Als „Auschwitz-Erlass“ wird ein Befehl des Reichsführers-SS Heinrich Himmler (1900–1945) vom 16. Dezember 1942 bezeichnet. Mit diesem ordnete Himmler die „Einweisung von Zigeunermischlingen, Ròm-Zigeunern und balkanischen Zigeunern in ein Konzentrationslager“ an. Die Wortwahl für den von der Deportation betroffenen Personenkreis geht auf die rassistische Kategorisierung der Rassenhygienischen Forschungsstelle (RHF) zurück. Der mit dem Aktenzeichen Tgb. Nr. I 2652/42 Ad./RF/V versehene Befehl ist nicht überliefert. Seine Existenz ist lediglich aufgrund eines Schnellbriefes vom 29. Januar 1943 belegt, in dem das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) detaillierte Anweisungen für seine Umsetzung gab.1Reichssicherheitshauptamt (RSHA), VA2 Nr. 59/43g, Schnellbrief betr. „Einweisung von Zigeunermischlingen, Ròm-Zigeunern und balkanischen Zigeunern in ein Konzentrationslager“, 29.01.1943, in RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 322–327. Luchterhandt, Der Weg nach Auschwitz, 240, vermutet, dass es sich bei dem Befehl Himmlers um eine – eventuell auch nur mündlich gegebene – interne Anweisung gehandelt haben könnte, die dann im „Tagebuch“ (Registratur von Postverkehr im Geschäftsbetrieb einer Verwaltung) notiert wurde.
Der Auschwitz-Erlass löste Deportationen von Sinti:ze und Rom:nja aus mehreren Ländern in das Konzentrations– und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau aus, die am 26. Februar 1943 begannen und bis mindestens 21. Juli 1944 andauerten. Betroffen waren rund 22 700 Sinti:ze und Rom:nja, für die in Auschwitz-Birkenau ein besonderer Lagerabschnitt (BIIe) vorgesehen war, und von denen 20 943 mit einer Häftlingsnummer registriert wurden. Die überwiegende Mehrheit der Deportierten, rund 90 Prozent, überlebte nicht.
Vorgeschichte
Schon unmittelbar nach Beginn des Zweiten Weltkrieges war im RSHA entschieden worden, neben allen Juden:Jüdinnen auch die zu dieser Zeit auf 30 000 Personen geschätzte Minderheit der Sinti:ze und Rom:nja aus dem Deutschen Reich (inklusive dem angeschlossenen Österreich und dem Sudetenland) in das Generalgouvernement zu deportieren. Am 17. Oktober 1939 wurde der gesamte Polizeiapparat darüber informiert, dass die „Zigeunerfrage“ in Kürze „im Reichsmaßstab“ geregelt werde, wozu alle Sinti:ze und Rom:nja unter Androhung von KZ-Haft festzusetzen und zu erfassen seien.2RSHA, Schnellbrief Tgb. Nr. RKPA. 149/1939 -g-, betr. Zigeunererfassung, 17.10.1939, in RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 156–156R. Nach einer ersten Deportation von rund 2 500 Sinti:ze und Rom:nja im Mai 1940 wurden weitere Abtransporte dieser Opfergruppe jedoch zurückgestellt, um zunächst die Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Reich umzusetzen.
Doch sowohl im RSHA, als auch bei den regionalen und lokalen Dienststellen der Polizei und den kommunalen Verwaltungen blieb die Option einer Deportation aller Sinti:ze und Rom:nja virulent. Da aufgrund der Festsetzung eine Situation geschaffen worden war, die die bisherige Vertreibungspolitik unmöglich machte, übten Akteure der unteren Ebenen vermehrt Druck auf höhere Instanzen aus, weitere Deportationen durchzuführen. Reichsführer-SS Heinrich Himmler erklärte jedoch bereits im August 1940, dass die „Evakuierung von Zigeunern und Zigeunermischlingen aus dem Reichsgebiet” so lange ausgesetzt werde, „bis die Judenfrage allgemein gelöst“ sei.3Archiv Lublin, Sygn. 203, Bl. 10, Amt des Generalgouverneurs an die Distriktchefs, Kreis- und Stadthauptleute betr. Evakuierung von Zigeunern aus dem Reich, 3.8.1940. Wenig später, im November 1940, kündigte er die „endgültige Regelung der Zigeunerfrage” im Reichsgebiet für die Zeit nach dem Krieg an.4Vgl. den Schriftwechsel von 1940/41, in: Generallandesarchiv Karlsruhe, Aktenband 364, Zug. 1975/3 II Nr. 23. Diese Perspektive blieb – trotz der im November 1941 erfolgenden Deportation von 5 007 burgenländischen Rom:nja in das Getto Litzmannstadt und der Verschleppung der meisten der rund 2 000 ostpreußischen Sinti:ze und Rom:nja seit Februar 1942 nach Bialystok und von dort weiter nach Brest – bis Oktober 1942 der offizielle Standpunkt des Reichsführers-SS.5Ein Befehl Himmlers, „weitere Umsiedlungen von Zigeunern für die Dauer des Krieges“ zu unterlassen, erging im Oktober 1942 an die NSDAP im Gau Westfalen-Nord; vgl. Staatsarchiv Detmold, M 1 I P Nr. 14578, Bl. 34, Kriminalpolizeistelle Dortmund an den Regierungspräsident Minden, 14.10.1942. Dennoch ordnete Himmler nur zwei Monate später die Deportation aller Sinti:ze und Rom:nja aus dem Reich nach Auschwitz-Birkenau an. Zu diesem Richtungswechsel trugen mehrere Faktoren bei.
