Mechelen (Malines)

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Mechelen (Malines)
  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 5. März 2024

In Mechelen, einer Stadt in Belgien, Provinz Antwerpen, wurde während der deutschen Besatzung in der Kaserne Dossin das „SS-Sammellager für Juden“ eingerichtet. Es war das einzige Sammellager für ‚rassisch‘ Verfolgte auf belgischem Boden; von hier aus erfolgte die Deportation der jüdischen Bevölkerung ebenso wie die Deportation der Sinti:ze und Rom:nja aus Belgien und Nordfrankreich.

Geschichte der Kaserne Dossin

Die Stadt Mechelen war infolge des Spanischen Erbfolgekrieges (1680–1701) unter die Herrschaft des Österreichisch-Ungarischen Kaiserreichs gekommen. Im Jahr 1756 ordnete Kaiserin Maria Theresia von Österreich (1717–1780) den Bau der Kaserne an. 1781 ging unter Kaiser Joseph II. von Österreich der Besitz der Kaserne von der Stadt an den Staat über. Sie diente fortwährend militärischen Zwecken, unabhängig von den wechselnden Mächten oder den verschiedenen Regimentern, die sie nutzten. Im Jahr 1936 wurde das Gebäude zu Ehren von Generalleutnant Émile Dossin de Saint-Georges (1854–1936), einem belgischen Helden des Ersten Weltkrieges, in Kaserne Dossin umbenannt. Über die Ereignisse in den ersten Jahren der deutschen Besatzung von Mai 1940 bis Juli 1942, die das Gebäude betreffen, gibt es keine Informationen.

Einrichtung eines „SS-Sammellagers für Juden

Am 15. Juli 1942 stellte die deutsche Militärverwaltung die Kaserne der Sicherheitspolizei (Sipo-SD) zur Verfügung, um dort ein „SS-Sammellager für Juden“ einzurichten. Die Kaserne eignete sich aus mehreren Gründen als Transitlager: Das Gebäude, das um einen quadratischen Hof herum angeordnet ist, war leicht zu überwachen. Der Haupteingang war breit und hoch genug, um Lastwagen in den Hof zu fahren und dort parken zu lassen. Das Gebäude war zudem groß genug, um rund 2 000 Häftlinge aufzunehmen. Es liegt auf halbem Weg zwischen den Städten Brüssel und Antwerpen, in denen mehr als 90 Prozent der Juden:Jüdinnen des Landes lebten. Zudem lag es an einer Eisenbahnlinie und ein Verkehrsknotenpunkt in Richtung Osten war nicht weit entfernt.

Am 27. Juli 1940 wurde das Sammellager in Betrieb genommen. Es nahm eine zentrale Rolle in den Deportationen in Belgien und Nordfrankreich ein. Philipp Schmitt (1902–1950), von August 1940 bis November 1943 für das Fort Breendonk, einem Lager zuständig, war ab Juli 1942 für das Sammellager in Mechelen verantwortlich. Wegen persönlicher Bereicherung und Betrug wurde er von seinem Vorgesetzten Ernst Ehlers (1909–1980) aus dem Amt entlassen und am 9. März 1943 durch den SS-Sturmscharführer Gerhard Johannes ‚Hans‘ Frank (1905–unbekannt) ersetzt, einem ehemaligen Polizisten, der Mitglied der Abteilung II der Sipo-SD in Brüssel war. Ehlers war als Beauftragter des Chefs der Sipo-SD für der Durchführung der ‚Endlösung‘, also dem Mord den Juden:Jüdinnen in Belgien, zuständig.

Ursprünglich war das Lager nur für Juden:Jüdinnen bestimmt. Bis Oktober 1943, als auch Sinti:ze und Rom:nja in das Lager eingewiesen wurden, waren bereits mehr als 22 000 Juden:Jüdinnen in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert worden. Bis zur Befreiung von Mechelen sollten es mehr als 25 000 jüdische Deportierte sein.

