Romanes

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  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 11. September 2024

Romanes, auch Romani Čhib oder Romani Šib [Čhib bzw. Šib = Sprache oder Zunge auf Romanes] genannt, ist die Sprache, die ursprünglich von allen Sinti:ze und Rom:nja gesprochen wurde. Heutzutage spricht noch ein großer Teil der Sinti:ze und Rom:nja diese Sprache. Während des Nationalsozialismus war die Verwendung von Romanes oder das Verbot, Romanes zu sprechen, in verschiedenen Verfolgungskontexten von Bedeutung.

Geschichte der Sprache

Die indische Herkunft des Romanes wurde Ende des 18. Jahrhunderts erstmals von dem ungarischen Aristokraten István Valyi, auch Váli oder Wáli, (1729/30–1779), entdeckt. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden dann bekannte Studien publiziert, wie die von August Friedrich Pott (1802–1887), Alfred Graffunder (1801–1875) und Franz von Miklosich (1813–1891), gefolgt von Studien englischer Linguisten wie John Sampson (1862–1931). Der Ursprung des Romanes liegt im Prakrit, der gesprochenen Form des Sanskrits. Bis heute zeigt die Sprache eine stark artikulierte indische Morphologie sowie einen Großteil von Wörtern aus dem indischen Wortschatz auf. Weite Teile der Grammatik finden sich in bestehenden indoarischen Sprachen wieder.

Romanes weist eine mehrschichtige Struktur auf, deren Ursprung in den frühen Migrationen der Rom:nja aus Indien liegt. Einige Schichten, wie die indischen Wurzeln, sind extrem stark, während andere, wie die armenische, etwas weniger wichtig sind, gemessen an der Anzahl der Wörter, die sie zur Sprache beigetragen haben. Die Schichten, die sich in allen Dialekten des Romanes finden, sind Prakrit, Altpersisch, Armenisch, Griechisch und Südslawisch. Diese Schichten liefern den homogenen Grundstock, auf dem alle Dialekte aufgebaut sind. Es gibt in Romanes jedoch keine Spuren semitischer Sprachen, weder Arabisch noch Syriac. Einzig bei den Gruppen der Balkan Roma findet man Entlehnungen, die aus dem Türkischen stammen. Der griechische Einfluss ist, nach dem Prakrit, der größte. Zahlreiche Wörter, wie die Mehrheit der Begriffe für Arbeiten und Werkzeuge, sind griechischer Herkunft.

Sinti:ze und Rom:nja, die Romanes sprechen, sind mindestens zweisprachig. Sie sprechen die jeweilige Landessprache sowie Romanes. In den balkanischen Staaten kommt oft das osmanische Türkisch hinzu, und in manchen Orten ist es nicht ungewöhnlich, vier Sprachen zu sprechen. Diese Mehrsprachigkeit ist einer der Gründe für die Existenz der Sprachschichten im Romanes. Emigriert man in eine andere Region, so wird mit dem Romanes auch die alte Landessprache mitgenommen. Da sie meist am neuen Ort nicht verstanden wird, werden Wörter des vorherigen Landes ins Romanes integriert.

Dialektgruppen und Dialekte

Nach dem Aufenthalt im Byzantinischen Reich, der sprachlich einen breiten griechischen Einfluss hinterlassen hat, sind Rom:nja teils weiter migriert, vorwiegend wegen des Vormarschs osmanischer Truppen in den Balkan. Dadurch sind vier große Dialektgruppen entstanden: Die Wlach Rom:nja, die im rumänischsprachigen Raum gelebt haben, haben sehr viele rumänische (teils auch ungarische) Lexeme und sogar Teile der Grammatik in ihre Dialekte absorbiert. Das Romanes der Karpatischen Rom:nja, die hauptsächlich im heutigen Ungarn, der Slowakei, in Tschechien und Österreich gelebt haben, zeigt einen starken Einfluss des Ungarischen. Die Balkan Rom:nja sind diejenigen, die in der Region unter osmanischer Herrschaft geblieben sind, und dadurch einen starken Einfluss des Türkischen in ihrem Dialekt zeigen. Als weitere Gruppe ist diejenige zu nennen, die zu Beginn des 15. Jahrhunderts in den deutschsprachigen Raum ausgewandert ist. Von dort sind Sinti:ze und Rom:nja nach Italien, Spanien, Frankreich, England und nach Skandinavien gegangen. Ein Teil ist wegen Verfolgungen im deutschen Herrschaftsbereich ostwärts nach Polen, in die baltischen Staaten, die Ukraine und Russland geflohen. Die in diesen Ländern vorhandenen Dialekte zeigen daher mehr oder weniger starke Einflüsse des Deutschen.