Entscheidung für Auschwitz
Im Herbst 1942 war die Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Reich nahezu vollständig abgeschlossen, womit die bis dahin zurückgestellte Durchführung der Deportation der zweiten als „Fremdrasse“ stigmatisierten Gruppe aus dem Reich wieder an Bedeutung gewann. Spätestens Anfang November 1942 beauftragte Himmler die Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens, „die Behandlung der Zigeuner im Reiche neu zu regeln“.6Bundesarchiv (BArch) Berlin, R 14/156, Vermerk eines Sachbearbeiters des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, 14.11.1942, zit. nach Luchterhandt, Der Weg nach Birkenau, 239.
Zu dieser Zeit sorgte überdies das SS-Ahnenerbe mit einem eigenen Vorstoß für einige Verwicklungen. Dieses Amt der SS [Schutzstaffel] hatte sich im September 1942 von Himmler dazu ermächtigen lassen, Forschungen zu „reinrassigen Zigeunern“7Nach Auffassung Robert Ritters folgten „stammechte“ bzw. „reinrassige Zigeuner“ einem „Rassegesetz“, das eine „Vermischung“ mit „Nichtzigeunern“ verbot. Daher sah er diese Gruppe nicht als rassenpolitisches „Problem“ an. Vgl. BArch Berlin, Zsg 142 Anhang 27, zit. nach Luchterhandt, Der Weg nach Auschwitz, 235. Zur Datierung des Berichts vgl. ebd., 236. durchzuführen, um diesen eine begrenzte Bewegungsfreiheit zuzugestehen – und sie von den Deportationen auszunehmen.8Vgl. Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 297–304; Luchterhandt, Der Weg nach Auschwitz, 235–242. Fings, „A ‚Wannsee Conference’ on the Extermination of the Gypsies?“, 185–187, 193, widerspricht der These der beiden Autoren, dass die Deportation nach Auschwitz-Birkenau durch das SS-Ahnenerbe ausgelöst worden sei. Widerspruch regte sich bei den maßgeblichen Instanzen der nationalsozialistischen Verfolgung der Sinti:ze und Rom:nja: dem Reichskriminalpolizeiamt (RKPA) und der RHF. Dennoch gab SS-Gruppenführer Arthur Nebe (1894–1945), Leiter des RKPA, am 13. Oktober 1942 einen Erlass heraus, an dem die Reichszentrale ebenso mitgearbeitet hatte wie die RHF. Für das Gebiet des Altreichs wurden neun „Sprecher” eingesetzt, deren Aufgabe darin bestehen sollte, „reinrassige Zigeuner“ zu benennen.9Vgl. RSHA, V A 2 Nr. 2260/42, betr. Zigeunerhäuptlinge, 13.10.1942, in: RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 305–307.
Gegen die Idee, eine bestimmte Gruppe zu verschonen, protestierte auch der Leiter der Parteikanzlei der NSDAP, Martin Bormann (1900–1945). Am 3. Dezember 1942 teilte er Himmler mit, dieses Vorgehen widerspreche sowohl der bisherigen Politik als auch den Auffassungen in Bevölkerung und NSDAP und fände keinesfalls die Billigung Adolf Hitlers (1889–1945).10BArch Berlin, NS 19/180, Bl. 1 f, Martin Bormann an Heinrich Himmler, 3.12.1942. Nach Gesprächen zwischen den beteiligten Instanzen sowie persönlichen Treffen Himmlers mit Bormann und Hitler am 6. Dezember 1942 verständigte man sich über das weitere Prozedere.11Vgl. Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 300 f. Nur eine kleine Gruppe „reinrassiger Zigeuner” (von der RHF meist „stammechte Zigeuner“ genannt) sowie einige dieser zugeschlagene „Zigeunermischlinge” sollten, streng reglementiert, in einem noch zu bestimmenden Gebiet auf deutsch besetztem Territorium leben dürfen. Die übergroße Mehrheit der Sinti:ze und Rom:nja sollte jedoch deportiert werden.
