Als „Stolpersteine“ werden rund zehn mal zehn mal zehn Zentimeter große Gedenksteine bezeichnet, die an Opfer des nationalsozialistischen Regimes und seiner Verbündeten erinnern. Sie werden seit Januar 1995 in der Regel vor dem letzten frei gewählten Wohnort der von Verfolgung Betroffenen in den Gehweg verlegt. 121 000 STOLPERSTEINE1Die Schreibweise folgt der des Urhebers Gunter Demnig, der STOLPERSTEINE als Wortmarke etabliert hat. in rund 1 900 Städten und Gemeinden in 32 europäischen Ländern (Stand Oktober 2025) bilden heute das weltweit größte dezentrale Mahnmal.
Die STOLPERSTEINE sind ein Werk des deutschen Künstlers Gunter Demnig (geb. 1947). Seine Entstehung geht auf zwei Gedenkprojekte zurück, die Demnig Anfang der 1990er-Jahre in Erinnerung an die Verfolgung und Ermordung von Sinti:ze und Rom:nja in Köln, Deutschland, umsetzte. Die ersten STOLPERSTEINE wurden für diese Opfergruppe verlegt.
Der Künstler
Gunter Demnig wurde am 27. Oktober 1947 in Berlin geboren und studierte von 1967 bis 1977 Kunstpädagogik und Industrial Design an der Hochschule für Bildende Künste in West-Berlin, Kunstpädagogik an der Kunstakademie / Gesamthochschule Kassel und Freie Kunst an der Universität Kassel.
Früh trat er mit künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum in Erscheinung, etwa mit einer Arbeit zum Vietnamkrieg (1968). Seit den 1980er-Jahren setzte Demnig räumlich ausgreifende künstlerische Aktionen um, die sich teils um den Kunstbetrieb selbst drehten. Dabei verband er hunderte Kilometer voneinander entfernte Orte, indem er die jeweilige Strecke zu Fuß zurücklegte und mit Markierungen versah (beispielsweise 1980 „Duftmarken Kassel-Paris“, 1982 „Ariadne-Faden Kassel-Venedig“). Er realisierte aber auch Arbeiten, die sich mit der zerstörerischen Gewalt des Zweiten Weltkrieges befassten (1981 „Blutspur Kassel-London“, 1983 „KASSEL 22. OKTOBER – ZEHNTAUSEND TOTE“). Demnigs Werke – darunter Raum- und Klanginstallationen oder Arbeiten mit Schriftzeichen – werden seit 1981 in Einzel- oder Gruppenausstellungen in Galerien und Museen gezeigt.
„Mai 1940 – 1000 Roma und Sinti“
Seit 1985 lebte und arbeitete Gunter Demnig in Köln. Dort traf er auf Kurt Holl (1938–2015), einen Lehrer, Aktivisten und Mitgründer des Vereins Rom e.V., der sich für ein Bleiberecht für von Abschiebung bedrohte Rom:nja einsetzte. Demnig wollte über Vermittlung durch Holl für sein Projekt „Menschenrechte“ den ersten Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen („Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“) ins Romanes übertragen. Für dieses Werk, an dem er anlässlich des 200. Jahrestages der Französischen Revolution im Jahr 1989 arbeitete, hatte er den Artikel 1 bereits in 120 Sprachen übersetzen lassen und jeweils in Lautschrift in einzelne Tontafeln eingebrannt.
