943174 Rom:nja, die aus kleineren Städten und Dörfern in Estland stammen, werden aus Polizeihaft in Tallinn in das Zentralgefängnis Tallinn verlegt.
13. Februar 1943Im deutsch besetzten Estland gelingt Robert Burkevich die Flucht aus einem Deportationszug, der vom Bahnhof Tapa zum Zentralgefängnis Tallinn fahren soll. Er wird bald gefasst.
17. Februar 1943Massenerschießung von 337 Rom:nja, die zuvor im Zentralgefängnis von Tallinn (deutsch besetztes Estland) inhaftiert waren, durch die deutsche Sicherheitspolizei, wahrscheinlich in Kalevi-Liiva. Willem Indus aus Narva ist unter den Opfern, ebenso der fünfzehnjährige Pavel Koslovski aus der Gemeinde Petseri und sein Vater, Nikolai Koslovski.
1. – 5. März 1943Sechsunddreißig Rom:nja (22 Frauen, vier ältere Menschen und zehn kleine Kinder) werden Anfang März 1943 in Kalevi-Liiva (deutsch besetztes Estland) ermordet.
29. März 1943Das Reichssicherheitshauptamt ordnet die Deportation von Rom:nja und Sinti:ze aus deutsch besetzten Gebieten und Ländern (Belgien, Bezirk Bialystok, Elsass, Lothringen, Luxemburg, Niederlande und Nordfrankreich) in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an.
23. Mai 1943Der „Reichskommissar für das Ostland“ erlaubt die ständige Inhaftierung von „sesshaften“ Rom:nja, ohne sie wie Juden:Jüdinnen zu behandeln.
6. August 1943Im deutsch besetzten Estland versuchen Juhan Burkevich, Richard Koslovski und Johannes Koslovski aus dem Zentralgefängnis von Tallinn zu fliehen. Richard Koslovski gelingt die Flucht, während die beiden anderen gefangen genommen und im Dezember 1943 ins „Arbeitserziehungslager” in Murru verlegt werden.
15. Oktober 1943Die Reichskriminalpolizei in Berlin schlägt vor, „sesshafte“ Rom:nja im ‚Ostland‘ wie die einheimische Bevölkerung zu behandeln und „umherziehende“ Rom:nja in Konzentrationslager einzusperren.
1944
24. März 1944Das Zentralgefängnis Tallinn im deutsch besetzten Estland meldet 61 (deutsche und tschechische) Juden:Jüdinnen und 31 Rom:nja unter seinen 2 867 Gefangenen.
Sommer 1944Laut einer Zeugenaussage in einem sowjetischen Kriegsverbrecherprozess verlegt die Polizei im Sommer 1944 zwischen 150 und 200 Rom:nja in das „Arbeitserziehungslager” in Murru (deutsch besetztes Estland) und tötet sie.
24. Oktober 1944Ende der deutschen Besatzung Estlands.
2007
6. Mai 2007In Kalevi-Liiva wird das erste und einzige Denkmal für die ermordeten Rom:nja Estlands enthüllt, das von der Romani Association of North Estonia initiiert wurde.