Die Entscheidung für Auschwitz-Birkenau als Ziel der Deportationszüge ist aller Wahrscheinlichkeit nach bereits zu dieser Zeit getroffen worden.12Zimmermann, „Die Entscheidung für ein Zigeunerlager in Auschwitz-Birkenau,“ 412, ging demgegenüber davon aus, dass die Entscheidung für Auschwitz-Birkenau eine „nicht von langer Hand vorbereitete, sondern unter akutem Zeitdruck getroffene Ortswahl“ gewesen sei. Ein Indiz dafür ist die Abwicklung einer Deportation von 252 Sinti:ze und Rom:nja aus Berlin im Frühjahr 1943. Auf einem Schriftstück, das die Staatspolizeileitstelle Berlin an das Oberfinanzpräsidium Berlin-Brandenburg wegen der Einziehung des Vermögens der Deportierten schickte, ist handschriftlich mit rotem Stift „Welle 53“ vermerkt.13Arolsen Archives, 1.2.1.1/127212907/ITS Digital Archive, Deportationen aus dem Gestapobereich Berlin, Staatspolizeileitstelle Berlin an Oberfinanzpräsidium Berlin-Brandenburg, 5.5.1943. Damit wird der Zusammenhang zu den systematischen Deportationen der jüdischen Bevölkerung deutlich, denn diese Transporte wurden mit „Welle“ bezeichnet und fortlaufend nummeriert. Zusätzlich wurde die Bezeichnung „Osttransporte“ für die Deportationen nach Auschwitz sowie in Gettos und Vernichtungslager verwendet, um sie von „Alterstransporten“ in das Getto Theresienstadt zu unterscheiden. Relevant ist im vorliegenden Kontext, dass ab dem 29. November 1942 sämtliche „Osttransporte“ aus dem Reich nach Auschwitz-Birkenau dirigiert wurden.14Vgl. die Bestandsbeschreibung in ebd. Das bedeutet für die Deportation der Sinti:ze und Rom:nja zweierlei: Im Dezember 1942 stand fest, dass das Ziel der von Himmler befohlenen Deportationen Auschwitz-Birkenau sein würde. Zweitens war die Deportation der Sinti:ze und Rom:nja in die als „Endlösung“ verklausulierte Ermordung der jüdischen Bevölkerung eingereiht.
Erhebung der zu Deportierenden
Um die Deportationen auch logistisch vorbereiten zu können, musste eine Einschätzung über die Anzahl der Sinti:ze und Rom:nja im Deutschen Reich vorgenommen werden. Dass dabei die Mitarbeit der RHF entscheidend war, geht bereits aus der Wortwahl „Zigeunermischlinge“, „Ròm-Zigeuner“ und „balkanische Zigeuner“ im Betreff des Schnellbriefs vom 29. Januar 1943 hervor. Robert Ritter (1901–1951), der Leiter der RHF, legte etwa Mitte September 1942 einen Überblick vor, wonach im Reichsgebiet bis dahin 28 607 Menschen „rassenbiologisch“ erfasst worden waren. Über 18 904 Personen hatte die RHF „Gutachten“ erstellt; in diesen wurden 12 360 Menschen zu „Zigeunermischlingen” erklärt, 1 585 wurden als „Rom”, 1 079 als „Vollzigeuner“, 1 017 als „Lalleri” und 211 als „balkanische Zigeuner” eingestuft. 2 652 wurden als „Nichtzigeuner“ kategorisiert.15Vgl. BArch Berlin, Zsg. 142, Anh. 27, zit. nach Luchterhandt, Der Weg nach Auschwitz, 235. Da in dem angeschlossenen Österreich sowie im Protektorat Böhmen und Mähren so gut wie keine Erhebungen durch die RHF vorgenommen wurden, geben diese Zahlen nicht den Umfang der im Januar 1943 anvisierten Opfergruppe wieder.
Die Gruppe derjenigen, die nach den Vorstellungen des SS-Ahnenerbes als „reinrassige Zigeuner“ verschont werden sollten, konnte nur aus den rund 2 000 Menschen selektiert werden, die Ritter als „Vollzigeuner“ oder „Lalleri“ bezeichnete. Ritter selbst hatte im Sommer 1942 die Anzahl dieses Personenkreises auf „kaum hundert Familien” geschätzt.16„Das Zigeunersippenarchiv,” in: Westdeutscher Beobachter, 20.6.1942.