Die historische Ausprägung der verschiedenen Dialekte im Laufe der Jahrhunderte widerlegt anschaulich das antiziganistische Zerrbild der angeblichen Heimatlosigkeit – um das 16. und 17. Jahrhundert herum entstanden dauerhafte regionale und schließlich nationale Zugehörigkeiten.1Matras, Die Sprache der Roma, 260.

Es wird oft behauptet, verschiedene Dialekte des Romanes seien untereinander unverständlich. Die Hintergründe sind einfach: Ein polnischer Rom versteht zum Beispiel kein Rumänisch. Wenn er mit Wlach Roma spricht, versteht er also die rumänischen Lehnwörter nicht. Romanes ist aber so konstruiert, dass neben den Entlehnungen das ursprüngliche Romanes Wort erhalten geblieben ist. Kennt man die Sprache also gut, kann man diese Hürde leicht überwinden. Hierbei ist anzumerken, dass die Dialekte der Wlach Roma am weitesten von den anderen entfernt sind, und daher für andere Rom:nja am wenigsten verständlich sind.

Schwieriger ist es bei modernen Wörtern und Konzepten. Begriffe wie Fernsehen, Telefon oder Flugzeug werden hauptsächlich aus der Landessprache entlehnt und sind somit oft für andere Rom:nja unverständlich. Man kann also festhalten: Je mehr der Romanes Dialekt mit der jeweiligen Landessprache vermischt ist, desto schwieriger die Verständigung. Einige Linguisten und Aktivisten haben versucht, eine standardisierte Form des Romanes einzuführen. Wegen der lokalen Gegebenheiten und der Einflüsse von Landessprachen haben diese Bemühungen bislang zu keinem Erfolg geführt.

Sprache und Verfolgung

In manchen Ländern wie Ungarn oder Spanien sprechen die meisten Rom:nja heutzutage kein Romanes mehr. Der Gebrauch der Sprache war von der österreichischen Kaiserin Maria Theresia (1717–1780) in ihren Ländereien verboten worden, was dazu führte, dass in Ungarn das Romanes bei den Gruppen verloren ging, die nicht den Wlach Roma angehörten. In Spanien wurde ebenfalls im 18. Jahrhundert im Zuge der staatlich betriebenen Zwangsassimilation das Romanes verboten, ist aber nachweisbar bis Mitte des 19. Jahrhunderts gesprochen worden.

