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  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 5. März 2024

Rom:nja in Süditalien

Seit vielen Jahrhunderten leben Rom:nja und Sinti:ze auf der italienischen Halbinsel. Die Ankunft der Vorfahren der heutigen süditalienischen Rom:nja kann um das 16. Jahrhundert datiert werden. Auf der Flucht vor dem Vormarsch der Truppen des Osmanischen Reiches gelangten sie, zusammen mit anderen griechisch- und albanischsprachigen Bevölkerungsgruppen, von der balkanischen Halbinsel über das Meer bis nach Süditalien. Sie betätigten sich vorwiegend in der Herstellung und dem Verkauf von Metallwaren, später auch in der Pferdezucht und dem Pferdehandel.

Bald waren Rom:nja in allen Regionen Süditaliens verbreitet, sowohl in den Städten als auch in den kleineren Ortschaften. Einige Familien ließen sich endgültig nieder, während andere aus beruflichen Gründen, zum Beispiel wegen der Teilnahme an Märkten und Jahrmärkten, ein gewisses Maß an Mobilität innerhalb eines Gebiets beibehielten. In den Beziehungen zur restlichen Bevölkerung waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine nennenswerten Spannungen zu verzeichnen, und in einigen Gegenden kam es immer öfter zu ehelichen Verbindungen mit der übrigen italienischen Bevölkerung.

Nord- und Mittelitalien

Was den Norden Italiens betrifft, so lässt sich die Ankunft der ersten Personen, die als „cingari“ oder „cingani“ bezeichnet wurden, auf das Jahr 1422 datieren. Das Waffenhandwerk im Dienst der örtlichen Adligen und Feldherren war eine der wirtschaftlichen Tätigkeiten von „cingari“, für die dokumentarische Spuren vorhanden sind. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts lebten in Nord- und Mittelitalien verschiedene Gruppen von Sinti:ze, die teils aus deutschsprachigen Ländern stammten, teils französischer Herkunft waren, sowie Familien, die seit mehreren Jahrhunderten in Italien anwesend waren. Sie betätigten sich als wandernde Künstler:innen (Musiker, Akrobaten, Zirkuskünstler und Karussellbetreiber), als Korbflechter und als Verkäufer:innen von allerlei Waren. Aufgrund ihrer Mobilität wurden sie nicht unter der ansässigen Bevölkerung eingetragen, was das Erlangen von Genehmigungen erschwerte, die zur Ausübung der sogenannten Wandergewerbe („mestieri girovaghi“) erforderlich waren. Da „Landstreicherei“ gesetzlich strafbar war, waren nur diejenigen Familien, denen es gelungen war, sich die zur Ausübung ihrer Gewerbe nötigen Genehmigungen zu beschaffen, davor geschützt, von einem Ort zum anderen verjagt zu werden und so Einkommensmöglichkeiten einzubüßen oder gar als „Landstreicher“ verhaftet zu werden.

Während der Beendigung des Einigungsprozesses des Königreichs Italien (1861–1870) lebten in sämtlichen Regionen Süditaliens Rom:nja, und auf Sizilien sowie Sardinien waren sie nicht mehr von der restlichen Bevölkerung zu unterscheiden. Sinti:ze waren dagegen in allen Regionen Norditaliens und in mindestens drei Regionen Mittelitaliens anwesend: in den Marken, in der Toskana und in Umbrien. Ihre Anzahl ist unbekannt, weil die Volkszählungen weder in den einzelnen Staaten vor der Vereinigung noch im Königreich Italien eine Erhebung von Zigeunern vorsahen, da es sich um eine in der öffentlichen Verwaltung nicht verwendete ‚Kategorie‘ handelte.

Erste Runderlasse

Schon bald nach der Entstehung des Königreichs Italien wurden erste Runderlasse verfügt, die bezweckten, die Einwanderung von „ausländischen Zigeunern“ zu verhindern, selbst wenn ihre Ausweispapiere und Visa gültig waren. In dieser Hinsicht wich die für Rom:nja und Sinti:ze vorgenommene Prozedur von der üblichen ab, die für alle anderen Ausländer befolgt wurde, die in das Königreich Italien einwandern wollten. Um die Jahrhundertwende führte die Einreise von Rom:nja und Sinti:ze zunehmend zu einer erhöhten öffentlichen Aufmerksamkeit, und diejenigen, denen es trotz allem gelang, die Grenze zu überqueren, wurden kurzerhand und unrechtmäßig über Land oder Meer abgeschoben. In Italien wurde es praktisch illegal, ein „ausländischer Zigeuner“ zu sein, obwohl weder ein gesetzlicher Rahmen existierte, auf den man sich hätte beziehen können, noch eine juristische und verwaltungsrechtliche Definition, die klar umriss, wer als solcher anzusehen sei. Die Folge war, dass die den Betroffenen zugedachte Behandlung nicht mehr durch ein verwaltungsrechtliches Verfahren nach der geltenden Gesetzgebung bestimmt wurde, sondern der Willkür der jeweiligen Polizeibehörde überlassen war.

Währenddessen wurde die Existenz von italienischen Rom:nja und Sinti:ze offiziell geleugnet, zum Beispiel auf internationalen Kongressen, die wiederholte Abschiebungen zwischen angrenzenden Staaten thematisierten. Aus italienischer Sicht galt das Prinzip, dass „Zigeuner“ grundsätzlich Ausländer unbestimmter Herkunft waren. Gleichzeitig wurde das „Wanderleben“ vieler Familien der Sinti:ze in Norditalien stigmatisiert und es wurden gegen sie die im Strafgesetzbuch für „Nichtstuer und Landstreicher“ vorgesehenen Maßnahmen verhängt. Auf diese Weise wurden sie von der Polizei unter Aufsicht gestellt, obgleich es keine spezifische, „Zigeuner“ betreffende Gesetzgebung gab.

Am Ende des Ersten Weltkrieges wurden Italien im Friedensvertrag von Saint Germain-en-Laye (1919) einige bis dahin zur Habsburgischen Monarchie gehörenden Gebiete zugesprochen; sie erhielten den Namen Tridentinisches Venetien, mit Trento (Trient) und Bozen, und Julisch Venetien, das die Provinzen Gorizia (Görz), Pola (Pula), Triest und, ab 1924, Fiume (St. Veith am Flaum, Rijeka) umfasste. Ebenfalls an Italien ging die dalmatinische Stadt Zara (Zadar). Infolge der Neugestaltung der nordöstlichen Grenze des Königreichs Italien stellte sich nun die politisch heikle Frage der Staatsangehörigkeit der in den ehemaligen habsburgischen Gebieten ansässigen Bevölkerung. Die Anwesenheit von Rom:nja und Sinti:ze in diesen Gebieten wurde von den italienischen Behörden als ein Problem betrachtet, und vielen von ihnen wurde trotz der in den Friedensverträgen enthaltenen Klauseln keine Staatsangehörigkeit zuerkannt. Die italienischen Polizeikräfte versuchten weiterhin, sie als Ausländer abzuschieben, sie wurden aber unweigerlich zurückgeschickt, da sie in den auf Italien übergegangenen Gebieten geboren waren.

