Bereits vor 1933 trieben kommunale Behörden in Deutschland die Isolierung von Sinti:ze und Rom:nja innerhalb der Stadtgesellschaft voran. Dabei wurden vielfach Pläne entworfen, die in privatem Besitz befindlichen Stellplätze für Wohnwagen aufzulösen und die Bewohner:innen an einer Stelle zu konzentrieren. Derartige Vorhaben waren jedoch in der demokratisch verfassten Weimarer Republik nicht durchsetzbar, weil sie einen Eingriff in Freizügigkeitsrechte darstellten. Diese gesetzliche Hürde fiel mit der nationalsozialistischen Machtübernahme im Januar 1933: Die rassistische Verfolgung von Sinti:ze und Rom:nja und ihre Isolierung von der übrigen Bevölkerung waren nun ein Bestandteil staatlicher Politik, die schrittweise umgesetzt wurde.
Bevölkerungspolitische Ziele
Seit 1933 entstanden Zwangslager für Sinti:ze und Rom:nja im Reich meist im Kontext nationalsozialistischer Stadtsanierungen, die in fast allen größeren deutschen Städten durchgeführt wurden, um bevölkerungspolitische Ziele durchzusetzen. Insbesondere die während der Weltwirtschaftskrise entstandenen Siedlungen, in denen sich verarmte Bevölkerungsteile notdürftige Behausungen errichtet hatten, galten den neuen Machthabern als potenzielle Unruheherde. Die Bewohner:innen wurden unter politischen und rassenideologischen Aspekten von kommunalen Behörden gesichtet und in Wohnungen oder Obdachlosenasyle eingewiesen. Für Sinti:ze und Rom:nja folgte auf diese rassistische Selektion meist die Einweisung in eines der oft in Stadtrandlage neu entstehenden ‚Zigeunerlager‘. Dies gilt etwa für das Lager in Köln, das 1935 als erstes seiner Art vom städtischen Wohlfahrtsamt mit Unterstützung der Polizei eingerichtet wurde, aber auch für die Lager in Düsseldorf (1937) oder Essen (1938). Die Zwangslager dienten in der Folge auch dazu, in den Städten lebende Sinti:ze und Rom:nja aus ihren Wohnungen oder von Stellplätzen zu vertreiben und sie ebenso wie in das Stadtgebiet zuziehende Sinti:ze und Rom:nja dorthin einzuweisen. Charakteristisch für die kommunalen Zwangslager ist zudem, dass sie faktisch ohne gesetzliche Handhabe und ohne Anordnungen übergeordneter Instanzen, teils auch unter Umgehung baurechtlicher Vorschriften, in kommunaler Eigeninitiative umgesetzt und betrieben wurden.
Zahlreiche Lager seit Mitte der 1930er-Jahre
Das größte kommunale Lager befand sich seit Juli 1936 in der Reichshauptstadt Berlin im Stadtteil Marzahn, wo bereits im Sommer 1934 Hauptwohlfahrtsamt, Polizei und NSDAP-Gauleitung planten, alle Sinti:ze und Rom:nja an einer Stelle zu konzentrieren. Doch erst die 1936 in Berlin durchgeführte Olympiade verhalf diesen Plänen zu einem Durchbruch: Im Rahmen einer groß angelegten Razzia, wie zwei Wochen vor der Eröffnung der Spiele stattfand, wurden über 600 Sinti:ze und Rom:nja nach Marzahn verschleppt. In zahlreichen Städten und Gemeinden entstanden seit Mitte der 1930er Jahre weitere Zwangslager: 1935 in Magdeburg, 1936 in Frankfurt am Main und Solingen; 1937 in Gelsenkirchen, Kassel, Ravensburg und Wiesbaden; 1938 in Braunschweig, Fulda, Kiel, Königsberg, Herne, Oldenburg und Osnabrück; 1939 in Hannover, Recklinghausen und Remscheid; 1941 in Hamm und Dortmund. Die Zahl der in den Lagern internierten Sinti:ze und Rom:nja reicht von mehreren Dutzend bis hin zu Höchstbelegungen von rund 500 (Köln, Sommer 1937) beziehungsweise 850 Personen (Berlin, Herbst 1942).
Beengte Wohnverhältnisse, schlechte Versorgung und Isolierung
Die Zwangslager wurden entweder auf bestehenden Stellplätzen oder Brachland eingerichtet, in denen Sinti:ze und Rom:nja in Wohnwagen leben mussten, oder es wurden vorhandene Barackenunterkünfte für Obdachlose genutzt. In Düsseldorf ließ die Stadt eigens ein Barackenlager aus Steinbauten errichten, das den Charakter eines Gefängnisses hatte. Überall waren die Wohnverhältnisse dürftig und beengt, Sanitäranlagen nur rudimentär vorhanden. Mit zunehmender Dauer der Internierung verschlechterten sich die Lebensbedingungen rapide: Selbstständige Berufstätigkeit war nicht mehr möglich, zugleich war der Verdienst an den zwangsweise zugewiesenen Arbeitsstätten gering. Von dem kargen Lohn mussten die Internierten sogar Miete für die Unterbringung im Zwangslager zahlen. Fürsorgeleistungen gab es nur in wenigen Fällen und dann meist in Naturalien. Auch von medizinischer Versorgung waren die Internierten weitgehend abgeschnitten.