Während des Nationalsozialismus zählte die Kenntnis des Romanes innerhalb des Verfolgungsapparates zu einer Herrschaftstechnik, die dazu dienen sollte, tief in die Verwandtschafts- und Lebensverhältnisse der Sinti:ze und Rom:nja einzudringen, um die Totalerfassung der Minderheit voranzutreiben. Aus Sicht des Leiters der Rassenhygienischen Forschungsstelle (RHF), Robert Ritter (1901–1951), war die Kenntnis des Romanes eine Schlüsselqualifikation, um in Verhören Sinti:ze und Rom:nja im Deutschen Reich Angaben über ihre Familienverhältnisse abzupressen.2Die rassenbiologischen Erhebungen waren nach Ritter von „sprachkundigen sowie genealogisch und rassenbiologisch besonders geschulten Sachbearbeitern“ durchzuführen, vgl. Ritter, Die Bestandsaufnahme, 480. Deshalb hielt er seine Mitarbeiter:innen zum Erlernen der Sprache an.3Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 141. Er selbst eignete sich innerhalb von drei Wochen rudimentäre Sprachkenntnisse an.4Bundesarchiv Berlin, Zsg. 142 Anh. 28, undatiertes Manuskript von Robert Ritter, ca. 1940, abgedruckt in: Reiter, Sinti und Roma, 51–58, hier 53. Eve Rosenhaft bewertet Ritters Ambition, sich Romanes anzueignen, als einen „Akt der Aggression“, vgl. Rosenhaft, Wissenschaft als Herrschaftsakt, 345f., Zitat 345. Auch andere Mitarbeiter:innen der RHF erwarben einschlägiges Wissen. Eine davon war Eva Justin (1909–1966), von Sinti:ze auch „Loli Tschai“ [Rotes Mädchen] genannt. Zunächst sprach sie nur mäßig Romanes, lernte aber im Laufe der Jahre hinzu, und blieb, auch weil sie mit ihren Sprachkenntnissen die Betroffenen überraschte und einzunehmen versuchte, vielen Überlebenden in Erinnerung.5Vgl. die Schilderungen von Überlebenden: Strauß, Weggekommen, 237f (Anton Winter); Hanstein, Meine hundert Leben, 32 (Ewald Hanstein); Krausnick, Abfahrt Karlsruhe, 26 (Josef Reinhardt).

Welche Bedeutung Ritter dem Romanes beimaß, zeigt auch sein rigoroses Vorgehen gegenüber Forschenden, die sich nicht in den Dienst der RHF stellen wollten. Für seine im Aufbau befindliche Institutsbibliothek ließ er 1936 durch die Magdeburger Gestapo die umfangreiche Fachbibliothek des Sprachwissenschaftlers Siegmund A. Wolf (1912–1987) beschlagnahmen, nachdem dieser einen Verkauf abgelehnt hatte.6Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 140; Hohmann, Robert Ritter, 430.

Da Ritter öfters während der rassistischen Erhebungen von Daten erlebt hatte, wie sich Betroffene untereinander auf Romanes verständigten, bezeichnete er das Romanes als die „stärkste Waffe“ von Sinti:ze und Rom:nja, sich den „wiederholten Kreuzverhören“ zu entziehen.7Bundesarchiv Berlin, Zsg. 142 Anh. 28, undatiertes Manuskript von Robert Ritter, ca. 1940, abgedruckt in: Reiter, Sinti und Roma, 51–58, Zitat 52. So ist es nicht verwunderlich, dass in zahlreichen Zwangslagern der Gebrauch des Romanes strikt verboten wurde, um eine Kommunikation unter den Lagerinsass:innen, die von den Bewachern nicht verstanden werden konnte, zu unterbinden. Ein Beispiel sind die Zwangslager im Protektorat Böhmen und Mähren. In der für Lety bei Pisek und Hodonin bei Kunstat gültigen „Lagerordnung“ vom 30. September 1942 hieß es: „Die Umgangssprache ist deutsch. Die Zigeunersprache ist verboten“.8Zigeunerbekämpfung – Lagerordnung für die Zigeunerlager Lety bei Pisek (Böhmen) und Hodonin bei Kunstadt (Mähren), 3.