Unter dem monarchisch-faschistischen Regime

Im Oktober 1922 marschierten Tausende von bewaffneten Faschisten in die Hauptstadt Rom („Marsch auf Rom“). Sie gaben damit eine Machtdemonstration ab, die den König Italiens, Viktor Emanuel III. von Savoyen (1869–1947), dazu brachte, Benito Mussolini (1883–1945) mit der Bildung der neuen Regierung zu beauftragen. Innerhalb weniger Jahre nahm Mussolini alle Errungenschaften einer Demokratie (Parlamentswahlen, Mehrparteiensystem, Presse- und Meinungsfreiheit) in engem Einvernehmen mit dem König zurück, der sämtliche an der existierenden konstitutionellen Staatsordnung vorgenommenen Änderungen genehmigte.

Die ersten, vom faschistischen Regime in den 1920er-Jahren verfügten Runderlasse zum Thema „Zigeuner“ waren inhaltlich fast identisch mit den Erlassen der früheren liberalen Regierungen und bezogen sich nur auf „ausländische Zigeuner“. Diese wurden als „gefährlich“ für die öffentliche Sicherheit, für die Volksgesundheit und für die Staatssicherheit eingestuft. Ihre Einreise nach Italien sei zu verhindern; sofern sie eingereist waren, sollten sie abgeschoben werden.

Gegen Ende der 1930er-Jahre wurden die Abschiebungen von ausländischen Rom:nja und Sinti:ze in die angrenzenden Staaten wegen der veränderten politischen Lage immer schwieriger. Zudem konnten diejenigen, die im Julischen und Tridentinischen Venetien lebten, nicht länger als abzuschiebende Ausländer angesehen werden.

Erfassung und Verbannung

Am 3. Dezember 1937 forderte der Polizeichef Arturo Bocchini (1880–1940) die Präfekten auf, die Anzahl der in den einzelnen Provinzen des Königreichs Italien anwesenden Sinti:ze und Rom:nja zu melden.1Archivio Centrale dello Stato (ACS) [Zentrales Staatsarchiv], Ministero degli Interni (MI) [Ministerium für Inneres], Direzione Generale Pubblica Sicurezza (DGPS) [Generaldirektion Öffentliche Sicherheit], Divisione polizia amministrativa e sociale [Abteilung Verwaltungs- und Sozialpolizei], Archivio generale [Generalarchiv], b. 865, Fasc. Zingari. Statistica [Zigeuner. Statistik], Da Capo polizia a prefetti Regno, 3 dicembre 1937, dispaccio telegrafico n. 45568 [Polizeichef an Präfekten des Königreichs, 3. Dezember 1937, Telegrafische Depeche Nr. 45568]. Die Daten wurden sehr nachlässig zusammengetragen und waren zu niedrig, da zuvor nicht klar umrissen worden war, wer als „Zigeuner“ angesehen werden sollte. Insgesamt zählten die Präfekten in ganz Italien 2 199 Rom:nja und Sinti:ze,2ACS, MI, DGPS, Divisione polizia amministrativa e sociale, Archivio generale, b. 865, Fasc. Zingari. Statistica, Schreiben des Chefs des Büros des Innenministers an DGPS, Prot. Nr. 10345, 13.11.1938. eine Zahl, die weitaus zu niedrig war, wie anhand der für einzelne italienische Provinzen zur Verfügung stehenden historischen und ethnografischen Literatur ersichtlich ist. Nach Prüfung der eingegangenen Daten beschloss Bocchini, keine besonderen Maßnahmen gegen „Zigeuner“ zu treffen und stattdessen die vom faschistischen Regime für „gefährliche Personen“ verfügten Polizeimaßnahmen anzuwenden.

Besondere Aufmerksamkeit wurde jedoch dem Julischen und Tridentinischen Venetien gewidmet, von wo 231 Rom:nja und Sinti:ze gemeldet worden waren, die sich hauptsächlich in den Provinzen Triest und Pola (Pula) aufhielten.3ACS, MI, DGPS, Divisione polizia amministrativa e sociale, Archivio generale, b. 865, Fasc. Zingari. Statistica. Zwischen Dezember 1937 und Januar 1938 wurden gleich drei Runderlasse gegen die Sinti:ze und Rom:nja in diesen Landesteilen verfügt, das heißt in Gebieten, in denen die durch die gewaltsame Italianisierung der deutschsprachigen, slowenischen und kroatischen Bevölkerung verursachte politische Spannung dem faschistischen Regime nicht unerhebliche Schwierigkeiten bereitete. Für einige Sinti:ze und Rom:nja wurde angeordnet, dass sie ihren Wohnsitz in Provinzen in Süd- und Mittelitalien zu verlegen hätten; für diejenigen, die als besonders „gefährlich“ galten, war die polizeiliche Verbannung (confino) vorgesehen, ebenfalls in Süditalien. In der Provinz Pola (Pula), die der istrischen Halbinsel entsprach, schickten die Behörden sämtliche dort anwesende Rom:nja in die Verbannung nach Sardinien.

Die Maßnahme der polizeilichen Verbannung war eines der Repressionsmittel des faschistischen Regimes und wurde üblicherweise gegen einzelne Personen verhängt. Im Fall der Rom:nja und Sinti:ze waren ganze Familien davon betroffen, die dann gezwungen waren, mit einem kümmerlichen finanziellen Zuschuss in äußerst schwierigen Umständen zu leben. Die Rom:nja und Sinti:ze aus dem Julischen und Tridentinischen Venetien mussten bis 1946, also noch lange nach Kriegsende, in der Verbannung bleiben.

Schritte zur Errichtung eines rassistischen Staates

Gleichzeitig begann das faschistische Regime, die ersten konkreten Schritte zur Errichtung eines rassistischen Staates zu unternehmen.4Sarfatti, „Il fascismo,“ 87–105. Nach der Eroberung Äthiopiens 1936 wurde die Existenz von „Mestizen“ (Meticci) in den Kolonialgebieten immer negativer dargestellt, und die Möglichkeiten für Kinder aus einer Beziehung zwischen Weißen und Schwarzen, die italienische Staatsbürgerschaft zu erlangen, wurden zunehmend eingeschränkt.