Eine Betrachtung dieser Zahlen ist auch deshalb von Bedeutung, weil die Diskussionen um Ausnahmeregelungen innerhalb der NS-Instanzen dazu geführt haben, dass in wissenschaftlichen Werken behauptet wurde, rund 14 000 Sinti:ze und Rom:nja im Deutschen Reich einschließlich Österreich seien als „reinrassige“ oder „fast reinrassige Zigeuner“ eingestuft und deshalb von Verfolgungsmaßnahmen „meistens“ verschont worden.17Vgl. Enzyklopädie des Holocaust. Bd. III, Lemma „Zigeuner,” 1630–1634, hier 1632, 1634. Guenter Lewy (geb. 1923) zog sogar den Schluss, „ein Großteil, vielleicht sogar die Mehrheit der im Reich lebenden Zigeuner” sei einer Deportation entgangen.18Lewy, „Rückkehr nicht erwünscht,” 251, 374; gleichlautend in ders., „Himmler and the ‚Racially Pure Gypsies’,” 210. Solche Schlussfolgerungen sind problematisch, weil sie sowohl auf einer fragwürdigen Zahlengrundlage basieren, als auch die tatsächliche Praxis außer Acht lassen.
Entscheidungen im Januar 1943
Am 15. Januar 1943 fand im Reichskriminalpolizeiamt in Berlin eine Sitzung statt, an der die Reichszentrale mit ihrem Leiter, Regierungs- und Kriminalrat SS-Sturmbannführer Heinrich Böhlhoff (1896–1962), sowie Kriminalinspektor Josef Eichberger (1896–1978), Kriminalkommissar Wilhelm Supp (1906–nach 1966) und Kriminalkommissar Albert Wiszinsky (1913–unbekannt) vertreten war. Robert Ritter und Eva Justin (1901–1966) von der RHF nahmen ebenfalls teil, zudem SS-Standartenführer Hans Ehlich (1901–1991) als Vertreter des Sicherheitsdienstes und SS-Obersturmführer Georg Harders (1912–2001) für das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS.19Das Protokoll der Sitzung ist ohne Quellenangabe wiedergegeben bei Hohmann, Robert Ritter und die Erben der Kriminalbiologie, 75–77. Zur Einschätzung der Authentizität des Protokolls siehe Fings, „A ‚Wannsee Conference’,” 175.
Anlass der Sitzung war der Befehl Heinrich Himmlers vom 16. Dezember 1942. Weil, so heißt es im Protokoll, „nach diesem Befehl der größte Teil dieser zigeunerischen Personen in ein KL. einzuweisen“ sei und „nur in besonderen Fällen von der Einweisung abgesehen“ würde, sei die Frage zu klären, „was mit den zurückbleibenden zigeunerischen Personen zu geschehen“ habe.20Zit. nach Hohmann, Robert Ritter und die Erben der Kriminalbiologie, 75. Über diese Frage verhandelte nun die Führungsriege der beiden wichtigsten Institutionen nationalsozialistischer Politik gegen Sinti:ze und Rom:nja mit zwei ausgewiesenen Strategen und Praktikern der Volkstums- und Vernichtungspolitik im NS-Staat. Sowohl Ehlich als auch Harders verfügten über Erfahrungen bei der Ermordung der europäischen Juden:Jüdinnen. Zwangssterilisationen und -umsiedlungen von Millionen von Menschen zählten ebenso zu ihren Tätigkeitsfeldern wie die „rassische” Selektion Einzelner, um am Ende etwa über „Eindeutschung” oder Vernichtung zu entscheiden. Die Institutionen, die sie repräsentierten, waren bereits früh an Planungen für eine vollständige Deportation aller „Zigeuner“ aus dem Reich beteiligt gewesen.21Vgl. Fings, „A ‚Wannsee Conference’,” 177 f.
Die Teilnahme von Ehlich und Harders an der Sitzung lässt daher darauf schließen, dass an diesem Tag die seit Jahren angestrebte „endgültige Regelung der Zigeunerfrage” im Reich entscheidend vorangetrieben werden sollte. Dass die große Mehrheit der Sinti:ze und Rom:nja für die Deportation vorgesehen war, stand zu diesem Zeitpunkt bereits fest. Wie auf den beiden Folgekonferenzen der Wannsee-Konferenz drehte sich die Sitzung am 15. Januar 1943 folglich um die rassenpolitische Behandlung der zahlenmäßig kleinen Gruppe, die nicht deportiert werden sollte. Wer dazu gehören sollte, wurde genauer definiert, um entsprechende Kriterien in den Schnellbrief aufnehmen zu können. Zudem wurde entschieden, bis auf die als „reinrassig“ selektierten Sinti:ze und Rom:nja alle anderen zwangsweise zu sterilisieren.