Rassenpolitisch motivierte sprachwissenschaftliche Forschung

Der Sanskrit-Ursprung des Romanes stellte die Nationalsozialisten vor ein rassenideologisches Problem, verwies er doch auf die Herkunft der Rom:nja aus Indien und damit aus dem Gebiet, das gleichermaßen als der Ursprung der als überlegen angesehenen „Arier“ galt. Ritter machte es sich zur Aufgabe, die „irrige […] Ansicht, dass die Zigeuner, die aus Indien ausgewandert sind“ und deren „Sprache Elemente des Sanskrit“ aufweise, „überhaupt ‚Arier‘ seien“, zu widerlegen.9Ritter, Die Bestandsaufnahme, 477. Er unterteilte „Zigeuner“ in einen kleinen Kreis von „ursprünglichen Zigeunern“, die der „Zigeunersprache noch mächtig seien“ und sich an ihre „Stammesgesetze“ hielten, während er 90 Prozent aller „inländischen Zigeuner“ im Deutschen Reich zu Mischlingen erklärte.10Ebd., 482f. Über die von Ritter als „stammechte Zigeuner“ bezeichnete Gruppe entspann sich im Jahr 1942 eine vom Ahnenerbe der SS (Schutzstaffel) angestoßene Diskussion, bei der auch die Vorstellung des Reichsführers-SS Heinrich Himmler (1900–1945) eine Rolle spielte, man solle diese kleine Gruppe – nach seiner Sprechart – „reinrassiger Zigeuner“ – in einer Art Reservat am Leben halten. Hierzu sollte das SS-Ahnenerbe insbesondere die „Zigeunersprache“ untersuchen.11Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 297f.; NO-1725, Amt Ahnenerbe an die Kriminalpolizeileitstelle Wien, 14.1.1943 betr. Zigeunerfragen.

Eine dieser Untersuchungen nahm der Doktorand Johann Knobloch (1919–2010) vor. Im Frühjahr 1943 – also kurz vor den Deportationen in das Konzentrations– und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau – suchte er das Zwangslager Lackenbach auf, um dort die Sprache der burgenländischen Rom:nja zu erkunden.12Fings/Sparing, Sprachwissenschaftliche Verhöre; Knobloch, Romani Texte. Ein weiteres Untersuchungsgebiet waren Estland, Lettland, Litauen und Finnland, das Georg Wagner (1898–1981) ab November 1943 vom ostpreußischen Königsberg aus ebenfalls mit Unterstützung des SS-Ahnenerbes im Hinblick auf „indogermanisches Lehngut bei den Zigeunern“ und „vergleichende Studien der Zigeunerdialekte“ bereisen sollte.13Hohmann, Robert Ritter, 281–286, Zitat 283. Während Wagner aufgrund des Kriegsverlaufs seine Forschungen wohl nicht zu Ende führte, ebneten die im Lager Lackenbach vorgenommenen Untersuchungen Johann Knobloch den Weg zu einer beruflichen Karriere in der Bundesrepublik Deutschland: Er war langjähriger Leiter des sprachwissenschaftlichen Institutes der Universität Bonn. Die vom SS-Ahnenerbe angestoßenen Sprachforschungen waren letztlich für den Fortgang der nationalsozialistischen „Zigeunerpolitik“ bedeutungslos; sie waren allerdings ein weiterer Missbrauch der in Zwangslagern festgehaltenen oder unter Polizeiaufsicht stehenden Menschen, über deren Leben bereits entschieden worden war.

Sprache und Widerstand

Romanes war für die Sprachträger:innen eine Ressource, um sich angesichts der Verfolgung untereinander zu verständigen und nach Auswegen zu suchen. Dieses Thema ist leider wenig erforscht. Es gibt aber einige Beispiele. Mehrfach ist belegt, dass Nachrichten auf Romanes geschrieben wurden, um die Briefzensur der SS in den Konzentrations- und Vernichtungslagern zu umgehen und dadurch den Angehörigen ein wirklichkeitsgetreues Bild der mörderischen Zustände zu vermitteln.14Vgl. Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 121; König, Sinti und Roma, 127. So versteckte Margarete Bamberger (1918–1971) in einem aus Auschwitz-Birkenau herausgeschmuggelten Brief an ihre Schwester eine Botschaft auf Romanes: Sie bestellte ihr besondere Grüße von „Baro Naßlepin, Elenta und Marepin“. Dabei handelte es sich jedoch nicht um die Namen von Personen, sondern um den Hinweis darauf, in welcher Todesgefahr sie schwebten: „Große Krankheit, Elend und Mord“.15Eine Seite des Briefes ist abgedruckt in: Geigges et. al., Zigeuner heute, 271, und als Scan, Transkript, Audio und mit Kontextualisierung hier zu finden: https://www.romarchive.eu/de/collection/grosse-krankheit-elend-und-mord/ [Zugriff 29.05.2024]. Walter Stanoski Winter (1919–2012) schrieb im September 1944 aus dem Konzentrationslager Ravensbrück einen Brief an seine Angehörigen. Zwar strich die Lagerzensur die Erwähnung der in Ravensbrück durchgeführten Zwangssterilisationen, Winters auf Romanes verfasste Hinweise auf die schlechten Bedingungen im Lager und den furchtbaren Hunger gelangten jedoch nach draußen.16Der Brief ist abgedruckt und transkribiert in Guth, Z 3105, 127 und 202. Es gibt Hinweise darauf, dass Romanes in anderen gefährlichen Situationen ebenfalls als Kommunikationsmittel diente. Jan Yoors (1922–1977) schildert, dass Roma, die sich im deutsch besetzten Belgien in Haft befanden, von Zelle zu Zelle auf Romanes kommunizierten, um sich Mut zuzusprechen.17Yoors, Crossing, 146f.