Am 14. Juli 1938 wurde in der Tageszeitung „Il Giornale d’Italia“ unter dem Titel Il Fascismo e i problemi della razza („Der Faschismus und die Rassenprobleme“) ein Text veröffentlicht, in dem behauptet wurde, dass „der Ursprung der Unterschiede zwischen Völkern und Nationen“ in den Unterschieden zwischen den Rassen liege, es eine „reine italienische Rasse“ gebe, Juden:Jüdinnen nicht zur „italienischen Rasse“ gehörten, und schließlich, dass man „unbedingt verhindern [müsse], dass die rein europäischen Merkmale der Italiener verändert werden“.5Der Artikel wurde am 14. Juli 1938 in der Tageszeitung „Il Giornale d’Italia“ anonym veröffentlicht; siehe Sarfatti, Mussolini, 30–35. Am 22. August 1938 begann die Zählung sämtlicher in Italien lebenden Juden:Jüdinnen; es entstand die juristische Bezeichnung „der jüdischen Rasse zugehörig“, die auf einer Rekonstruktion der Abstammung basierte, also eine strikt genealogisch-biologische Grundlage hatte. Die wichtigsten gesetzlichen Bestimmungen gegen Juden wurden zwischen September und Dezember 1938 verabschiedet, Verwaltungsmaßnahmen noch bis 1943 erlassen. Innerhalb weniger Monate wurde Italiener:innen und Ausländern jüdischen Glaubens verboten, im öffentlichen Dienst zu arbeiten, freie Berufe auszuüben, im Heer zu dienen, Schulen zu besuchen; Ausländern, die die italienische Staatsbürgerschaft nach 1919 erlangt hatten, wurde diese aberkannt, und sie wurden aufgefordert, Italien bis zum 12. März 1939 zu verlassen. Es waren hauptsächlich diese letzteren, vorwiegend Flüchtlinge aus Deutschland und aus Osteuropa, die nach dem Kriegseintritt Italiens, sofern sie das Land bis dahin nicht verlassen hatten, interniert wurden.6Sarfatti, Gli ebrei nell’Italia fascista, 190–192.

Rom:nja und Sinti:ze werden in offiziellen Dokumenten des Regimes zur „Rassenfrage“ nicht erwähnt, auch wurden keine spezifischen, sie betreffende Gesetze erlassen. Die gegen sie ergriffenen Maßnahmen basierten auf den von Polizeichef Arturo Bocchini und dessen Nachfolger Carmine Senise (1883–1958) unterzeichneten Runderlassen des Innenministeriums.

Was das Publikationswesen anbelangt, so ist auf zwei Aufsätze hinzuweisen, welche negative Merkmale der „Zigeuner“ als „Rasse“ und die Gefahren einer „Kreuzung“ mit „Italienern“ unterstrichen.7Semizzi, „Gli zingari“; Landra, „Il problema“. Gleichwohl ist festzuhalten, dass – anders als in Deutschland – weder genealogische Nachforschungen oder „rassenbiologische“ Ermittlungen über die in Italien lebenden Rom:nja und Sinti:ze verordnet wurden, noch wurde eine Expertengruppe mit spezifischen Kenntnissen gebildet und beauftragt, ihre psychischen und physischen Merkmale zu erheben.

Internierung in Kommunen und Konzentrationslagern

Am 10. Juni 1940 trat Italien als Verbündeter NS-Deutschlands in den Zweiten Weltkrieg ein. Die erste Folge der Mobilmachung für den Krieg war die Anordnung einer Reihe von Maßnahmen zur immer strengeren Überwachung all jener, die als „Gefahr“ für den Staat angesehen wurden. Schon in den ersten Tagen nach dem Kriegseintritt schritt man zur Internierung von Zivilist:innen. Davon betroffen waren politische Gegner:innen, Staatsbürger:innen feindlicher Staaten, ausländische oder staatenlose Juden:Jüdinnen sowie Rom:nja und Sinti:ze. Sie wurden entweder in Konzentrationslager (campi di concentramento) oder in Internierungsorte überführt, je nach Einschätzung ihrer „Gefährlichkeit“.

Die Grundregeln für die Internierung waren ab 1925 im Rahmen des „Generalplans für den Kriegsfall“ festgelegt worden; in den Kriegsgesetzen vom 8. Juli 1938 wurde der Plan dann konkreter ausgearbeitet. Das Gesetz vom 21. Mai 1940 enthielt Bestimmungen für seine Umsetzung und erteilte dem Innenministerium die Verantwortung für Entscheidungen, die den Bau von Lagern, deren Verwaltung und die zu internierenden Personen betrafen.8Vgl. Persichilli, „Disposizioni normative“.

Die Internierung spielte eine wichtige Rolle in der vom Regime eingeleiteten antisemitischen Politik. Im Mai 1940 beschloss Mussolini die Internierung ausländischer Juden:Jüdinnen und am 15. Juni 1940 verordnete er deren Festnahme und Überführung in Konzentrationslager und Internierungsorte.

Obwohl die vom Innenministerium verwalteten Konzentrationslager nicht errichtet wurden, um die Arbeitskraft der Häftlinge auszubeuten, und sie auch nicht als Mordstätten dienten, wie dies im nationalsozialistischen System der Konzentrationslager geschah, so waren sie doch ein wesentlicher Bestandteil des faschistischen repressiven Systems, der zu Unrecht unterschätzt worden ist.9Capogreco, I campi del Duce, 3–14.

Maßnahmen gegen Sinti:ze und Rom:nja seit 1940

Zwar brachte der Kriegseintritt eine Beschleunigung der Verfolgungsmaßnahmen gegen Rom:nja und Sinti:ze, doch das Regime unterließ es weiterhin, eine juristische und amtliche Definition von „Zigeunern“ zu formulieren. Dies hatte zur Folge, dass die Verfolgung nicht systematisch durchgeführt wurde und hauptsächlich jene Menschen traf, die von Polizei und Carabinieri als „Zigeuner“ ‚erkannt‘ wurden.

Am 11. Juli 1940 verfügte ein Runderlass, alle „verdächtigen Zigeuner” in ein Konzentrationslager zu überführen, insbesondere, wenn sie Ausländer waren. Am 11. September folgte ein weiterer, der die Internierung in Kommunen für „Zigeuner mit feststehender oder vermutlicher italienischer Staatsbürgerschaft“ dekretierte, sofern diese noch „umherwanderten“.10Michele Sarfatti, Per una storia della normativa antizigana nell’Italia fascista: i testi delle circolari; „Documenti e commenti“, Nr. 7 (upload May 26, 2017; last update May 27, 2017), http://www.michelesarfatti.it/documenti-e-commenti/una-storia-della-normativa-antizigana-nellitalia-fascista-i-testi-delle-circolari [Zugriff: 16.02.2024].