Der Schnellbrief vom 29. Januar 1943
Der als geheim eingestufte und von Arthur Nebe unterzeichnete Schnellbrief (Aktenzeichen V A 2 Nr. 59/43 g) wurde an die Leiter der Kriminalpolizeileitstellen (KPLSt) gesandt, die bei der Umsetzung der Deportationen federführend waren.22Im Folgenden nach RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 322–327. Nachrichtlich ging das Schreiben außerdem an Bormann und Himmler, die Höheren SS- und Polizeiführer im Reichsgebiet, die Inspekteure von Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst, die Leiter der Kriminalpolizeistellen, die Leiter der Staatspolizei(leit)stellen, die Leiter der SD-Abschnitte, das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt, die Kommandantur des Konzentrationslagers Auschwitz, verschiedene Abteilungen des RSHA und das Hauptamt Ordnungspolizei. Im Kreis der Adressaten nicht inbegriffen waren alle entsprechenden Instanzen im angeschlossenen Österreich, da sie kurz zuvor bereits instruiert worden waren.23Siehe dazu weiter unten.
Der Schnellbrief enthält nach den einleitenden Anweisungen Ausführungen zu Ausnahmebestimmungen (II), Zwangssterilisationen (III), Verhängung der Vorbeugungshaft (IV), Haftunterlagen (V) und Sonstiges (VI). Als Anlagen 1 bis 3 waren die auszufüllenden Formulare beigefügt.
Zunächst fällt auf, dass die Deportationen zügig abgewickelt werden sollten: Vorbereitende Maßnahmen waren sofort zu ergreifen, um mit den Abtransporten ab dem 1. März zu beginnen und diese als „Hauptaktion“ im Wesentlichen innerhalb eines Monats, also bereits Ende März 1943, abzuschließen (VI 2 und 3). Die Formalitäten wurden auf das Notwendigste beschränkt: Die zu Deportierenden wurden unabhängig vom Alter gemäß des Erlasses zur „Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ von Dezember 1937 in Haft genommen, auf die ansonsten übliche Haftbestätigung – durch das RKPA – wurde verzichtet und das RKPA stellte Vordrucke zur Verfügung, in der lediglich die Personalien einzutragen waren.
Ebenfalls fällt auf, dass keine zahlenmäßigen Vorgaben gemacht wurden – damit signalisierte das RKPA den KPLSt, dass sie freie Hand bezüglich der Anzahl der zu Deportierenden hatten. Da die Einweisung „ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad“ (Bl. 323a) erfolgen sollte und die KPLSt ausdrücklich bei nicht vorhandenen „Gutachten“ selbstständig entscheiden konnten (IV 8), hatten sie auch bei der Auswahl der Opfer weitgehend freie Hand. Zudem boten die Ausnahmebestimmungen große Handlungsspielräume. Es waren dann vor allem die untergeordneten Instanzen des Polizeiapparates, die darüber entschieden, wer deportiert oder zwangssterilisiert wurde. 24Zimmermann, „Die Entscheidung für ein Zigeunerlager in Auschwitz-Birkenau“, 409–413.
Die Deportationen sollten „familienweise in das Konzentrationslager (Zigeunerlager) Auschwitz“ erfolgen (Bl. 323a), Kinder und Jugendliche waren, sofern sie sich nicht bei Eltern oder anderen Angehörigen befanden, diesen vor der Festnahme zuzuführen (IV 1). Unruhen und Proteste, wie sie bei den Verschleppungen 1938 und der Mai-Deportation 1940 aufgetreten waren, sollten so möglichst unterbunden werden.25Ebd., 413.
Etwa ein Drittel des Schnellbriefes nehmen Ausführungen zu den Gruppen ein, die zunächst nicht deportiert werden sollten; die seit dem Herbst 1942 vorgenommenen Abstimmungsprozesse schlagen sich deutlich darin nieder (II 1–10). Nicht deportiert werden sollten „reinrassige Sinte- und Lalleri-Zigeuner” sowie „Zigeunermischlinge“, die diesen „zugeführt“ würden. Ausdrücklich betont wurde jedoch, dass über ihre weitere Behandlung noch entschieden werde. Zum Zeitpunkt der Deportationen lagen lediglich für neun von 17 Leitstellen der Kriminalpolizei Listen mit Vorschlägen vor, deren Prüfung ihnen selbst oblag, womit sie auch in diesen Fällen über Wohl und Wehe der Betroffenen verfügen konnte.26Luchterhandt, Der Weg nach Auschwitz, 242. Ebenfalls nicht deportiert werden sollten Sinti:ze und Rom:nja, die nachweislich über eine ausländische Staatsangehörigkeit verfügten. Die weiteren Personengruppen sollten zwar nicht deportiert, aber ausnahmslos ab dem Alter von zwölf Jahren zwangsweise sterilisiert werden: Sinti:ze und Rom:nja, die „mit Deutschblütigen rechtsgültig verheiratet sind”, als „sozial angepasst“ angesehen werden, vom RPKA „aus den für Zigeuner geltenden Bestimmungen herausgenommen sind”, in der Wehrmacht dienten oder als Soldaten versehrt oder ausgezeichnet wurden oder die aus wehrwirtschaftlichen Gründen als Arbeitskräfte unverzichtbar waren. Die Ausnahmebestimmungen galten ebenso für die jeweiligen Ehegatt:innen und Kinder der Personen aus diesen Gruppen. Wieder waren dem eigenen Ermessen der örtlichen Kriminalbeamten große Spielräume eingeräumt worden, zumal Ausnahmen nur für diejenigen in Frage kamen, die weder „erheblich vorbestraft” noch als „umherziehend“ angesehen wurden. Sofern Sinti:ze und Rom:nja ein Wandergewerbe ausübten, galten sie grundsätzlich nicht als „sozial angepasst“.
