Visual History Archive

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Visual History Archive
  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 4. September 2023

Die „Shoah Foundation. The Institute for Visual History and Education an der University of Southern California (USC)“ verfügt über die umfangreichste Oral History-Sammlung weltweit. Die 1994 in Los Angeles auf Initiative des Filmemachers Stephen Spielberg (geb. 1946) gegründete Institution ist mit dem Ziel angetreten, Videointerviews mit so vielen Überlebenden und Zeug:innen des Holocaust wie möglich aufzuzeichnen, um sie für Lehr- und Bildungszwecke nutzbar zu machen. Der Fokus lag auf der Dokumentation der Lebensgeschichten jüdischer Überlebender, aber auch Überlebende anderer Verfolgtengruppen wurden interviewt. Die USC Shoah Foundation hat zwischen 1994 und 2000 über 52 000 Interviews mit Überlebenden und Zeug:innen des Holocaust gesammelt, darunter 407 mit Sinti:ze und Rom:nja.

Die lebensgeschichtlichen Videointerviews wurden von ehrenamtlichen Interviewer:innen in 56 Ländern und in 32 Sprachen geführt. Die Interviews folgen einer halboffenen, biografischen, von den Interviewer:innen strukturierten Methode. Die Sammlung wurde systematisch erschlossen, mit einem Index verschlagwortet und 2006 auf der Interview-Plattform Visual History Archive digital publiziert.1Siehe https://vha.usc.edu/. Seitdem wird das Archiv um Interviews anderer Institutionen und zu anderen Themen erweitert, sodass es inzwischen (Februar 2024) mehr als 56 660 Interviews umfasst, von denen 55 173 mit Opfern der nationalsozialistischen Verbrechen geführt wurden. Nur ein kleiner Teil der Interviews wurde bislang transkribiert und sie liegen in den Sprachen vor, in denen sie geführt wurden. Eine minutenweise Indexierung nach Orten, Themen und Personen ermöglicht zielgerichtete Recherchen.

Das Visual History Archive ist nach einer Registrierung online recherchierbar, allerdings sind in dieser Onlineversion nur eine begrenzte Anzahl der Videointerviews verfügbar. Zugriff auf alle Interviews haben nur Institutionen mit einer Lizenz zum Vollzugriff.

Die 407 Interviews mit Sinti:ze und Rom:nja wurden zwischen 1995 und 1999 in 18 Ländern und in 16 Sprachen durchgeführt. Die meisten der Interviews dauern zwischen einer halben und anderthalb Stunden, das längste ist rund vier Stunden lang. Die 222 weiblichen und 185 männlichen Interviewten stammen überwiegend aus Polen (181) und der Ukraine (135) und wurden zumeist in polnischer, russischer oder ukrainischer Sprache interviewt. Allein der polnische Interviewer Stanisław Laskowski (geb. unbekannt) hat 179 der Interviews geführt. Aber auch in den Ländern Belarus (3), Bulgarien (5), Deutschland (11), Frankreich (1), Italien (3), Lettland (6), Moldawien (16), Niederlande (1), Österreich (4), Rumänien (7), Serbien (7), Slowakei (6), Tschechien (3), Ungarn (2) und in den USA (4) wurden Interviews geführt. Mehr als drei Viertel der Befragten stammen aus romanessprachigen Communities, 24 der Interviews wurden auf Romanes geführt. Diese sind bislang jedoch nicht indexiert und deshalb nicht über die Themen- und Schlagwortsuche auffindbar.

Für 19 der Interviews liegen im Visual History Archive Transkripte vor (15 deutschsprachig, vier englischsprachig). Die deutschsprachigen Transkripte sind zusätzlich auf einer von der Freien Universität Berlin erstellten Onlineplattform im Volltext durchsuchbar.2Siehe https://transcripts.vha.fu-berlin.de.

In den lebensgeschichtlichen Interviews wird das Leben vor, während und nach der nationalsozialistischen Verfolgung thematisiert. Die Überlebenden beschreiben ihr Familien- und Berufsleben, kulturelle Traditionen, christliche und muslimische Riten und die Beziehungen zwischen verschiedenen Communities sowie zu der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung.

Im Zentrum der Interviews stehen die Erinnerungen an die Verfolgung: Diskriminierung und Ausgrenzung, Zwangsarbeit, Deportationen in die Konzentrations– und Vernichtungslager, Überleben im Versteck, Verlust von Heimat und Angehörigen. Auch Berichte über die nach dem Krieg fortdauernde rassistische Diskriminierung, den Kampf um Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus, kontinuierliche Ausgrenzungserfahrungen und – besonders bei den in Mittel-, Ost- und Südosteuropa geführten Interviews – über ökonomische Not prägen die Interviews.

Einzelnachweise

Zitierweise

Verena Lucia Nägel: Visual History Archive, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 4. September 2023. -