Die vom faschistischen Regime seit Kriegseintritt gegen Rom:nja und Sinti:ze verordneten Maßnahmen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Für „ausländische Zigeuner“ wurde die Abschiebung und Ausweisung aus dem Königreich bekräftigt, wie sie in sämtlichen Runderlassen der 1920er- und 1930er-Jahre vorgesehen war; für „Zigeuner“, die der antinationalen Tätigkeit und der Spionage verdächtigt wurden, wurde die Internierung in Konzentrationslagern beschlossen, gemäß den Vorschriften für „gefährliche“ Personen; für alle mit „feststehender oder vermutlicher italienischer Staatsbürgerschaft“, die ein „Wanderleben“ führten, wurde die Festnahme und die Überführung in eigens zu diesem Zweck in jeder Provinz des Königreichs bestimmte Ortschaften verfügt.

Die ortsansässigen Rom:nja, die sich hauptsächlich in Süditalien befanden, wurden in den genannten Runderlassen nicht erwähnt. Diese Auslassung sollte bei der Anwendung der Erlasse öfter zu Missverständnissen führen. Aus den bisher bekannten Dokumenten lässt sich nicht ableiten, dass sesshafte Rom:nja und Sinti:ze ausdrücklich von diesen Maßnahmen ausgeschlossen waren. Vielmehr wird deutlich, dass das faschistische Regime sich „Zigeuner“ als Menschen vorstellte, die ständig unterwegs waren, als Vaganten, die mit der Familie umherwanderten. Diese Vorstellung – die sich schon im Laufe des 19. Jahrhunderts ausgebildet hatte – herrschte für die ganze Dauer des Krieges vor und führte in der Praxis dazu, dass repressive Zwangsmaßnahmen nur einen Teil der in Italien anwesenden Bevölkerung der Rom:nja trafen.11Vgl. Trevisan, La persecuzione.

Was die Umsetzung der aufgeführten Maßnahmen anbelangt, so wurden gegen Rom:nja und Sinti:ze, wie auch gegen andere Zivilinternierte, zwei Arten von Internierung verhängt. In die Konzentrationslager wurden als erste jene Ausländer geschickt, die man infolge des Krieges nicht mehr abschieben konnte;12Gemäß dem Runderlass vom 11. Juni 1940 sollten jene „Zigeuner“ in Konzentrationslager überführt werden, die der antinationalen Tätigkeit und der Spionage verdächtigt wurden. Allerdings wurde gegen Rom:nja oder Sinti:ze nicht wegen solcher Tätigkeiten ermittelt, noch wurde jemand deswegen verurteilt. außerdem einige in den Provinzen an der nordöstlichen Grenze festgenommene Rom:nja und Sinti:ze, da die Präfekten dort keine Internierungsorte hatten bereitstellen wollen. Schließlich wurden die Rom:nja, die in der im Mai 1941 von Italien annektierten Provinz Ljubljana festgenommen worden waren, in Lagern interniert. Dokumente oder Zeugenberichte, aus denen sich eine Festnahme und Internierung von Rom:nja in den vom italienischen Heer besetzten kroatischen Gebieten ergibt, sind nicht überliefert. Es ist aber nicht auszuschließen, dass Romn:ja, die versuchten, in das Königreich Italien zu gelangen, um den Gewalttätigkeiten des Ustaša-Regimes zu entgehen, wieder in den Unabhängigen Staat Kroatien abgeschoben wurden.13ACS, MI, DGPS, Divisione Affari Generali e Riservati (DAGER) [Abteilung Allgemeine und Geheime Sachen], Kat. A 16, b. 51, Fasc. 5: Zingari carovana, Fiume. Rastrellamento [Zigeuner Karawane, Fiume, Festnahme]. Das Dokument enthält die Namen von 24 Rom:nja, überwiegend Minderjährige, die im Sommer Istrien betreten hatten. Sie wurden nach Fiume (Kroatisch: Rijeka) überführt und am Grenzposten in Meja den kroatischen Behörden übergeben.

Internierungen in Konzentrationslagern und Verbannungskolonien

Aus den bisher in Archiven aufgefundenen Dokumenten lassen sich bislang folgende koordinierten Verhaftungen und Internierungen ausmachen: Zwischen Juli und Dezember 1940 wurden etwa 35 bis 40 ausländische Sinti:ze und Rom:nja ohne Ausweispapiere festgenommen. Sie wurden in verschiedene Konzentrationslager überführt, in denen sich auch andere ‚Kategorien‘ von Internierten befanden, insbesondere nach Bojano (Region Molise) sowie in die auf den kleineren Inseln (Tremiti-Inseln, Ustica, Ventotene) gelegenen Verbannungskolonien. Die Internierung in Verbannungskolonien war üblicherweise für Personen bestimmt, die politisch als besonders „gefährlich“ galten, und die Haftbedingungen waren härter als in den vom Innenministerium verwalteten Konzentrationslagern.

Ab März 1941 beschloss der Polizeichef Senise, das Konzentrationslager von Bojano nur für internierte „Zigeuner“ zu verwenden. Andere ‚Kategorien‘ von Internierten, die sich schon dort befanden, wurden verlegt. Neben den ausländischen Rom:nja und Sinti:ze wurden auch diejenigen dort interniert, die in Julisch Venetien und im Tridentinischen Venetien festgenommen worden waren. Im August 1941 wurden die 66 zu der Zeit in Bojano internierten Rom:nja in das Konzentrationslager Agnone, ebenfalls in der Region Molise gelegen, überführt. Andere ‚Kategorien‘ von Internierten, die sich schon dort befanden, wurden in andere Lager verlegt. Zwischen August 1941 und September 1943 soll die Gesamtzahl der in Agnone Internierten, die im Lager geborenen Kinder inbegriffen, insgesamt 176 Personen betragen haben. Auch Rom:nja, die anfänglich in anderen Lagern interniert worden waren, wurden dorthin geschickt.

Das dritte, nur für „Zigeuner“ bestimmte Lager befand sich in Tossicia, in der Provinz Teramo. Dort wurden 118 in der Provincia di Lubiana festgenommene Rom:nja interniert. Für die Rom:nja und Sinti:ze in Tossicia und in Agnone dauerte die Internierung bis zum 27. September bzw. dem 6. Oktober 1943, als die deutschen Truppen schon mit den Alliierten, nachdem diese am 8. Juli 1943 auf Sizilien gelandet waren, auf italienischem Staatsgebiet kämpften.