Im Frühjahr 1990, während eines Gesprächs in Holls damaliger Stammkneipe, entstand die Idee für eine „Spur“, mit der öffentlichkeitswirksam auf den Völkermord an den Sinti:ze und Rom:nja hingewiesen werden sollte. Die Aktion sollte im Vorfeld der Eröffnung einer Ausstellung stattfinden, die anlässlich des 50. Jahrestages der Deportationen vom Mai 1940 unter Trägerschaft des Rom e.V., des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma in Nordrhein-Westfalen sowie des Vereins EL-DE-Haus e.V. (Förderverein des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln [NS-DOK]) zu dieser Zeit vorbereitet wurde.2Die Ausstellung wurde am 16. Mai 1990 in Köln eröffnet, erarbeitet wurde sie von Karola Fings und Frank Sparing. Vgl. Nur wenige kamen zurück. Karola Fings unterstützte Gunter Demnig bei den Erinnerungsprojekten zum Völkermord an Sinti:ze und Rom:nja mit ihrer fachlichen Expertise.
Demnig konzipierte vor dem Hintergrund der zur Verfügung gestellten historischen Dokumente eine Spur, die ausgehend vom ehemaligen Zwangslager in Köln-Bickendorf über rund 20 Kilometer vorbei an früheren Wohnorten von Sinti:ze und Rom:nja sowie Institutionen der Verfolgung quer durch die Stadt bis zum Deportationsgleis in Köln-Deutz führte. „Artikel 1 heißt auch Recht auf Erinnerung, auf Erinnerung daran, wie dieses Menschenrecht auf den Straßen dieser Stadt ausgelöscht worden war“, so erklärte Demnig später, wie er auf die Idee zur Konzeption der Spur kam.3Interview mit Gunter Demnig, in Rom e.V., Ein Strich durchs Vergessen, 21–24, Zitat 22. Für die Realisierung des Vorhabens ließ er seinen „Spurapparat“, den er für frühere Werke verwendet hatte, aus dem Depot der Documenta in Kassel nach Köln bringen. Bei der Apparatur handelt es sich um ein Rad, das zu einer von Hand schiebbaren Druckwalze umgebaut ist, die durch eine Farbvorrichtung läuft. Auf diese Weise prägte Demnig am 6. Mai 1990 in Köln tausendfach in weißem Lack den Schriftzug „Mai 1940 – 1000 Roma und Sinti“ auf Bürgersteige und Straßenpflaster.
Die Spur erregte großes Aufsehen in der Stadt und weckte Interesse an der Geschichte und Gegenwart der Sinti:ze und Rom:nja in Köln. Dies bewog den Rom e.V. dazu, bei der Stadt Köln einen Antrag auf Denkmalschutz für die Spur zu stellen. Da jedoch abzusehen war, dass der Schriftzug nach und nach verblassen und über die Jahre unsichtbar werden würde, wurde über einen längeren Zeitraum nach einer praktikablen Lösung gesucht. Gunter Demnig entwarf daraufhin Steinplatten, in die der Schriftzug mit Messingbuchstaben eingearbeitet wurde. Die Finanzierung sollte über Sponsor:innen erfolgen, während die Stadt die Verlegungen genehmigen und die verlegten Objekte als Schenkung annehmen sollte. Nach einem entsprechenden Beschluss des Rates der Stadt Köln vom 18. März 1993 wurden die Steinplatten schließlich an 23 ausgewählten Stellen im Stadtgebiet platziert.
Der Prototyp
Wenige Wochen zuvor, am 16. Dezember 1992, hatte Demnig erneut an die an Sinti:ze und Rom:nja begangenen NS-Verbrechen erinnert. Die Aktion fand wieder in Kooperation mit dem Rom e.V. und unter Beteiligung zahlreicher Rom:nja, die um ihren Aufenthalt in Köln bangten und von Abschiebung bedroht waren, statt. Vor dem Kölner Historischen Rathaus ließ Demnig einen 15 x 15 x 15 Zentimeter großen Stein in das Pflaster ein, auf dessen Messingplatte die ersten Zeilen des berüchtigten Auschwitz-Erlasses von Heinrich Himmler (1900–1945) eingeschlagen sind. Der Stein verfügt über einen Hohlraum, in dem eine Abschrift des Erlasses hinterlegt ist.
