Gervaise Schmitt-Vinstretin

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Gervaise Schmitt-Vinstretin
  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 12. März 2024

Gervaise Schmitt-Vinstretin, genannt Gréveline, wurde am 27. November 1931 in Paris, Frankreich, in eine Familie von Schaustellern und Korbflechtern geboren. Sie war die Tochter von Henri Schmitt bzw. Schmidt (unbekannt–1944) und Marie-Madeleine Vinstretin bzw. Winterstein, genannt Maralla (1900–unbekannt), und wuchs mit zwei Schwestern, Marguerite Rosa {1919–1944) und Florella-Adrienne (1939–1944), auf.

Flucht nach Frankreich

Wie viele belgische und französische Staatsangehörige flüchteten auch sie aufgrund des deutschen Überfalls während der Monate Mai und Juni 1940 in die Normandie. Nach einer ersten Station in Alençon, wo sie den Winter verbrachten, erreichte die Familie Montreuil-Bellay im Departement Maine-et-Loire. Dort waren Angehörige von ihnen in einem im November 1941 eröffneten Lager interniert worden. Die Familie mietete ein Haus, um unbehelligt zu bleiben, entschied sich dann aber, nach Nordfrankreich zurückzukehren, und ließ sich in Roubaix nieder.

Verhaftung und Deportation

Aufgrund des Auschwitz-Erlasses, der am 29. März 1943 auch auf Nordfrankreich und Belgien sowie die Niederlande ausgeweitet wurde, begannen die Deportationen von Sinti:ze und Rom:nja aus diesen Gebieten. Die Familie Schmitt-Vinstretin wurde Ende November 1943 in Roubaix verhaftet, anschließend zwei Wochen im Gefängnis Loos-lez-Lille in Loos interniert und am 9. Dezember 1943 im ‚SS-Sammellager‘ in der Kaserne Dossin in Mechelen registriert. Von dort wurde die Familie am 15. Januar 1944 in das Konzentrations– und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert.

Bei Ankunft wurden ihnen die Haare vom Kopf geschoren und Häftlingsnummern auf den Unterarm tätowiert; sie alle mussten in den Baracken des abgetrennten Lagerbereichs BIIe leben. Gervaises Schwester Florella-Adrienne, die gerade einmal fünf Jahre alt war, starb bald im Krankenrevier. Ihr an Typhus erkrankter Vater Henri Schmitt starb am 23. Mai 1944 – er wurde nach Auskunft von Gervaise Schmitt-Vinstretin zu Tode geprügelt. Gervaises ältere Schwester Marguerite Rosa Schmitt brachte ein Mädchen zur Welt, das nur wenige Tage überlebte.

Marie-Madeleine und Gervaise Schmitt-Vinstretin wurden am 15. April 1944 in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert, wo sie zwei Tage später eintrafen. Unmittelbar nach ihrer Registrierung überstellte die Lagerverwaltung sie in das Außenlager Rechlin-Retzow. Mutter und Tochter wurden für Erdarbeiten und den Transport von Baumaterial eingesetzt.

Evakuierung nach Schweden und Rückkehr

Kurz vor der Befreiung gelangten sie in einem der Evakuierungstransporte des Roten Kreuzes über Ravensbrück nach Schweden. Am 26. April 1945 wurden sie als Patientinnen im Reservekrankenhaus Nya Borgarskolan in Malmö registriert. Sie blieben sechs Monate, um wieder zu Kräften zu kommen. Im Oktober 1945 wurden sie nach Frankreich ausgeflogen, wo sie in Paris im Hotel Lutetia, in dem zahlreiche Überlebende untergebracht waren, versorgt wurden, bevor sie nach Roubaix zurückkehrten.

2012 erschien unter dem Titel Les oubliés dʼAuschwitz [Die Vergessenen von Auschwitz] ein autobiografischer Bericht von Gervaise Schmitt-Vinstretin, der auf einem Interview basiert, das sie der Journalistin Cécile Chambon (geb. 1959) gegeben hatte.

Citation

Monique Heddebaut: Gervaise Schmitt-Vinstretin, in: Encyclopaedia of the Nazi Genocide of the Sinti and Roma in Europe. Ed. by Karola Fings, Research Centre on Antigypsyism at Heidelberg University, Heidelberg 12 March 2024.-

1940
10 May 1940Germany extends the war to Western Europe; the Wehrmacht invades Belgium, France, Luxembourg and the Netherlands.
1942
16 December 1942‘Auschwitz Decree’: Heinrich Himmler, head of the Schutzstaffel (‘Reichsführer SS’), orders the deportation of Sinti and Roma from the German Reich to Auschwitz-Birkenau concentration and extermination camp.
1943
29 March 1943The Reich Security Main Office orders the deportation of Roma and Sinti from German-occupied territories and countries (Belgium, Bialystok district, Alsace, Lorraine, Luxembourg, the Netherlands and northern France) to Auschwitz-Birkenau concentration and extermination camp.
9 December 1943The German criminal police in the area of the German Military Commander for Belgium and Northern France draw up a list with the name of 351 Sinti and Roma who are destined for deportation. One woman, Jeanne Royenne Vados, is later deported without having been registered on this list.
1944
15 April 1944473 Sinti and Roma, women and girls, are transferred from Auschwitz-Birkenau concentration and extermination camp to Ravensbrück concentration camp in Germany.
1945
26 April 1945Gervaise Schmitt-Vinstretin and Marie-Madeleine Vinstretin are registered in a hospital in Malmö, Sweden, where they are evacuated shortly before the liberation of the Ravensbrück concentration camp thanks to the Red Cross.
30 April 1945The Ravensbrück concentration camp in Germany is liberated by soldiers of the Soviet Red Army.