Die Kinder litten nicht nur unter Hunger, sondern auch unter dem zwangsweisen Ausschluss aus den Schulen. Ausgang aus dem Lager wurde nur zu festgelegten Zeiten, für bestimmte Zwecke und unter Auflagen gewährt. Dennoch war es für diejenigen, die über soziale Netzwerke und materielle Ressourcen verfügten sowie polizeiliche Auflagen zu umgehen wussten, bis Kriegsbeginn möglich, die kommunalen Zwangslager zu verlassen. Dies gilt insbesondere für diejenigen Lager, deren Errichtung – wie in Gelsenkirchen – einzig dem Zweck der Vertreibung dienten.
Kontrolle, Erfassung und Gewalt
Hinzu kam die ständige Überwachung, die je nach Lagerleitung in offenen Terror ausartete. Die Städte und Gemeinden betrieben die Lager in enger Kooperation mit den Polizeistellen vor Ort, so dass Polizisten oder eng mit der Polizei zusammenarbeitende Wachleute die Aufsicht führten. Überlebende haben über Schikanen und Gewalttaten berichtet, die von Verboten, die Baracken zu verlassen, über Strafappelle, regelmäßige Razzien bis hin zu Misshandlungen durch Schläge, Tritte, Peitschenhiebe und Hundebisse reichten. Seit 1938 kam es immer häufiger zu Verschleppungen aus den Zwangslagern in Konzentrationslager: Schon bei geringfügigen Anlässen wurde von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Sinti:zze und Rom:nja auf der Grundlage des Erlasses zur Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung in Konzentrationslager einzuweisen. Eine weitere Gewaltmaßnahme, der die Internierten ausgeliefert waren, waren die rassenbiologischen Untersuchungen, die Robert Ritter (1901–1951) und Eva Justin (1909–1966) sowie andere Mitarbeitende der Rassenhygienischen Forschungsstelle seit 1936 gezielt in den Zwangslagern vornahmen.
Festsetzung und Deportation
Waren die Zwangslager bis zum Kriegsbeginn auch ein Instrument, um Sinti:zze und Rom:nja aus der Stadt zu vertreiben und andere vor einem Zuzug abzuschrecken, änderte sich der Charakter der Lager mit Kriegsbeginn grundlegend. Aufgrund der im Oktober 1939 angeordneten Festsetzung war allen Sinti:zze und Rom:nja ein Wechsel ihres Wohn- oder Aufenthaltsortes unter Androhung von Konzentrationslagerhaft verboten. Damit waren der Bewegungsradius und die Möglichkeiten, sich zusätzlich versorgen zu können, drastisch reduziert, was eine weitere Verschlechterung der Lebensverhältnisse bedeutete.
Während zu den bereits genannten Zwangslagern Untersuchungen vorliegen, ist über eine Vielzahl kleinerer Lager wenig bekannt. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass es aufgrund der Festsetzung zu fließenden Übergängen zwischen traditionellen Stellplätzen und Zwangslagern kam, und es aufgrund fehlender Quellen oder Forschung oft nicht möglich ist, den Zwangscharakter einer Ansiedlung festzustellen. Auch haben einige Zwangslager nur kurze Zeit bestanden.
Im Mai 1940 und Frühjahr 1943 wurde die überwiegende Mehrheit der deutschen Sinti:zze und Rom:nja deportiert, die meisten kommunalen Zwangslager auf dem Gebiet des Altreichs (Deutschland in den Grenzen von 1937) anschließend aufgelöst.
Nach 1945
Vielen Überlebenden, die aus den Konzentrationslagern zurückkehrten, blieb nach der Befreiung nichts anderes übrig, als die ehemaligen Zwangslager als Unterkunft zu nutzen, weil ihnen andere Wohnmöglichkeiten verwehrt wurden. Zudem hofften sie, dort auf andere Überlebende zu treffen. Die Zeit der Gefangenschaft in den Zwangslagern wurde in der Bundesrepublik Deutschland bei der Entschädigung über Jahrzehnte nicht anerkannt. Eine Markierung der ehemaligen Lagerstätten mit Gedenktafeln, die auf die historische Bedeutung dieser Orte verweisen, setzte erst allmählich seit den 1980er-Jahren ein.