Das Rathaus war als Stätte der Verlegung mit Bedacht ausgewählt worden, um an die historische Verantwortung von Stadt und Staat gegenüber den Angehörigen der Minderheit zu erinnern. Da für die Verlegung keine Genehmigung eingeholt worden war, forderten städtische Verantwortliche die Beseitigung des Gedenksteins. Dank des Engagements von Aktivist:innen und der Fürsprache einiger Politiker:innen blieb er jedoch erhalten. Seitdem wird an prominenter Stelle im Zentrum der Stadt an den Völkermord erinnert.
Konzeption und Durchbruch
Im Sommer 1993 entwickelte Gunter Demnig sein Projekt STOLPERSTEINE. Einen entscheidenden Anstoß dazu erhielt er, als er in Köln im Griechenmarktviertel eine der Steinplatten mit dem in Messing eingeschlagenen Schriftzug „Mai 1940 – 1000 Roma und Sinti“ auf einem Bürgersteig verlegte. Eine Anwohnerin sprach ihn während der Verlegung an und behauptete, dass in der Straße „keine Zigeuner“ gewohnt hätten. Doch die Namen der Betroffenen waren aufgrund von Archivquellen gesichert. Dadurch reifte in Demnig die Überzeugung, dass die Erinnerung an die Opfer noch konkreter formuliert und materialisiert werden müsse. Im Alltag sollten die Passant:innen über die verdrängte Geschichte buchstäblich „stolpern“.
Sein Konzept sah daher vor, für jedes Opfer einen eigenen Gedenkstein zu schaffen. In Messing eingraviert werden sollte „Hier wohnte“, dann der Name, das Geburtsjahr und der Verfolgungsweg. Die Steine sollten vor der letzten freiwillig gewählten Wohnadresse verlegt werden und an alle Opfergruppen erinnern. Ohne Finanzierung und auch ohne Zusage der Stadt Köln, die Steine verlegen zu dürfen, produzierte Demnig 230 STOLPERSTEINE. Mehr als 100 davon waren Sinti:ze und Rom:nja gewidmet. Informationen zu den anderen Menschen, derer gedacht werden sollte, darunter mehrheitlich jüdische Verfolgte, aber auch andere Opfergruppen wie politisch Verfolgte oder Homosexuelle, recherchierte er mit Hilfe des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln. Wie bei der Messingspur, sollte die Finanzierung durch Patenschaften erfolgen, die Stadt sollte die Genehmigung zur Verlegung erteilen und die Gedenksteine als Schenkung annehmen.
Doch die bürokratischen Hürden waren hoch; die Stadt wollte dem Vorschlag aufgrund verschiedener Bedenken, darunter formale, aber auch erinnerungspolitische Erwägungen, zunächst nicht zustimmen. Im September 1994 präsentierte Gunter Demnig die von ihm produzierten STOLPERSTEINE und sein Konzept zunächst in einer Ausstellung in der evangelischen Antoniterkirche.
Der Zuspruch war insgesamt groß, es gab aber auch entschiedene Einsprüche, insbesondere von Seiten der damals bestehenden Sinti Union Köln. Ihre Kritik richtete sich gegen die Nennung der Namen auf den STOLPERSTEINEN, da das Andenken der Verstorbenen nicht „mit Füßen getreten“ werden solle. Auch bestanden Befürchtungen, dass Überlebende oder Angehörige, die teils noch in den gleichen Straßen oder Stadtvierteln lebten, unfreiwillig aufgrund der identischen Nachnamen als Sinti:ze oder Rom:nja identifiziert und rassistischen Anfeindungen oder gar Übergriffen ausgesetzt sein könnten. Solche Befürchtungen waren angesichts der rassistischen Gewalt, die Anfang der 1990er-Jahre in der Bundesrepublik Deutschland ein erhebliches Ausmaß angenommen hatte, durchaus naheliegend.