Verwaltungsakte
Die Ausführungen im Schnellbrief bezüglich der Organisation der Deportationen zeigen, welche Behörden über den Polizeiapparat hinaus mit ihrer Abwicklung befasst waren – und dadurch auch Kenntnis über die Vorgänge erhielten. Den Betroffenen wurden bei der Festnahme alle Ausweispapiere abgenommen. Arbeitsbücher und Wehrpässe gingen zurück an die ausgebenden Stellen mit der Mitteilung, dass „die betreffende Person in ein polizeiliches Arbeitslager auf unbestimmte Zeit eingewiesen wurde“ (IV 5). Diese Mitteilung erhielten zusammen mit den eingezogenen Lebensmittelkarten auch die städtischen Wirtschaftsämter (IV 6). Die Einwohnermeldeämter sollten erst nach Ankunft der Deportierten in Auschwitz von ihrem „Wegzug“ unterrichtet werden (VI 9).
Mit der Deutschen Reichsbahn war offensichtlich vorab geklärt worden, dass es keine „Sonderzüge“ – das heißt, ausschließlich für die Deportation der Sinti:ze und Rom:nja eingesetzte Bahnen – geben würde. Deshalb sollten Transporte mit „möglichst nicht weniger“ als 50 Personen zusammengestellt werden (VI 5). Daraus ergaben sich eine komplexe Logistik und viele Zwischenstopps der Transporte, deren Abläufe im Reichsgebiet bis heute nicht rekonstruiert sind. Diese Vorgehensweise erklärt auch, warum viele Überlebende von tagelangen, strapaziösen Fahrten nach Auschwitz berichten.27Siehe beispielhaft die Berichte in Gedenkbuch, Bd. 2, 1493–1540.
Im Zuge der Deportationen wurde den Betroffenen sämtlicher Besitz geraubt und zugunsten des Reiches eingezogen. Mitnehmen durften sie lediglich Wäsche und Kleidungsstücke für den täglichen Bedarf sowie „verderblichen Mundvorrat“, also das, was unterwegs verzehrt werden konnte (IV 4). Bargeld und Wertpapiere wurden, wie alle Ausweisdokumente, bei der Festnahme abgenommen (IV 7).
Die Einziehung des zurückgebliebenen Vermögens (etwa Wohnungseinrichtungen, Schmuck und Instrumente, Immobilien, Geschäfte und Arbeitsgeräte, aber auch alle persönlichen Erinnerungsstücke) wurde schon am 26. Januar 1943 pauschal verfügt – also noch vor der Ausstellung des Schnellbriefes und lange bevor überhaupt Listen mit den für die Deportationen Vorgesehenen erstellt worden waren. Die im Reichssicherheitshauptamt für die Einziehung von Vermögen zuständige Abteilung (Amt II A 5) stellte an dem Tag fest, dass „die Bestrebungen der auf Befehl des Reichsführers-SS vom 16.12.1942 in ein Konzentrationslager einzuweisenden [sic] zigeunerischen Personen volks- und staatsfeindlich bzw. reichsfeindlich gewesen sind [sic].“28Der Reichsminister des Innern, Pol. S II A 5 Nr. 28/43 –212–, Feststellung, 26.1.1943, in: RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 328r. Die Feststellung bezog sich formal auf die einschlägigen Gesetze und Verordnungen über die Einziehung „volks- und staatsfeindlichen Vermögens“, die für das Altreich, Österreich, das Sudetenland, das Protektorat und die „eingegliederten Ostgebiete“ erlassen worden waren.
Weitere Deportationsbefehle
Auch wenn aus dem „Hauptbuch“ des Lagerabschnitts BIIe in Auschwitz-Birkenau hervorgeht, dass für die eingelieferten Sinti:ze und Rom:nja vierzehn verschiedene Staatsangehörigkeiten verzeichnet wurden,29Gedenkbuch, Bd. 2, 1469. fanden die Einweisungen gemäß Auschwitz-Erlass aus insgesamt sieben Ländern statt: aus Deutschland und Österreich (seit 1942 „Alpen- und Donaureichsgaue des Großdeutschen Reiches“) sowie aus den deutsch besetzten Ländern Belgien (inklusive Nordfrankreich), Frankreich (Elsass und Lothringen), Niederlande, Polen (vor allem aus den dem Reich einverleibten Gebieten) und Tschechien. Einen Sonderfall stellt die Deportation aus Brest, deutsch besetztes Belarus, vom April 1944 dar, von der hautsächlich ostpreußische Sinti:ze betroffen waren.30Holler, „Deadly Odyssey“.
