Jeanne Modis-Galut

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Jeanne Modis-Galut
  • Version 1.0
  • Publikationsdatum 4. Juli 2024

Jeanne Marie Modis wurde am 8. Dezember 1925 in Bressoux, Belgien, in eine aus Norwegen stammende Familie geboren. Ihre Eltern, Karl Modis (1878–unbekannt) und Rosa Maria Zuner (1884–unbekannt), stammten aus Norwegen. Sie hatten acht Kinder, darunter Jeanne Modis, genannt Paprika. Die meiste Zeit lebte die Familie in Belgien, wo die Eltern relativ ungestört ihren Lebensunterhalt mit Pferdehandel bestreiten konnten. Voraussetzung dafür war der Besitz von ‚reiswijzer‘/‚feuilles de route‘ [Fahrtenblättern]. Dabei handelte es sich um für drei Monate gültige Dokumente, oftmals mit Fotografien und Fingerabdrücken versehen, die in den belgischen Gemeinden und Städten jedoch keine Aufenthaltsberechtigung garantierten.

Gescheiterte Heimkehr nach Norwegen

Auf dem Pferdemarkt in Brüssel lernte Jeanne Modis Jean Arthur Galut, genannt Yayal, kennen. Er war am 19. Juni 1923 in Mons, Belgien, geboren worden und stammte aus einer Familie aus der Nähe von Paris, Frankreich, die ebenfalls mit Pferden handelte. Die Familie Modis wollte nach der Machtübernahme Adolf Hitlers (1889–1945) in Deutschland in ihr Heimatland Norwegen zurückkehren. Ihre Versuche, über Schweden oder Dänemark bis nach Oslo zu gelangen, scheiterten jedoch. Sie flüchteten zunächst mit ihren Wohnwagen nach Frankreich und reisten gemeinsam mit den Familien Gorgan und Peterbost in kleinen Gruppen umher, um nicht aufzufallen. Im Januar 1942 hielten sie sich in Belgien auf, wo sie von der Fremdenpolizei ausgestellte Sonderausweise [Zigeunerkaart] erhielten.

Festnahme und Deportation

Kurz vor Weihnachten 1943 wurden sie im Departement Pas-de-Calais in Hénin-Liétard, heute Hénin-Beaumont, von der Feldgendarmerie auf Befehl der Sicherheitspolizei (Sipo) in Brüssel verhaftet. Ihre Pferde wurden beschlagnahmt und ins Schlachthaus geschickt. Die Familien wurden zunächst im Gefängnis Loos-lez-Lille in Loos interniert und von dort in das ‚SS-Sammellager‘ in Mechelen verlegt, das sich in der dortigen Kaserne Dossin befand. Die Verhaftung stand im Zusammenhang mit der am 29. Januar 1943 angeordneten Deportation der Sinti:ze und Rom:nja aus Belgien und Nordfrankreich in das Konzentrations– und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

Jean Yayal Galut war der Festnahme in Hénin-Liétard entkommen; er floh nach Belgien und versteckte sich in Brüssel. Allerdings wurde auch er festgenommen und im Internierungslager Rekem, zusammen mit Ausländern und ‚unerwünschten Personen‘, interniert. Kurz vor seiner Verhaftung hatte er im Café Jean in Molenbeek, Brüssel, das er häufig frequentierte, erfahren, dass seine gesamte Familie mit unbekanntem Ziel verschwunden war. Auch die Schwester von Paprika Modis-Galut, Clara Modis (1923–1987), die mit Joseph Taicon (1915–1982) zusammenlebte, konnte der Festnahme im Zuge der geplanten Deportation entgehen und während der von der Feldgendarmerie durchgeführten Razzia im belgischen Tournai entkommen.

