Sieben Massendeportationen von Rom:nja und Sinti:ze aus dem Protektorat Böhmen und Mähren in das Konzentrations– und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau fanden in den Jahren 1943 und 1944 statt. Sie wurden auf der Grundlage des Auschwitz-Erlasses vom 16. Dezember 1942 im Geheimen vorbereitet.
Auswahl der Opfer
Die Zusammenstellung der Transporte wurde von der deutschen Kriminalpolizei angeordnet, die Durchführung der Deportationen wurde der Kriminalpolizei und Gendarmerie des Protektorats anvertraut. Die deutsche Kriminalzentrale in Prag entschied nach den Ergebnissen ihrer „rassischen Beurteilungen“, wer als „rassischer Zigeuner“ oder „Mischling“ anzusehen war und deshalb deportiert werden sollte.
Der ursprüngliche Plan sah vor, dass zunächst die Insass:innen der ‚Zigeunerlager‘ Lety bei Pisek und Hodonin bei Kunstadt aus dem Protektorat deportiert werden sollten. Diese Pläne wurden jedoch geändert, da die zuständigen Beamten eine mögliche Ausbreitung der Typhusepidemie befürchteten, die in beiden Lagern grassierte. Die Ersten, die deportiert wurden, waren also diejenigen, die bis dahin unter Polizeiaufsicht in ihren eigenen Wohnungen gelebt hatten.
In größeren Städten mit Bahnhöfen wurden die Männer, Frauen und Kinder über mehrere Tage hinweg an sogenannten Sammelstellen – Turnhallen, Gasthöfen und anderen Einrichtungen – gesammelt, wo sie mehrere Tage vor der eigentlichen Deportation verbrachten. Ihr Geld und ihre Wertsachen sowie ihr sonstiges Eigentum, einschließlich ihrer Häuser, Wohnwagen und Tiere, wurden beschlagnahmt (sofern sie nicht bereits gestohlen worden waren) und auf öffentlichen Auktionen verkauft oder an Deutschland abgetreten.
Wer einmal auf der Deportationsliste stand, hatte kaum noch Chancen, von den Transporten verschont zu werden, manchmal jedoch ergab sich eine solche. Kinder aus ‚Mischehen‘ und andere mit guten Verbindungen in die Mehrheitsgesellschaft, die Kontakte zu den Besatzern hatten, hatten eine gewisse Chance zu entkommen, und auch eine hellere Hautfarbe oder Bestechungsgelder konnten helfen.
In Mähren sind mehrere Einzelfälle von Rettungsversuchen dokumentiert. So entkam beispielsweise die Familie von Tomáš Holomek (1911–1988), dem ersten romani Anwalt in der Tschechoslowakei, der Deportation, weil sie frühzeitig gewarnt wurde und untertauchen konnte. In Hrušky versuchten zwei prominente Männer des Dorfes, der amtierende und der ehemalige Bürgermeister, eine dort ansässige Familie zu retten, scheiterten aber letztlich. Der Bürgermeister des Dorfes Nesovice (Bezirk Vyškov) war erfolgreich und handelte mit der Gestapo in Brno eine Ausnahme für die Familie Holomek aus. Zwei Familien in Oslavany wurden ebenfalls im letzten Moment aus dem Transport genommen, wodurch unter anderem Anna Danielová (1921–1999) gerettet wurde. Die Protektoratspolizei wurde Ende April 1943 von der deutschen Kriminalpolizei wegen der hohen Anzahl der in Mähren gewährten Ausnahmen gerügt. Nach einer Überprüfung wurden die meisten Ausnahmegenehmigungen von der Kriminalzentrale in Prag aufgehoben, und die Mehrheit der noch nicht verhafteten Rom:nja wurden in weiteren Massentransporten deportiert.
Transport
Die Transporte erfolgten mit der Bahn, wobei die Deportierten während der stundenlangen Fahrt in Güterwaggons mit fest verschlossenen Türen und Fenstern eingepfercht waren, ohne Zugang zu Essen, Trinken oder Toiletten. Die Transporte gingen von Prag aus über Pardubice, Brno, Přerov und Moravská Ostrava; im Protektorat wurden die Züge von der Böhmisch-Mährischen Eisenbahn und jenseits der Grenzen von der Deutschen Reichsbahn bereitgestellt. Bewaffnetes Begleitpersonal wurde von der nicht uniformierten Protektoratspolizei und der Protektoratsgendarmerie bis Moravská Ostrava bis zur Grenze zum Deutschen Reich gestellt, von dort aus wurden die Transporte von deutschen Wachleuten nach Auschwitz eskortiert.
Sieben Transporte
Der erste Massentransport von Rom:nja und Sinti:ze aus dem Protektorat, der etwa 1 040 Männer, Frauen und Kinder umfasste, verließ Brno am 6. März 1943. Im Laufe des Jahres 1943 folgten weitere Transporte aus verschiedenen Orten in Böhmen und Mähren. Am 10. März 1943 traf ein Transport aus Prag mit 650 Personen in Auschwitz-Birkenau ein, dem am 19. März ein Transport aus Olmütz mit etwa 1 050 Personen folgte. Bald darauf folgten Häftlinge aus den ‚Zigeunerlagern‘. Am 7. Mai 1943 trafen etwa 860 Menschen aus dem Lager Lety bei Pisek in Auschwitz-Birkenau ein, am 22. August etwa 770 Menschen aus dem Lager Hodonin bei Kunstadt.
Die letzten Transporte von Rom:nja und Sinti:ze aus dem Protektorat erreichten Auschwitz-Birkenau am 19. Oktober 1943 (aus Prag und Brno, ca. 90 Personen) und am 28. Januar 1944 (aus Prag und Brno, ca. 40 Personen). Insgesamt deportierten die Protektoratsbehörden etwa 4 500 Rom:nja und Sinti:ze (von einer geschätzten Gesamtbevölkerung von 6 500 Personen) in Massentransporten nach Auschwitz-Birkenau. Mehr als hundert weitere Personen, die als „Zigeuner und Zigeunermischlinge“ bezeichnet wurden, wurden einzeln deportiert. Die meisten der Deportierten überlebten die Inhaftierung in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern nicht.