Internierung in Kommunen

Neben den Konzentrationslagern hatte das faschistische Regime auch die Internierung in Kommunen für diejenigen vorgesehen, die als „weniger gefährlich“ galten. Sie bestand in dem Zwang, in einer vom Innenministerium gewählten Ortschaft zu leben, von der man sich nicht ohne Erlaubnis der Carabinieri entfernen durfte. Die Internierten konnten Wohnungen mieten und sich in einem beschränkten Bereich innerhalb des Orts bewegen. Der Runderlass vom 11. September 1940 sah vor, dass in jeder Provinz Italiens, in der „Zigeuner mit feststehender oder vermutlicher italienischer Staatsbürgerschaft“ festgenommen worden waren, es dem Präfekten oblag, eine zu ihrer Ansammlung und Überwachung geeignete Ortschaft zu bestimmen.

Das Königreich Italien zählte insgesamt 94 Provinzen; in etwa 30 von ihnen wurden Internierungsorte für Rom:nja und Sinti:ze errichtet. In einigen Provinzen gab es mehr als einen solchen Ort, während die Grenzprovinzen die festgenommenen Rom:nja und Sinti:ze in andere Provinzen schicken konnten: So verfuhren die Präfekten der Provinzen Udine, Gorizia (Görz), Bozen und Aosta. Zwischen dem 11. September 1940 und dem 13. Januar 1941 wurden 878 Rom:nja und Sinti:ze festgenommen, davon wurden 534 in den von den Präfekten bestimmten Ortschaften interniert. Die übrigen 344 wurden in die Kommunen überführt, in denen sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Sowohl den einen als auch den anderen war damit verwehrt, ihren bisherigen Erwerbstätigkeiten nachzugehen, da diese eine gewisse Bewegungsfreiheit voraussetzten. Die Zahl der internierten Rom:nja und Sinti:ze stieg im Laufe des Jahres 1941 ein wenig an, um dann ständig zurückzugehen, sodass es im Sommer 1943 nur noch zwei Internierungsorte gab. Der allmähliche Verzicht auf diese Art von Internierung war durch die schwere wirtschaftliche Krise verursacht, in der sich Italien befand, was dazu führte, dass die Podestà [Ortsvorsteher], die für die Internierten zuständig waren, vom Innenministerium keine Geldmittel mehr erhielten. Vielen Familien der Sinti:ze und Rom:nja gelang es, sich aus den Internierungsorten zu entfernen und sich in den Bergen oder auf dem Land zu verstecken, wo sie versuchten, sich so unsichtbar wie möglich zu machen.

Fall der faschistischen Regierung und deutsche Besetzung Italiens (1943–1945)

Nach wiederholten militärischen Niederlagen und der Landung der anglo-amerikanischen Truppen auf italienischem Staatsgebiet wurde Mussolini am 25. Juli 1943 von dem Gran Consiglio del Fascismo (Großen Faschistischen Rat) das Vertrauen entzogen. Er wurde an einem geheimen Ort gefangen gehalten, während König Viktor Emanuel III. Marschall Pietro Badoglio (1871–1956) mit der Leitung einer provisorischen Regierung beauftragte. Badoglio bestätigte das Bündnis mit NS-Deutschland, gleichzeitig verhandelte die Regierung heimlich mit den Alliierten über eine Kapitulation. Am 8. September 1943 gab die Regierung Badoglio den Waffenstillstand mit den Alliierten bekannt und verließ fluchtartig Rom, um in Apulien Schutz zu suchen. Die italienischen Truppen wurden sich selbst überlassen. Die deutsche Wehrmacht, die daraufhin den Großteil der italienischen Regionen besetzte, entwaffnete die italienischen Streitkräfte. In der Folge wurden rund 600 000 italienische Soldaten als „Italienische Militärinternierte“ zur Zwangsarbeit ins Reich und in deutsch besetzte Gebiete verschleppt. Mussolini wurde von einem deutschen Kommando befreit und nach Wien gebracht, wo er sich mit Adolf Hitler (1889–1945) traf und auf das Entstehen eines neuen faschistischen Staats einigte: die Italienische Sozialrepublik (Repubblica Sociale Italiana, RSI).

Die neue faschistische Regierung, unter der Schirmherrschaft des nationalsozialistischen Verbündeten stehend, ließ sich in Norditalien nieder. Italien war dadurch in zwei Teile gespalten, die infolge des langsamen Vormarschs der Alliierten und des Rückzugs der NS-Truppen von einer sich nach Norden verschiebenden Front getrennt waren. Nicht nur wurde die italienische Halbinsel teilweise militärisch besetzt und der RSI eine nur eingeschränkte Souveränität gewährt, einige italienische Provinzen entlang der nordöstlichen Grenze wurden sogar in das Deutsche Reich eingegliedert. Die Provinzen Bozen, Trient und Belluno wurden Teil der „Operationszone Alpenvorland“ (OZAV), die Provinzen Udine, Gorizia (Görz), Triest, Pola (Pula), Fiume und Lubiana (Ljubljana) bildeten die „Operationszone Adriatisches Küstenland“ (OZAK). Militärbefehlshaber in den Gebieten der OZAK und der OZAV war der Bevollmächtigte General Rudolf Toussaint (1891–1968), die politische Hauptrolle spielte Rudolf Rahn (1900–1975), Botschafter bei der RSI. Die Polizeigewalt übte als Höchster SS- und Polizeiführer Karl Wolff (1900–1984) aus, der auch „Sonderberater“ bei der RSI war.

Deportation der jüdischen Bevölkerung

Die Verhaftung und Deportation der italienischen und ausländischen Juden:Jüdinnen in die Vernichtungslager begann am 12. September 1943 in der OZAV und bezog schließlich auch das restliche italienische Gebiet ein. Die Razzien wurden sowohl von den örtlichen Militärkommandos durchgeführt als auch von der Sicherheitspolizei (SIPO) und dem Sicherheitsdienst (SD) mit Hauptkommando in Verona. In der OZAK war eine von Verona zum Teil unabhängige Gliederung von SIPO und SD tätig, die sich mit besonders grausamen Aktionen hervortat und das einzige de facto in Italien existierende Vernichtungslager betrieb, die Risiera di San Sabba.