Verhaftung und Einweisung von Sinti:ze und Rom:nja

Von der zweiten Oktoberhälfte bis Anfang Dezember 1943 wurden Sinti:ze und Rom:nja in Belgien und Nordfrankreich festgenommen und in die Kaserne Dossin verbracht, da auch sie nach Auschwitz-Birkenau deportiert werden sollten. Die Verhaftungen scheinen vom Militärbefehlshaber für Belgien und Nordfrankreich koordiniert worden zu sein. Hierzu liegen keine Akten vor, aber der zeitliche Ablauf der Verhaftungen, die Einweisung in die Kaserne Dossin und das endgültige Ziel Auschwitz-Birkenau lassen darauf schließen. Der Modus Operandi blieb fast immer gleich: Männer in deutschen Uniformen, in der Regel Angehörige der Feldgendarmerie, durchkämmten in den frühen Morgenstunden die Siedlungen oder Viertel, in denen Rom:nja und Sinti:ze lebten. In Nordfrankreich beteiligte sich die örtliche Polizei an den Verhaftungen. Bewaffnet zwangen sie ganze Familien rücksichtslos in Lastwagen. Die Rom:nja und Sinti:ze aus Nordfrankreich wurden anschließend in die Gefängnisse von Loos-lez-Lille, Arras und Béthune gebracht, bevor sie in das Sammellager in Mechelen eingeliefert wurden. Rom:nja und Sinti:ze, die in Belgien festgenommen wurden, durchliefen vor ihrer Ankunft im Lager ebenfalls Gefängnisse, etwa Hasselt in Limburg oder Saint-Gilles in Brüssel.

Die verhafteten Rom:nja und Sinti:ze wurden separat auf einer Deportationsliste, die mit ‚Z‘ bezeichnet wurde, registriert. Am 6. Dezember 1943 waren bereits 166 Namen auf der ‚Transportliste Z‘ verzeichnet. Am 9. Dezember wurden 182 Namen hinzugefügt. Drei weitere Personen, die am 7. und 12. Januar 1944 nach Mechelen gebracht wurden, sind die letzten Namen auf der Liste. Die Zahl der Kinder unter 15 Jahren betrug 165, sie machten damit mehr als die Hälfte der Verhafteten aus.

Die Einträge stammen aus dem Zeitraum zwischen dem 5. November 1943 und dem 12. Januar 1944. Diese Daten stimmen nicht unbedingt mit dem Datum der Ankunft überein, sondern vielmehr mit den Durchgängen der deutschen Kriminalpolizei (Kripo) im Sammellager. Für die Registrierung kamen jeweils zwei Beamte der Kripo und zwei Schreibkräfte der Abteilung V der Sicherheitspolizei aus Brüssel nach Mechelen. Laut einer Aussage von Johannes Frank, dem Kommandanten des Sammellagers, aus dem Jahr 1946 hätten die Beamten des Abschnitt V und ein „Rassenexperte“ die Rom:nja und Sinti:ze registriert, daktyloskopiert und fotografiert.1Auditorat militaire [Militärische Staatsanwaltschaft], Procès Boden [Prozess Boden], Farde 1, Section IV-B – PV d’auditions de sujets allemands [Abschnitt IV-B – Vernehmungsprotokolle deutscher Staatsangehöriger], doc. n° 17, Déclaration de Gerhard Johannes Frank [Dokument Nr. 17, Erklärung von Gerhard Johannes Frank], Zwolle, 27.10.1946. Diese Dokumente wurden bis heute nicht gefunden.

Situation der Verhafteten

Insgesamt 352 Sinti:ze und Rom:nja wurden in einem oder zwei Schlafsälen im ersten Stock der Kaserne über den Küchen zusammengepfercht.2Schram, Dossin, 254. Diese Räume hatten jeweils eine maximale Kapazität von 150 Personen. Sie wurden dort ungeachtet von Alter und Geschlecht zusammen eingesperrt und standen unter der ständigen Bewachung eines SS-Manns.3Privatarchiv von Monique Heddebaut, Telefonisches Interview mit Eva Fastag, 26.12.2005 und Korrespondenz vom 18.01.2006. Nur die wenigsten konnten auf einem Bettgestell schlafen, der Großteil musste auf Matten auf dem Boden liegen. Unter den Verhafteten waren mehr als die Hälfte Kinder unter 15 Jahren.