Auf Veranlassung der Sinti Union Köln anonymisierte daher Gunter Demnig die bereits gefertigten STOLPERSTEINE für Sinti:ze und Rom:nja. Die Namen wurden abgeändert in „Sinto“, „Sinteza“, „Romm“ oder „Rommni“.4Vgl. die Datenbank „Stolpersteine in Köln“ des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln: https://museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/Stolpersteine-in-Koeln [Zugriff: 27.10.2025]. Über den Index kann die Verfolgtengruppe „Sinti und Roma“ ausgewählt werden, das Ergebnis zeigt einige wenige Namen sowie die anonymisierten Steine. Sie gehören zu den ersten STOLPERSTEINEN, die überhaupt verlegt wurden. Nur diese Steine sind jemals anonymisiert worden. Später entschied der Künstler, nur STOLPERSTEINE mit Namen zu verlegen.
Am 4. Januar 1995 verlegte Gunter Demnig in einem Akt zivilen Ungehorsams – eine Genehmigung lag weiterhin nicht vor – die ersten STOLPERSTEINE in Köln, und zwar für Sinti:ze und Rom:nja und genau in jenem Stadtviertel, in dem die Anwohnerin deren Existenz geleugnet hatte. Im Jahr darauf brachte Demnig weitere STOLPERSTEINE in Berlin550 Steine wurden am 2. und 3. Mai 1996 anlässlich der von der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst e.V. (nGbK) durchgeführten Ausstellung „Künstler forschen nach Auschwitz“ vor Wohnhäusern in der Oranienstraße verlegt, wo sich damals der Sitz der nGbK befand. und Köln an, 1997 erfolgte die erste behördlich genehmigte Verlegung von STOLPERSTEINEN für zwei Zeugen Jehovas in St. Georgen in Österreich.
Der Durchbruch erfolgte am 13. April 2000: Nachdem Gunter Demnig bei zahlreichen Ausschüssen und Ämtern vorgesprochen hatte, stimmte der Rat der Stadt Köln Demnigs Konzept zu und nahm die Schenkung der STOLPERSTEINE an. Damit war nicht nur die Verlegung weiterer Gedenksteine in Köln möglich, auch zahlreiche Aktivist:innen in anderen Städten konnten sich auf dieses Vorbild berufen und Verlegungen durchsetzen.
Anlässlich des 60. Geburtstages des Künstlers eröffnete das NS-DOK im Jahr 2007 die Ausstellung „STOLPERSTEINE. Gunter Demnig und sein Projekt“. Während der Eröffnung ordnete der Kunsthistoriker Prof. Manfred Schneckenburger (1938–2019), zweimaliger künstlerischer Leiter der Documenta, Demnigs Arbeit in die Reihe jener neuen künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Holocaust ein, die seit Ende der 1980er-Jahre mit der abstrahierenden Formensprache von Mahnmalen brachen. „Auch Künstler erkannten“, so Schneckenburger, „dass Erinnerung in Deutschland unentrinnbar um den Holocaust kreist. […] Demnig ist der Künstler, der dem am entschiedensten Ausdruck gibt. Er fand eine Strategie, die darauf besteht, dass der Holocaust noch vor Auschwitz ansetzt: beim Wegblicken, sich Verschließen, Hinnehmen, Schweigen.“6Rede von Professor Manfred Schneckenburger anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „STOLPERSTEINE. Gunter Demnig und sein Projekt“ am 26. Oktober 2007 im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, 4 Seiten, Zitat S. 2.