Im Vereinigten Königreich wurde während des Zweiten Weltkrieges erwogen, Romanes zur Kommunikation mit den Widerstandsgruppen im besetzten Jugoslawien und Südosteuropa zu verwenden. Diese Idee wurde jedoch wieder verworfen, weil davon ausgegangen werden musste, dass gerade in Deutschland die Kenntnis des Romanes sehr gut war.18Francis, Lady Eleanor Smith, 72.

Ein Beispiel, bei dem Romanes zur Warnung vor drohender Verhaftung verwendet wurde, ist für das deutsch besetzte Serbien bekannt. Am 20. Oktober 1941 wurden um 22 Uhr in Niš mehrere Wohnviertel, in denen Rom:nja lebten, von serbischen Polizisten auf Befehl deutscher Offiziere umstellt, um alle männlichen Roma ab 16 Jahren festzunehmen und in das Lager Crveni Krst zu überführen. Dabei setzten die Polizisten einige Roma ein, die sie zuvor als „Sprecher“ bestimmt hatten. Diese sollten die Bewohner dazu auffordern, sich zu sammeln. Einer dieser Sprecher soll den Befehl in serbischer Sprache wortgetreu weitergegeben, aber auf Romanes ergänzt haben: „Našen tumen kote džanen.“ [Lauft weg, wohin ihr könnt.] Daraufhin soll es einigen Roma gelungen sein, zu fliehen.19Kenrick/Puxon, Sinti und Roma, 89–90. Zu diesem Ereignis wird – wie in dem Buch üblich – keine Quelle angegeben, es ist auch fälschlich auf 1942 datiert. Nicht erkennbar ist, welcher Sprecher diese Warnung gab. Namentlich genannt werden Jašar Salijevic als Sprecher für das Viertel Stočni Trg in Niš und Trajko Latifović für das Viertel Beogradska Mahala.

Nachwirkungen

Der hunderttausendfache Mord an Sinti:ze und Rom:nja während Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg hat auch zu einer Beschädigung von Romanes als einem bedeutenden Kulturgut geführt. In Ländern wie Estland und Kroatien wurden die Angehörigen der Minderheit fast vollständig ermordet, womit auch ihre Sprache ausgerottet wurde. Die hohen Todesraten unter den burgenländischen Rom:nja und auch den deutschen sowie tschechischen Sinti:ze und Rom:nja haben ebenfalls erhebliche Einschnitte verursacht. Oftmals waren es gerade die Älteren, die in den Lagern keine Überlebenschance hatten, so dass diese zentralen Sprachträger:innen mit ihrem Wissen den nachfolgenden Generationen fehlten.

Hinzu kommt, dass vor allem in Deutschland, wo Sinti:ze den nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen der RHF in einem besonderen Maße ausgesetzt gewesen waren, ein öffentliches Pflegen der eigenen Sprache nicht möglich war. Zum einen musste die berechtigte Sorge bestehen, sich dadurch als Angehörige:r der Minderheit zu erkennen zu geben, was aufgrund des Fortbestehens des Antiziganismus nur mit persönlichen Nachteilen verbunden sein konnte. Zum anderen hatte die Geschichte gelehrt, dass es ratsam ist, die eigene Sprache nicht mit anderen zu teilen.20Vgl. Hanstein, Meine hundert Leben, 31f.