Die für die genannten Länder ergangenen Erlasse31Die im Folgenden genannten Schriftstücke wurden zeitgenössisch als Erlasse bezeichnet, hatten also eine andere Verwaltungslogik als der Schnellbrief vom 29. Januar 1943. sind – sofern es sich nicht um Territorien handelt, die dem deutschen Reichsgebiet angeschlossen oder vom Reich annektiert worden waren – nicht überliefert. Die Existenz der Schriftstücke ist lediglich aufgrund eines Zusatzes in der gedruckten Erlasssammlung des Reichssicherheitshauptamtes belegt, wo am Ende des Schnellbriefes vom 29. Januar 1943 darauf verwiesen wird, dass „ähnliche Regelungen“ getroffen wurden.32RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 325. Dabei wird zunächst Bezug genommen auf die Erlasse zu den bereits 1941 und 1942 erfolgten Deportationen aus dem österreichischen Burgenland und Ostpreußen, was ein weiterer Beleg dafür ist, dass die Deportationen von Sinti:ze und Rom:nja seit 1939 in einem größeren Zusammenhang gedacht, projektiert und umgesetzt wurden.
Für Österreich konnte die bisherige Forschung feststellen, dass auf den oberen Verwaltungsebenen kein Schriftverkehr über Abstimmungen im Vorfeld der Auschwitz-Deportationen überliefert ist, was sich zum Teil dadurch erklären lässt, dass die wesentlichen Entscheidungen in Berlin getroffen worden sind.33Baumgartner et al., Vermögensentzug, Restitution und Entschädigung, 47. Auch die Dokumentation auf den unteren Verwaltungsebenen ist eher spärlich. Nicht geklärt ist, wieso der einschlägige Erlass für Österreich (Aktenzeichen VA2 Nr. 64/43g) schon am 28. Januar 1943 ausgestellt wurde, also einen Tag vor dem Schnellbrief für das übrige Reichsgebiet. Da dieses Schreiben nicht überliefert ist, können keine weiteren Rückschlüsse auf die Ausgestaltung der Vorgaben, die das RSHA machte, gezogen werden. Allerdings zeigt der Betreff „Zigeuner aus den Alpen- und Donau-Reichsgauen“ an, dass keine ausdifferenzierte Aufspaltung der Opfergruppe vorgenommen wurde, also „rassenbiologisch“ begründete Selektionskriterien weder für notwendig erachtet noch angewandt wurden. Das eröffnete den Verantwortlichen große Spielräume bei der Auswahl der Opfer, die, so die Rückmeldungen etwa der Landräte in der Steiermark und eines Mitarbeiters der Kriminalpolizeileitstelle Salzburg, großzügig genutzt wurden, um so viele Rom:nja wie möglich zu deportieren.34Ebd., 49.
Am 29. März 1943 ergingen die einschlägigen Erlasse an den „Bezirk Bialystok“ (Aktenzeichen VA2 Nr. 206/43g), Elsass-Lothringen und Luxemburg (VA2 Nr. 207/43g) sowie an Belgien und die Niederlande (VA2 Nr. 208/43g). Die Ausweitung der Deportationen auf weitere Gebiete und besetzte Länder erfolgte also, als die als „Hauptaktion“ bezeichneten Massentransporte abgewickelt waren. An dem Tag befanden sich bereits 11 753 Sinti:ze und Rom:nja im Lagerabschnitt BIIe, weitere Züge waren unterwegs.35Bis zum 31. März 1943 wurden 12 259 Sinti:ze und Rom:nja im Lagerabschnitt BIIe registriert; vgl. Czech, Kalendarium, 425 und 455. Die Aufnahmekapazität des Lagers wurde also augenscheinlich als ausreichend für weitere Einlieferungen eingeschätzt.36So die Vermutung von Luchterhandt, Der Weg nach Auschwitz, 250. Allerdings dürften sich die Verantwortlichen darüber bewusst gewesen sein, dass in diesen Gebieten und Ländern nur wenige Sinti:ze und Rom:nja lebten.
Die Praxis der Deportationen lässt sich aus diesen Erlassen nicht ablesen. Aus dem Elsass und Lothringen waren bereits vor dem Erlass die zwei Deportationen umgesetzt worden, die in der Forschung bekannt sind. Aus Luxemburg gab es keinen Transport mit Sinti:ze und Rom:nja, vielmehr wurden zu unterschiedlichen Zeiten einige wenige einzelne Personen ergriffen, nach denen – etwa aufgrund von Flucht aus dem Deutschen Reich – gefahndet wurde, und die nach Festnahme individuell nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurden.