In einem Interview, das der belgische Historiker José Gotovitch (1940–2024) im Jahr 1976 mit Paprika Modis-Galut führte, erinnerte sie sich an Hunger und Durst, den Schmutz und die Läuse in der Kaserne Dossin. Sie wurden ihres Schmucks beraubt, einschließlich ihrer Eheringe. Sie waren von den Juden:Jüdinnen getrennt, in zwei Räume gesperrt, schliefen auf nie gewechselten Strohmatten und durften die Schlafsäle nur sehr selten für Spaziergänge im Hof der Kaserne verlassen. Die Musiker unter ihnen wurden gezwungen, Geige zu spielen, die Instrumente wurden ihnen danach sofort wieder abgenommen. Sie waren von der Außenwelt vollständig abgeschnitten und erhielten keine Pakete vom Roten Kreuz. Familie Modis war in dem Transport Z, der am 15. August 1944 in Mechelen abfuhr und zwei Tage später in Auschwitz-Birkenau eintraf.

Bei der Ankunft wurden die deportierten Sinti:ze und Rom:nja nicht voneinander getrennt oder selektiert, sondern tätowiert, rasiert und in Auschwitz-Birkenau in den abgetrennten Lagerbereich BIIe eingewiesen. Paprika Modis-Galut erhielt ein ziviles Kleidungsstück, ein Kleid, das für das Überleben angesichts der winterlichen Wetterverhältnisse ungeeignet war. Die Neuankömmlinge wurden in den Blocks unter Quarantäne gestellt, ihnen war 40 Tage lang das Verlassen des Blocks verboten. Während dieser Zeit wütete bereits der Typhus. Die gesündesten Häftlinge wurden zu Erdarbeiten abkommandiert. Paprika Modis-Galut stillte weiterhin ihre am 2. April 1942 im belgischen Leuven geborene Tochter Carmen, genannt Dschiworka, die jedoch schnell krank wurde. Sie überlebte nur zwei Monate in Birkenau und starb am 22. März 1944.

Ravensbrück, Buchenwald, Auschwitz

Diejenigen, die die Quarantäne und die ersten drei Monate im Lager überlebten, wurden auf ihre ‚Arbeitsfähigkeit‘ untersucht. Paprika Modis-Galut überstand die Selektion und war Teil des ersten Transports, der am 15. April 1944 in das Konzentrationslager Ravensbrück führte. Ab August 1944 wurde sie in verschiedenen Außenlagern der Rüstungsfirma Hugo Schneider AG (HASAG) eingesetzt: Altenburg, Taucha und Schlieben, die alle dem Konzentrationslager Buchenwald unterstellt waren. Erdarbeiten und die Herstellung von Handgranaten und Panzerfäusten waren das tägliche Los dieser Frauen. Am 11. Oktober 1944 wurde Paprika Modis-Galut zusammen mit anderen Sintize und Romnja, darunter auch Joséphine Lagrené (1929–2022), zurück nach Auschwitz geschickt. In Auschwitz erfuhr sie vom Tod ihrer gesamten Familie und der Ermordung der noch im Lager verbliebenen Familienangehörigen in den Gaskammern, die in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 stattgefunden hatte.

Zu der Zeit war Paprika Modis-Galut von den extremen Bedingungen der Lagerhaft bereits stark beeinträchtigt. In einem der vielen Lager, die sie durchlitten hatte, hatte sie einen Schlag auf den Kopf bekommen, weil sie vom schlammigen Boden Kartoffelschalen aufheben wollte. Sie erinnerte sich an die Befreiung durch die Alliierten, ohne jedoch genauere Angaben machen zu können.

Nach der Befreiung

Am 27. August 1945 wurde sie nach Lille zurückgebracht und machte sich dort vergeblich auf die Suche nach ihrer Familie. In Brüssel bezog sie ein Zimmer in Sint-Pieters-Leeuw [Leeuw-Saint-Pierre], da sie weder Wohnwagen noch Pferd besaß. Im Oktober 1945 wurde ihr erneut eine ‚Zigeunerkarte‘ ausgehändigt. In Lille traf sie ihren Mann Yayal Galut wieder, der wie sie überlebt hatte. In einem Schreiben ihres Anwalts an die Fremdenpolizei forderte Paprika Modis-Galut die Entschädigung für ein beschlagnahmtes Pferd. Aus diesem Brief geht auch hervor, dass ihre Eltern und sechs ihrer Geschwister (Henri, Waldemar, Troreman, Villamena und Sophie) im November 1943 in Sint-Pieters-Leeuw von der Feldgendarmerie verhaftet und ebenfalls deportiert worden waren. Keiner von ihnen überlebte die Lager. 1959 bekamen Paprika Modis-Galut und Yayal Galut einen Sohn, Moise Galut. Seit 1975 lebten Paprika Modis-Galut und Yayal Galut erneut regelmäßig in Belgien.