Einzelnachweise

  • 1
    Matras, Die Sprache der Roma, 260.
  • 2
    Die rassenbiologischen Erhebungen waren nach Ritter von „sprachkundigen sowie genealogisch und rassenbiologisch besonders geschulten Sachbearbeitern“ durchzuführen, vgl. Ritter, Die Bestandsaufnahme, 480.
  • 3
    Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 141.
  • 4
    Bundesarchiv Berlin, Zsg. 142 Anh. 28, undatiertes Manuskript von Robert Ritter, ca. 1940, abgedruckt in: Reiter, Sinti und Roma, 51–58, hier 53. Eve Rosenhaft bewertet Ritters Ambition, sich Romanes anzueignen, als einen „Akt der Aggression“, vgl. Rosenhaft, Wissenschaft als Herrschaftsakt, 345f., Zitat 345.
  • 5
    Vgl. die Schilderungen von Überlebenden: Strauß, Weggekommen, 237f (Anton Winter); Hanstein, Meine hundert Leben, 32 (Ewald Hanstein); Krausnick, Abfahrt Karlsruhe, 26 (Josef Reinhardt).
  • 6
    Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 140; Hohmann, Robert Ritter, 430.
  • 7
    Bundesarchiv Berlin, Zsg. 142 Anh. 28, undatiertes Manuskript von Robert Ritter, ca. 1940, abgedruckt in: Reiter, Sinti und Roma, 51–58, Zitat 52.
  • 8
    Zigeunerbekämpfung – Lagerordnung für die Zigeunerlager Lety bei Pisek (Böhmen) und Hodonin bei Kunstadt (Mähren), 3.
  • 9
    Ritter, Die Bestandsaufnahme, 477.
  • 10
    Ebd., 482f.
  • 11
    Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 297f.; NO-1725, Amt Ahnenerbe an die Kriminalpolizeileitstelle Wien, 14.1.1943 betr. Zigeunerfragen.
  • 12
    Fings/Sparing, Sprachwissenschaftliche Verhöre; Knobloch, Romani Texte.
  • 13
    Hohmann, Robert Ritter, 281–286, Zitat 283.
  • 14
    Vgl. Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, 121; König, Sinti und Roma, 127.
  • 15
    Eine Seite des Briefes ist abgedruckt in: Geigges et. al., Zigeuner heute, 271, und als Scan, Transkript, Audio und mit Kontextualisierung hier zu finden: https://www.romarchive.eu/de/collection/grosse-krankheit-elend-und-mord/ [Zugriff 29.05.2024].
  • 16
    Der Brief ist abgedruckt und transkribiert in Guth, Z 3105, 127 und 202.
  • 17
    Yoors, Crossing, 146f.
  • 18
    Francis, Lady Eleanor Smith, 72.
  • 19
    Kenrick/Puxon, Sinti und Roma, 89–90. Zu diesem Ereignis wird – wie in dem Buch üblich – keine Quelle angegeben, es ist auch fälschlich auf 1942 datiert. Nicht erkennbar ist, welcher Sprecher diese Warnung gab. Namentlich genannt werden Jašar Salijevic als Sprecher für das Viertel Stočni Trg in Niš und Trajko Latifović für das Viertel Beogradska Mahala.
  • 20
    Vgl. Hanstein, Meine hundert Leben, 31f.

Zitierweise

Stéphane Laederich / Karola Fings: Romanes, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 11. September 2024.-

1941
20. Oktober 1941Während einer Razzia in Niš, deutsch besetztes Serbien, warnt ein Rom, der zwangsweise die Befehle der Polizei weitergeben soll, die zur Verhaftung vorgesehenen Roma auf Romanes, woraufhin einige fliehen können.
1942
30. September 1942Die Besatzungsbehörden erlassen für die ‚Zigeunerlager‘ Lety und Hodonin (Protektorat Böhmen und Mähren, deutsch besetzte tschechische Länder) eine offizielle Lagerordnung.