Die Deportationen aus Belgien und Nordfrankreich wurden erst im Januar 1944, die aus den Niederlanden im Mai 1944 umgesetzt. Ein möglicher Grund könnte die Einweisungssperre sein, die das RKPA am 15. Mai 1943 angesichts der grassierenden, auf die miserablen sanitären Verhältnisse zurückzuführenden Krankheiten für den Lagerabschnitt BIIe verhängte und formal erst am 28. Januar 1944 aufhob.37Institut für Zeitgeschichte, Ma–18/a–c, RKPA, Fernschreiben Nr. 5184, 15.5.1943, zit. nach Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 337. Der Erlass des RKPA zur Aufhebung der Lagersperre wird erwähnt in Landeshauptarchiv Koblenz, 517,1/210, Bl. 206, Kriminalpolizeileitstelle Köln an Kriminalpolizeistelle Koblenz, 19.2.1944. Während der Einweisungssperre sind jedoch nachweislich rund 1 600 Sinti:ze und Rom:nja im Lagerabschnitt BIIe registriert worden.38Diese Anzahl ergibt sich aufgrund der Differenz der für den 14. Mai und den 29. Dezember 1943 vergebenen Häftlingsnummern, von denen die Anzahl der in dem Zeitraum im Lager geborenen Säuglinge abgezogen ist, vgl. Czech, Kalendarium, 494, 689; Gedenkbuch, Bd. 2, 1486–1488 (Nr. Z-8669–Z-9005). Daher dürfte auch die jeweilige Besatzungspolitik in diesen Ländern eine Rolle gespielt haben.
Einweisungen bis Juli 1944
Mit Wirkung vom 1. Mai 1943 wurde der Geheimcharakter des Schnellbriefes vom 29. Januar 1943 aufgehoben.39RSHA, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 322. Bis dahin waren 15 031 Sinti:ze und Rom:nja im Lagerabschnitt BIIe registriert worden; bis zum Ende des Jahres sollten es nochmals 3 705 sein, inklusive der im Lager geborenen Säuglinge und ohne die 1 700 nicht registrierten Männer, Frauen und Kinder, die unmittelbar nach Ankunft in den Gaskammern ermordet wurden.
Die Einweisungen auf der Grundlage des Auschwitz-Erlasses wurden mit großer Akribie fortgesetzt, selbst wenn es dazu zahlreicher Einzeltransporte bedurfte, für die Ressourcen aufgewendet werden mussten, die angesichts der Kriegslage knapp waren. Systematisch wurde auch die Suche nach Kindern in Heimen und Pflegefamilien betrieben, um sie – wie etwa die Kinder in der St. Josefspflege in Mulfingen, Deutschland – zu deportieren. In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurde das „Zigeunerlager“ im Lagerabschnitt BIIe aufgelöst, und die letzten etwa 4 300 bis dahin noch am Leben gebliebenen Sinti:ze und Rom:nja wurden in den Gaskammern ermordet.
Offene Fragen
Es gibt es keinen Hinweis darauf, dass mit dem Deportationsbefehl nach Auschwitz im Dezember 1942 bereits der physische Tod aller Betroffenen beschlossen war. Die Entscheidung, die in den Lagerabschnitt BIIe deportierten Sinti:ze und Rom:nja zu ermorden, fiel aller Wahrscheinlichkeit nach im April 1944.40Fings et al., Rassismus, Lager, Völkermord, 313–331, insb. 326–328. Gleichwohl hatte die bis dahin in der Schwebe gehaltene Frage dazu geführt, dass die überwiegende Mehrheit der Deportierten längst einem Vernichtungsprozess zum Opfer gefallen war, für den es keines Befehls bedurfte.
Viele Fragen im Hinblick auf den Auschwitz-Erlass sind bis heute unbeantwortet. Auch nach der Auflösung des Lagerabschnitts BIIe wurden immer wieder Sinti:ze und Rom:nja nach Auschwitz, Auschwitz-Birkenau und Auschwitz-Monowitz eingewiesen. Auf welcher formalen Grundlage diese Einweisungen vorgenommen wurden, bedarf einer genaueren Untersuchung, um die Reichweite des Auschwitz-Erlasses historisch adäquat beschreiben zu können.
Die nicht vorhandenen Überlieferungen des Himmler-Befehls und der in seiner Folge ergangenen Erlasse lassen erahnen, wie gründlich die Täter:innen die Spuren ihrer Verbrechen beseitigten. Nicht auszuschließen ist, dass in irgendeinem Archiv dennoch ein Exemplar einer dieser zentralen Quellen aufbewahrt wird. Dieses aufzufinden ist eine der Herausforderungen zukünftiger Forschungen.