Die hygienischen Bedingungen waren katastrophal. Im Gegensatz zu den jüdischen Internierten hatten Sinti:ze und Rom:nja keinen Zugang zu Waschbecken oder Toiletten. Sie mussten ihre Notdurft in Eimern verrichten. Die Strohmatten, die seit der Eröffnung des Lagers nicht gewechselt worden waren, waren voller Ungeziefer. Im Gegensatz zu den Juden:Jüdinnen, die zu einem großen Teil auf ihren vermeintlichen ‚Arbeitseinsatz im Osten‘ – eine Tarnbezeichnung für die Deportationen in Vernichtungslager – vorbereitet worden waren und Gepäck dabei hatten, trugen die Rom:nja und Sinti:ze die Kleidung, in der sie verhaftet wurden, und verfügten nicht über Kleidung zum Wechseln. Die SS (Schutzstaffel) zwang sie, in Schmutz, Gestank und auf engstem Raum zu verharren. Die SS brachte sie manchmal in die Waschräume, wo sie gezwungen wurden, sich auszuziehen, und schüttete dann eimerweise heißes Wasser über sie.4Beer, Salle 1, 43.

Die Rom:nja und Sinti:ze waren innerhalb des Lagers streng isoliert von den anderen Häftlingen. Während jüdische Gefangene von der Association des Juifs en Belgique [Vereinigung der Juden in Belgien] Lebensmittelpakete erhielten, blieben Sinti:ze und Rom:nja ohne Unterstützung von außerhalb des Lagers und mussten sich mit den kargen Rationen im Lager begnügen. Eine Ausnahme stellte die Winterhulp [Winterhilfe] dar, die im Oktober 1940 gegründet wurde und die Hilfsaktionen vom belgischen Roten Kreuz und anderen wohltätigen Organisationen bündelte und auch die internierten Rom:nja und Sinti:ze in Mechelen mit Nahrungsmitteln versorgte. Diese Zuwendungen blieben jedoch selten und konnten eine angemessene Versorgung auch nicht nur annähernd sichern. Angesichts des Hungers und der wachsenden Not wagten es einige jüdische Häftlinge und ein ungarischer SS-Mann, den Rom:nja und Sinti:ze zusätzliche Lebensmittel zu besorgen.5Kazerne Dossin, Audiokassette, Interview mit Eva Fastag, durchgeführt von Frédéric Molle, Straßburg, 07.05.1997; Privatarchiv von Monique Heddebaut, Interview mit Antoine Lagrené, durchgeführt von Monique Heddebaut, 05.11.2005; Privatarchiv von Monique Heddebaut, Interview mit Joséphine Lagrené, durchgeführt von Monique Heddebaut, 23.04.2006.

Die täglichen Misshandlungen der SS-Wachmänner gegenüber den Rom:nja waren so brutal, dass selbst jüdische Internierte – die ihrerseits selbst schwere Gewalt erlebten – schockiert waren.6Schram, Dossin, 254, 257. Nach der Aussage von Maurice Heiber, einem jüdischen Häftling, soll der Lagerkommandant Johannes Frank sogar Anweisungen gegeben haben, die ‚Zigeuner‘ schlechter zu behandeln als Juden:Jüdinnen, und ging sogar so weit, Kindern die Milch zu verweigern.7Archives générales du Royaume, Archives de l’Auditorat Militaire, Procrede l’Auditorat 9, Déposition de Heiber Mojzesz, Bruxelles, 25. Jeanne Modis-Galut (1925–1997) erinnerte sich, dass die SS-Männer den Müttern Gewalt antaten, wenn Kinder ihre Windeln beschmutzten: Sie zwangen sie, sich über einen Tisch zu beugen, und versetzten ihnen Peitschenhiebe auf die Nieren.8Study- and Documentation Centre for War and Contemporary Society (CegeSoma), Anderlecht, Interviews von José Gotovitch mit Jean (Yayal) Galut-Modis, Jeanne (Paprika) Galut-Modis, Paris, 02.04.1976.