Inzwischen hatte die RSI am 1. November 1943 sämtliche Runderlasse widerrufen, mit denen die Regierung Badoglio die Befreiung der Internierten verfügt hatte. Je nachdem, an welchem Ort sie sich befanden, bedeutete dies für die Betroffenen unterschiedliches. Die noch unter der Kontrolle der RSI gebliebenen Konzentrationslager wurden nun für die „aus politischer Sicht Verdächtigen” und Deserteure verwendet, und ab dem 30. November auch für die sich auf italienischem Gebiet befindlichen italienischen und ausländischen Juden:Jüdinnen, als erste Station auf dem Weg in die Vernichtungslager. Das größte Haftlager der RSI befand sich in Fossoli di Carpi, in der Provinz Modena; ab März 1944 stand es unter direkter Kontrolle der SS (Schutzstaffel) und wurde so zum Polizei- und Durchgangslager für die Deportation von Juden:Jüdinnen und von politischen Gegner:innen in die nationalsozialistischen Lager. Da die Frontlinie immer näher rückte, wurde das Lager am 2. August 1944 nach Gries bei Bozen, in der OZAV, verlegt.

In den beiden Operationszonen (OZAV und OZAK) führten die Verhaftungen nur deutsche Einheiten durch, in den italienischen Provinzen unter der Kontrolle der RSI fanden die Verhaftungen in Zusammenarbeit mit den Benito Mussolini treu gebliebenen Polizeikräften statt. Ab Januar 1944 wurden die auf dem Gebiet der RSI verbliebenen Juden:Jüdinnen infolge einer Vereinbarung zwischen der RSI und dem Deutschen Reich den Deutschen übergeben.14Sarfatti, Gli ebrei nell’Italia fascista, 301–307.

Zwischen 1943 und 1945 wurden in Italien etwa 8 000 Personen, die als „der jüdischen Rasse zugehörig“ eingestuft waren, verhaftet und dann deportiert und in vielen Fällen ermordet. 91 Prozent von ihnen wurden in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Im gleichen Zeitraum deportierte die deutsche Polizei etwa 24 000 politische Gegner:innen oder Angehörige anderer ‚Kategorien‘, die als „gefährlich“ galten. Zwei Drittel von ihnen wurden in die Konzentrationslager Dachau und Mauthausen überführt.

Deportation von Sinti:ze und Rom:nja

Über die Gefängnisse von Gorizia, Udine und Triest wurden über 20 Rom:nja und Sinti:ze in die NS-Lager deportiert. Dass die Zahl der deportierten Sinti:ze und Rom:nja nicht höher war, ist auf den Umstand zurückzuführen, dass das faschistische Regime für sie kein zentralisiertes Identifizierungssystem aufgebaut und sie auch nicht erfasst hatte. Zudem waren Sinti:ze und Rom:nja durch die früheren Maßnahmen des Regimes gerade aus den im September 1943 von Deutschland eingegliederten Provinzen zwangsweise entfernt worden.

Während der deutschen Besetzung entstand in Italien eine Widerstandsbewegung, die Resistenza. Unter den Partisan:innen waren nach bisherigen Erkenntnissen auch etwa zehn Roma und Sinti, von denen fünf im Kampf starben.

Kriegsende und Nachkriegszeit

Der Partisanenkrieg und das Vorrücken der Alliierten zwangen die deutschen Truppen, die im Herbst/Winter 1944 noch die Kontrolle über den größten Teil der Po-Ebene ausübten, zu einem allmählichen Rückzug. Im Frühjahr 1945 wurde es für die deutschen Truppen zunehmend schwieriger, das italienische Gebiet, das sich noch in ihren Händen befand, zu beherrschen. Am 25. April 1945 rief das Komitee der Nationalen Befreiung (Comitato di Liberazione Nazionale), das aus den am Befreiungskrieg beteiligten antifaschistischen Parteien und Bewegungen zusammengesetzt war, zum Aufstand in den großen Städten Norditaliens auf: Damit war der Zweite Weltkrieg in Italien beendet. Mussolini wurde am 28. April 1945 von Partisanen erschossen, nachdem er zu fliehen versucht hatte. Am 29. April wurde in Caserta die bedingungslose Kapitulation der sich noch in Italien befindenden deutschen Truppen unterzeichnet, die am 2. Mai in Kraft trat.

Flüchtlinge aus den ehemals italienischen, nun Jugoslawien zugesprochenen Gebieten

Die Befreiung Triests erfolgte am 1. Mai 1945 durch die Jugoslawische Volksbefreiungsarmee, was zu großen Spannungen mit den alliierten Truppen führte, die einen Tag später in der Stadt eintrafen. Die Frage der Grenze zwischen der Republik Italien und der Sozialistischen Republik Jugoslawiens blieb lange Zeit ungelöst. Die Unterzeichnung des Friedensvertrags in Paris im Jahr 1947 lies einige Fragen zwischen den beiden Staaten in der Schwebe, die erst 1954, und auch dann nur teilweise, gelöst werden sollten.15Cattaruzza, L’Italia e il confine orientale, 312–326. Für all diejenigen, die in Dalmatien und in den dem Staat Jugoslawien zugesprochenen Gebieten von Julisch Venetien lebten, wurde die Möglichkeit vorgesehen, für die italienische Staatsbürgerschaft zu optieren. Somit begann ein gewaltiger Zustrom von Menschen, die die strittigen Gebiete verließen und als Flüchtlinge in Italien ankamen. Viele Familien von kroatischen und slowenischen Rom:nja, die sich schon in Italien befanden, wandten sich an die International Refugee Organization (IRO), um als Flüchtlinge aus Julisch Venetien und Dalmatien anerkannt zu werden, und optierten für die italienische Staatsbürgerschaft. Da die Bearbeitungszeiten für die Genehmigung des Optionsantrags sehr lang waren, reichten einige von ihnen zusätzlich ein Gesuch ein, um nach Übersee auswandern zu können. Der Großteil dieser Menschen blieb bis in die 1970er-Jahre staatenlos.

Historische Aufarbeitung

Über die von Rom:nja und Sinti:ze unter dem faschistischen Regime erlittene Verfolgung herrschte in der Nachkriegszeit Schweigen. Die ersten, meist nur wenige Zeilen umfassenden Zeugnisse von Rom:nja und Sinti:ze über ihre Internierung wurden in den 1970er-Jahren von Mirella Karpati (1923–2017) zusammengetragen, die sie in der von ihr herausgegebenen Zeitschrift Lacio Drom veröffentlichte. Sie erweckten jedoch in der italienischen akademischen Welt nicht das Interesse, das ihnen gebührt hätte. Dasselbe Schicksal wurde der Autobiografie des Rom Giuseppe Levakovich (1902–1988) zuteil, der von den istrischen Rom:nja berichtete, die nach Sardinien und Kalabrien verbannt worden waren, von den slowenischen, die in dem Konzentrationslager (campo di concentramento) Tossicia interniert worden waren, und von der Deportation seiner aus Udine stammenden Frau Wilma Braidich (1921 oder 1922–unbekannt) in das Konzentrationslager Ravensbrück. Erst gegen Ende der 1990er-Jahre veröffentlichte die Historikerin Giovanna Boursier (geb. 1966) erste Forschungen über die Internierungslager für Rom:nja und Sinti:ze. Zu Beginn der 2000er-Jahre wurden verschiedene Zeugenaussagen von Rom:nja und Sinti:ze gesammelt, die neue Forschungen in Archiven anregten. Aufsätze über einzelne Internierungsorte wurden von Paola Trevisan (geb. 1964) veröffentlicht (2005, 2013, 2016), die 2024 die erste Gesamtstudie über die Verfolgung von Rom:nja und Sinti:ze in Italien veröffentlicht hat.16Trevisan, La persecuzione. Des Weiteren ist auf die von Michele Sarfatti (geb. 1952) herausgegebene Zusammenstellung der „Zigeuner“ betreffenden Runderlasse hinzuweisen, die seit 2017 online verfügbar ist.17Sarfatti, Per una storia della normativa antizigana nell’Italia fascista: i testi delle circolari (siehe Endnote 10).