Entwicklung
Die STOLPERSTEINE setzten sich im Lauf der Zeit als eines der bedeutendsten erinnerungskulturellen Projekte in Europa durch. Seinen Erfolg verdankt das Projekt dem partizipativen Konzept, das zu einer Mitwirkung einlädt: Erst wenn sich Menschen dafür engagieren, an einen verfolgten Menschen in ihrem Heimatort zu erinnern, und auch bereit sind, dafür einen gewissen Betrag aufzubringen (derzeit 120 Euro innerhalb und 132 Euro außerhalb Deutschlands pro Stein) kann ein STOLPERSTEIN entstehen. Auf diese Weise regte das Projekt nach und nach Tausende von Bürger:innen dazu an, sich mit der Geschichte ihres Ortes während der NS-Zeit beziehungsweise des Zweiten Weltkrieges zu beschäftigen und nach Spuren der Opfer zu suchen. Oft markierten, gerade in kleineren Gemeinden, die im Zusammenhang mit den Verlegungen von STOLPERSTEINEN durchgeführten Recherchen den Beginn einer Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Herrschaft vor Ort. Die Veranschaulichung, Individualisierung und Benennung der sonst meist namenlos gebliebenen Opfer und die Konkretisierung der Taten des NS-Regimes im eigenen Heimatort machen das Projekt auch für schulische Kontexte interessant.
In den ersten Jahren fertigte Gunter Demnig jeden einzelnen Stein persönlich an und verlegte ihn vor den früheren Wohnhäusern der Verfolgten. Unterstützt wurde er dabei von Koordinatorinnen, zunächst Uta Franke (geb. 1955), dann Karin Richert (1950–2022), die mit den Initiativen die Texte der Inschriften vereinbarten und die Reiserouten des Künstlers planten. Ende 2006 hatte Demnig rund 9 000 STOLPERSTEINE in 193 Orten in der Bundesrepublik und in sieben österreichischen Orten verlegt. Seitdem stieg das Interesse auch in anderen europäischen Ländern stetig an. 2015 wurde bereits der 50 000ste Stein, 2023 der 100 000ste Stein verlegt. Dementsprechend wuchs auch das Team – darunter seine Ehefrau Katja Demnig geb. Walter (geb. 1975) –, das mit der Umsetzung der Verlegungen befasst ist. Doch nach wie vor wird auf handwerkliche Anfertigung und individuelle Ausgestaltung der Inschriften großen Wert gelegt, und Gunter Demnig nimmt die Erstverlegungen in einem Ort weiterhin persönlich vor. Damit hält er an einem wichtigen Bestandteil seines Konzeptes fest: Die Morde in den nationalsozialistischen Tötungsstätten seien „fabrikmäßig“ erfolgt, die Erinnerung hingegen solle die Individualität und Würde der Opfer bewahren.
Während zu Beginn ausschließlich denjenigen ein STOLPERSTEIN gewidmet wurde, die ermordet worden waren, bedachte Demnig später alle verfolgten Angehörigen einer Familie mit einem Stein, also auch diejenigen, die Deportation und Lager oder im Versteck überlebt hatten, ihrem Leben angesichts der Bedrohung selbst ein Ende setzten („Flucht in den Tod“), oder die sich ins Exil hatten retten können. Die Inschriften wurden ausführlicher, die Anzahl der Opfergruppen weitete sich aus. Bei Bedarf wurden auch vor früheren Arbeitsstätten, vor Universitäten oder Schulen STOLPERSTEINE verlegt. Für Orte, an denen einer sehr hohen Anzahl von Opfern gedacht werden sollte, entwickelte Demnig STOLPERSCHWELLEN, die ausführlichere Informationen über den Verfolgungskontext enthalten können. So verlegte er beispielsweise am 5. November 2011 in Zagreb, Kroatien, eine solche Schwelle. Sie erinnert an 69 Rom:nja der Familien Kovačević, Lakatoš, Maleković, Nicolić, Šajnović und Štefanovic, die im Mai 1942 in das Konzentrationslager Jasenovac deportiert und dort ermordet worden waren.7Vgl. https://holocaustremembrance.com/news/stolperstein-roma-zagreb-croatia [Zugriff: 28.10.2025].