Jeden Tag trieben die SS-Bewacher Rom:nja und Sinti:ze für einen ‚Spaziergang‘ von weniger als einer Stunde aus ihren Schlafsälen in den Hof der Kaserne. Diese Ausgänge zeichneten sich durch Erniedrigung und Gewalt aus und fanden zu willkürlichen Zeiten statt, mal morgens, mal nachmittags, jedoch immer streng getrennt von den jüdischen Internierten. Die SS-Bewachung zwang einige Musiker dazu, Geige zu spielen, während die anderen, vor allem Frauen und Kinder, von den Aufsehern belästigt wurden.9Beer, Salle 1, 42 f.; United States Holocaust Memorial Museum (USHMM), 2006.245, Dr. Frank J. Parnes, Um die Welt in zehn Jahren, 30. Anschließend brachte die SSdie Internierten zurück den Schlafsaal.

Inmitten der furchtbaren Haftbedingungen wurde am 11. Dezember 1943 im Onze Lieve Vrouw Gasthuis, einem Krankenhaus gegenüber der Kaserne, ein Kind geboren. Der Lagerkommandant Frank genehmigte die Verlegung der 23-jährigen Rosa Demestre (1920–unbekannt), um dort zu entbinden.10Stadtmagistrat Mechelen, Standesamt, Geburtsurkunde von Jeanne Demest, alias Jacqueline Vadoche, Mechelen, 11.12.1944. Das Neugeborene trug zwei Namen: Auf der Geburtsurkunde steht Jeanne Demest, auf der ‚Transportliste Z‘ Jacqueline Vadoche. Ihre Eltern, Rosa und Auguste Vadoche (1918–unbekannt) sind auf der Liste zusammen mit ihren anderen Kindern, Luva (1940–1944) und Joséfine (1942–1944) eingetragen. Jacqueline Vadoche war zum Zeitpunkt ihrer Deportation erst 35 Tage alt. Der Säugling ist der jüngste Gefangene, der von der Kaserne Dossin aus deportiert wurde.

Deportation nach Auschwitz-Birkenau

Am 15. Januar 1944 wurden in Mechelen knapp über 1 000 Menschen in Viehwaggons verladen. In einem Zugteil, bezeichnet mit ‚Transport XXIII‘, befanden sich jüdische Gefangene, und in einem weiteren Zugteil, der die Bezeichnung ‚Transport Z‘ erhielt, befanden sich 352 Sinti:ze und Rom:nja.

Hélène Beer, eine jüdische Gefangene, die der Deportation entging und in Mechelen befreit wurde, erinnerte sich an den Abtransport der Sinti:ze und Rom:nja, die „[…] seit einem Monat hinter Gittern eingesperrt waren, von einer Maschinenpistole in Schach gehalten, ihrer goldenen Ringe und ihrer Geigen beraubt, mit den Juden verschickt wurden. […] Sie gingen, noch ärmer als die Juden, ohne Gepäck, eine noch trostlosere Herde, noch zitternder, noch resignierter.“11Beer, Salle 1, 25 f. An anderer Stelle berichtet sie darüber, dass die SS einige jüdische Frauen auswählte und dazu zwang, die verlassenen Schlafsäle zu reinigen. So konnten sie einen Eindruck von den unerträglichen Bedingungen erhalten, unter denen die Sinti:ze und Rom:nja eng zusammengepfercht einen Monat lang hatten ausharren müssen: dunkle Räume mit geschlossenen Fenstern, entsetzlicher Gestank wegen der fehlenden Abortanlagen, zerrissene Matratzen, kaum brauchbares Geschirr.12Ebd., 42–44.