Ein noch nicht ausreichend recherchierter Aspekt ist die Geschichte der Rom:nja und Sinti:ze in den von Italien besetzten oder annektierten Gebieten, die ab September 1943 in das Deutsche Reich eingegliedert wurden, wie die Provinz Lubiana (Ljubljana) und das Governatorato di Dalmazia (Gouvernement Dalmatien).

Bis heute fehlende Anerkennung

Die faschistische Verfolgung der Sinti:ze und Rom:nja ist vom italienischen Staat bis heute nicht anerkannt, obwohl seit Jahren von vielen Aktivist:innen gefordert wird, in den Veranstaltungen zum 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts, auch ihrer zu gedenken.

Was die Orte anbetrifft, die an die Verfolgung erinnern, so wurden mit der direkten Beteiligung ehemals internierter Rom:nja und Sinti:ze dort, wo sich die Konzentrationslager Bozen-Gries, Agnone und Tossicia befanden, Gedenktafeln angebracht, so wie auch an dem Internierungsort Prignano sulla Secchia in der Provinz Modena. Am Deportierten-Denkmal in Padua wurde im Angedenken an die deportierten Rom:nja und Sinti:ze eine Kupferskulptur des Rom Loris Levak (geb. 1951) angebracht, und im Gedenkpark [Parco delle Memorie] in Lanciano in der Provinz Chieti befindet sich dank der Initiative des Kulturvereins Thèm Romanó eine Steinskulptur von Tonino Santeusanio (geb. 1949), die an den Samudaripen erinnert. In Triest wurde im Januar 2023 der erste Stolperstein in Erinnerung an den deportierten Sinto Romano Held (1927–1948) verlegt.

Einzelnachweise

  • 1
    Archivio Centrale dello Stato (ACS) [Zentrales Staatsarchiv], Ministero degli Interni (MI) [Ministerium für Inneres], Direzione Generale Pubblica Sicurezza (DGPS) [Generaldirektion Öffentliche Sicherheit], Divisione polizia amministrativa e sociale [Abteilung Verwaltungs- und Sozialpolizei], Archivio generale [Generalarchiv], b. 865, Fasc. Zingari. Statistica [Zigeuner. Statistik], Da Capo polizia a prefetti Regno, 3 dicembre 1937, dispaccio telegrafico n. 45568 [Polizeichef an Präfekten des Königreichs, 3. Dezember 1937, Telegrafische Depeche Nr. 45568].
  • 2
    ACS, MI, DGPS, Divisione polizia amministrativa e sociale, Archivio generale, b. 865, Fasc. Zingari. Statistica, Schreiben des Chefs des Büros des Innenministers an DGPS, Prot. Nr. 10345, 13.11.1938.
  • 3
    ACS, MI, DGPS, Divisione polizia amministrativa e sociale, Archivio generale, b. 865, Fasc. Zingari. Statistica.
  • 4
    Sarfatti, „Il fascismo,“ 87–105.
  • 5
    Der Artikel wurde am 14. Juli 1938 in der Tageszeitung „Il Giornale d’Italia“ anonym veröffentlicht; siehe Sarfatti, Mussolini, 30–35.
  • 6
    Sarfatti, Gli ebrei nell’Italia fascista, 190–192.
  • 7
    Semizzi, „Gli zingari“; Landra, „Il problema“.
  • 8
    Vgl. Persichilli, „Disposizioni normative“.
  • 9
    Capogreco, I campi del Duce, 3–14.
  • 10
    Michele Sarfatti, Per una storia della normativa antizigana nell’Italia fascista: i testi delle circolari; „Documenti e commenti“, Nr. 7 (upload May 26, 2017; last update May 27, 2017), http://www.michelesarfatti.it/documenti-e-commenti/una-storia-della-normativa-antizigana-nellitalia-fascista-i-testi-delle-circolari [Zugriff: 16.02.2024].
  • 11
    Vgl. Trevisan, La persecuzione.
  • 12
    Gemäß dem Runderlass vom 11. Juni 1940 sollten jene „Zigeuner“ in Konzentrationslager überführt werden, die der antinationalen Tätigkeit und der Spionage verdächtigt wurden. Allerdings wurde gegen Rom:nja oder Sinti:ze nicht wegen solcher Tätigkeiten ermittelt, noch wurde jemand deswegen verurteilt.
  • 13
    ACS, MI, DGPS, Divisione Affari Generali e Riservati (DAGER) [Abteilung Allgemeine und Geheime Sachen], Kat. A 16, b. 51, Fasc. 5: Zingari carovana, Fiume. Rastrellamento [Zigeuner Karawane, Fiume, Festnahme]. Das Dokument enthält die Namen von 24 Rom:nja, überwiegend Minderjährige, die im Sommer Istrien betreten hatten. Sie wurden nach Fiume (Kroatisch: Rijeka) überführt und am Grenzposten in Meja den kroatischen Behörden übergeben.
  • 14
    Sarfatti, Gli ebrei nell’Italia fascista, 301–307.
  • 15
    Cattaruzza, L’Italia e il confine orientale, 312–326.
  • 16
    Trevisan, La persecuzione.
  • 17
    Sarfatti, Per una storia della normativa antizigana nell’Italia fascista: i testi delle circolari (siehe Endnote 10).