1982 stellte das Ehepaar in Merksem einen Antrag auf Niederlassung, der jedoch abgelehnt wurde. Die Ablehnung erfolgte mit der Begründung, dass sie in einem Wohnwagen lebten. Im selben Jahr wurden sie aus Belgien ausgewiesen. Paprika Modis-Galut starb am 13. Februar 1997 in Créteil, Departement Val de Marne, Frankreich, und Jean Yayal Galut am 13. Juli 2014 in Montfermeil, Departement Seine-Saint-Denis, Frankreich.

Von den 24 Mitgliedern der Familie Modis hatten nur zwei Frauen die Deportation nach Auschwitz-Birkenau überlebt: Paprika Modis-Galut und ihre Nichte Sophie Modis-Russalino (1926–unbekannt).

Zitierweise

Monique Heddebaut: Jeanne Modis-Galut, in: Enzyklopädie des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma in Europa. Hg. von Karola Fings, Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg, Heidelberg 4. Juli 2024. -

1934
7. Januar 193464 norwegische Rom:nja werden aus Belgien ausgewiesen und verlassen das Land in Richtung Oslo, Norwegen. Zwei Tage später gehen sie in Hamburg, Deutschland, an Bord eines Schiffes. Bei der Ankunft in Trelleborg, Schweden, werden sie von den Behörden abgewiesen und müssen mit dem Schiff nach Hamburg zurückkehren.
20. – 21. Januar 1934Im Bahnhof von Padborg (Pattburg), Dänemark, gelegen an der deutsch-dänischen Grenze, scheitert der Versuch von 68 Rom:nja, in ihr Heimatland Norwegen zurückzukehren.
7. März 1934Die deutsche Polizei eskortiert eine Gruppe von über 60 norwegischen Rom:nja bis zum belgischen Grenzort Herbestahl. Dort werden sie vorläufig aufgenommen, um Verhandlungen mit Norwegen über ihre Rückführung zu führen. Norwegen lehnt eine Einreise der Rom:nja ab. Die meisten von ihnen werden rund zehn Jahre später in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert.
1942
21. Januar 1942Im deutsch besetzten Belgien werden auf Veranlassung der belgischen Fremdenpolizei Sonderausweise für Sinti:ze und Rom:nja eingeführt. Zur Ausgabe der Sonderausweise dürfen Sinti:ze und Rom:nja in der Zeit vom 5. bis 20. Januar ihren Wohnort nicht verlassen.
1943
Oktober – Dezember 1943Im Bereich des deutschen Militärbefehlshabers für Belgien und Nordfrankreich werden Razzien durchgeführt, die ergriffenen Sinti:ze und Rom:nja anschließend in das ‚SS-Sammellager‘ Mechelen überführt, um sie von dort deportieren zu können.
1944
15. Januar 1944Aus dem ‚SS-Sammellager‘ Mechelen, deutsch besetztes Belgien, werden 352 Männer, Frauen und Kinder mit dem ‚Transport Z‘ bezeichneten Zug in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie zwei Tage später eintreffen. Die einjährige Georgette Hédouin stirbt während des Transportes.
15. April 1944473 Sintize und Romnja, Frauen und Mädchen, werden aus dem Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau in das Konzentrationslager Ravensbrück, Deutschland, überstellt.
11. Oktober 1944110 Sintize und Romnja werden aus Hasag-Taucha, einem Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald, in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau überstellt. Unter den Häftlingen befinden sich Joséphine Lagrené und Jeanne-Marie Modis-Galut.
1975
15. Januar 1975In Belgien schafft ein königlicher Erlass die ‚Zigeunerkarten‘ ab.