Gedenkstätte Mechelen

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Kaserne wieder in den Besitz des belgischen Staates über. Nach dem Auszug der dort angesiedelten Behörden im Jahr 1975 verfiel sie jedoch zunehmend und schien zu einer Ruine zu werden. Als das Gebäude 1977 in den Besitz der Stadt Mechelen überging, wurde es in den 1980er-Jahren – ungeachtet seiner Geschichte – zu luxuriösen Wohnungen umgebaut. Es waren die Union des Déportés Juifs de Belgique – Filles et Fils de la Déportation [Union der deportierten belgischen Juden:Jüdinnen – Töchter und Söhne der Deportation] und das Consistoire central israélite de Belgique/Centraal Israëlitisch Consistorie van België [CCIB, Zentrales israelitisches Konsistorium von Belgien], die bei der Stadt Mechelen, der Flämischen Gemeinschaft Belgiens und der belgischen Bundesregierung darauf drängten, dass ein Teil der Kaserne erhalten bleiben solle, um dort ein Museum einzurichten. Natan Ramet (1925–2012), ein Überlebender der Konzentrationslager Auschwitz und Dachau, wurde zum Präsidenten der Einrichtung ernannt. Schließlich fand am 7. Mai 1995 die offizielle Eröffnung des Joods Museum van Deportatie en Verzet (JMDV)/Musée Juif de la deportation et de la résistance (MJDR) [Jüdisches Museum der Deportation und des Widerstands] durch König Albert II. (geb. 1934) statt. Seit dem 11. November 1996 stand das Museum der Öffentlichkeit zur Verfügung.

2009 erstellten die Historiker des JMDV und von La Coupole, Centre d’Histoire et de Mémoire du Nord-Pas-de-Calais, eine Wanderausstellung und einen Katalog mit dem Titel „Disparus de la Terre“ [Vermisste der Erde].13Le Maner, Steinberg und Schram, Disparus de la terre, nicht paginiert. Die Tafeln wurden so konzipiert, dass sie an Orten mit starkem Publikumsverkehr, wie dem Rathaus von Lille oder auf Bahnhöfen, aufgestellt werden konnten. Die Ausstellung beleuchtet die Geschichte der Juden:Jüdinnen sowie der Rom:nja und Sinti:ze, die in Nordfrankreich verhaftet und von der Kaserne Dossin aus deportiert worden waren, die Rolle der lokalen Behörden und wie man diesen Opfern ihr Gesicht, ihre Identität und Würde zurückgeben kann.

Das Jüdische Museum wurde später von der Flämischen Gemeinschaft übernommen und in Kazerne Dossin umbenannt. Der erste Teil des Museumskomplexes, die Gedenkstätte in der historischen Kaserne, wurde am 4. September 2012 vom flämischen Ministerpräsidenten Kris Peeters (geb. 1962) und dem Bürgermeister von Mechelen, Bart Somers (geb. 1964), eröffnet. Die Gedenkstätte befindet sich im vorderen Flügel der Kaserne. Der zweite Teil, ein Neubau, der das Museum beherbergt, befindet sich gegenüber der Kaserne und wurde am 26. November 2012 ebenfalls vom flämischen Ministerpräsidenten Kris Peeters in Anwesenheit von König Albert II. eröffnet. Beide Gebäude trage seitdem den Namen „Kazerne Dossin Gedenkstätte, Museum und Dokumentationszentrum für Holocaust und Menschenrechte“. Nach Renovierungsarbeiten öffnete die Gedenkstätte am 27. Januar 2020 erneut ihre Pforten.

Dauerausstellung

In der Dauerausstellung der Kazerne Dossin wird die Geschichte der Rom:nja und Sinti:ze in Belgien und Nordfrankreich von den 1930er-Jahren bis 1945 berücksichtigt. So werden Angehörige dieser Opfergruppe im Museumsneubau auf einer riesigen „Wand der Porträts“ von Deportierten aus dem Sammellager Mechelen repräsentiert. Dank der Recherchen des Museumsteams, von Spender:innen und Familien können jedes Jahr Fotografien von Deportierten hinzugefügt werden. Derzeit (Stand Februar 2024) sind 20 629 Porträts von Juden:Jüdinnen und 125 Porträts von Sinti:ze und Rom:nja ausgestellt, die nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurden.