Zitierweise

Paola Trevisan: Italien, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 5. März 2024.-

1936
1. November 1936Deutschland und Italien unterzeichnen einen Bündnisvertrag („Achse Berlin–Rom“).
25. November 1936Deutschland und Japan unterzeichnen den gegen die Sowjetunion gerichteten „Antikominternpakt“. Italien tritt dem Pakt am 6. November 1937 bei.
1937
3. Dezember 1937Im faschistischen Italien weist Polizeichef Arturo Bocchini die Präfekten an, die Anzahl der in den einzelnen Provinzen anwesenden Sinti:ze und Rom:nja zu melden.
6. Dezember 1937In einem Runderlass ordnet der Polizeichef Arturo Bocchini, Italien, die Festnahme sämtlicher „Zigeuner” an, die sich in den Provinzen Bozen, Trient, Triest, Gorizia, Pola, Fiume und Zara befinden.
1938
17. Januar 1938In Italien ergeht der Beschluss, dass Sinti:ze und Rom:nja ihren Wohnsitz in Provinzen in Süd- und Mittelitalien zu verlegen haben; für diejenigen, die als besonders „gefährlich“ gelten, ist die polizeiliche Verbannung (confino) nach Süditalien oder Sardinien vorgesehen.
17. Juni 1938An diesem Tag beträgt die Anzahl der Rom:nja und Sinti:ze, die in Italien von der polizeilichen Verbannungsmaßnahme des „confino“ betroffen sind, 142 Personen, die meisten von ihnen sind Minderjährige.
1939
22. Mai 1939Deutschland und Italien unterzeichnen den „Stahlpakt“, der den bisherigen Bündnisvertrag um eine enge militärische Zusammenarbeit und die gegenseitige Unterstützung im Fall eines Angriffskrieges erweitert.
1940
10. Juni 1940 Italien tritt als Verbündeter des Deutschen Reiches in den Zweiten Weltkrieg ein. Am 15. Juni ordnet Benito Mussolini die Festnahme und Überführung ausländischer Juden:Jüdinnen in Konzentrationslager und Internierungsorte an.
11. Juni 1940In Italien wird beschlossen, dass alle „verdächtigen Zigeuner“, insbesondere diejenigen ohne italienische Staatsangehörigkeit, auf Vorschlag des Präfekten in ein Konzentrationslager überführt werden können.
11. September 1940In Italien wird gegenüber Sinti:ze und Rom:nja mit „feststehender oder vermutlicher italienischer Staatsangehörigkeit“ die Internierung in Kommunen angeordnet.
27. September 1940Deutschland, Italien und Japan unterzeichnen den „Dreierpakt“, der als „Achsenbündnis“ bekannt wird.
1941
13. Januar 1941Bis zu diesem Tag werden in Italien 878 Rom:nja und Sinti:ze mit „feststehender oder vermutlicher italienischer Staatsangehörigkeit“ festgenommen, um sie in Kommunen zu internieren.
6. April 1941Als Teil des ‚Balkanfeldzuges‘ überfallen Deutschland und Italien ohne vorherige Kriegserklärung das Königreich Jugoslawien. Die Achsenmächte Deutschland, Italien und Ungarn teilen das Land unter sich auf. Dabei entsteht auch der Unabhängige Staat Kroatien.
3. Mai 1941Die südlichen Gebiete Sloweniens werden von Italien als „Provinz Ljubljana“ annektiert.
16. August 1941Bis zum 24. August 1941 werden alle Rom:nja und Sinti:ze aus dem Konzentrationslager (campo di concentramento) Bojano, Italien, in das Lager Agnone überführt.
1943
14. April 1943Ab dem Tag werden über die Gefängnisse von Gorizia, Udine und Triest, Italien, bis zum 11. Januar 1945 über 20 Rom:nja und Sinti:ze in die NS-Lager deportiert.
8. September 1943Nach dem Sturz Benito Mussolinis am 25. Juli 1943 verhandelt die neue Regierung unter Marschall Pietro Badoglio mit den Alliierten. Der Waffenstillstand wird am 3. September 1943 unterschrieben und am 8. September bekannt gegeben. Am 10. September wird die Entlassung der „Staatsangehörigen eines Feindstaates“ aus den Konzentrationslagern (campi di concentramento) verordnet. Politisch Internierte und andere ‚Kategorien´ waren schon früher entlassen worden. „Zigeuner“ wurden nicht beachtet und kamen daher noch nicht frei.
12. September 1943Deutschland stellt nach dem Sturz Benito Mussolinis ehemals italienische Provinzen unter Militärverwaltung. Südtirol, Trentino und Belluno werden als „Operationszone Alpenvorland“ verwaltet, die Provinzen Udine, Görz, Triest, Pula und Fiume als „Operationszone Adriatisches Küstenland“.
12. September 1943Mit der Übernahme einiger italienischer Gebiete in die Militärverwaltung Deutschlands und der Besetzung durch die Wehrmacht der noch nicht von den Alliierten befreiten Teile Italiens beginnen die Deportationen der jüdischen Bevölkerung in die Vernichtungslager.
23. September 1943Im Norden Italiens wird nach der Verkündung des Waffenstillstands und der Befreiung Mussolinis durch deutsche Fallschirmjäger die Repubblica Sociale Italiana (Italienische Sozialrepublik) gegründet, ein unter der Protektion Deutschlands stehender faschistischer Marionettenstaat.
1945
2. Mai 1945Die bedingungslose Kapitulation der in Italien befindlichen deutschen Truppen tritt in Kraft.
1946
22. Juni 1946In Italien wird eine Generalamnestie verkündet, mit der auch die unter dem faschistischen Regime erfolgte Verbannung von Sinti:ze und Rom:nja aufgehoben wird.
1997
14. Juni 1997Am Deportierten-Denkmal in Padua, Italien, wird im Angedenken an die deportierten Rom:nja und Sinti:ze eine Kupferskulptur des Rom Loris Levak angebracht.
2013
27. Januar 2013Vereine der Sinti:ze und Rom:nja bringen an den Stätten der ehemaligen Konzentrationslagern (campo di concentramento) in Tossicia und Agnone, Italien, Gedenktafeln an.
2018
5. Oktober 2018Im Gedenkpark (Parco delle Memorie) in Lanciano, Provinz Chieti, Italien, befindet sich dank der Initiative der Associazione Thèm Romanó, einem Kulturverein, eine Steinskulptur von Tonino Santeusanio, die an den Samudaripen erinnert.
2019
25. April 2019An dem Gebäude des ehemaligen Konzentrationslagers (campo di concentramento) für Frauen in Casacalenda, Italien, wird eine Gedenktafel angebracht.
2023
18. Januar 2023In Triest wird der erste Stolperstein in Italien verlegt, der an Sinti:ze oder Rom:nja erinnert. Er ist dem Sinto Romano Held (1927–1948) gewidmet.
27. Januar 2023Am Gebäude des im August 1940 eingerichteten Konzentrationslagers (campo di concentramento) Vinchiaturo, Italien, wird eine Gedenktafel angebracht.