Immer stärker bezogen die lokalen Initiativen die betroffenen Familien und Angehörigen selbst mit ein, und erbaten Zustimmung, Informationen und Material. Die Verlegungen nahmen allmählich den Charakter von Gedenkveranstaltungen an, an denen neben dem Künstler auch Überlebende und Angehörige aus aller Welt, Initiator:innen und Interessierte teilnahmen.
Nur in wenigen Städten – etwa in München – wurde die Verlegung von STOLPERSTEINEN im öffentlichen Raum abgelehnt.8Die Stadt München folgte dabei der Kritik der Überlebenden Charlotte Knobloch (geb. 1932), dass das Betreten von den Namen der Opfer würdelos sei. Alternativ wurden Erinnerungsstelen entwickelt. Verlegungen von STOLPERSTEINEN finden in München auf privatem oder staatlichem Grundbesitz statt. Auch die Anzahl der Privatpersonen, die sich gegen eine Verlegung vor ihren Wohnhäusern aussprachen und dagegen – erfolglos – juristisch vorgingen, ist gering, ebenso wie Sachbeschädigungen an oder Diebstahl von Steinen. Sofern dies vorkommt, werden die Steine mit Hilfe der örtlichen Initiativen rasch ersetzt.
Inzwischen existieren über 1 900 Stolperstein-Initiativen in Europa. Das Projekt ist seit den 2010er-Jahren immer internationaler geworden: STOLPERSTEINE sind heute in Andorra, Belgien, Bosnien-Herzegowina, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Moldawien, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Polen, Rumänien, Russland, Schweden, der Schweiz, Serbien, der Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, der Ukraine, Ungarn und dem Vereinigten Königreich zu finden.9Eine – allerdings unvollständige – Übersicht findet sich auf https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Orte_mit_Stolpersteinen# [Zugriff: 28.10.2025]. In dem Zusammenhang ist eine unüberschaubare Fülle an biografischem und faktischem Wissen über die Zeit des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg entstanden: auf Internetseiten und in mobilen Anwendungen, in Zeitschriften, Broschüren oder Büchern. Wie viele STOLPERSTEINE für Sinti:ze und Rom:nja in Europa verlegt wurden, ist derzeit nicht feststellbar.10Als Beispiel für das mit den STOLPERSTEINEN generierte, öffentlich zugängliche Wissen siehe etwa die Biografie von Gustav Steinbach (1914–2004): https://www.marchivum.de/de/geschichte/stolpersteine/gustav-steinbach [Zugriff: 28.10.2025].
STIFTUNG – SPUREN – Gunter Demnig
Im Dezember 2014 gründete Gunter Demnig, inzwischen in Frechen lebend, die STIFTUNG – SPUREN – Gunter Demnig.11Vgl. die Website von Gunter Demnig: https://www.stolpersteine.eu [Zugriff: 28.10.2025]. Sie hat die Aufgabe, die Ideen und das Lebenswerk des Künstlers zu bewahren und das Projekt STOLPERSTEINE umzusetzen. Die Stiftungsverwaltung, wie Demnig seit 2017 in Alsfeld-Elbenrod in Hessen ansässig, plant, eine Datenbank mit allen verlegten STOLPERSTEINEN zu veröffentlichen. Mit der Datenbank sollen neben den auf den Steinen veröffentlichten Informationen auch Biografien zugänglich gemacht werden.
Am 13. August 2022 wurde in Alsfeld-Elbenrod die Dauerausstellung „Gunter Demnig – SPUREN und WEGE“ eröffnet, in der auch frühe Werke des Künstlers zu sehen sind. Außerhalb des Museums der Stiftung findet sich die größte Sammlung zum Künstler in der Kölner Kunst- & Museumsbibliothek.12Siehe https://museenkoeln.de/kunst-und-museumsbibliothek/default.aspx?s=8215 [Zugriff: 28.10.2025]. Gunter Demnig wurde für sein Lebenswerk STOLPERSTEINE vielfach ausgezeichnet.