Nachdem in der Dauerausstellung im Jahr 2012 der Begriff ‚Zigeuner‘ zunächst ohne Kontextualisierung verwendet, wurde, fand in den letzten Jahren eine kritische Auseinandersetzung mit der Frage nach einer adäquaten Bezeichnung dieser Opfergruppe statt. 2020 wurden die Texte in allen drei Sprachen (Französisch, Niederländisch und Englisch) angepasst: Die Kazerne Dossin verwendet ‚Roms‘ in den französischen und ‚Roma‘ in den niederländischen und englischen Texten. Im deutschen Booklet entschied sich das Museum für den Begriff Sinti und Roma. Die Änderungen wurden sowohl in den Katalogen als auch von der Gedenkstätte übernommen.14Kazerne Dossin, Kazerne Dossin, 146–171; Kazerne Dossin, Musée Kazerne Dossin, 146–171.

Gedenktafeln und Gedenkfeiern

Seit 1948 erinnert eine Gedenktafel an der Fassade der historischen Kaserne an die Deportation der Juden:Jüdinnen aus Mechelen. Die Tafel geht auf eine Initiative der Vereinigung der ehemaligen Gefangenen zurück. Es dauerte knapp 50 Jahre, bis am 3. Juni 1995 neben dieser Tafel eine weitere Gedenktafel angebracht wurde, die an die Internierung von Sinti:ze und Rom:nja in Mechelen und ihre Deportation erinnert. Die Initiative ging vom Vlaams Overleg Woonwagenwerk (VOW) und dem Zentralen Israelitischen Konsistorium Belgien (CCIB)15Kazerne Dossin, Interview mit Michel Laub, Sekretär des Zentralen Israelitischen Konsistoriums von Belgien, geführt von Laurence Schram, 14.03.2022 ; Saerens, „Mechelen: de Dossinkazerne,“ 244. aus. Der Text der Tafel ist auf Niederländisch und Französisch verfasst und lautet: „Opfer von Vorurteilen und Diskriminierung. Roma, Manouches, Gens du voyage, 3. Juni 1995“. Diese Tafel ist die bislang einzige in Belgien, die an den Völkermord an den Rom:nja und Sinti:ze erinnert.

Seit 1956 findet um den 4. September in Mechelen eine jährliche Gedenkfeier statt, die allein den jüdischen Opfern gewidmet ist. Im Jahr 2020 wurde zum ersten Mal gemeinsam an die Deportation von Juden:Jüdinnen sowie Rom:nja und Sinti:ze aus Nordfrankreich erinnert, was auf einen der Museumsguides und eine Lehrerin aus Aire-sur-la-Lys zurückzuführen ist. Es ist vorgesehen, dass die Kazerne Dossin – nachdem Gedenkfeiern wegen der Covid-19-Pandemie einige Zeit nicht möglich waren – dies fortsetzt. Die Gedenkfeiern finden an den wichtigsten Daten statt, so zum Beispiel auch am 15. Januar, dem Tag der Abfahrt des ‚Transport Z‘ im Jahr 1944.

Einzelnachweise

  • 1
    Auditorat militaire [Militärische Staatsanwaltschaft], Procès Boden [Prozess Boden], Farde 1, Section IV-B – PV d’auditions de sujets allemands [Abschnitt IV-B – Vernehmungsprotokolle deutscher Staatsangehöriger], doc. n° 17, Déclaration de Gerhard Johannes Frank [Dokument Nr. 17, Erklärung von Gerhard Johannes Frank], Zwolle, 27.10.1946.
  • 2
    Schram, Dossin, 254.
  • 3
    Privatarchiv von Monique Heddebaut, Telefonisches Interview mit Eva Fastag, 26.12.2005 und Korrespondenz vom 18.01.2006.
  • 4
    Beer, Salle 1, 43.
  • 5
    Kazerne Dossin, Audiokassette, Interview mit Eva Fastag, durchgeführt von Frédéric Molle, Straßburg, 07.05.1997; Privatarchiv von Monique Heddebaut, Interview mit Antoine Lagrené, durchgeführt von Monique Heddebaut, 05.11.2005; Privatarchiv von Monique Heddebaut, Interview mit Joséphine Lagrené, durchgeführt von Monique Heddebaut, 23.04.2006.
  • 6
    Schram, Dossin, 254, 257.
  • 7
    Archives générales du Royaume, Archives de l’Auditorat Militaire, Procrede l’Auditorat 9, Déposition de Heiber Mojzesz, Bruxelles, 25.
  • 8
    Study- and Documentation Centre for War and Contemporary Society (CegeSoma), Anderlecht, Interviews von José Gotovitch mit Jean (Yayal) Galut-Modis, Jeanne (Paprika) Galut-Modis, Paris, 02.04.1976.
  • 9
    Beer, Salle 1, 42 f.; United States Holocaust Memorial Museum (USHMM), 2006.245, Dr. Frank J. Parnes, Um die Welt in zehn Jahren, 30.
  • 10
    Stadtmagistrat Mechelen, Standesamt, Geburtsurkunde von Jeanne Demest, alias Jacqueline Vadoche, Mechelen, 11.12.1944.
  • 11
    Beer, Salle 1, 25 f.
  • 12
    Ebd., 42–44.
  • 13
    Le Maner, Steinberg und Schram, Disparus de la terre, nicht paginiert.
  • 14
    Kazerne Dossin, Kazerne Dossin, 146–171; Kazerne Dossin, Musée Kazerne Dossin, 146–171.
  • 15
    Kazerne Dossin, Interview mit Michel Laub, Sekretär des Zentralen Israelitischen Konsistoriums von Belgien, geführt von Laurence Schram, 14.03.2022 ; Saerens, „Mechelen: de Dossinkazerne,“ 244.

Zitierweise

Laurence Schram: Mechelen (Malines), in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 5. März 2024.-

1940
10. Mai 1940Deutschland erweitert den Krieg auf den Westen Europas; die Wehrmacht marschiert in Belgien, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden ein.
1943
29. März 1943Das Reichssicherheitshauptamt ordnet die Deportation von Rom:nja und Sinti:ze aus deutsch besetzten Gebieten und Ländern (Belgien, Bezirk Bialystok, Elsass, Lothringen, Luxemburg, Niederlande und Nordfrankreich) in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an.
Oktober – Dezember 1943Im Bereich des deutschen Militärbefehlshabers für Belgien und Nordfrankreich werden Razzien durchgeführt, die ergriffenen Sinti:ze und Rom:nja anschließend in das ‚SS-Sammellager‘ Mechelen überführt, um sie von dort deportieren zu können.
9. Dezember 1943Die deutsche Kriminalpolizei im Bereich des Militärbefehlshabers für Belgien und Nordfrankreich erstellt eine Liste mit den Namen von 351 Sinti:ze und Rom:nja, die für eine Deportation vorgesehen sind. Eine Frau, Jeanne Royenne Vados, wird später mit deportiert, ohne auf dieser Liste registriert gewesen zu sein.
11. Dezember 1943Jacqueline Vadoche wird im ‚SS-Sammellager‘ Mechelen im deutsch besetzten Belgien geboren. Nach ihrer Deportation in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau stirbt sie am 1. Mai 1944 im Lager.
1944
15. Januar 1944Aus dem ‚SS-Sammellager‘ Mechelen, deutsch besetztes Belgien, werden 352 Männer, Frauen und Kinder mit dem ‚Transport Z‘ bezeichneten Zug in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie zwei Tage später eintreffen. Die einjährige Georgette Hédouin stirbt während des Transportes.
1995
3. Juni 1995An die Fassade des ehemaligen ‚SS-Sammellagers‘ in der Kaserne Dossin in Mechelen, Belgien, wird eine Gedenktafel angebracht, die an die Internierung von Sinti:ze und Rom:nja in Mechelen und ihre Deportation erinnert.
2012
4. September 2012In der Kaserne Dossin, ehemaliges ‚SS-Sammellager‘ in Mechelen, Belgien, wird der erste Teil der Gedenkstätte eingeweiht. Am 2. November 2012 wird auch das neue Gebäude, das fortan als „Kazerne Dossin – Gedenkstätte, Museum und Dokumentationszentrum für Holocaust und Menschenrechte“ betrieben wird, eröffnet.